Titel:
unzulässiger Asylantrag eines in Griechenland anerkannten syrischen Flüchtlings
Normenketten:
AsylG § 29
EMRK Art. 3
GRCh Art. 4
Leitsätze:
1. Liegen die geschriebenen Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vor, kann eine Unzulässigkeitsentscheidung nach der EuGH-Rechtsprechung aus Gründen des vorrangigen Unionsrechts gleichwohl ausgeschlossen sein, wenn die Lebensverhältnisse, die den anerkannten Schutzberechtigten in dem anderen Mitgliedstaat erwarten, diesen der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh zu erfahren (BVerwG BeckRS 2020, 18319). (Rn. 47) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Verstöße gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh im Mitgliedstaat der anderweitigen Schutzgewähr sind nicht nur bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit von Abschiebungsverboten bzw. einer Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen, sondern führen bereits zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung (OVG Bautzen BeckRS 2020, 17220). (Rn. 47) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Für einen arbeitsfähigen syrischen Flüchtling, der neben der syrischen auch die englische Sprache beherrscht, bestehen in Griechenland realistische Erwerbsmöglichkeiten in verschiedenen Wirtschaftssektoren, insb. im Tourismus. (Rn. 55) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Sekundärmigration Griechenland, arbeitsfähiger Mann, Sprachkenntnisse, berufliche Erfahrungen in verschiedenen Bereichen, Unterstützungsmöglichkeit von Verwandten/Freunden, realistische Beschäftigungsmöglichkeiten u.a. im Tourismus, Situation nach dem Abklingen der Corona-Pandemie, syrischer Asylbewerber, Sekundärmigration, Flüchtlingsschutz, Griechenland, anderweitige Schutzgewähr, unzulässiger Asylantrag, Abschiebungsverbote, humanitäre Situation, Beschäftigungsmöglichkeiten, Tourismus
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30256
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger ist nach seinen Angaben syrischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Er sei (zuletzt) am 22.06.2022 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und stellte am 06.12.2022 Asylantrag.
2
Bei seiner Asylantragstellung gab der Kläger u.a. an, er spreche neben Arabisch auch noch die englische Sprache. Auch in der Erstbefragung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates gab er an, dass er Arabisch und Englisch spreche. Er sei mit einem Visum von Griechenland nach Deutschland gereist. Sein Herkunftsland habe er erstmalig am 18.10.2014 verlassen und sei über die Türkei, Griechenland und Österreich nach Deutschland gereist. In Österreich sei er am 27.11.2021 angekommen und sodann am 22.06.2022 nach Deutschland weitergereist. Nach Griechenland eingereist sei der Kläger am 24.08.2019 und er habe sich dort bis zum 27.11.2021 aufgehalten. Befragt nach seiner Adresse verwies er für Griechenland auf Athen und für Österreich auf Linz. In Griechenland habe er im Jahr 2019 internationalen Schutz beantragt bzw. zuerkannt bekommen.
3
In der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags gab er u.a. an, sein Antrag in Griechenland sei angenommen worden. Er glaube, er sei vom 24.02.2019 bis 26.11.2021 in Griechenland gewesen. Nach der Rückübersetzung korrigierte der Kläger, das sei im August 2019 gewesen. Auf Frage, wo er in Griechenland gewohnt habe, gab er an, im Gefängnis. Er sei die meiste Zeit im Gefängnis gewesen und als er von der Türkei nach Griechenland gereist sei, sei er erst in einem geschlossenen Camp auf der Insel gewesen, dann seien sie in ein anderes geschlossenes Camp in Athen M. verlegt worden. Auf Frage, wann er in Griechenland im Gefängnis gewesen sei, gab er an, seit seiner Ankunft dort. Auf Frage, ob er mit Gefängnis das Flüchtlingscamp meine, gab er an, ja, das Camp sei geschlossen gewesen, es habe Stacheldraht gegeben und es sei verboten gewesen rauszugehen. Er bejahte die Frage, ob er also nicht von der Polizei verhaftet und in ein Gefängnis gebracht worden sei, sondern im Flüchtlingscamp gewesen sei. Auf Bitte, dem Bundesamt etwas zu den Lebensumständen in dieser Zeit zu sagen, führte er aus, man bekomme keinen Unterhalt. Er sei bis zu seiner Aufenthaltsgenehmigung im Flüchtlingscamp gewesen. Das müsse im April oder Mai 2021 gewesen sein. Nachdem er die Aufenthaltsgenehmigung erhalten gehabt habe, habe er die erste Zeit auf der Straße geschlafen. Die Polizei habe sein Handy kaputt gemacht; bis er sich Geld geliehen habe und ausgereist sei.
4
In Österreich habe er ebenfalls Asylantrag gestellt und eine Anhörung gehabt, er habe eine Absage erhalten. Auch die dortige Klage sei negativ ausgegangen. Auf Frage, was gegen eine Rückkehr nach Griechenland spreche, gab er an, er habe die gesamte Zeit in Camps verbracht. Es habe keine Sicherheit gegeben. Er betrachte sie nicht als Camps, sondern als Gefängnisse. Auf Frage, ob ihm in Griechenland etwas zugestoßen sei, gab er an, er habe eine Hauterkrankung erlitten, durch seine Psyche verursacht. Das Duschwasser im Camp sei verseucht gewesen, er sei acht Monate in Behandlung gewesen, die Behandlung sei im Camp gewesen. Angesprochen auf etwaige Beschwerden, Erkrankungen, Gebrechen oder eine Behinderung, gab er an, es gehe ihm psychisch nicht gut. Auf Frage, ob er deswegen in ärztlicher Behandlung sei, gab er an, es sei kein psychisches Problem. Es sei wegen der Stabilität. Er wisse nicht, wohin er gehen werde. Eine ärztliche Behandlung sei nicht erforderlich. Atteste zu seinen Beschwerden lägen nicht vor, Medikamente seien nicht erforderlich.
5
In seiner Anhörung beim Bundesamt nach § 25 AsylG gab der Kläger u.a. an, er habe im Heimatland in der Stadt … mit seinen Eltern, zwei Schwestern und drei Brüdern zur Miete zusammengewohnt. Dort wohne jetzt niemand mehr. Als das Erdbeben gewesen sei, seien seine Eltern ausgezogen und woanders hingegangen. Sein Vater komme ursprünglich aus … und die Mutter aus … Sein Heimatland habe er am 18.10.2014 verlassen. Nach Deutschland sei er das erste Mal am 27.11.2021 gereist und das zweite Mal am 18./19.06.2022. Nach seiner Ausreise aus Syrien im Jahr 2014 sei er in der Türkei gewesen, er sei dort bis zum 24.08.2019 geblieben. Er sei in der Stadt … gewesen. Er habe einen vorläufigen Ausweis (Kimlik) gehabt, wenn er arbeite, esse er, wenn er nicht arbeite, esse er nicht. Auf Frage, wovon er in der Türkei gelebt habe, gab er an, er habe gearbeitet, habe viele verschiedene Berufe ausgeübt, habe in einer Möbelfabrik und einer Kunststofffabrik gearbeitet, er habe im Baugewerbe gearbeitet und zwei Jahre in einem Supermarkt als Aushilfskraft. Für die Reise nach Griechenland habe er einen Schlepper gehabt. Wie viel die Reise gekostet habe, wisse er nicht genau, könne das nicht einzeln aufzählen. Von Syrien in die Türkei seien es 130 US-Dollar gewesen, von der Türkei nach Griechenland 1.000 EUR und der Flug von Griechenland nach Österreich ca. 50 EUR sowie mit dem Zug nach Deutschland 85 EUR. Auf Frage, wie er die Reise finanziert habe, verwies er darauf, dass er in Syrien gearbeitet habe sowie auf Ersparnisse. Auf weitere Fragen des Bundesamts gab er an, in der Türkei habe er zwei Schwestern, die dort verheiratet seien und einen Onkel mütterlicherseits. Alle Verwandten des Klägers seien außerhalb Syriens, ein Bruder und zwei Onkel in Kanada und ein Onkel väterlicherseits in Frankreich. Die Eltern des Klägers lebten noch in … An weiteren Verwandten im Heimatland habe er neben seinen Eltern die Familie seines Großvaters mütterlicherseits, die Familie seines Vaters in … und die Familie seiner Mutter in …, sie lebten noch in … Der Kläger habe die Schule besucht und eine Ausbildung zum Industriemechaniker gemacht, er habe Abitur gemacht und dann zwei Jahre die Ausbildung zum Industriemechaniker. In diesem Beruf habe er nicht gearbeitet. Nach dem Abschluss habe er als Maler und Dekorateur gearbeitet, Bereich Inneneinrichtung. Es sei ungefähr von 2004 bis zur Ausreise 2014 gewesen, dass er in diesem Bereich gearbeitet habe, genau erinnere er sich nicht. Es sei sicherlich nicht durchgehend gewesen, dass er in der Zeit gearbeitet habe. Auf Frage, wann er nicht arbeiten gewesen sei, gab er an, es seien keine Pausen gewesen, aber wenn er Prüfungen und Studium gehabt habe und im Winter habe es nicht viel Arbeit im Bereich Inneneinrichtung gegeben. Auf Frage, ob er neben der erwähnten Arbeit noch andere Tätigkeiten ausgeübt habe, gab er an, er habe auch als Pick-Up-Fahrer gearbeitet, sein Vater habe das Auto besessen und er habe mitgearbeitet. Die wirtschaftliche Situation vor der Ausreise würde er als gut beschreiben. Er habe auch Wehrdienst geleistet, sei Rekrut/Soldat gewesen, seine Aufgabe sei die Instandhaltung von Artillerie gewesen, sie seien eine Werkstatt für die Kanonen gewesen, wenn diese zusammengebrochen seien oder Instandhaltung gebraucht hätten, hätten sie das gemacht. Er sei auch als Wachmann tätig gewesen. Befragt nach einer Spezialausbildung gab er an, er habe Kommandooffizierstraining gehabt. Bei diesem Training hätten sie Kampftraining und Sport für einen Monat gemacht. In der Zeit zwischen 2012 und 2014 sei er hin- und hergereist zwischen dem Libanon und Syrien, nachdem er vom Militär entlassen worden sei. Auch im Libanon habe der Kläger gearbeitet gehabt. Auf die Frage des Bundesamts, ob der Kläger derzeit an irgendwelchen Krankheiten leide, gab er an, er habe nur mit den Zähnen Probleme.
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Im Asylverfahren brachte das Bundesamt in Erfahrung (EURODAC-Treffer der Kategorie 1), dass der Kläger am 29.11.2019 in Griechenland aufgegriffen worden ist und ihm dort internationaler Schutz am 07.04.2020 zuerkannt wurde. Als Zeitpunkt des Aufgriffs in Österreich ist der 28.11.2021 angegeben.
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Daraufhin lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 26.05.2023 den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1). Es stellte weiter fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er nach Griechenland abgeschoben. Der Kläger könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Der Kläger dürfe nicht nach Syrien abgeschoben werden. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbots wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
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Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei unzulässig. Ein Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt habe. Nach den Erkenntnissen des Bundesamtes sei dem Kläger in Griechenland im Rahmen des Asylverfahrens internationaler Schutz gewährt worden. Die griechischen Behörden hätten die Schutzgewährung dort am 07.04.2020 mit Schreiben vom 26.08.2022 mitgeteilt. Die EURODAC-Abfrage habe überdies einen Asylantrag in Österreich am 28.11.2021 ergeben.
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Da der Asylantrag als unzulässig abgelehnt werde, werde er nicht materiell geprüft. Der Entscheidung des Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG stehe im Falle des Klägers nicht entgegen, dass der EuGH im Urteil vom 19.03.2019 entschieden habe, dass eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, weil dem Kläger in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits internationaler Schutz gewährt wurde, nur dann möglich sei, wenn der Kläger keiner ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der Lebensumstände, die ihn in dem Mitgliedstaat erwarten würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK (Art. 4 GrCh) zu erfahren. Der EuGH habe im Beschluss vom 13.11.2019 klargestellt, dass auch der Umkehrschluss gelte, dass ein Antrag bei Vorliegen solcher Voraussetzungen als zulässig anzusehen sei. Ungeachtet dessen sei im vorliegenden Fall die Ablehnung als unzulässig jedoch deshalb angezeigt, weil eine solche Menschenrechtsverletzung nicht drohe.
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Die derzeit schwierigen Lebensverhältnisse von international Schutzberechtigten in Griechenland würden nicht verkannt, von einer allgemeinen Unzumutbarkeit der Rückkehr nach Griechenland könne deswegen aber nicht ausgegangen werden. Weder sei eine Verletzung der in Art. 26 ff. der RL 2011/95/EU vorgesehenen Gleichbehandlungsgebote erkennbar, noch herrschten in Griechenland derart eklatante Missstände, welche die Annahme rechtfertigten, anerkannte Schutzberechtigte würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK ausgesetzt. Dies werde auch von Teilen der deutschen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (wurde näher belegt) sowie jüngst im europäischen Kontext durch im einzelnen benannte Entscheidungen aus Luxemburg, Österreich, der Schweiz und Norwegen so gesehen.
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Jede erniedrigende Behandlung müsse, um in den Anwendungsbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, ein Mindestmaß an Schwere erreichen. Es komme weder darauf an, ob die Lebensbedingungen in Griechenland mit denen in Deutschland vergleichbar seien, noch gebe Art. 3 EMRK dem Kläger einen Anspruch auf spezielle Leistungen. Von einem Verstoß sei für international Schutzberechtigte in Griechenland nicht auszugehen. Die Lebensbedingungen für diesen Personenkreis mögen in Griechenland zwar sehr schwierig sein, zumal die Personen – anders als die griechische Bevölkerung – in der Regel nicht über ein familiäres Netzwerk verfügten. Es herrschten allerdings nicht derart eklatante Missstände, die den Schluss zuließen, international Schutzberechtigte würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt. Es liege keine Versorgungsverweigerung des griechischen Staates vor. Eventuelle Defizite genügten nicht, um eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Situation für international Schutzberechtigte in Griechenland anzunehmen.
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Als Maßstab für die Gefahrenprognose zur Feststellung eines Abschiebungsverbots müsse unter dieser Prämisse somit eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit zu Grunde gelegt werden, die von sämtlichen Umständen des Falles abhänge. Die besondere Höhe sei nach den Ausführungen des EuGH selbst dann noch nicht erreicht, wenn die Person große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse im Zielland erfahre. Diese besondere Höhe erreiche erst extreme materielle Not, durch welche die physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt werde oder eine so starke Verelendung eintrete, dass sie mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. In extremer materieller Not könnten die elementarsten Bedürfnisse, wie Ernährung, Hygiene und Unterkunft, unabhängig vom Willen und den persönlichen Entscheidungen der Person nicht mehr befriedigt werden. Der bloße Umstand, dass in einem anderen Mitgliedstaat die Sozialhilfeleistungen und/oder Lebensverhältnisse günstiger seien als im Schutz gewährendem Mitgliedstaat, reiche hingegen nicht aus, um die besonderes hohe Schwelle der Erheblichkeit zu erreichen. Ebenso wenig sei das Fehlen familiärer Solidarität in einem Staat im Vergleich zu einem anderen eine ausreichende Grundlage für die Feststellung extremer materieller Not. Gleiches gelte für Mängel bei der Durchführung von Integrationsprogrammen.
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Das Bundesverwaltungsgericht habe sich in seinem Urteil vom 07.09.2021 im rechtlichen Ansatz mit der Berücksichtigungsfähigkeit nichtstaatlicher Hilfe oder Unterstützungsleistungen bei der Bewertung einer drohenden Verletzung von Art. 4 GrCh in dem zurück zu überstellenden Mitgliedstaat befasst und unter Verweis auf die Subsidiarität (mit-)staatlicher Erfüllungs- und Unterstützungsverantwortung sogar eine Berücksichtigungspflicht bejaht. In diesem Sinne lasse sich bereits der „Jawo-/Ibrahim-Rechtsprechung“ des Europäischen Gerichtshofes entnehmen, dass eine Art. 4 GrCh auslösende Schutzpflichtverletzung nicht unmittelbar an fehlende oder unzureichende, staatliche Leistungen geknüpft sei, sondern an die tatsächliche menschenwürdige Lage der Schutzberechtigten bei einer Rückkehr. Ebenso verpflichte Art. 3 EMRK die Konventionsstaaten nicht, jeder ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Person ein Recht auf Unterkunft zu garantieren, und bärge auch keine allgemeine Verpflichtung, Schutzberechtigte finanziell zu unterstützen, damit sie ein bestimmtes Lebensniveau behalten könnten. Demgemäß und in Anwendung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens könne eine drohende Schutzpflichtverletzung bei der vorzunehmenden Gefahrenprognose nur dann festgestellt werden, wenn gerade die zu erwartende Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge habe, dass die betroffenen Personen in eine Situation extremer materieller Not gerieten. Eine solche Ursächlichkeit könne aber bereits dann nicht angenommen werden, wenn der Situation extremer materieller Not durch eigene Handlungen (z. B. den Einsatz der eigenen Arbeitskraft) oder die Inanspruchnahme der Hilfs- oder Unterstützungsleistungen Dritter (seien es private Dritte, seien es nichtstaatliche Hilfe- oder Unterstützungsorganisationen) hinreichend begegnet oder diese abgewendet werden könne.
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Insoweit habe das VG Schwerin in seinem Urteil vom 14.09.2021 festgestellt, dass nach Griechenland zurückkehrende Schutzberechtigte auch nicht anders zu beurteilen seien wie in Griechenland anerkannte Schutzberechtigte, die auf jegliche Sozialleistungen aus eigenem Antrieb verzichteten und in Griechenland verblieben. Mithin sei es zurückkehrenden Schutzberechtigten – welche die Angebote des griechischen Staates aus eigenem Antrieb nicht mehr angenommen hätten – zumutbar, einen erhöhten Aufwand betreiben zu müssen, um wieder in Griechenland Fuß zu fassen. Dies umfasse die Erlangung einer Unterkunft ebenso wie die Überwindung materieller Not durch die Erlangung sozialer Hilfen bis hin zur Erlangung einer bezahlten Tätigkeit. Ein längerer Voraufenthalt stehe der Annahme, dass eine Rückkehr nach Griechenland unmöglich sei, entgegen. Es sei anzunehmen, dass ein längerer Aufenthalt in Griechenland und damit einhergehende Kenntnisse über die Verhältnisse vor Ort eine Rückkehr nach Griechenland begünstigten.
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Zurückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten stünden Handreichungen und Online-Hilfsangebote, welche einen Überblick u.a. über vorhandene karitative Hilfsangebote geben, zur Verfügung. Caritas Hellas habe eine Broschüre herausgegeben, die wichtige Informationen und praktische Hinweise für Flüchtlinge und Schutzberechtigte in Griechenland in vier Sprachen enthalte. Der UNHCR stelle regelmäßig aktualisierte Handreichungen zu regionalen Hilfsangeboten in Athen und Thessaloniki zur Verfügung. Auf der Seite https://www.refugee.info/greece stünden aktuelle Informationen zu Unterkünften, Integrationsangeboten, Arbeitsgenehmigungen oder medizinischer Versorgung in Englisch, Arabisch und Farsi zur Verfügung. Neben ausführlichen Informationen gebe es weiterhin die Möglichkeit, individuelle Fragen über einen Chat zu stellen. Weiterhin stehe eine Datenbank mit Kontaktdaten zu in Griechenland tätigen NGOs, die nach Ort und Bereich (u.a. Versorgung mit Lebensmitteln, Notunterkünften, Ärzten und Krankenhäusern, Integrationsangeboten, Freizeitmöglichkeiten, Rechtsberatung, psychosoziale Unterstützung oder auch Sprachkurse und Sportangebote) gefiltert werden könnten, zur Verfügung.
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Die Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland habe sich insgesamt im Vergleich zu vorherigen Jahren verbessert. Es bestehe keine Verpflichtung durch europäisches Recht, einen Mindestversorgungsstandard sicherzustellen. Vielmehr habe sich der europäische Gesetzgeber bei Erlass der RL 2011/95/EU vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes dahin entschieden, international Schutzberechtigte formal den Angehörigen des schutzgewährenden Staats gleich zu stellen.
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In Kenntnis des Umstands, dass international Schutzberechtigte – anders als die Staatsangehörigen des jeweiligen Mitgliedstaats – regelmäßig weder über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügten noch auf die Unterstützung von Familienangehörigen zurückgreifen könnten, habe der europäische Gesetzgeber die Mitgliedstaaten nur dazu verpflichtet, international Schutzberechtigte im Hinblick auf den Zugang zu Sozialhilfeleistungen (Art. 29 der Qualifikationsrichtlinie), medizinischer Versorgung (Art. 30 der Qualifikationsrichtlinie) und Wohnung (Art. 32 der Qualifikationsrichtlinie) nicht anders als die eigenen Staatsangehörigen (bzw. hinsichtlich des Zugangs zu Wohnraum nicht anders als andere sich rechtmäßig aufhaltende Drittstaatsangehörige) zu behandeln. Griechenland gewähre international Schutzberechtigten prinzipiell Zugang zu Bildung, zur Gesundheitsversorgung, zum Arbeitsmarkt und zur Sozialversicherung und stelle sie damit der einheimischen Bevölkerung gleich. Vergewisserung bzgl. des Zugangs zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Anlagen im Mitgliedstaat nach Rückkehr werde durch die vorliegende Zusicherung Griechenlands erfüllt. Das griechische Migrationsministerium habe mit einem Schreiben vom 08.01.2018 explizit versichert, dass eine Aufnahme von Schutzberechtigten gemäß der europäischen Qualifikationsrichtlinie (2011/95/EU) und unter Berücksichtigung des Art. 3 EMRK in jedem Einzelfall gewährleistet sei. Das Einhalten dieser Zusicherung sei im Jahr 2020 durch die griechischen Behörden gegenüber dem Bundesamt bekräftigt worden. International Schutzberechtigte in Griechenland hätten Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten unter den gleichen Voraussetzungen wie legal aufhältige Drittstaatsangehörige. Zum 01.01.2019 seien erstmals wohnungsbezogene Sozialleistungen eingeführt worden, seit dem 13.03.2019 könnten auf entsprechenden Online-Plattformen Anträge gestellt werden (wurde näher erläutert). Die Mehrheit der anerkannten Schutzberechtigten lebe weiter in Lagern (Container und Zelt) sowie Sammelunterkünften (z.B. angemieteten bzw. umfunktionierten Hotels und ehemaligen Krankenhäusern oder Schulgebäuden). Im Allgemeinen habe sich aufgrund abnehmender Zugangszahlen in 2021 die Situation in nahezu allen Flüchtlingsunterkünften in Griechenland deutlich verbessert (wurde zahlenmäßig näher erläutert). Weiter wird der Einfluss von ukrainischen Geflüchteten auf das griechische Aufnahmesystem erläutert wie auch verschiedene Hilfsprogramme (z.B. Helios II, ESTIA).
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Trotz näher erläuterter Schwierigkeiten sei Wohnraum grundsätzlich auf dem freien Wohnungsmarkt zu beschaffen. Eine staatliche Unterstützung oder Beratung sei hierbei zwar nicht vorhanden, allerdings unterstützten zahlreiche Vereine und Nichtregierungsorganisationen bei der Wohnungsfindung, der Überwindung von Sprachbarrieren und der Orientierung im griechischen System. Ein Verweis der anerkannten Schutzberechtigten in ländlichere Gegenden könne weiterhin zur Vermeidung von Obdachlosigkeit beitragen. So habe etwa die kirchliche Organisation Perichoresis in Katerini zahlreiche Wohnungen mit Unterstützung der Diakonie Katastrophenhilfe und des UNHCR angemietet, die sie Flüchtlingen zur Verfügung stelle. Derzeit verfüge allein dieses Projekt über 124 Wohnungen, die 600 Personen Unterkunft bieten könnten. In Athen und Thessaloniki biete „Solidarity Now“ ergänzend Unterstützung bei einer temporären Unterbringung in Hotels und Privatunterkünften. Soziale Dienste, psychologische Unterstützung, Rechtsberatung und -vertretung, Familien-, Kinder- und Erwachsenenberatung sowie medizinische Dienste, würden von der gleichnamigen NGO ebenfalls angeboten.
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Obdachlosigkeit stelle nach allen bekannten Informationen kein Massenphänomen dar. Vereinzelte Obdachlose seien, insbesondere in Athen, zwar ein üblicher Anblick im Straßenbild, allerdings treffe dies nicht gehäuft auf. Zudem seien hiervon, soweit bekannt, zwar auch vereinzelt anerkannt Schutzberechtigte betroffen, aber ebenso sind hier u.a. illegale Migranten, abgelehnte Schutzsuchende, Griechen aus verschiedenen sozialen Milieus oder Angehörige der Sinti und Roma zu finden. Von Personen, die nach ihrer Anerkennung als Schutzberechtigte ihre bisherigen Unterkünfte hätten verlassen müssen, sei bekannt, dass diese nach kurzfristiger Obdachlosigkeit nach Kontrollen durch die Ordnungsbehörden wieder in staatliche Unterkünfte (u.a. Flüchtlingslager oder übergangsweise gemietete Hotels) gebracht worden seien. Die Stadt Athen habe zuletzt im Jahr 2018 Daten zur obdachlosen Bevölkerung veröffentlich und angegeben, dass es 793 Obdachlose, von denen 353 auf den Straßen Athens lebten, gebe. Am 23.01.2022 habe die Stadt Athen gemeldet, dass aktuell in allen städtischen Obdachlosenunterkünften freie Kapazitäten verfügbar seien. In der größten Unterkunft nahe des Vathy-Platzes könnten ca. 400 Personen leben; dauerhaft seien hier aber nur ca. 175 Personen zu finden. Aufgrund eines starken Kälteeinbruchs seien zwar ca. 35 zusätzliche Personen hier lebend, aber man könne, auch mit den weiteren Unterkünften (in Patissia und Neos Kosmos, ca. 200 Plätze), allen Bedürftigen eine winterfeste Schlafstätte bieten. Auch der vor Ort agierende UNHCR sei weit davon entfernt, bezüglich der Rückführung von Schutzberechtigten nach Griechenland eine Warnung auszusprechen. Ferner böten NGOs Unterkünfte an, so beispielsweise Caritas Hellas, die in ganz Griechenland in Zusammenarbeit mit der griechischen Regierung mehr als 300 dauerhafte Wohnungen anbiete und im Athener Stadtteil Neos Kosmos kostenlose gemischte Wohnprojekte für bis zu 50 Personen zur Verfügung stelle. In anderen Ballungszentren wie Thessaloniki stelle die kirchliche Organisation Perichoresis Migranten im Umland von Thessaloniki mehr als 100 Wohnungen im Rahmen ihres „Urban Housing Projekts“ zur Verfügung und habe nach eigenen Angaben ebenfalls freie Kapazitäten.
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International Schutzberechtigten werde grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen wie griechischen Staatsangehörigen medizinische Versorgung gewährt. Anders als Asylantragsteller (die frühestens nach sechs Monaten eine Arbeitserlaubnis erhalten könnten) hätten anerkannt Schutzberechtigte einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Jedoch habe Griechenland die höchste Arbeitslosenquote innerhalb der EU (mit ca. 14% mehr als doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt); die Jugendarbeitslosigkeit habe laut EU-STAT im November 2021 sogar bei mehr als 39% gelegen, so dass aufgrund der Konkurrenzlage, insbesondere bei mangelhaften oder fehlenden Sprachkenntnissen, die erfolgreiche Suche nach einer Arbeitsstelle erschwert sei.
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Dennoch erscheine der griechische Arbeitsmarkt derzeit auch für Flüchtlinge aufnahmefähig, ja sogar von der hierdurch bereitgestellten billigen Arbeitskraft abhängig zu sein. Dies gelte vor allem für saisonale und nicht-qualifizierte Arbeitsfelder. Erreichbar könnten Hilfsarbeiterjobs, insbesondere in der Tourismusbranche, sein. Nach Medienberichterstattung habe sich die griechische Tourismusbranche wieder vollständig erholt. Dies führe dazu, dass mehr als 50.000 Stellen in der Branche unbesetzt seien. Auch im Zusammenhang mit Geflüchteten aus der Ukraine werde berichtet, dass bereits etliche der Geflüchteten für die Sommersaison Arbeit im Tourismussektor auf den Urlaubsinseln gefunden hätten. Oftmals erfolge eine Anstellung als Saisonarbeiter. Daraus könne allerdings nicht auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK geschlossen werden. Es werde nicht verkannt, dass die Arbeitsbelastung in den Sommermonaten hoch sei. Der Verdienst aus den Sommermonaten könne zur Überbrückung der Winterzeit genutzt werden. Darüber hinaus werde eine Verlängerung der Saison seitens der griechischen Regierung angesprochen und begrüßt. Die Verlängerung der Saison trage zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation bei. Zusätzlich könne im Winter eine Anstellung in der Landwirtschaft z.B. bei der Olivenernte angestrebt werden. Anerkannt Schutzberechtigte hätten Zugang zu den meisten in Griechenland verfügbaren Sozialleistungen, solange sie die formalen Voraussetzungen erfüllten. Somit gelte auch hier der von der Qualifikationsrichtlinie geforderte Grundsatz der Inländergleichbehandlung (wird näher erläutert).
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Gesonderte staatliche Maßnahmen zur Integrationsförderung, Kommunikations- und Übersetzungshilfe oder Sozialarbeit für anerkannte Schutzberechtigte bestünden derzeit noch nicht. Wie bereits erwähnt, versuchten verschiedene NGOs, das staatliche Angebot in allen Bereichen der Integration (Unterkunft, Gesundheitsversorgung, Assistenz bei administrativen Hindernissen etc.) zu ergänzen. So biete z.B. die NRO Perichoresis Kurse für einfache, grundlegende Handwerks- oder Hauswirtschaftstätigkeiten an. Auf lokaler Ebene bestünden im ganzen Land gegenwärtig rund 50 sogenannte Integrationsräte, welche das Ziel verfolgten, Integrationsprobleme zu identifizieren und dem jeweiligen Gemeinderat Vorschläge für eine möglichst reibungsfreie Integration von Einwanderern zu unterbreiten.
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Es sei dem Kläger somit möglich, mit der erforderlichen Eigeninitiative und mit staatlichen und privaten Hilfen zu vermeiden, dass er in eine Situation extremer materieller Not gerate, die es ihm nicht erlauben würde, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Der Umstand, dass der Kläger vorgetragen habe, dass er nicht nach Griechenland zurück, sondern in Deutschland bleiben wolle, begründe keinen systemischen Mangel. Er müsse sich darauf verweisen lassen, dass durch die Schutzgewährung in Griechenland eine Schutzbedürftigkeit nicht mehr vorliege. Persönliche Präferenzen könnten ebenfalls nicht berücksichtigt werden, da es im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems für Asylsuchende keine Wahlmöglichkeit gebe, mit der sie selbst entscheiden könnten, in welches europäische Land sie gingen, um dort Schutz zu suchen. Soweit der Kläger angegeben habe, er habe keinen Unterhalt erhalten, sei festzuhalten, dass sich hieraus kein systemischer Mangel ableiten lasse. Eine Verletzung des Art. 3 EMRK würde vorliegen, wenn die elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigt werden würden. Die besondere Verletzbarkeit sei hierbei durch den Kläger nachzuweisen. Wie seinen Ausführungen zu entnehmen sei, habe er in Griechenland Schutz erhalten und sei bis kurz vor seiner Ausreise aus Griechenland am „26.1.2021“ [gemeint: 26.11.2021] im Camp untergebracht und verpflegt worden. Es werde von ihm nicht dargelegt, dass er sich erfolglos um die oben genannten Versorgungs- und Hilfeleistungen bemüht hätte. Insbesondere habe er nicht angegeben, dass er die oben genannte Grundsicherung beantragt hätte. Es wäre ihm jedoch zuzumuten gewesen, sich über die Leistungen und Integrationsangebote nach der erfolgten Schutzzuerkennung bei den entsprechenden Stellen zu informieren und sich gegebenenfalls um diese zu bemühen, auch wenn dies mit Anstrengungen verbunden gewesen wäre.
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Soweit der Kläger vorgetragen habe, dass die Polizei sein Handy kaputtgemacht habe, sei anzumerken, dass Anhaltspunkte, die anzeigen würden, dass die getroffenen Maßnahmen unverhältnismäßig oder sonst wie widerrechtlich gewesen seien, nicht vorlägen. Der Kläger habe diesbezüglich keine konkreten Angaben gemacht. Die Umstände genauer darzulegen, welche Hinweise auf ein widerrechtliches Verhalten der Behörden enthalten könnten, sei dem Kläger zuzumuten. Insofern sei das Unterlassen eines solchen Vortrags als Beleg dafür zu werten, dass das Vorbringen des Klägers in diesem Punkt unbegründet sei. Damit sei nicht davon auszugehen, dass hierbei ein unzulässiger Eingriff in die Rechte des Klägers stattgefunden habe. Insofern sei der Vortrag als unbeachtlich zu werten.
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Soweit der Kläger vortrage, er habe sich während seines Aufenthalts in Griechenland in Flüchtlingscamps aufhalten müssen, die er nicht habe verlassen dürfen, sei zu sagen, dass im Fall der Rückkehr nach Griechenland nicht mit einer Wiederholung zu rechnen sei. Schutzberechtigte würden in Griechenland nicht in Camps untergebracht. Das Vorliegen einer besonderen Verletzbarkeit habe der Kläger aber gegenüber dem Bundesamt nicht vorgetragen. Es hätte zudem dem Kläger oblegen, sich um die Inanspruchnahme und Gewährung der ihm im schutzgewährenden Mitgliedstaat zustehenden Leistungen zu bemühen und auch aus eigener Initiative nach anderer staatlicher oder zivilgesellschaftlicher Hilfe oder Unterstützung zu suchen. Nach seinen eigenen Angaben habe der Kläger jedoch keine dahingehenden Bemühungen unternommen. Die humanitären Bedingungen in Griechenland, unter denen der Kläger als anerkannter Schutzberechtigter leben werde, stellten daher keine unabhängig von seinem Willen oder seinen Entscheidungen ergehende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar.
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Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Soweit der Kläger vorgetragen habe, dass er in Griechenland von Obdachlosigkeit betroffen gewesen sei und auf der Straße habe leben müssen, rechtfertige dieser Vortrag kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Das unsubstantiierte und detailarme Vorbringen diesbezüglich bleibe pauschal und ungenau und sei daher bereits unbegründet. Nicht unerwähnt bleiben solle aber dennoch, dass Schutzberechtigte unter den gleichen Voraussetzungen wie legal aufhältige Drittstaatangehörige Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten des Landes hätten. Somit stehe dem Kläger dort der Zugang zum Wohnungsmarkt offen, er müsse sich jedoch selbst darum bemühen. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Griechenland führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich.
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Hinsichtlich der Situation, in der der Kläger im schutzgewährenden Staat leben werde, könne hier keine andere Wertung erfolgen, als schon zu den Voraussetzungen der Unzulässigkeit anhand der Anforderungen des EuGH erfolgt sei (auf die vorherigen Ausführungen wurde verwiesen).
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Es drohe dem Kläger auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Der Kläger habe angegeben, an bestimmten gesundheitlichen Beschwerden zu leiden. Bis zum Entscheidungszeitpunkt hätten dem Bundesamt keine entsprechenden medizinischen Unterlagen vorgelegen. Nach eigenen Angaben nehme der Kläger derzeit keine Arznei gegen seine Beschwerden ein. Darüber hinaus befinde sich der Kläger nach Kenntnislage des Bundesamtes in keiner längerfristigen ärztlichen Behandlung in der Bundesrepublik Deutschland. Vielmehr gebe der Kläger an, bereits in Griechenland wegen seiner Hautkrankheit behandelt worden zu sein. Die vorgetragenen psychischen Probleme präzisiere er als eine Besorgnis über seine Zukunft. Der Kläger habe in seinem Vortrag in keiner Weise darlegen können, inwiefern die angegebenen gesundheitlichen Beschwerden eine erhebliche konkrete Gefahr für ihn darstellten. Die vorgetragenen medizinischen Beschwerden des Klägers seien somit als nicht lebensbedrohlich und nicht so schwerwiegend zu beurteilen.
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Soweit der Kläger die Erkrankung auf verseuchtes Duschwasser zurückführe, sei zu sagen, dass er sowohl den Nachweis schuldig bleibe, dass das Wasser verseucht gewesen sei, als auch den, dass diese Verseuchung absichtlich herbeigeführt worden sei. Der Vortrag sei daher in diesem Punkt unbeachtlich. Es sei zu erwarten, dass bei dem Kläger durch eine Abschiebung nach Griechenland keine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes eintreten werde und dass es für ihn möglich sein werde, in Griechenland eine eventuell notwendige medizinische Behandlung zu erhalten, da es keinerlei Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Kläger von einer derartigen medizinischen Versorgung in Griechenland grundsätzlich ausgeschlossen wäre.
30
Bezüglich der medizinischen Beschwerden sei der Kläger im Bedarfsfall auf das griechische Gesundheitssystem zu verweisen. Wie bereits aufgeführt, werde die medizinische Versorgung Schutzberechtigten grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen wie griechischen Staatsangehörigen gewährt. Auf die weitere Darstellung im Bescheid wird verwiesen.
31
Am 20.06.2023 ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid vom 26.05.2023 erheben (wurde zunächst unter dem Aktenzeichen B 4 K 23.30517 geführt) und beantragte zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Az. B 4 S 23.30516).
32
Zur Begründung der Klage wurde ausgeführt, entgegen der Auffassung des Bundesamts sei der Asylantrag nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig. Denn nach aktuellem Kenntnisstand drohe Personen, denen in Griechenland internationaler Schutz zuerkannt worden sei, durchaus noch die ernsthafte Gefahr einer Menschenrechtsverletzung i.S.d. Art. 4 GrCh und des Art. 3 EMRK wegen in Griechenland drohender Obdachlosigkeit. Der Kläger selbst habe angegeben, dass er nach der Schutzgewährung das Camp habe verlassen müssen und dann obdachlos gewesen sei. Diese Gefahr sei selbst für gesunde, arbeitsfähige und alleinstehende Männer zu bejahen.
33
Auch nach der eigenen Entscheidungspraxis des Bundesamts sei das Asylsystem in Griechenland weiterhin mit systemischen Mängeln behaftet. Die Behörde behalte sich dann lediglich das Recht vor, den als zulässig anzusehenden weiteren Asylantrag nach nationalem Recht abzulehnen und eine Bindungswirkung an den in Griechenland gewährten internationalen Schutz zu verneinen. Insoweit bleibe jedoch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auf den Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.09.2022 im Verfahren Az. 1 C 26.21 abzuwarten.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26.05.2023 wird aufgehoben.
35
Die Beklagte beantragt,
36
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.
37
Die damals zuständige 4. Kammer ordnete mit Beschluss vom 26.06.2023 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nr. 3 des Bescheids vom 26.05.2023 an.
38
Nach dem Übergang des Klageverfahrens auf die 7. Kammer teilte das Bundesamt auf Anfrage des Gerichts mit, dass an dem Bescheid vom 26.05.2023 festgehalten werde. Das im Bescheid vom 26.05.2023 erwähnte Helios-II-Programm sei ausweislich der offiziellen Internetseite bis September 2023 verlängert worden. Auch die im Bescheid aufgeführten Handreichungen und Online-Hilfsangebote, welche einen Überblick u.a. über vorhandene karitative Hilfsangebote geben, seien weiterhin abrufbar und somit aktuell (Fundstellen im Internet wurden angegeben).
39
Mit Beschluss vom 14.07.2023 wurde der Rechtsstreit auf den Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
40
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
41
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der streitgegenständliche Bescheid vom 26.05.2023 aufgehoben wird, denn dieser Bescheid verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
42
In der Sache selbst schließt sich das Gericht zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst im Wesentlichen den Gründen des angefochtenen Bescheides an und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 3 AsylG). Ergänzend ist zur Sache sowie zur Klage das Folgende auszuführen:
43
I. Soweit der Kläger auf die Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.09.2022 an den Europäischen Gerichtshof hingewiesen hat (Az. 1 C 26.21), ist diese in der vorliegenden Sache nicht einschlägig, denn sie betrifft im Kern die Frage, ob das Bundesamt für den Fall, dass es ein nationales Asylverfahren durchführt, in der Sache an die Entscheidung des anderen Mitgliedstaates gebunden ist, der dem Ausländer bereits Flüchtlingsschutz zuerkannt hat. Wie sich aus dem Folgenden ergibt, ist im Falle des Klägers jedoch kein nationales Asylverfahren durchzuführen; die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts steht vorliegend vielmehr in Einklang mit den rechtlichen Vorgaben.
44
II. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig eingestuft.
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1. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag in Deutschland unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Diese Voraussetzungen liegen vor. Nach Mitteilung der entsprechenden griechischen Behörde wurde dem Kläger bereits am 07.04.2020 in Griechenland Flüchtlingsschutz („Refugee status“- Bl. 23 d.A.) zuerkannt.
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2. Die Unzulässigkeitsentscheidung ist auch nicht aufgrund der gegenwärtigen Lebensverhältnisse, die den Kläger konkret in Griechenland erwarten, rechtswidrig. Das Bundesamt war dementsprechend gehalten, vorliegend von der Regelung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG Gebrauch zu machen.
47
Liegen die geschriebenen Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vor, kann eine Unzulässigkeitsentscheidung nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aus Gründen des vorrangigen Unionsrechts gleichwohl ausnahmsweise ausgeschlossen sein, wenn die Lebensverhältnisse, die den Kläger als anerkannter Schutzberechtigter in dem anderen Mitgliedstaat erwarten, diesen der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GrCh zu erfahren. Unter diesen Voraussetzungen ist es den Mitgliedstaaten untersagt, von der durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen (vgl. EuGH, B.v. 13.11.2019 - C-540/17; EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297-17; BVerwG, U.v. 17.6.2020 – 1 C 35/19; BVerwG, U.v. 21.4.2020 – 1 C 4/19 – juris). Damit ist geklärt, dass Verstöße gegen Art. 4 GrCh bzw. Art. 3 EMRK (vgl. SächsOVG, U.v. 15.6.2020 – 5 A 382.18 – juris) im Mitgliedstaat der anderweitigen Schutzgewährung nicht nur bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Nichtfeststellung von Abschiebungsverboten bzw. einer Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen sind, sondern bereits zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung führen.
48
Dem hiesigen Kläger droht jedoch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („ernsthafte Gefahr“, vgl. BVerwG, U.v. 17.6.2020 – 1 C 35/19 – juris), eine derartige Behandlung in Griechenland zu erfahren.
49
a) Systemische oder allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen fallen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nur dann unter Art. 4 GrCh, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt und die dann erreicht wäre, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich die betroffene Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann.
50
b) Der Kläger hat auf obergerichtliche Entscheidungen hinweisen lassen, die davon ausgehen, dass eine Rückkehr anerkannt Schutzberechtigter nach Griechenland (in den entsprechenden damaligen Entscheidungszeitpunkten) nicht zumutbar gewesen wäre (vgl. etwa OVG NRW – U.v. 21.1.2021 – 11 A 2982/20.A; OVG Lüneburg, U.v. 19.4.2021 – 10 LB 244/20 – juris).
51
Allerdings fallen die zitierten Entscheidungen in eine Zeit, die davon geprägt war, dass sich die Wirtschaft coronabedingt auch in Griechenland erheblich abgeschwächt hatte, insbesondere der Tourismus-Sektor ganz wesentlich von der Pandemie und den damit einhergehenden Einschränkungen der Reise- und Urlaubsaktivitäten betroffen war (s. hierzu u.a. OVG Lüneburg, a.a.O., juris-Rn. 49, 62).
52
Für den aktuellen Entscheidungszeitpunkt gilt dieser Befund indessen nicht mehr. Der Tourismus-Sektor in Griechenland hat sich nach dem Abklingen der Pandemie erholt und verzeichnet eine hohe Arbeitskräftenachfrage (vgl. z.B. handelsblatt.de vom 12.04.2023: Urlaub 2023 in Gefahr – Personalmangel an beliebten Reisezielen („… in Griechenland werden dieses Jahr wohl rund 80.000 Beschäftigte in der Hotellerie und Gastronomie fehlen“) oder Nordbayerischer Kurier vom 24.02.2023: Griechenland rechnet mit Reiserekord („… es mangelt an Personal“) und vom 13.04.2023: Griechische Hotels suchen Saisonkräfte („Tourismusboom in Griechenland … Branche kämpft mit einem großen Problem: Es fehlt an Arbeitskräften“).
53
Es wird nicht verkannt, dass die aktuellen Brandereignisse in Griechenland freilich mit punktuellen Einschränkungen des Tourismus einhergehen. Insgesamt betrachtet erweist sich dieser Sektor jedoch gegenwärtig ausgesprochen robust (vgl. hierzu die in der mündlichen Verhandlung eingeführten Quellen: Beitrag von welt.de vom 25.08.2023 zur Situation auf Rhodos: „Nur 14 Hotels haben Schäden an den Außenanlagen verzeichnet. Drei von ihnen sind noch geschlossen. Aber auch diese letzten drei Hotels planen die Wiedereröffnung bis Ende August. (…) Angesichts der schlimmen Bilder mag man es kaum glauben. Aber die Buchungslage für Rhodos ist fantastisch‘, sagte der TUI-Chef … der Fachzeitschrift fvw (…) Manche Unterkünfte haben bereits wieder mehr als 80 Prozent der Zimmer gefüllt… toller Erfolg … natürlich (…) in den vergangenen Wochen große Einnahmeeinbußen verzeichnet (…) ‚Aufbruchstimmung‘ der Menschen vor Ort“); vgl. ferner den Beitrag von tagesschau.de vom 21.08.2023: „Boom nach Corona-Krise – Knackt Griechenland den Tourismus-Rekord?; schließlich die Beiträge der nzz.ch vom 26.07.2023 und von fr.de vom 04.08.2023).
54
Nach einem Artikel der Freien Presse Doo Skopje betrifft der Arbeitskräftemangel in Griechenland – wie die griechische Zeitung „Kathimerini“ berichte – mehrere Sektoren, so neben dem Tourismus auch die Landwirtschaft, Viehzucht und das Bauwesen, so dass das Land für den Zeitraum 2023 bis 2024 eine stattliche Zahl von 168.000 Arbeitskräften aus Drittstaaten „importieren“ werde. Im Tourismussektor fehlten etwa Köche, Küchenhilfen, Tellerwäscher, Gärtner und Hygieniker.
55
Legt man dies zugrunde, so ergeben sich für den Kläger, der neben der arabischen Sprache auch noch Englisch spricht, in Griechenland realistische Erwerbsmöglichkeiten in verschiedenen Wirtschaftssektoren, insbesondere aber im touristischen Bereich.
56
Dass anerkannt Schutzberechtigte und Migranten diverse Kompetenzen, Wissen und Erfahrungen mitbringen, die der griechische Arbeitsmarkt dringend braucht, wird nach der Auskunftslage zunehmend auch in Griechenland realisiert. So wird von verschiedenen Projekten und Initiativen berichtet, die zur Integration in den Arbeitsmarkt beitragen sollen. Beispielsweise ist die Rede von einem eigens geschaffenen Zentrum in Athen (ADAMA Centre), wo Schutzberechtigte hilfreiche Tipps rund um den griechischen Arbeitsmarkt sowie direkte Unterstützung beim Ausfüllen von Formularen, der Erstellung eines Lebenslaufs oder Übersetzungen erhalten. Damit hätten in den ersten drei Monaten des Bestehens dieses Zentrums 1.200 Ausländer für den griechischen Arbeitsmarkt fit gemacht werden können samt Zugang zum griechischen Sozialsystem. Ein Großteil der Anfragen, die das Zentrum erreicht habe, habe sich auf Jobvermittlung bezogen. Dazu sei eine Job-Matching Plattform aufgebaut worden, die private Arbeitgeber und potentielle Arbeitnehmer verlinke. Auch auf der Insel Kos habe sich eine Initiative entwickelt, hier sei eine kleine Jobmesse veranstaltet worden, die in die erfolgreiche Vermittlung von Arbeitsstellen mündete, und zwar in Beschäftigungsverhältnisse, die mit einem Lohn versehen waren, der im durchschnittlichen Rahmen auf dieser Insel lag (800 bis 1400 EUR zuzüglich Trinkgeld und bezahlter Überstunden sowie kostenloser Übernachtungsmöglichkeit im Hotel oder in der Nähe des Hotels sowie Verpflegung). In diesem Kontext wird freilich auch von Herausforderungen berichtet, wie etwa Sprachbarrieren oder kulturellen Besonderheiten, die jedoch im täglichen Arbeitsablauf und mit Hilfe von Übersetzungsprogrammen schnell hätten gemeistert werden können. Als langwierig wurden einzig bestimmte administrative Schritte beschrieben. Entsprechende Projekte und Initiativen wurden ferner für weitere Inseln wie auch auf dem griechischen Festland ins Leben gerufen (vgl. zum Ganzen mit zahlreichen aktuellen Nachweisen Entscheiderbrief 05/2023: Blick zum Nachbarn/Griechenland: Erwerbsmöglichkeiten für Schutzberechtigte und Asylsuchende).
57
Der Kläger ist ein Mann in seinen 30er Lebensjahren und arbeitsfähig. Er hat in der Vergangenheit in beruflicher Hinsicht ein ausgeprägtes Maß an Flexibilität bewiesen, die mit dazu beitragen kann, auch in Griechenland in beruflicher Hinsicht erfolgreich Fuß zu fassen. So hat der Kläger etwa in einer Möbelfabrik wie auch einer Kunststofffabrik gearbeitet und war im Baugewerbe tätig; er hat zwei Jahre in einem Supermarkt als Aushilfskraft gearbeitet und eine Ausbildung zum Industriemechaniker absolviert. Weiter hat er davon berichtet, dass er als Maler und Dekorateur tätig gewesen sei oder auch einmal als Pickup Fahrer (vgl. S. 4 ff. der Anhörungsniederschrift, S. 2 des Protokolls).
58
Hinzu kommt, dass der Kläger als anerkannt Schutzberechtigter noch einige Zeit nach seiner dortigen Anerkennung in Griechenland gelebt hat. Nach der Lage der Akten wurde ihm bereits am 08.05.2020 eine bis zum 07.05.2023 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, somit ca. einen Monat nach seiner Anerkennung am 07.04.2020. Es wird nicht verkannt, dass gerade während der Corona-Pandemie, aber auch sonst, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Griechenland einige Zeit in Anspruch nehmen kann, da Fingerabdrücke genommen werden und die Ausstellung letztlich durch die griechische Polizei erfolgt (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Griechenland, Stand: 16.01.2023, S. 19). Unschlüssig sind jedoch vor diesem Hintergrund die Darstellungen des Klägers zu dem Zeitraum nach seiner Anerkennung und dem Verlassen des Camps Mondalisa bei Athen bis zur Ausreise geblieben. Einerseits hat der Kläger schon beim Bundesamt davon gesprochen, dass er, nachdem er die Aufenthaltserlaubnis erhalten gehabt habe, (lediglich) die „erste Zeit“ auf der Straße geschlafen habe (S. 3 der Niederschrift über die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags); diesen Zeitraum hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung mit drei bis vier Monaten konkretisiert, wobei der Kläger über ein Jahr lang darauf habe warten müssen, dass ihm etwas schriftlich ausgestellt werde (vgl. S. 3 des Protokolls). Eine weitere Aufklärung in diese Richtung erschien weder erfolgversprechend noch bedurfte es dieser. Denn einerseits war jedenfalls die Zeit, in der sich der Kläger frei in Griechenland aufgehalten hatte, noch geprägt von der Corona-Pandemie mit den allseits bekannten Einschränkungen des täglichen Lebens und damit einhergehenden Schwierigkeiten für anerkannt Schutzberechtigte, sich in Griechenland beruflich und auch im Übrigen zu integrieren. Immerhin habe es damals aber eine Ecke gegeben, wo man einmal täglich umsonst Essen habe erhalten können (vgl. S. 4 des Protokolls). Andererseits erscheinen die Angaben des Klägers im Verfahren nicht in jeder Hinsicht konsistent bzw. klar nachvollziehbar und zuordenbar. Den Aufenthalt im Flüchtlingscamp hat der Kläger wiederholt als „Gefängnis“ beschrieben; einmal möchte er seine „gesamte Zeit“ in Griechenland in Camps verbracht haben, wohingegen er zuvor klar angegeben hatte, er habe das Camp letztlich verlassen (müssen) und habe auf der Straße geschlafen (vgl. S. 3, 4 der Niederschrift über die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags).
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Auch in diesem Kontext gilt, dass die gegenwärtige Situation mit dem Abklingen der Pandemie und den zwischenzeitlich in Griechenland etablierten Möglichkeiten, Unterstützung zu erlangen – dies gilt nicht zuletzt für karitative Einrichtungen und Initiativen/Projekte verschiedener NGOs – deutlich anders zu würdigen ist als diejenige, in der sich der Kläger während seines damaligen Aufenthalts in Griechenland befunden hat.
60
Zur Überwindung etwaiger Schwierigkeiten in der Anfangszeit nach der Rückkehr nach Griechenland kann der Kläger schließlich auf Unterstützung aus dem verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Umfeld bauen. Sowohl sein Bruder, der in Kanada sei, wie auch in Deutschland aufhältige Freunde haben den Kläger bereits während seines früheren Aufenthalts in Griechenland finanziell unterstützt (vgl. S. 3 der Niederschrift über die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags, S. 3 des Protokolls: Geldtransfer über die … Bank, ohne dass der Kläger ein Konto benötigt habe); ferner hat der Kläger zwei verheiratete Schwestern und einen Onkel in der Türkei; weitere Onkel seien in Frankreich und in Kanada (vgl. S. 5 der Anhörungsniederschrift). Nicht übersehen wird, dass die finanzielle Hilfe seinerzeit geleistet wurde, um letztlich aus Griechenland auszureisen, doch ist nicht zu erwarten, dass Hilfe versagt würde, die im Zusammenhang mit der Rückkehr und Aufbau einer (beruflichen) Existenz in Griechenland benötigt wird.
61
In einer Gesamtschau ist unter Berücksichtigung des zumutbaren und zu erwartenden persönlichen Engagements des Klägers unter Einbeziehung der diversen Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort sowie nötigenfalls flankierender Hilfe von Verwandten/Freunden – letztere vor allem in der ersten Zeit nach der Rückkehr – nicht zu erwarten, dass in der konkreten Situation des Klägers bei seiner Rückkehr nach Griechenland die Schwelle des Art. 4 GrCh bzw. Art. 3 EMRK erreicht wird (vgl. hierzu im Ergebnis ähnlich VG Bayreuth, B.v. 15.05.2023 – B 7 S 23.30402 – juris bei langjährigem Voraufenthalt in Griechenland). Insbesondere ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass dem Kläger bei entsprechendem Einsatz seiner Fähigkeiten und Kräfte Obdachlosigkeit droht.
62
Dabei verkennt das Gericht nicht, dass sich die Lage des Klägers, die ihn in Griechenland erwartet, prognostisch deutlich ungünstiger gestaltet als dies derzeit in Deutschland der Fall ist. Bei Anlegung der durch den Europäischen Gerichtshof herausgearbeiteten strengen Maßstäbe – Unzulässigkeit der Rückführung erst für den Fall, dass der Ausländer in „extreme materielle Not“ gerät, nicht bereits bei (großer) Armut – kann jedoch die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts rechtlich nicht beanstandet werden.
63
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.