Titel:
Keine Vorwegnahme der Hauptsache im Wege der einstweiligen Verfügung bei nicht gegebener Notlage für Antragsteller bei Nichterlass
Normenkette:
ZPO § 935, § 940
Leitsatz:
Für eine begehrte Anordnung im Wege der einstweiligen Verfügung verbundenen teilweisen Vorwegnahme der Hauptsache ist es bei bloßen wirtschaftlichen Nachteilen erforderlich, dass der Verfügungskläger andernfalls in eine existenzielle Notlage gerät. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
einstweilige Verfügung, Leistungsverfügung, Vorwegnahme der Hauptsache, Verfügungsgrund, wirtschaftliche Notlage
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30222
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist für den Verfügungsbeklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 10.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Verfügungsklägerin ist selbständige Handelsvertreterin und mit der Vermittlung von Finanzdienstleistungsprodukten aus dem Allfinanzbereich befasst. Zur Ausübung ihrer Tätigkeit bedient sie sich im Rahmen eines mehrstufigen Vertriebssystems weiterer selbständiger Handelsvertreter.
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Der Verfügungsbeklagte ist / war seit dem 01.09.2020 für die Verfügungsklägerin tätig, zunächst als Tippgeber und seit dem 13.04.20121 als selbständiger Handelsvertreter.
3
Zwischen den Parteien besteht / bestand ein Vertriebspartnervertrag vom 8./13.4.2021 (Ast1). In Ziff. 7 dieses Vertrages ist ein Wettbewerbsverbot für die Dauer des Vertrages enthalten.
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Zudem bestand ein - zur gleichen Zeit über die Vermittlung der Verfügungsklägerin unterzeichneter - Vertrag zwischen dem Verfügungsbeklagten und der, mit der die Verfügungsklägerin im Rahmen eines eigenen „Kooperationsvertrages“ verbunden ist (Blankovertretervertrag VBK9). Danach war der Verfügungsbeklagte als Versicherungsagent der A tätig und „ständig damit betraut, Versicherungen für A zu vermitteln, den Kundenbestand zu Pflegen, zu erhalten und zu erweitern, sowie neue Kunden zu gewinnen.“ Dieser Vertrag enthält unter Ziff. 3.3 Folgendes: „Während der Dauer dieses Vertrages darf der Vertreter für andere Versicherungsunternehmen und -vermittler nicht tätig werden und Produkte der Art, wie sie Gegenstand der Vereinbarungen mit A sind, nicht für andere Unternehmen oder Vermittler vertreiben. Ausgenommen hiervon ist eine Vermittlung, über die N GmbH, “
5
Der Verfügungsbeklagte war bei der IHK als sog. „gebundener“ Vermittler für die A eingetragen.
6
Der Verfügungsbeklagte ist ehemaliger Zeitsoldat und vermittelte über die Verfügungsklägerin vor allem auf den Soldatenberuf zugeschnittene Versicherungsprodukte der mit der A verbundenen D, sowie einzelne weitere Produkte bestimmter anderer Versicherungen, die von der Produktpalette der A /D nicht umfasst werden. Einzelne Vermittlungen für andere Versicherungen wurden über den Vorgesetzten des Verfügungsbeklagten getätigt.
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Am 18.01.2023 mahnte der Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin wegen einer Reihe von dieser im Vertriebsvertrag verwendeter Vertragsklauseln ab (Ast 4).
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Mit Schreiben vom 30.01.2023 (Ast 6) wies die Verfügungsklägerin die Abmahnungen des Verfügungsbeklagten zurück.
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Unter dem 01.02.2023 kündigte der Verfügungsbeklagte das Vertragsverhältnis zu der Verfügungsklägerin fristlos (Ast 2).
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Der Verfügungsbeklagte ist seit Februar 2023 für die AR als Vermittler tätig.
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Am 10.02.2023 vermittelte der Verfügungsbeklagte - nach seinem Vorbringen auf Wunsch des Kunden B - einen neuen Versicherungsvertrag mit der D unter Kündigung eines zuvor - während seiner Tätigkeit für die Verfügungsklägerin - über seine Vermittlung zustande gekommenen Versicherungsvertrages zwischen dem Kunden B und der D .
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Die Verfügungsklägerin wies die fristlose Kündigung des Verfügungsbeklagten vom 1.2.23 mit Schreiben vom 22.2.23 zurück (Ast 3).
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Mit anwaltschaftlichem Schreiben vom 10.3.23 erklärte der Verfügungsbeklagte eine weitere außerordentliche Kündigung mit der Begründung der Verweigerung eines Buchauszuges durch die Verfügungsklägerin und einem nur noch eingeschränkten Zugriff auf das Vertriebsportal (Ast7).
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Mit Schreiben vom 30.03.2023 wies die Verfügungsklägerin diese fristlose Kündigung zurück (Ast 8).
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 10.5.23 (Ast 12 Teil 1) mahnte die Verfügungsklägerin den Verfügungsbeklagten unter Beifügung einer vorgefertigten Unterlassungserklärung (Ast 12 Teil 2) wegen vertrags- und wettbewerbswidriger Fremdvermittlung, dem Kunden nicht erteilter Erstinformationen, nicht übergebener Vertragsunterlagen, eines fehlenden Beratungsprotokolls und der Bezeichnung als Versicherungsmakler ab.
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Mit Schreiben vom 19.5.23 (Ast13 Teil 1) wies der Verfügungsbeklagte die Vorwürfe zurück, gab aber im Hinblick auf die zu erteilenden Informationen, das Beratungsprotokoll, die Übergabe von Vertragsunterlagen und die Bezeichnung als Versicherungsmakler eine Unterlassungserklärung ab (Ast13 Teil 2).
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Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, dass sowohl ein Verfügungsanspruch, als auch ein Verfügungsgrund bestehe.
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Sie habe aus dem rechtswirksam begründeten und weiterhin bestehenden Vertriebspartnervertrag einen Anspruch gegen den Verfügungsbeklagten auf Unterlassung von Wettbewerb. Der Vertriebspartnervertrag verstoße weder gegen ein gesetzliches Verbot, noch sei er gem. § 138 BGB sittenwidrig. Die Konstellation der Eintragung des Verfügungsbeklagten als „gebundener“ Vermittler und gleichzeitiger Tätigkeit als selbständiger Handelsvertreter unter dem „Haftungsdach“ der A für die Klägerin entspreche einer üblichen Vorgehensweise.
19
Der Vertriebspartnervertrag sei nicht durch die außerordentlichen Kündigungen beendet worden.
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Die dort genannten Kündigungsgründe werden bestritten, bzw. stellten keine ausreichenden Gründe für eine fristlose Kündigung dar.
21
Da der Beklagte nachweislich bereits einen Kunden der Verfügungsklägerin abgeworben habe und zudem mitteilt, dass er für die AR tätig sei, bestehe zudem auch ein Verfügungsgrund. Der Verfügungsklägerin entstehe durch das Verhalten des Verfügungsbeklagten Schaden durch Provisionseinbußen und im Hinblick auf zu befürchtende weitere Umsetzungen.
22
Die Verfügungsklägerin beantragt,
- 1)
-
Dem Antragsgegner wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu € 250.000, - ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, untersagt, während des bestehenden Vertragsverhältnisses bis zum 30.09.2023 zu der Antragstellerin für Wettbewerber der Antragstellerin im Bereich der Versicherungsvermittlung und Finanzdienstleistungsvermittlung selbst und/oder über Dritte tätig zu werden.
- 2)
-
Dem Antragsgegner werden die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens auferlegt.
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Der Verfügungsbeklagte beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abzulehnen.
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Er stellt sowohl einen Verfügungsanspruch, als auch einen Verfügungsgrund in Abrede.
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Der Verfügungsbeklagte ist der Auffassung, dass der Vertriebspartnervertrag bereits angesichts der Verbindung mit einer gleichzeitigen vertraglich vereinbarten Tätigkeit des Verfügungsbeklagten als „gebundener“ Vermittler für die A unwirksam sei. Dieses Konstrukt sei widersprüchlich und bringe den Verfügungsbeklagten rechtlich in eine nicht zumutbare Position. Der Verfügungsbeklagte könne nicht gleichzeitig als gebundener Vermittler der A und selbständiger Handelsvertreter der Verfügungsklägerin jeweils vertragstreu tätig sein; diese Konstellation berge für diesen erhebliche nicht abgesicherte Haftungsrisiken. Dieses Konstrukt stelle eine Umgehung der Vorschriften des § 34d GewO dar, welche zu einer Nichtigkeit des Vertriebspartnervertrages führe. Der Verfügungsbeklagte habe zudem den Vertriebspartnervertrag wirksam fristlos gekündigt.
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Der Erlass einer einstweiligen Verfügung verbiete sich vorliegend bereits wegen einer damit verbundenen unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache.
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Hinsichtlich des weiteren Vortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.6.2023 verwiesen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Einvernahme des präsenten Zeugen .
Entscheidungsgründe
28
Der Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung ist mangels Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO abzulehnen.
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Ob der Verfügungsklägerin gegen den Verfügungsbeklagten ein Verfügungsanspruch zusteht, kann für diese Verfahren dahingestellt bleiben, da jedenfalls ein Verfügungsgrund nicht gegeben ist.
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Ein Verfügungsgrund, insbesondere die besonderen Voraussetzungen einer Regelungsverfügung gem. § 940 ZPO, ist nicht gegeben. Einer beantragten einstweiligen Verfügung steht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen.
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Gem. § 938 II ZPO kann im Rahmen einer einstweiligen Verfügung dem Gegner auch die Vornahme von Handlungen verboten werden.
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Die Anordnung der Untersagung von - nach Ansicht der Verfügungsklägerin - vertragswidrigem Tätigwerden des Verfügungsbeklagten stellt eine Befriedigung eines insoweit ggf. bestehenden Anspruches der Verfügungsklägerin gegen den Verfügungsbeklagten aus dem Vertriebspartnervertrag dar und kann nur im Rahmen einer Leistungsverfügung angeordnet werden.
33
Die rechtliche Beurteilung, ob der Verfügungsbeklagte für Wettbewerber der Verfügungsklägerin im Bereich der Versicherungsvermittlung und Finanzdienstleistungsvermittlung selbst und/oder über Dritte derzeit und bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zum 30.09.2023 tätig sein darf, hängt von der Entscheidung ab, ob der Vertriebspartnervertrag den Verfügungsbeklagten noch bindet, was bei einer Nichtigkeit oder wirksamen außerordentlichen Kündigung nicht der Fall wäre. Bei einer antragsgemäßen Anordnung würde für den Verfügungsbeklagten ein nicht wiederherzustellender Zustand geschaffen, auch wenn sich der Vertriebspartnervertrag im Nachhinein als nichtig bzw. infolge außerordentlicher Kündigung beendet darstellen sollte.
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Eine solche Anordnung würde daher zu einer teilweisen endgültigen Befriedigung des klägerischen Anspruches führen.
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Eine solche Leistungsverfügung kann grundsätzlich auf § 940 ZPO gestützt werden, unterliegt jedoch angesichts der damit einhergehenden Endgültigkeit, der Schaffung vollendeter Tatsachen und faktischen Vorwegnahme der Hauptsache engen Voraussetzungen.
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Sie setzt zum einen voraus, dass die geschuldete - hier die zu unterlassende - Handlung so kurzfristig zu erbringen ist, dass die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist und die Verweisung auf das Hauptsachverfahren praktisch einer Rechtsverweigerung gleichkäme (Zöller, ZPO, 34 A., § 940 Rdnr. 6).
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Auf die hier vorliegende Fallkonstellation trifft zu, dass für die Unterlassung von vertragswidrigem Tätigwerden aktuell und für die Zeit bis zur ordentlichen Beendigung des Vertragsverhältnisses zum 30.09.2023 ein Titel zur Untersagung einer - nach Ansicht der Verfügungsbeklagten - vertragswidrigen Betätigung im Hauptsacheverfahren nicht erwirkt werden kann.
38
Durch das Unterlassen der beantragten Anordnung wird die Klägerin allerdings nicht rechtlos gestellt. Erweist sich der Vertriebspartnervertrag mangels Nichtigkeit und wirksamer außerordentlicher Kündigung als bis zum 30.09.2023 fortbestehend, stehen der Verfügungsklägerin gegen den Verfügungsbeklagten wegen vertragswidriger Tätigkeiten Schadensersatzansprüche zu. Zudem sieht der dann als rechtswirksam zu erachtende Vertriebspartnervertrag in Ziff. 12 bei Abwerbungen, Abwerbeversuchen und der Einreichung von Anträgen über andere Gesellschaften als der Verfügungsklägerin die Verwirkung von pauschalierten Vertragsstrafen durch den Verfügungsbeklagten vor.
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Die Verfügungsklägerin stellt den ihr durch ein Tätigwerden des Verfügungsbeklagten für eine andere Vermittlungsgesellschaft, derzeit die AR, drohenden Schaden im Verlust von Provisionsanteilen dar, die anfallen würden, wenn der Verfügungsbeklagte weiterhin Versicherungsverträge über die Verfügungsklägerin einreichen würde. Sie sieht einen weiteren möglichen Schaden durch von ihr befürchteten Abwerbungen von Bestandskunden.
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Festzustellen ist insoweit, dass der Vertriebspartnervertrag keine Vermittlungsverpflichtung und damit kein entsprechendes verpflichtendes Tätigwerden des Beklagten für die Klägerin beinhaltet, sodass ein befürchteter Verlust von Provisionsanteilen nicht als Schaden angesehen werden kann.
41
Angesichts der mit der begehrten Anordnung verbundenen teilweisen Vorwegnahme der Hauptsache ist es zudem bei bloßen wirtschaftlichen Nachteilen erforderlich, dass der Verfügungskläger andernfalls in eine existenzielle Notlage geriete (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 02.12.2015 - 5 W 35/15, BeckRS 2016, 4038 mit weiteren obergerichtlichen Nachweisen).
42
Der im Termin vom 21.6.23 gehörte präsente Zeuge hat mitgeteilt, dass die Verfügungsklägerin derzeit mit etwa 70 Handelsvertretern vertraglich verbunden sei. Weder eine von der Verfügungsklägerin befürchtete Provisionsanteilseinbuße, noch ein befürchtetes Abwerben von Bestandskunden durch den Verfügungsbeklagten kann die Verfügungsklägerin in eine existenzielle Notlage bringen.
43
Die Voraussetzungen für den Erlass der Beantragten einstweiligen Verfügung liegen daher nicht vor. Der Antrag ist abzuweisen.
44
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
45
Der Streitwert wurde geschätzt und entsprechend dem Ansatz der Verfügungsklägerin im Antrag vom 06.06.2023 festgesetzt.