Inhalt

AG Altötting, Beschluss v. 08.08.2023 – XVII 152/15
Titel:

Bestellung eines Ergänzungsbetreuers für Empfang der Widerrufserklärung zu gemeinschaftlichem Testament

Normenkette:
BGB § 104 Nr. 2, § 131 Abs. 1, § 164 Abs. 3, § 181, § 1816 Abs. 3, § 1817 Abs. 5, § 1823, 1824 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 2271, § 2296
Leitsätze:
1. Auf Anregung des widerrufswilligen Ehepartners ist eine Betreuung zum Zwecke der Entgegennahme des Widerrufs eines gemeinschaftlichen Testaments anzuordnen. Es liegt hier einer der wenigen Fälle vor, in denen die rechtliche Betreuung im Drittinteresse berechtigt ist, weil die Betreuerbestellung für den Dritten die einzige Möglichkeit darstellt, seine Rechte diesem gegenüber zu verfolgen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erforderlich ist die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers, wenn der Betreuer aus Rechtsgründen an der Vertretung gehindert ist, was bei der Entgegennahme des selbst erklärten Widerrufs eines mit der Betreuten errichteten gemeinschaftlichen Testaments der Fall ist. (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Auswahl des Ergänzungsbetreuers scheiden sowohl der Widerrufende als auch die Abkömmlinge aus. (Leitsätze der Redaktion) (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ist bei einem gemeinschaftlichen Testament der andere Testierende und nun Widerrufende auch Betreuer seines Ehegatten, sollte ein anderer (Ergänzungs-)Betreuer (zur Entgegennahme der Widerrufserklärung) bestellt werden, damit die Wirksamkeit des Rücktritts gesichert ist. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ein Betreuungsinteresse ist gegeben, weil die mit dem Widerruf verbundene Rechtssicherheit auch für den geschäftsunfähigen Ehepartner von Vorteil ist. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
gemeinschaftliches Testament, Eheleute, Widerruf, Geschäftsunfähigkeit, rechtliche Betreuung, Ergänzungsbetreuung, Betreuerbestellung, Testierfreiheit, hirnorganisches Psychosyndrom, Entgegennahme einer Widerrufserklärung, Betreuungsbehörde
Fundstellen:
BtPrax 2024, 147
FamRZ 2024, 891
RPfleger 2024, 271
LSK 2023, 30181
ZEV 2024, 111
BeckRS 2023, 30181

Tenor

Zur Ergänzungsbetreuerin wird bestellt:
Frau Rechtsanwältin …
- berufliche Betreuerin -
Der Aufgabenkreis der Ergänzungsbetreuerin umfasst:
- Entgegennahme des Widerrufs eines gemeinschaftlichen Testaments Die Überprüfungsfrist bleibt unverändert.
Bis zu einer erneuten Entscheidung gelten die getroffenen Regelungen fort.

Gründe

1
Der Ehemann der Betreuten trägt sich mit der Absicht, das gemeinschaftliche Testament der Eheleute zu widerrufen. Er ist Betreuer seiner Ehefrau neben einer gemeinsamen Tochter.
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Diese Konstellation erfordert die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters für die geschäftsunfähige Betroffene.
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Die Erklärung des Widerrufs des gemeinschaftlichen Testaments erfolgt wie der Rücktritt von Erbvertrag durch Erklärung gegenüber dem anderen Vertragschließenden (§ 2296 BGB). Der Widerruf ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung (BeckOGK/Braun, 1.7.2023, BGB § 2271 Rn. 30), die erst wirksam wird, wenn sie dem anderen Teil zugeht. Beim Geschäftsunfähigen kann die Erklärung gegenüber dem rechtlichen Betreuer oder einem ausreichend Bevollmächtigten abgegeben werden (gem. §§ 164 Abs. 3, 131 Abs. 1, 2 BGB). Ist der andere Testierende und nun Widerrufende auch Betreuer, sollte ein anderer Betreuer bestellt werden, damit die Wirksamkeit des Rücktritts gesichert ist (vgl. BeckOGK/Müller-Engels, 1.4.2023, BGB § 2296 Rn. 15).
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Nach dem psychiatrischen Gutachten vom 30.03.2022 geht das Amtsgericht von Geschäftsunfähigkeit aus: Bei der Betreuten besteht ein anhaltendes hirnorganisches Psychosyndrom mit anhaltenden mnestischen und kognitiven Funktionsstörungen bei vorbekanntem Schädelhirntrauma. Der Sachverständige beschrieb, die freie Willensbestimmung sei auch weiterhin als nicht gegeben zu beurteilen, auch im Bereich der Vermögenssorge. Von einer relevanten Besserung sei nicht auszugehen, Betreuungsbedürftigkeit werde daher dauerhaft gesehen. Anlässlich des bei der aktuellen gerichtlichen Anhörung am 04.08.2023 vor Ort gewonnenen unmittelbaren Eindrucks besteht dieser Zustand unverändert fort.
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Eine Ergänzungsbetreuung war daher erforderlich, da nur so eine wirksame Erklärung gegenüber der Betreuten möglich sein wird. Es liegt hier zugleich einer der wenigen Fälle vor, in denen die rechtliche Betreuung im Drittinteresse berechtigt ist. Dies ist der Fall, wenn der Betroffene iSv § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig ist und die Betreuerbestellung für den Dritten die einzige Möglichkeit darstellt, seine Rechte diesem gegenüber zu verfolgen (vgl. BeckOK BGB/Müller-Engels, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 1814 Rn. 55).
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Zwar ist streitig ist, ob das Gericht auch verpflichtet ist, allein zum Zwecke der Entgegennahme der Widerrufserklärung einen Betreuer gem. § 1814 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 zu bestellen (vgl mit Nachweisen BeckOK BGB/Litzenburger, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 2271 Rn. 19). Dagegen wird beispielsweise eingewandt, diese Ansicht könne nicht überzeugend erklären, wie der Schutzzweck des § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB gewahrt sein könne. Danach soll der Widerrufsempfänger durch den formalisierten Widerruf gerade in die Lage versetzt werden, auf die durch den Widerruf bedingte Unwirksamkeit zu reagieren und der veränderten Sachlage nach entsprechende Verfügungen zu treffen. Weder der Betreuer noch der Geschäftsunfähige könnten aber auf den Widerruf reagieren (Klessinger in: Praxiskommentar Erbrecht, § 2271 Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen, Rn. 11). Der wirksame Zugang der Widerrufserklärung muss jedoch möglich sein (vgl. (BeckOGK/Braun, 1.7.2023, BGB § 2271 Rn. 47). Unterbliebe eine Betreuerbestellung, wäre dem widerrufswilligen Ehepartner das Widerrufsrecht faktisch genommen und ihm könnte das Anfechtungsrecht gem. § 2078 Abs. 2 BGB nicht länger unter Hinweis auf die Widerrufsmöglichkeit abgeschnitten werden. Der Widerruf führt zwar zum gleichen Ergebnis wie diese Anfechtung, jedoch ohne die Gefahr von Streit über die Wirksamkeit der Anfechtung. Ein Betreuungsinteresse ist gegeben, weil die mit dem Widerruf verbundene Rechtssicherheit auch für den geschäftsunfähigen Ehepartner von Vorteil ist. Auf Anregung des widerrufswilligen Ehepartners ist daher eine Betreuung zum Zwecke der Entgegennahme der Widerrufserklärung anzuordnen (BeckOK BGB/Litzenburger, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 2271 Rn. 19; iErg ebenso MüKoBGB/Musielak, 9. Aufl. 2022, BGB § 2271 Rn. 8). Das Amtsgericht hält dies für zutreffend. Die rechtliche Betreuung ist im Kern weiterhin als Vertretungsregelung ausgestaltet (§ 1823 BGB, §§ 164, 131 Abs. 1 BGB: gesetzlicher Vertreter, dessen Vertretungsbefugnis allerdings seit der Abschaffung der Entmündigung qualitativ verändert ist und vom Selbstbestimmungsrecht geprägt wird, vgl. dazu Jürgens/Brosey, 7. Aufl. 2023, BGB § 1823 Rn. 3), welche bei Geschäftsunfähigen die rechtliche Handlungsfähigkeit im Rechtsverkehr sicherstellt. So wird gewährleistet, dass auch gegenüber einem Geschäftsunfähigen Rechte geltend gemacht werden können, beispielsweise Zivilprozesse geführt (§§ 51, 53 ZPO) und Willenserklärungen wirksam abgegeben werden können (§ 131 BGB). Umgekehrt bedeutet dies für ihn selbst Teilnahmemöglichkeit am Rechtsverkehr und liegt daher auch im eigenen (rechtlichen) Interesse, ohne dass dabei nur auf die Vorteilhaftigkeit des Ergebnisses der rechtlichen Handlungen abgestellt werden dürfte. Weitgehend unstreitig ist daher zurecht, dass in Ausnahmefällen auch nach dem Betreuungsrecht eine Betreuerbestellung möglich ist, wenn die Geltendmachung von Rechten gegen den Betroffenen infrage steht und der Dritte daran ohne die Bestellung eines Betreuers wegen (partieller) Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen gehindert wäre (Reymann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/ Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 2271 BGB (Stand: 01.07.2023), Rn. 27). Die entgegengesetzte Auffassung dürfte zum Ausschluss der Widerrufsmöglichkeit führen, sobald der andere testierende Teil geschäftsunfähig geworden ist. Nach der Formulierung des [richtig:] § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB erlischt das Recht zum freien Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen jedoch erst mit dem Tod des anderen Beteiligten. Der Verlust der Geschäfts- oder Testierfähigkeit ist dem nicht gleichzusetzen, sodass in diesem Falle der Widerruf möglich bleibt (BeckOGK/Braun, 1.7.2023, BGB § 2271 Rn. 46). Eine gesetzgeberische Reform ist in dieser Frage bislang schlicht nicht erfolgt (pointiert: Klessinger a.a.O.).
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Die Verhinderung des Betreuers ergibt sich in vorliegender Konstellation aus Rechtsgründen. Daher ist die einzurichtende rechtliche Betreuung als sog. Ergänzungsbetreuung zu qualifizieren (§ 1817 Abs. 5 BGB). Rechtlich verhindert ist der Betreuer z.B., wenn er nach § 1824 BGB nF (ggf. iVm § 181 BGB) von der Vertretung d. Betreuten ausgeschlossen ist (vgl. für den Widerruf eines gemeinschaftlichen Testaments OLG Nürnberg NJW 2013, 2909 = ZEV 2013, 450 mAnm Keim, siehe BeckOK BGB/Müller-Engels, 66. Ed.1.5.2023, BGB § 1817 Rn. 16). Erforderlich ist in diesem Fall somit die Bestellung eines
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Ergänzungsbetreuers. Dessen Aufgabenkreis kann von dem Betreuungsgericht auf die Entgegennahme der Widerrufserklärung beschränkt werden, da nur insoweit die Verhinderung des Ehegatten als Hauptbetreuer reicht (vgl. Reymann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 2271 BGB (Stand: 01.07.2023), Rn. 25). Eines darüber hinausreichenden Aufgabenbereichs für die zu bestellende Betreuerin bedarf es i.Ü. nach hiesiger Auffassung nicht. Gültigkeitsvoraussetzungen des Widerrufs, etwa die Testierfähigkeit des Widerrufenden selbst, Form des Widerrufs oder Fragen der Übermittlung (z.B. bzgl. Ausfertigung nach § 47 BeurkG) sind erst gegebenenfalls im Falle von Nachlassstreitigkeiten zu klären. Die Betreute selbst ist zunächst einmal nur Empfängerin der Willenserklärung, an deren Stelle tritt die Ergänzungsbetreuerin. Darüber hinaus reichende Reaktionsmöglichkeiten unterfielen der Testierfreiheit als höchstpersönliche, nicht der rechtlichen Betreuung zugängliche Angelegenheit.
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Bei der Auswahl der Betreuerin ist das Gericht dem bedenkenfreien Vorschlag der Betreuungsbehörde gefolgt. Der Widerrufende scheidet dafür nach vorstehenden Erwägungen wegen rechtlicher Verhinderung aus; für die Abkömmlinge gilt entsprechendes. Zwar ist streitig, ob § 1824 Abs. 1 Nr.1 BGB wegen der Beschränkung auf Rechtsgeschäfte auf die bloße Entgegennahme einer Willenserklärung anwendbar ist und dies zum Ausschluss von Abkömmlingen führt. In beiden Fällen ist der Interessenkonflikt bei typisierter Betrachtungsweise jedoch vergleichbar (vgl. Reymann a.a.O. Rn. 26). Eine Betreuerauswahl aus dem Kreis der Abkömmlinge der Testierenden gilt es daher jedenfalls im Ergebnis vor der Wertung der §§ 1824 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 181, 1816 Abs. 3 a.E. BGB und aus Gründen der Rechtssicherheit zu vermeiden. Es war daher mangels weiterer geeigneter Personen aus dem sozialen Umfeld oder ehrenamtlich Tätigen für den punktuellen Aufgabenkreis eine berufliche Anwaltsbetreuerin zu bestellen. Diese ist im Betreuungs- und Erbrecht erfahren. Den Vorschlag aus dem Kreis der Familie nach einer bestimmten anwaltlichen Betreuerin wurde aus den nachvollziehbaren Überlegungen der Betreuungsbehörde nicht gefolgt. Innerhalb der Angehörigen gibt es sich misstrauende Lager, sodass schon der Anschein vermieden wurde, hier wäre auf die Betreuerauswahl Einfluss genommen worden.
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Das Gericht hat einen Bericht der Betreuungsbehörde eingeholt.
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Gemäß § 293 Abs. 3 FamFG n.F. wird von der Möglichkeit des Absehens von einem Gutachten oder ärztlichen Zeugnis Gebrauch gemacht, da die Erweiterung des Aufgabenkreises nicht auf einem veränderten medizinischen Befund beruht (vgl. Schneider, FamRZ 2022, 1, 5).
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Der Betroffene wurde am 04.08.2023 in ihrer Einrichtung persönlich angehört und sich von ihr ein unmittelbarer Eindruck verschafft.
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Die Verfahrenspflegerin hat sich ausführlich schriftsätzlich geäußert.