Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 06.06.2023 – B 1 K 22.1061
Titel:

Fahrtenbuchauflage

Normenkette:
StVZO § 31a
Leitsatz:
Hat der Halter im Rahmen der Anhörung lediglich mitgeteilt, dass er aus familiären Gründen den Fahrer nicht nennen könne, kann die Fahrtenbuchauflage auf ein zweites Fahrzeug des Halters erstreckt werden, auch wenn es sich dabei – anders als das Tatfahrzeug – um ein betriebliches Fahrzeug handelt, das aber zum überwiegenden Anteil (ebenfalls) von Familienmitgliedern betrieblich genutzt wird. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Fahrtenbuchauflage
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30260

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage.
2
Der Kläger ist Halter zweier Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen … und … Ausweislich einer Ordnungswidrigkeitenanzeige des Polizeipräsidiums … wurde mit dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … am 30. Juni 2022 um 11:17 Uhr auf der BAB … bei km … (* …*) die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 51 km/h (nach Toleranzabzug) überschritten. Mit Anhörungsbogen vom 12. Juli 2022 des Kreises … wurde dem Kläger unter Schilderung der Tatumstände sowie Beifügung von Lichtbildern des KFZ-Kennzeichens und des Fahrers Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Es liege ein Verstoß nach § 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, § 49 StVO, § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5, § 25 StVG; 11.3.8 BKat, § 4 Abs. 1 BKatV vor.
3
Der Kläger erklärte auf dem Anhörungsbogen unter dem Datum des 25. Juli 2022, dass er nicht der Fahrer gewesen sei. Mit Schreiben vom 28. Juli 2022 ersuchte der Kreis … die Polizeiinspektion … um Amtshilfe zur Fahrerfeststellung. Die PI … teilte dem Kreis … mit, dass der Fahrzeughalter telefonisch angegeben habe, dass er nicht der Fahrer gewesen sei, er den Fahrzeughalter nicht benennen wolle und von seinem Aussageverweigerungsrecht nach § 55 OWiG Gebrauch mache. Unter der Adresse des Klägers sei noch dessen Bruder gemeldet. An der Halteradresse habe mehrfach niemand angetroffen werden können. Auf Vorladungen sei nicht reagiert worden. Über das Einwohnermeldeamt seien die Passbilder der Brüder angefordert worden. Aufgrund der Ähnlichkeit der Brüder sei jedoch eine eindeutige Identifizierung des Fahrers nicht möglich. Am 23. August 2022 habe der Bruder des Klägers bei der Dienststelle vorgesprochen und angegeben, dass er den Pkw seines Bruders nicht fahre und auch die betreffende Strecke noch nie gefahren sei. Er habe das Messbild eingesehen und den Kläger als Fahrer ausgeschlossen. Der Kläger habe laut Aussage seines Bruders noch nie einen Bart getragen.
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Mit Verfügung vom 7. September 2022 stellte der Kreis … das Verfahren ein, weil der Täter trotz umfangreicher Ermittlungen nicht habe festgestellt werden können. Das Verfahren wurde an den Beklagten zur Prüfung einer Fahrtenbuchauflage abgegeben.
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Mit Schreiben vom 13. September 2022 wurde der Kläger zu beabsichtigten Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO bezüglich der auf den Kläger zugelassenen Fahrzeuge mit den Kennzeichen … (BMW) und … (Mercedes-Sprinter) angehört.
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Der Kläger äußerte sich unter dem 15. September 2022 dahingehend, dass er aus familiären Gründen den Fahrer nicht nennen könne, weil er dann intern Spannungen (Schwierigkeiten) bekomme. Der Fahrer, der wohl für einen Monat seinen Führerschein abgeben müsse, sei auf diesen finanziell angewiesen, da er im Jahr ca. 100.000 km fahre. Er bitte darum, von der Auferlegung eines Fahrtenbuchs abzusehen.
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Mit Bescheid vom 10. Oktober 2022 wurde der Kläger verpflichtet, für die Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen … und … sowie für jedes im Fall der Veräußerung oder Außerbetriebsetzung an die Stelle eines der vorstehenden Fahrzeuge tretende Ersatzfahrzeug oder alle künftig auf den Kläger zuzulassenden Fahrzeuge für den Zeitraum von 12 Monaten jeweils ein Fahrtenbuch zu führen (Ziff. 1). Der Kläger bzw. der Fahrzeugführer habe für jedes der vorstehend genannten Fahrzeuge für jede einzelne Fahrt vor Beginn der Fahrt Name, Vorname und Anschrift des Fahrzeugführers, das amtliche Kennzeichen des Fahrzeugs, Datum und Uhrzeit des Beginns der Fahrt sowie nach Beendigung der Fahrt Datum und Uhrzeit einzutragen sowie zu unterschreiben (Ziff. 2). Jedes Fahrtenbuch sei sechs Monate nach dem Ablauf der Zeit, für die es geführt werden müsse, aufzubewahren (Ziff. 3). Der Kläger habe jedes Fahrtenbuch auf Verlangen jederzeit zur Prüfung auszuhändigen (Ziff. 4). Die unter Ziffn. 1 bis 4 genannten Verpflichtungen begännen am Tag nach der Bestandskraft dieses Bescheides (Ziff. 5). Bei Nichterfüllung oder nicht vollständiger Erfüllung der auferlegten Verpflichtungen würden folgende Zwangsgelder zur Zahlung fällig: Hinsichtlich der Verpflichtung aus Ziff. 1 in Höhe von 500 EUR (Ziff. 6), hinsichtlich der Verpflichtung aus Ziff. 2 in Höhe von 250,00 EUR (Ziff. 7) und hinsichtlich der Verpflichtungen aus Ziffn. 3 und 4 in Höhe von jeweils 150,00 EUR (Ziff. 8).
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Zur Ermittlung des Fahrers, der am 30. Juni 2022 den Geschwindigkeitsverstoß auf der BAB … begangen habe, seien sämtliche zumutbare und angemessene Maßnahmen ergriffen worden (wird näher ausgeführt). Die tatsächliche Unmöglichkeit der Fahrzeugführerfeststellung i.S.v. § 31 Abs. 1 Satz 1 StVZO liege vor. In Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zur Gewährleistung einer zukünftig umfassenden Feststellung der Personen, von denen schwerwiegende Verkehrsordnungswidrigkeiten begangen worden seien, werde die Fahrtenbuchauflage angeordnet. Der Verkehrsverstoß vom 30. Juni 2022 sei als schwerwiegend anzusehen, da der Bußgeldkatalog hierfür eine Geldbuße und die Eintragung von zwei Punkten im Fahreignungsregister vorsehe. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 51 km/h lasse ein erhebliches Maß an Verantwortungslosigkeit des Fahrzeugführers erkennen, das sich regelmäßig nicht mehr auf Unachtsamkeit, sondern auf ein bewusstes Verhalten zurückführen lasse. Auch ein bereits einmaliger Verstoß mit einer Punktebewertung nach dem Fahreignungsregister rechtfertige nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage. Der Kläger verhindere durch sein Schweigen die Anordnung die Ahndung der Ordnungswidrigkeit gegenüber dem Fahrzeugführer. Ziel der Fahrtenbuchauflage sei es, den Führer eines Fahrzeugs, der für das Begehen einer Verkehrsordnungswidrigkeit verantwortlich sei, zuverlässig festzustellen. Nur auf diese Weise könne das Funktionieren des Fahreignungsregisters und dadurch eine Verbesserung der Verkehrssicherheit gewährleistet werden. Da der Kläger aus familiären Erwägungen heraus den ihm bekannten Fahrer nicht habe nennen wollen und nicht auszuschließen sei, dass er dies auch bei weiteren Verstößen, die ggf. auch mit seinem weiteren Fahrzeug oder mit Ersatzfahrzeugen begangen werden könnten, nicht tun werde, hätten alle Fahrzeuge sowie künftige Fahrzeuge oder Ersatzfahrzeuge in die Verpflichtung einbezogen werden können. Die Dauer der Fahrtenbuchauflage von 12 Monaten sei nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei einem Verstoß gegen Geschwindigkeitsbeschränkungen mit mehr als 29 km/h Überschreitung außerorts gemäß der Rechtsprechung angemessen. Der Inhalt der geforderten Fahrtenbucheintragung ergebe sich aus § 31a Abs. 2 StVZO, die Verpflichtung zur Aushändigung und Aufbewahrung aus § 31 Abs. 3 StVZO. Die Androhung der Zwangsgelder stütze sich auf Art. 18, 19 Abs. 1 Nr. 3, 29, 30, 31 und 36 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG). Das Zwangsgeld sei das mildeste Mittel, um den Zweck – die Erfüllung der Verpflichtungen – zu erreichen. Nachdem der Kläger seinen Verpflichtungen zur Aufklärung des Sachverhalts als Halter nicht nachgekommen sei, müsse der Erfüllung der Verpflichtungen aus diesem Bescheid durch die Androhung der Zwangsgelder Nachdruck verliehen werden.
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Gegen diesen am 11. Oktober 2022 bekannt gegebenen Bescheid ließ der Kläger mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 11. November 2022, Klage erheben und beantragen,
den Bescheid vom 10. Oktober 2022 aufzuheben.
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Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage seien nicht gegeben, da die Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers vorliegend noch möglich gewesen sei bzw. die Einstellung des Verfahrens nicht ausschließlich auf die fehlende Bereitschaft des Klägers zur Aufklärung des Sachverhalts zurückzuführen sei.
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Aus dem Bescheid ergebe sich nicht, ob die Benachrichtigung des Klägers vom Verkehrsverstoß „umgehend“, d.h. in der Regel innerhalb von zwei Wochen erfolgt sei. Der Kreis … habe seine Ermittlungsbemühungen nicht ausgeschöpft, weil er noch vor Ablauf der Verfolgungsverjährungsfrist das Verfahren eingestellt habe. In der noch zur Verfügung stehenden Zeit hätte er die Ermittlungen hinsichtlich des verantwortlichen Fahrzeugführers intensivieren können, zumal es sich nach Angaben des Klägers beim Fahrer zweifelsohne um einen näheren Familienangehörigen gehandelt habe.
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Es sei zudem ermessensfehlerhaft, weil unverhältnismäßig, dass sich die Fahrtenbuchauflage auf beide auf den Kläger zugelassenen Fahrzeuge auch in Anbetracht von deren Dauer erstrecke. Bei dem Fahrzeug … (Mercedes Sprinter) handele es sich ausschließlich um das geschäftlich genutzte Fahrzeug des Klägers. Dieser sei von Beruf selbstständiger …händler. Das Fahrzeug werde mehrmals in der Woche für den Transport von … oder …, auch zu einem ganz erheblichen Teil mit Auslandsbezug, genutzt. Der Transporter werde einschließlich des Klägers von insgesamt vier Personen regelmäßig genutzt.
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Die verkehrsrechtliche Zuwiderhandlung sei mit dem Privatfahrzeug des Klägers begangen worden. Verkehrsrechtliche Verfehlungen seien also – wenn überhaupt – mit diesem Fahrzeug zu befürchten. Für den Kläger stelle es einen fast unmöglichen Kraftakt dar, die Fahrtenbuchauflage im geschäftlichen Bereich durchzuführen (wird näher ausgeführt). Das Landratsamt habe keine nachvollziehbare Abschätzung vorgenommen, ob künftig unaufklärbare Verkehrsverfehlungen auch mit dem Betriebsfahrzeug überhaupt zu erwarten seien. Nur die abstrakte Möglichkeit einer Wiederholung ohne ansatzweise Begründung sei nicht ausreichend. Gerade die Einlassung des Klägers, wonach der Fahrer dem familiären Bereich zuzuordnen sei, spreche dafür, dass eine Wiederholung nur bezüglich des Privatfahrzeugs drohe bzw. dort wahrscheinlicher sei. Der Kläger werde in seiner unternehmerischen Freiheit unverhältnismäßig eingeschränkt. Die Erstreckung auf das Betriebsfahrzeug sei auch deshalb unverhältnismäßig, weil der Kläger angesichts der üblichen Dokumentationsobliegenheiten eines Wirtschaftsbetriebs in der Lage sein sollte, den Fahrzeugführer im Nachhinein festzustellen. Im Hinblick auf das Betriebsfahrzeug sei eine bloße Androhung einer Fahrtenbuchauflage sowie im Übrigen die Dauer von drei Monaten ausreichend.
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Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2022 beantragte das Landratsamt,
die Klage abzuweisen.
15
Es stelle sich die Frage, welche konkreten Maßnahmen noch hätten ergriffen werden können. Auch das Ermitteln/Befragen aller potentiellen Fahrer hätte in irgendeiner Weise das Mitwirken des Klägers vorausgesetzt, welches er verweigert habe. Die 2-Wochen-Frist zur Anhörung sei gewahrt. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Das Auferlegen eines Fahrtenbuchs erfordere nicht die Feststellung einer konkreten Gefahr künftiger Verstöße. Es genüge die nicht auszuschließende Möglichkeit, die vorliegend zu bejahen sei. Die Einbeziehung des Geschäftsfahrzeugs sei nicht zu beanstanden. Gerade wenn dieses Fahrzeug zu Geschäftsfahrten von einem größeren Personenkreis benutzt werde, sei nicht auszuschließen, dass genau der im streitgegenständlichen Verfahren geschützte Fahrer auch mit diesem Fahrzeug fahre. Den scheinbar wechselnden Personenkreis zu veranlassen und zu motivieren, das Fahrtenbuch ordentlich zu führen und zu kontrollieren, könne durch eine einfache Betriebsanweisung sichergestellt werden. Aus den Gesamtumständen lasse sich zudem vermuten, dass der Kläger den jeweiligen Fahrer im Zweifel eben nicht anhand irgendwelcher Betriebsdokumente preisgeben werde. Für die Androhung einer Fahrtenbuchauflage gebe es keine Rechtsgrundlage und für eine zeitliche Differenzierung zwischen den beiden Fahrzeugen keinen sachlichen Grund.
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Darauf entgegnete die Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 12. Januar 2023, dass das Betriebsfahrzeug neben dem Kläger nur von seinem Vater und seinem Bruder und im Ausnahmefall von einem Subunternehmer gefahren werde. Der Fahrer des Privatfahrzeugs gehöre zu den entfernteren Verwandten des Klägers. Weder sei er im Betrieb des Klägers beschäftigt noch nehme er im Auftrag des Klägers Fahrten wahr. Dieser Fahrer habe sich das Fahrzeug wegen eines privaten medizinischen Notfalls ausgeliehen. Die Annahme des Beklagten, dass es einfacher sei, ein Fahrtenbuch zu führen als aus Betriebsdokumenten den jeweiligen Fahrer zu rekonstruieren, trage nicht. Es könne auch nicht nachvollzogen werden, weshalb der Beklagte vermute, dass der Kläger den jeweiligen Fahrer im Zweifel nicht preisgeben und den Zugriff auf die Unterlagen seines Wirtschaftsbetriebs nicht erlauben werde. Zweck einer Fahrtenbuchauflage sei die Sicherheit des Straßenverkehrs, nicht jedoch die Sanktion.
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Mit Schriftsätzen vom 9. Mai und 10. Mai 2023 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Behörden- und Gerichtsakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg. Der Bescheid vom 10. Oktober 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Gemäß § 31a Abs. 1 StVZO kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber dem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die Feststellung des Kraftfahrzeugführers ist dann i.S.v. § 31a Abs. 1 StVZO unmöglich, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihn zu ermitteln. Dabei hängen Art und Ausmaß der Ermittlungen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes und der Bereitschaft des Kraftfahrzeughalters an der Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab. Die Behörde hat in sachgemäßem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen zu treffen, die in gleichgelagerten Fällen erfahrungsgemäß zum Erfolg führen (vgl. etwa BVerwG, U.v. 12.12.1982 – 7 C 3.80 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 25.1.2016 – 11 CS 15.2576 – juris Rn. 14).
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Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich die Verhängung der Fahrtenbuchauflage als rechtens.
22
a. Verfahrensfehler sind nicht ersichtlich.
23
aa. Auf die klägerseits angeführte Einhaltung der 2-Wochen-Frist zwischen festgestelltem Verkehrsverstoß und Anhörung kommt es vorliegend nicht an, unabhängig davon, ob dem Kläger das Anhörungsschreiben vom 12. Juli 2022 innerhalb dieser Frist zuging (Rückantwort datiert erst auf den 25. Juli 2022). Der Kläger hat im weiteren Verlauf angegeben, den Fahrer nicht nennen zu wollen, obwohl er ihn kenne. Nach der Rechtsprechung ist eine verspätete Anhörung dann unschädlich, wenn die Verzögerung für die unterbliebene Ermittlung des Täters nicht ursächlich gewesen ist. Dies wird dann gesehen, wenn die Ergebnislosigkeit der Ermittlungen nicht auf Erinnerungslücken des Fahrzeughalters (wegen Zeitablaufs) beruht (vgl. hierzu z.B. BayVGH, B.v. 18.3.2008 – 11 CS 07.2210 – BeckRS 2008, 27714; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, Rn. 27 ff. zu § 31a StVZO, m.w.N.). So verhält es sich vorliegend. Der Kläger hat gegenüber der Verfolgungsbehörde bzw. der Polizeiinspektion … angegeben, den Fahrer zu kennen, ihn aber nicht nennen wolle und sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufe.
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bb. In Bezug auf letzteren Punkt entspricht es der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung, dass der Halter eines Kraftfahrzeugs nicht verlangen kann, von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, wenn er von einem Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat. Ein doppeltes „Recht“, nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht. Ein solches „Recht“ widerspräche dem Zweck des § 31a StVZO, nämlich der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs zu dienen, die auch der Kläger für sich gegenüber anderen in Anspruch nehmen kann (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 28.1.2015 – 11 ZB 14.1129 – BeckRS 2015, 42424, Rn. 24 m.w.N.).
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cc. Soweit die Klägerseite vorbringt, dass bis zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheids nicht alle Ermittlungsansätze ausgeschöpft worden seien, teilt das Gericht diese Einschätzung nicht. Es ist zwar zutreffend, dass die Verfolgungsbehörde nach zwei Monaten die Ermittlungen im Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt hat. Eine Einstellung des Ordnungswidrigkeitsverfahrens vor Ablauf der Verfolgungsverjährung steht einer Anwendung des § 31a StVZO jedoch nicht entgegen (vgl. Dauer in Hentschel/König/Straßenverkehrsrecht, a.a.O, Rn. 26 zu § 31 a StVZO). Unter Berücksichtigung des Ermittlungsergebnisses der Verfolgungsbehörde, die nach dem Opportunitätsprinzip möglicherweise weitere Ermittlungen im Ordnungswidrigkeitenverfahren für nicht angezeigt hält, obliegt es der Verkehrsbehörde zu prüfen, ob ggf. noch weitere Ermittlungen im Rahmen des § 31a StVZO angezeigt sind (vgl. hierzu OVG Münster, U.v. 10. 3. 1975 – XIII A 602/74 – NJW 1976,308).
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Die Art und der Umfang der Tätigkeit der Behörde, den Fahrzeugführer nach einem Verkehrsverstoß zu ermitteln, kann sich dabei an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben. Das gilt besonders dann, wenn es um die Aufklärung von Verkehrsordnungswidrigkeiten geht, die nur einen Sinn hat, wenn der Täter vor Ablauf der Verjährungsfrist so rechtzeitig bekannt ist, dass die Verkehrsordnungswidrigkeit mit Aussicht auf Erfolg geahndet werden kann und die daran anknüpfenden Maßnahmen eingeleitet werden können. Die Weigerung des Fahrzeughalters, Sachdienliches auszusagen, zwingt nicht in jedem Fall, sondern nur dann zu weiteren behördlichen Ermittlungen, wenn sich im Einzelfall besondere Beweisanzeichen ergeben haben, die auf die Person des Fahrzeugführers hindeuten (vgl. etwa BVerwGE, U.v. 17.12.1982 – 7 C 3.80 – BayVBl 1983, 310).
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Vorliegend wurde von der Polizeiinspektion … abgeklärt, wer als Familienangehöriger noch an der Wohnadresse des Klägers gemeldet ist. Der Kläger sowie dessen Bruder wurden befragt. Die Passbilder wurden mit dem Tatfoto verglichen. Weitere Ermittlungsansätze im Familienkreis waren aufgrund der sehr pauschalen Angaben des Klägers im Anhörungsschreiben nicht erkennbar, zumal der Kläger nicht einmal angegeben hat, dass es sich um einen (sehr) nahen Verwandten handelt, sondern nur, dass er aus familiären Gründen (und diese können vielfältiger Natur sein) den Fahrer nicht nennen könne. Im Anhörungsschreiben hat das Landratsamt auch angekündigt, dass es die Fahrtenbuchauflage auf beide auf den Kläger zugelassenen Fahrzeuge erstrecken werde. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte der Kläger zumindest darauf hinweisen können, dass nur eines der Fahrzeuge privat genutzt werde und das andere Fahrzeug im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit eingesetzt wird. Denn dies ist aus dem Zulassungsvorgang nicht erkennbar. Dass der Kläger erst im Klageverfahren diese Punkte vorträgt, kann nicht dazu führen, dass ihm dies im Nachhinein zugute kommen kann mit dem Argument, die Behörde hätte weiter ermitteln können (vgl. hierzu auch die Ausführungen unter b.cc.).
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b. Die Fahrtenbuchauflage hält sich an die gesetzlichen Vorgaben des § 31a StVZO.
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aa. Die bloße Androhung einer Fahrtenbuchauflage bei einem erstmaligen Verstoß vor deren Verhängung sieht das Gesetz nicht vor. Eine vorherige Androhung ist auch nicht Voraussetzung für die Verhältnismäßigkeit einer Anordnung (Knop in Münchener Kommentar zum StVR, 1. Aufl. 2016, StVZO § 31a Rn. 32-33; BayVGH, B.v. 18.3.2008 – 11 CS 07.2210, BeckRS 2008, 27714).
30
bb. Eine Fahrtenbuchauflage von 12 Monaten bei einem Verkehrsverstoß, der wie der vorliegende mit zwei Punkten nach Anlage 13 der FeV belegt ist und zu einem Fahrverbot führt, ist nach ständiger Rechtsprechung auch angemessen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 18.5.2010 – 11 CS 10.357 – BeckRS 2010, 55119; OVG Münster, B.v. 13.1.2016 – 8 A 1217/15 – BeckRS 2016, 40939 sowie die Kommentierung von Haus in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2021, Rn. 38 zu § 31a StVZO). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sieht in der oben genannten Entscheidung sogar die Verhängung eines 18-monatigen Fahrverbots bei einem Verstoß, der nach damaligem Recht mit drei Punkten und einem einmaligen Fahrverbot geahndet wurde, für verhältnismäßig an.
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cc. Die Erstreckung der Fahrtenbuchauflage auf das weitere Fahrzeug des Klägers, auch wenn es, wie er vorträgt, beruflich genutzt wird, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
32
Gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO kann sich die Fahrtenbuchauflage unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch auf mehrere Fahrzeuge erstrecken. Eine Fahrtenbuchauflage für weitere Fahrzeuge setzt allerdings die gesicherte Prognose voraus, dass bei Verkehrsverstößen mit den anderen Fahrzeugen des Halters die Feststellung des Fahrzeugführers ebenfalls nicht möglich sein wird. Hierzu hat der Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid unter Nr. 2 auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt möglichen Erkenntnislage ausgeführt, dass bei einer Überlassung des anderen Fahrzeugs an dritte Personen nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Kläger dann ebenfalls den ihm bekannten Fahrer (evtl. auch aus familiären Gründen) nicht benennen werde. Dies ist nicht zu beanstanden. Nach damaliger Erkenntnislage waren auf den Kläger zwei Fahrzeuge zugelassen, mit denen eine Geschwindigkeitsüberschreitung begehbar ist, weiter war kein Hinweis darauf ersichtlich, dass es sich um ein „Betriebsfahrzeug“ handele, da die Zulassung auf den Kläger, und nicht auf eine Firma erfolgte. Im Rahmen der Anhörung hat der Kläger lediglich vorgetragen, dass er aus familiären Gründen den Fahrer nicht nennen könne. Die Rechtsprechung zur Erstreckung einer Fahrtenbuchauflage auf Betriebsfahrzeuge und die daraus resultierende weitergehende Ermittlungspflicht der Behörde ist hier nicht einschlägig, da zum einen von vorneherein nicht ersichtlich war, dass es sich überhaupt um ein betrieblich genutztes Fahrzeug handelt, und es sich zum anderen auch nicht um einen größeren Fuhrpark handelt, bei dem sich die Frage der Verhältnismäßigkeit anders darstellt. Im Hinblick auf die erst im gerichtlichen Verfahren und nicht bereits im Verwaltungsverfahren vorgetragenen klägerischen Argumente ist zudem zu berücksichtigen, dass die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage einen Dauerverwaltungsakt darstellt, dessen Rechtmäßigkeit sich grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz beurteilt (Haus in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, a.a.O., Rn. 117 zu § 31a StVZO). Das Fehlen einschlägiger Darlegungen zur Nutzung des Mercedes Sprinter und zum Personenkreis in den Gründen des Bescheids vom 10. Oktober 2022 ist daher unschädlich und rührt daher, dass der Kläger trotz Anhörung hierzu keine Angaben gemacht hat und die betriebliche Nutzung für die Behörde nicht erkennbar war. Da der Beklagte beim Erlass des Verwaltungsakts dem Grunde nach Ermessen ausgeübt hat, konnte er gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG i.V.m. § 114 Satz 2 VwGO weitere Ergänzungen machen. Die zusätzlichen Ausführungen im Schriftsatz des Beklagten vom 13. Dezember 2022 tragen die Rechtmäßigkeit der Fahrtenbuchauflage, insbesondere unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten. Gerade weil der Mercedes-Transporter zum überwiegenden Anteil von Familienmitgliedern – wenn auch im betrieblichen Interesse – genutzt wird, ist die Schlussfolgerung der Behörde, wonach nicht ausgeschlossen werden kann, dass mit Rücksicht auf familiäre Belange bei einem möglichen Verstoß keine Angaben gemacht werden könnten, tragfähig. Die von der Klägerseite vorgetragenen Erschwernisse bei der Führung eines Fahrtenbuchs verfangen nicht. Die Behörde muss sich auch nicht darauf verweisen lassen, dass aus anderen betrieblichen Unterlagen der Fahrer des Betriebsfahrzeugs ermittelt werden könnte. Hierzu bleiben die klägerischen Angaben unsubstantiiert, außerdem führen die von dem jeweiligen Fahrer zu Beginn (und am Ende) der Fahrt zu machenden Angaben dem Betreffenden vor Augen, dass seine Fahrt eindeutig nachvollziehbar ist, was sich auch auf ein verkehrsgerechtes Verhalten auswirken dürfte. Der klägerische Vortrag, dass die Einbeziehung des Betriebsfahrzeugs deshalb rechtswidrig sei, weil für den Transport von … bestimmte Spezialkenntnisse vorliegen müssen, was bedinge, dass für diese Tätigkeit nur ein bestimmter Personenkreis in Frage komme, überzeugt gerade nicht. Denn nach seinen Angaben wird der Mercedes von ihm, zwei weiteren Familienmitgliedern und einer dritten Person genutzt, so dass sich auch im betrieblichen Kontext die gleiche Problematik ergibt. Es erscheint zudem nicht ausgeschlossen, dass das Fahrzeug zu anderen, privaten Zwecken genutzt werden kann und dass bei einer Nutzung durch Familienangehörige der Kläger dann den Fahrer – wie geschehen – bei einem Verkehrsverstoß nicht benennen wird.
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c. Auch die weiteren getroffenen Verfügungen in Ziffn. 2 bis 4 des Bescheids vom 10. Oktober 2022 entsprechen den Vorgaben des § 31a Abs. 2 und Abs. 3 StVZO. Hierzu wird auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
34
d. Die Zwangsgeldandrohungen halten sich in dem von Art. 31 VwZVG vorgegebenen rechtlichen Rahmen. Der Behörde steht dabei ein weiter Entscheidungsspielraum zu, bei dem die Umstände des Einzelfalls und die persönlichen Verhältnisse des Pflichtigen zu berücksichtigten sind. Die angedrohten Zwangsgelder sind insbesondere hinreichend bestimmt und beziehen sich jeweils auf die einzelnen dem Kläger auferlegten Verpflichtungen. Sie halten sich im unteren von Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG vorgegebenen Bereich. Nach Art. 31 Abs. 2 Satz 2 VwZVG soll das angedrohte Zwangsgeld das wirtschaftliche Interesse, das der Pflichtige an der Vornahme oder Unterlassung der Handlung hat, erreichen. Dieser soll keinen Vorteil aus dem Unterbleiben der Handlung erzielen dürfen. Zur Höhe der Zwangsgelder finden sich im Bescheid allenfalls rudimentäre Ausführungen ohne dass ausdrücklich auf ein bewertetes wirtschaftliches Interesse des Klägers eingegangen worden wäre. Jedoch sind bei einem Standardfall wie dem vorliegenden keine zugunsten des Klägers ersichtlichen außergewöhnlichen Umstände erkennbar, die – bei einem Ansetzen der Zwangsgelder im niedrigen Bereich – es zwingend angezeigt erscheinen lassen, ergänzend Ausführungen zur Höhe an sich zu machen – auch wenn dies wünschenswert wäre (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2010 – 1 CS 10.1803 – juris Rn. 23).
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2. Somit ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.