Titel:
Frist zur Begründung eines Antrags auf Zulassung der Berufung verpasst wegen eines Anwaltswechsels
Normenketten:
VwGO § 57 Abs. 2, § 60 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, S. 2, S. 3, § 173
ZPO § 85 Abs. 2, § 222
BGB § 187, § 188
Leitsätze:
1. Verschuldet ist die Fristversäumung iSd § 60 Abs. 1 VwGO, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und sachgemäß Prozessführenden geboten ist und die ihm subjektiv auch zuzumuten war. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Partei, die einen Wiedereinsetzungsantrag stellt und behauptet, die Begründungsfrist aufgrund eines Anwaltswechsels nicht eingehalten haben zu können, muss glaubhaft machen, wann das Mandatsverhältnis mit dem früheren Prozessbevollmächtigten gekündigt worden ist und welche Gründe dafür verantwortlich waren. (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Verschulden, Antragsfrist, Glaubhaftmachung, Anwaltswechsel
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Urteil vom 16.07.2020 – B 6 K 18.131
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Berichtigungsbeschluss vom 09.02.2023 – 19 ZB 20.2197
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30208
Tenor
I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist für den Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
III. Der Streitwert für das Zulassungsantragsverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Er ist unzulässig, weil der Kläger die Frist zur Begründung des Zulassungsantrags versäumt hat. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann ihm nicht gewährt werden.
2
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig und daher abzulehnen.
3
Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts vom 16. Juli 2020 wurde dem früheren Bevollmächtigten des Klägers am 27. August 2020 zugestellt. Die Frist für die Stellung eines Antrags auf Zulassung der Berufung hat der Kläger mit dem am Montag, dem 28. September 2020, beim Verwaltungsgericht eingegangenen Antragsschriftsatz seines früheren Bevollmächtigten vom selben Tag eingehalten (§ 124a Abs. 4 Satz 1 und 2 VwGO, § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 2 ZPO).
4
Dagegen wurde die Frist für die Darlegung der Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen sei, versäumt. Diese Frist von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), auf die in der Rechtsmittelbelehrungdes angefochtenen Urteils zutreffend hingewiesen wurde, ist mit dem 27. Oktober 2020 abgelaufen (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 ZPO, §§ 187, 188 BGB). Eine Begründung des Zulassungsantrags ist bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingegangen.
5
II. Der mit am 18. November 2020 eingegangenem Schriftsatz des nunmehrigen Klägerbevollmächtigten vom 17. November 2020 nach erfolgter Akteneinsicht gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) bezüglich der Begründungsfrist für den Zulassungsantrag ist abzulehnen.
6
Nach § 60 Abs. 1 VwGO setzt eine Wiedereinsetzung voraus, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Verschuldet ist die Fristversäumung, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und sachgemäß Prozessführenden geboten ist und die ihm subjektiv auch zuzumuten war (stRspr; vgl. BVerwG, B.v. 26.6.2017 – 1 B 113.17 u.a. – juris Rn. 5 m.w.N.; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 60 Rn. 9 m.w.N.). Das Verschulden eines Bevollmächtigten, insbesondere eines Rechtsanwalts, steht dabei gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden der Partei gleich, gilt also als Verschulden des Vertretenen. Der Antrag ist bei Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 60 Abs. 2 Satz 1 bis 3 VwGO).
7
Der Kläger lässt insoweit vortragen, die Mitteilung des früheren Bevollmächtigten, das Mandat des Klägers nicht weiter zu bearbeiten, sei dem Kläger erst kurzfristig mitgeteilt worden. In der Folge sei es für den Kläger nicht möglich gewesen, kurzfristig einen anwaltlichen Vertreter zu finden, der zu einer derart dringenden Begründung der Zulassung der Berufung Kapazitäten gehabt habe. Als der Kläger seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten um die Übernahme des Mandats gebeten habe, habe er weder ein Urteil noch andere Unterlagen vorlegen können, weshalb dem nunmehrigen Prozessbevollmächtigten eine sofortige Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung nicht möglich gewesen sei. Auch das Fristende sei dem nunmehrigen Prozessbevollmächtigten nicht bekannt gewesen. Darüber hinaus sei der Kläger der deutschen Sprache nicht mächtig, weshalb er sich Hilfe von einem Bekannten habe suchen müssen, um weitere Maßnahmen zu ergreifen. Die Versäumung der Zulassungsbegründungsfrist sei damit weder der Partei noch dem nunmehrigen Prozessbevollmächtigten zuzurechnen und damit unverschuldet im Sinne des § 60 VwGO.
8
Aus dem Wiedereinsetzungsvorbringen ergibt sich nicht, dass dem Kläger eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) bezüglich der Begründungsfrist für den Zulassungsantrag zu gewähren ist. Unabhängig davon, dass ein klägerisches Verschulden naheliegt, weil er seinem nunmehrigen Bevollmächtigten keinerlei Informationen zum angegriffenen Urteil mitteilen konnte, fehlt es jedenfalls an der Glaubhaftmachung der Tatsachen zur Begründung des Antrags. Dem Vorbringen kann weder entnommen werden, wann das Mandatsverhältnis mit dem früheren Prozessbevollmächtigten gekündigt worden ist (der frühere Bevollmächtigte teilte gegenüber dem Gericht am 23.11.2020 mit, dass der Kläger nicht mehr vertreten werde), noch welche Gründe dafür verantwortlich waren (ein Verhalten des Klägers für die Kündigung durch den früheren Bevollmächtigten ist nicht ausschließbar). Zudem scheitert eine Wiedereinsetzung auch daran, dass die versäumte Rechtshandlung nicht (insbesondere nicht innerhalb der Antragsfrist) nachgeholt worden ist.
9
Die Kostenentscheidung für das Zulassungsantragsverfahren ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
10
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsantragsverfahren beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Nr. 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
11
Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 152 Abs. 1, § 158 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Mit Zugang dieses Beschlusses wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).