Titel:
Kein Anordnungsanspruch auf Abänderung einer bestehenden Ampelschaltung
Normenketten:
BayVwVfG Art. 35 S. 2
GKG § 52 Abs. 1, Abs. 2
StVO § 37, § 45 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, Abs. 9 S. 3
VwGO § 113 Abs. 5, § 117 Abs. 3 S. 2, § 123 Abs. 1 S. 2, Abs. 3
ZPO § 920 Abs. 2
Leitsätze:
1. Sofern sich eine einstweilige Anordnung gegen die Schaltung der Lichtsignalanlage an sich richtet, ist von einer Verfristung auszugehen, da die Bekanntgabe von Verkehrszeichen durch die Aufstellung bzw. Anbringung des Zeichens erfolgte. Für einen Verkehrsteilnehmer beginnt die Frist zur Anfechtung mit dem Zeitpunkt, in dem er zum ersten Mal auf das Verkehrszeichen trifft. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wegen es Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nur dann in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht und dem Antragsteller durch das Abwarten in der Hauptsache schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anordnungsanspruch auf Abänderung einer bestehenden Ampelschaltung, Ampelschaltung, einstweilige Anordnung, Anordnungsgrund, Anordnungsanspruch, Einschreiten, Verkehrszeichen, Vorwegnahme der Hauptsache, Kreuzung, Antragsbefugnis, konkrete Gefahrenlage, Verkehrssicherheit, Vollsperrung, Öffentlichkeitsbeteiligung, Schaltung einer Lichtsignalanlage, Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30257
Tenor
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller möchte erreichen, dass die Ampelschaltungen im Rahmen der Sanierung der Brücke auf der Bundesstraße B … Abschnitt 1.000 Station 0, welche eine Vollsperrung des Abschnitts vom 17. Juli 2023 bis längstens 30. September 2023 zur Folge hat, durch die Stadt … ab sofort bis zum 1. April 2024, ab dem er in Rente gehe, nach seinen Vorschlägen geändert werden.
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Mit Schreiben vom 9. Juli 2023 beantragt der Antragsteller:
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Hiermit stelle ich einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung und Klage gegen das Staatliche Bauamt in … und die Stadt …
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Zur Begründung macht der Antragsteller geltend, er wohne in … und fahre die zu sperrende Strecke mehrmals täglich zu seinem Arbeitsplatz, zum Einkaufen, zum Freibad etc. Die Ampel an der Kreuzung …straße – …-Straße laufe von 5 Uhr bis 24 Uhr täglich, was aufgrund des niedrigen Verkehrsaufkommens nicht notwendig sei. Die Ampel solle von Montag bis Freitag von 6 bis 19 Uhr, samstags von 7 bis 13 Uhr betrieben und sonn- und feiertags ganz ausgeschaltet werden. Entsprechende Verkehrszeichen seien zu beachten. Auch die Ampeln an den Bahnübergängen liefen ähnlich; auch hier seien Schaltzeiten wie ausgeführt angebracht. Der Antragsteller sehe nicht ein, auf seinem Heimweg von der Arbeit um kurz nach 5 Uhr an zwei Ampeln zu warten.
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Die Stadt … führte mit Schreiben vom 12. Juli 2023 aus, dass sich das Staatliche Bauamt … seit Ende 2022 mit der Komplettsanierung der gegenständlichen Brücke beschäftige. Es habe u.a. eine Verkehrsbesprechung stattgefunden, an der die Antragsgegnerin beteiligt gewesen sei. Man habe sich darauf verständigt, den Verkehr im Rahmen der Vollsperrung der Brücke über die Umleitungsstrecken in der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 3. Juli 2023 umzuleiten, da dies den geringstmöglichen Eingriff in den Verkehr bedeute. Man sei der Auffassung, dass die Klage wegen der subjektiv falsch geprägten Einschätzungen des Klägers abzuweisen sei.
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Auf gerichtlichen Hinweis an den Antragsteller mit Schreiben vom 18. Juli 2023, wonach u.a. angemerkt wurde, dass der Antragsteller als Anwohner bereits jahrelang mit den angegriffenen Verkehrseinrichtungen konfrontiert sein dürfte, womit eine Verwirkung des Klagerechts im Raum stehe, erwiderte der Antragsteller mit weiterem Schreiben vom 23. Juli 2023, dass dies nicht stimme. Die Ampeln am Bahnübergang in der …straße habe er bisher über die nun gesperrte Brücke umfahren können. Nun müsse er wegen der Sperrung an den Ampeln unnötig warten. Die von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 12. Juli 2023 angesprochene Verkehrsbesprechung am 7. Dezember 2022 habe geheim stattgefunden, da die … Bürger nicht zugelassen worden seien. Der … Stadtrat habe hierüber nicht abstimmen bzw. beraten dürfen. Auch in der „…“ sei hierüber nicht berichtet worden. So gehe Demokratie nicht. Die angegriffenen Ampelschaltungen beträfen die Kreuzung …-Straße – …straße und die Bahnübergänge in der …straße und …straße. Ampeln dürften nur dann in Betrieb sein, wenn es die Verkehrsdichte notwendig mache. Das sei ein Grundsatz. Die Umleitung aufgrund der Baustelle zeuge von Unkenntnis des … Stadtplans. Es folgen Ausführungen zu einer aus Sicht des Antragstellers sinnvolleren Umleitung durch das Stadtgebiet. Der Umweg über …-Nord sei Unsinn, da unnötig Zeit, Geld und Sprit verbraucht sowie die Umwelt durch viel mehr CO2 belastet werde.
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Mit Schreiben vom 27. Juli 2023 erwiderte die Antragsgegnerin, die Ampel am Bahnübergang …straße sei seit mindestens 15 Jahren unverändert in der jetzigen Form in Betrieb, die Schaltzeiten seien aufgrund der Umleitungsstrecke nicht verändert worden. Das Procedere für eine Verkehrsbesprechung habe im üblichen Rahmen stattgefunden. Die Ampelsteuerungen an den übrigen genannten Kreuzungen seien ebenfalls seit mindestens 2005 unverändert in Betrieb, die Schaltzeiten seien den verkehrlichen Erfordernissen angepasst und hätten sich bewährt, was die geringen Unfallzahlen an den Ampelkreuzungen bestätigen würden. Die Umleitungsstrecke für die zu sanierende Brücke sei so geplant worden, dass der Durchgangsverkehr weitgehend um die Innenstadt herumgeführt werde. Die vom Antragsteller vorgeschlagene Strecke würde jedoch genau das Gegenteil bewirken, indem Verstopfungen in der Innenstadt v.a. durch Lastzüge ausgelöst würden. Nach zwei Wochen Betrieb der Umleitungsstrecke sei festzustellen, dass diese gut funktioniere. Die ortskundigen Verkehrsteilnehmer gingen mit der Situation „ortskundig“ um, der überörtliche Verkehr folge der ausgeschilderten Umleitungsstrecke.
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Es wurde vorliegend ein weiteres Eilverfahren betreffend die Anordnung der Vollsperrung der Bundesstraße B … in … ab dem 17. Juli 2023 sowie entsprechender Umleitungen gegen das Staatliche Bauamt … (Az. B 1 E 23.543) angelegt. Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 18. Juli 2023 wurde hier der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten und das Vorbringen der Beteiligten, auch im Verfahren Az. B 1 E 23.543, Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bleibt ohne Erfolg.
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1. Der Antrag ist bereits unzulässig.
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a. Soweit man als statthaften Hauptsacherechtsbehelf eine Verpflichtungsklage auf straßenverkehrsrechtliche Anordnung der Anpassung der gegenwärtigen Ampelschaltungen an den drei genannten Kreuzungen annimmt, ist ein Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthafte Antragsart.
13
Bei den Lichtzeichen einer Lichtsignalanlage i.S.d. § 37 Straßenverkehrsordnung (StVO) handelt es sich um verkehrsrechtliche Anordnungen, die den Vorrang regeln. Die einzelnen Lichtzeichen stellen nach gefestigter Rechtsprechung Verwaltungsakte in der Form von Allgemeinverfügungen i.S.d. Art. 35 Satz 2 BayVwVfG dar (Wern, in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand 1.12.2021, StVO, § 37 Rn. 12 m.w.N.). Es geht dem Antragsteller jedoch um die Dauer des laufenden Betriebs der Ampelschaltung, nicht um einzelne Lichtsignale. Nach Auskunft der Antragsgegnerin bestehen die betroffenen Ampeln im Stadtgebiet … bereits seit ca. 15 Jahren unverändert hinsichtlich ihres Betriebs. Auch wenn sich der Antragsteller erst durch die eingerichtete Umleitung aufgrund der Vollsperrung der zu sanierenden Brücke mit den betroffenen Ampelschaltungen konfrontiert sieht, wurden jene Ampelschaltungen aufgrund der gegenwärtigen Baumaßnahme nicht verändert. Mithin wäre, sofern sich gegen die Schaltung der Lichtsignalanlagen an sich gerichtet werden sollte, von Verfristung auszugehen, da die Bekanntgabe von Verkehrszeichen (zur Einordnung der Lichtsignale als Verkehrszeichen Wern, in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand 1.12.2021, StVO, § 37 Rn. 12) durch die Aufstellung bzw. Anbringung des Zeichens erfolgt (Sichtbarkeitsprinzip, Ramsauer, in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl. 2017, § 41 Rn. 47). Für einen Verkehrsteilnehmer beginnt die Frist zur Anfechtung mit dem Zeitpunkt, in dem er zum ersten Mal auf das Verkehrszeichen trifft (BVerwG, U.v. 23.9.2010 – 3 C 37/09 – juris Rn. 15 ff.). Es ist aufgrund des Vortrags des Antragstellers davon auszugehen, dass ihm diese Ampelschaltungen seit längerem bekannt sein dürften, er jedoch erst jetzt die persönliche Relevanz geltend macht, so dass eine diesbezügliche Anfechtungsklage (wegen generell zu langer Laufzeiten) verfristet wäre. Sofern der Antragsteller eine Abänderung der Ampelschaltungen aufgrund geänderter Bedingungen geltend machen will, hätte er sich zuerst an die Behörde wenden müssen (vgl. unter 1.c.).
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b. Es ist nach summarischer Prüfung fraglich, ob der Antragsteller antragsbefugt i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO analog ist, mithin, ob ein Anordnungsanspruch als materieller Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz ersucht wird, und ein Anordnungsgrund, welcher die Eilbedürftigkeit der vorläufigen Regelung begründet, geltend gemacht wurden.
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Zwar macht der Antragsteller geltend, ihm stehe ein Anordnungsanspruch zu, da ein Grundsatz besage, Ampeln dürften nur laufen, sofern es die – hier nach seiner Ansicht zu geringe – Verkehrsdichte erfordere, womit eine kürzere Dauer des Ampelbetriebs der genannten Ampeln einzurichten sei, mit denen er aufgrund der Vollsperrung der Brücke konfrontiert sei. Es wurde jedoch nicht dargelegt, dass durch die gegenwärtigen angegriffenen Ampelschaltungen im Stadtgebiet … eine Gefahr entstehe, die ein Einschreiten der Antragsgegnerin als Straßenverkehrsbehörde erforderlich mache. Vielmehr führt der Antragsteller aus, dass ihm hierdurch lediglich Unannehmlichkeiten durch Wartezeiten entstehen würden. Allerdings rechtfertigt nicht jedes Interesse eine Anordnung – z.B. auf Änderung der bestehenden Ampelschaltung – nach § 45 Abs. 1 StVO. Erforderlich ist vielmehr, dass die Anordnung zum Schutz der Allgemeinheit aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs erforderlich ist, was es nicht ausschließt, auch dem Einzelnen einen Anspruch auf ein straßenverkehrsbehördliches Einschreiten zu vermitteln. Die Anordnung nach § 45 Abs. 1 StVO setzt eine konkrete Gefahrenlage voraus, die eine Maßnahme der Verkehrsbeschränkung oder des Verkehrsverbotes erfordert. Diese Gefahr muss aus der konkreten örtlichen Verkehrssituation folgen (Wolf, in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand 1.12.2021, StVO, § 45 Rn. 11 m.w.N.). Die Vorschrift ist zwar auch drittschützend, vermittelt dem Einzelnen dann aber lediglich einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine Maßnahme der Straßenverkehrsbehörde, wenn seine individuellen Interessen beeinträchtigt werden (Wolf, a.a.O., § 45 Rn. 13). Derartige Ausführungen zum Vorliegen einer konkreten Gefahr, welche aus der bestehenden Ampelschaltung resultieren könnte, erfolgten nicht.
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Ein Anordnungsgrund ist aus dem Vorbringen des Antragstellers schon nicht ersichtlich.
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Des Weiteren würde das Begehren des Antragstellers hinsichtlich der Änderung der bestehenden Ampelschaltungen zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen (vgl. hierzu im Folgenden unter 2.). So bezweckt eine einstweilige Anordnung i.S.d. § 123 VwGO grundsätzlich eine vorläufige Regelung durch das Gericht in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, dem Antragsteller kann hingegen gerade nicht bereits in vollem Umfang das gewährt werden, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Grundsätzlich ausgeschlossen, da mit dem Wesen einer einstweiligen Anordnung nicht vereinbar, ist es damit, eine Regelung zu treffen, die rechtlich oder zumindest faktisch auf eine Vorwegnahme der Hauptsache hinausläuft (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 123 Rn. 13 f.).
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c. Jedenfalls fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, da sich der Antragsteller nicht zunächst an die Behörde selbst gewendet hat, bevor er verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz ersucht hat. Die Zulässigkeit verwaltungsgerichtlicher Rechtsbehelfe in der Konstellation, in der ein Handeln oder Unterlassen verlangt wird, hängt grundsätzlich davon ab, dass der Antragsteller das im gerichtlichen Verfahren geltend gemachte Begehren in einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren bei der zuständigen Behörde ohne Erfolg beantragt hat. Diese Zulässigkeitsvoraussetzung ergibt sich für die Verpflichtungsklage aus § 68 Abs. 2, § 75 Satz 1 VwGO („Antrag auf Vornahme“). Sie stellt neben dem Schutz der Gerichte vor unnötiger Inanspruchnahme eine Ausprägung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung dar, demzufolge es zunächst Sache der Verwaltung ist, sich mit Ansprüchen zu befassen, die an sie gerichtet werden (BVerwG, B.v. 22.11.2021 – 6 VR 4/21 – NVwZ-RR 2022, 164 – juris Rn. 8). Diese für Verpflichtungs- und Leistungsklagen in der Hauptsache entwickelten Anforderungen sind grundsätzlich in gleicher Weise an einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu stellen. Jedenfalls bedarf es besonderer Gründe für die Stellung eines Antrags nach § 123 VwGO bei Gericht, wenn der Antragsteller die zuständige Behörde zuvor noch gar nicht mit seinem Begehren befasst hat (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 10). Damit kann für eine gerichtliche Rechtsverfolgung das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlen, wenn die Behörde noch nicht mit dem Begehren befasst war (BVerwG, U.v. 28.6.2001 – 2 C 48/00 – BVerwGE 114, 350 – juris Rn. 16). So liegt der Fall hier. Der Antragsteller hat sein Begehren zur Änderung der Ampelschaltung direkt an das Verwaltungsgericht adressiert, ohne sich vorher an die Antragsgegnerin zu wenden. Besondere Gründe hierfür sind nicht ersichtlich.
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2. Darüber hinaus ist der Antrag unbegründet.
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Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO, mit der die Antragsgegnerin verpflichtet werden soll, drei Ampelschaltungen – diejenigen, mit denen der Antragsteller infolge der Vollsperrung der zu sanierenden Brücke in … konfrontiert werde – von einem derzeitigen Betrieb von 5 bis 24 Uhr täglich auf einen Betrieb von 6 bis 19 Uhr von Montag bis Freitag und von 7 bis 13 Uhr samstags zu schalten. Sonn- und feiertags sollten die Ampeln vollständig abgestellt werden. Dies solle ab sofort bis zum 1. April 2024 erfolgen.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus sonstigen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl den (aus dem streitigen Rechtsverhältnis abgeleiteten) Anspruch, bezüglich dessen die vorläufige Regelung getroffen werden soll (Anordnungsanspruch), wie auch die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung – ZPO). Maßgeblich für die Beurteilung sind dabei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
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Da die vom Antragsteller begehrte Verpflichtung der Antragsgegnerin zu einer Änderung des bestehenden Betriebs der drei betroffenen Lichtsignalanlagen zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen würde, das einstweilige Rechtsschutzverfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO grundsätzlich aber nur der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses dient, sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur dann in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht und dem Antragsteller durch das Abwarten in der Hauptsache schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, B.v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – juris; vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris; Schenke, in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 123 Rn. 14). Der Ausgang eines eventuellen Hauptsacheverfahrens muss demnach offensichtlich erfolgreich erscheinen (VG Augsburg, B.v. 5.2.2021 – Au 9 E 21.187 – juris Rn. 23).
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Gemessen an diesen Maßstäben ist der Antrag abzulehnen. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind nicht gegeben. Der Antragsteller kann im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Vielmehr ist bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller nicht beanspruchen kann, dass die gegenwärtige Ampelschaltung verändert wird (§ 113 Abs. 5 VwGO). Damit bliebe auch ein eventuelles Hauptsacheverfahren des Antragstellers voraussichtlich ohne Erfolg.
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a. Soweit der Antragsteller im Schriftverkehr zum vorliegenden Verfahren zu ändernde Umleitungen im Rahmen der Vollsperrung einer Brücke in … aufgrund deren Sanierung anspricht, ist darauf hinzuweisen, dass jene Umleitungen mit Anordnung des Staatlichen Bauamts … vom 3. Juli 2023 verfügt wurden, mithin die Stadt … nicht die richtige Antragsgegnerin ist. Insoweit ist auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 18. Juli 2023 (Az. B 1 E 23.543) zu verweisen. Nichtsdestotrotz wird hierzu angemerkt, dass es das Gericht als sinnvoll erachtet, eine Umleitung des Durchgangsverkehrs – wie die Antragsgegnerin vorgetragen hat – weitgehend um die Innenstadt herumzuführen, um diese nicht damit zu belasten. Bereits aus diesem Grund ist keine Veranlassung für die Antragsgegnerin ersichtlich, die betroffenen Ampelschaltungen innerhalb des Stadtgebiets zu ändern.
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b. Ein Anordnungsanspruch ist nicht ersichtlich.
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Ein solcher ergibt sich nicht aus einem Grundsatz, wonach Ampeln nur laufen dürfen, wenn es die Verkehrsdichte notwendig mache, wie der Antragsteller pauschal vorträgt. Das Anliegen des Antragstellers richtet sich vorliegend auf die straßenverkehrsbehördliche Anordnung der Änderung von bestehenden Ampelschaltungen in einen Betrieb in geringerem Umfang, mithin ein Abschalten des Betriebs zu vom Antragsteller definierten Zeiten.
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Nach § 45 Abs. 3 Satz 1 StVO bestimmen die Straßenverkehrsbehörden im Übrigen, wo und welche Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen anzubringen und zu entfernen sind. Nach § 43 Abs. 1 Satz 3 StVO sind Lichtzeichenanlagen als derartige Verkehrseinrichtungen einzuordnen. Diese Pflicht der Straßenverkehrsbehörde dient indessen dem Interesse und dem Schutz aller Verkehrsteilnehmer und ihre Erfüllung hat die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs sicherzustellen. In diesem Rahmen ist das behördliche Ermessen zu betätigen (Wolf, in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. 2022, StVO, § 45 Rn. 59). Nach § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO sind Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nach § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. Dabei konkretisiert und modifiziert § 45 Abs. 9 StVO die straßenverkehrsbehördlichen Befugnisse nach § 45 Abs. 1 StVO und normiert materielle Voraussetzungen für straßenverkehrsbehördliche Maßnahmen (Wolf, a.a.O., § 45 Rn. 74). Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen dürfen nur dort angeordnet werden, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend geboten ist, weil die abstrakten Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung für einen sicheren und geordneten Verkehrslauf nicht ausreichen (Wolf, a.a.O., § 45 Rn. 75). Dabei gehen Lichtzeichen nach § 37 Abs. 1 Satz 1 StVO Vorrangregeln und Vorrang regelnden Verkehrszeichen vor. Notwendig für eine Beschränkung des fließenden Verkehrs ist insoweit eine hinreichend konkretisierte Gefahr, bei der Schadensfälle noch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein müssen. Besondere örtliche Verhältnisse können sich dabei aus den Verkehrsströmen auf der Straße oder ihrer Verkehrsbelastung, aber auch aus ihrer Streckenführung und ihrem Streckenprofil, dem Ausbauzustand der Straße oder des Radwegs, witterungsbedingten Einflüssen, Unfallzahlen oder bezüglich des Radverkehrs aus den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen ergeben. Die Feststellung einer gesteigerten Gefahrenlage bedarf einer prognostischen Betrachtung. Diese hat sich an den tatsächlichen Verhältnissen zu orientieren. Die erforderliche Prognose bedingt zwar eine sorgfältige Prüfung anhand der Verkehrssituation, erfordert aber keine Bestimmung einer exakten prozentualen Unfallwahrscheinlichkeit. Das Vorliegen einer Gefahrenlage bestimmt sich nicht allein nach einem Aspekt, sondern wird von einer Gemengelage verschiedener Faktoren beeinflusst (Wolf, a.a.O., § 45 Rn. 75).
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Nach Auffassung des Gerichts ergeben sich – bezogen auf die Anordnung einer Änderung der bestehenden Ampelschaltungen wie ausgeführt – hinsichtlich der bestehenden Ampelschaltungen an der Kreuzung …-Straße – …straße sowie an den Bahnübergängen …straße und …straße täglich von 5 bis 24 Uhr keine grundsätzlichen Bedenken. Vorliegend laufen die angegriffenen Ampeln nach nachvollziehbarer Auskunft des Antragsgegners bereits seit 15 Jahren unverändert im jetzigen Betrieb. Die Schaltzeiten seien aufgrund der geschaffenen Umleitungsstrecke nicht verändert worden. Diese seien den verkehrlichen Erfordernissen angepasst und hätten sich bewährt, was die geringen Unfallzahlen an den betroffenen Ampelkreuzungen bestätigen würden. Es bestehen aus Sicht des Gerichts keine Anhaltspunkte, an dieser Darstellung zu zweifeln. Die Ampeln befinden sich inmitten des Stadtgebiets …, welches im Vergleich zum unbebauten Gebiet unübersichtlicher ist und durch die enge Bebauung mit Häuserwänden als Beschränkung der Straßen – insbesondere an Kreuzungen – schwerer einsehbar ist. Mithin genügen hier Verkehrsschilder nicht, um effektiv Sicherheit im Straßenverkehr, auch zur Tageszeit mit grundsätzlich höherem Verkehrsaufkommen, zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere an Bahnübergängen mit aufgrund querender Züge noch gesteigertem Gefahrenpotential.
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Dabei läuft der Ampelbetrieb an jenen Kreuzungen gerade nicht durchgehend, sondern wird von 24 bis 5 Uhr unterbrochen. Die Ampeln ab Beginn des Berufsverkehrs, welcher plausibel bereits um 5 Uhr beginnen kann, zu betreiben, erscheint nachvollziehbar. Dass einzelne Verkehrsteilnehmer u.U. an einer Ampel warten müssen, obwohl im Einzelfall wenig Verkehr vorherrscht, muss dabei grundsätzlich hinter der Gewährleistung der Leichtigkeit der Sicherheit des Verkehrs zurücktreten und ist von den Verkehrsteilnehmern als kurzfristige Unannehmlichkeit im Rahmen einer temporären Vollsperrung mit der Folge einer Verkehrsumleitung hinzunehmen.
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Der Vorschlag des Antragstellers, die Ampelschaltungen bis zu seinem Fortzug zum April 2024 seinen Bedürfnissen entsprechend anzupassen, kann als rein individuelles Anliegen öffentliche Interessen nicht überwiegen. Derartige Wünsche dürften sich für jeden betroffenen Verkehrsteilnehmer ergeben, womit eine einvernehmliche Lösung nicht erzielbar wäre. Zudem ist die ausgewiesene Umleitungsstrecke für den Antragsteller nicht zwingend zu befolgen; als in der Stadt … ansässiger Ortskundiger steht es dem Antragsteller frei, andere Strecken zu wählen, um die gesperrte Brücke und ggf. auch die betroffenen Ampeln zu umfahren.
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Letztlich erfolgt die hier gegenständliche Brückensanierung mit ihren Folgen wie Umleitungen, welche u.U. zur Konfrontation mit bisher zu umfahrenden Ampelschaltungen führt, im Interesse aller Verkehrsteilnehmer. Die hieraus resultierenden Beeinträchtigungen bewegen sich im Rahmen des Üblichen und einem von den Betroffenen hinzunehmenden Ausmaß. Eine Information im Vorfeld der Verkehrsteilnehmer bzw. der Öffentlichkeit erfolgte – wie sich aus dem Begehren des Antragstellers ersehen lässt – mit angemessenem Vorlauf, so dass sich die Betroffenen rechtzeitig auf die Maßnahme einstellen konnten.
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Lediglich ergänzend wird insoweit angemerkt, dass, selbst wenn ein Anordnungsanspruch bestanden hätte, das Klagerecht zu den Verwaltungsgerichten nach einem Ablauf von 15 Jahren nach Errichtung der Lichtsignalanlagen in unverändertem Betrieb verwirkt gewesen wäre (vgl. BVerfG, B.v. 27.12.2012 – 1 BvR 2862/11, 1 BvR 2046/12 – juris Rn. 5 zu einem Ablauf von mehr als 13 Jahren seit dem Widerspruchsverfahren). Von einer willkürlichen Annahme der Verwirkung kann dann nicht die Rede sein, wenn der Zeitraum, auf den dabei abgestellt wird, nicht zu kurz bemessen ist und die rechtzeitige Anrufung des Gerichts den Betroffenen möglich, zumutbar und von ihnen zu erwarten war (BVerfG, a.a.O., juris Rn. 3 m.w.N.). Als Anwohner der Stadt … seit Jahrzehnten war es dem Antragsteller möglich und zumutbar, hinsichtlich der bestehenden Ampelschaltung gerichtlichen Schutz zu erwirken und dies mithin auch von ihm zu erwarten. Die Annahme, der Antragsteller sei unter diesen Umständen zum ersten Mal mit den angegriffenen Ampelschaltungen im Stadtgebiet … konfrontiert worden, als die Vollsperrung der Brücke erfolgte, ist eher fernliegend.
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c. Des Weiteren ist nach dem Vorbringen des Antragstellers auch kein Anordnungsgrund erkennbar.
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d. Soweit der Antragsteller anbringt, die von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 12. Juli 2023 angesprochene Verkehrsbesprechung am 7. Dezember 2022 zur Sanierung der betroffenen Brücke in … habe geheim stattgefunden, da die … Bürger nicht zugelassen worden seien, der … Stadtrat nicht hierüber habe abstimmen bzw. beraten dürfen und auch in der „…“ hierüber nicht berichtet worden sei, führt dies zu keiner anderen Bewertung.
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Im Rahmen des § 45 Abs. 1 StVO ist gerade keine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen. Dabei wurde im Zuge jener Besprechung zur Beteiligung sämtlicher Träger öffentlicher Belange gerade keine straßenverkehrsbehördliche Maßnahme i.S.d. § 45 Abs. 1 StVO durch die Antragsgegnerin angeordnet, da die betroffenen Ampelschaltungen auch unter der angeordneten Umleitungsstrecke unverändert blieben. Auch ist keine Zustimmung des … Stadtrats erforderlich, weil die Sanierung der Brücke als Teil der Bundes(fern) straße B … mit der Folge der Vollsperrung und Umleitungen des Verkehrs eine straßenbaubehördliche Maßnahme darstellt, für die Baulastträger das Staatliche Bauamt …, nicht hingegen die Antragsgegnerin ist. Ob die lokale Tageszeitung über derartige Planungen berichtet, obliegt der Entscheidung der insoweit Verantwortlichen.
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3. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Die Höhe des Streitwertes richtet sich nach § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 46.15 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).