Titel:
Erfolgloser Eilantrag gegen Abschiebungsanordnung nach Bulgarien im Dublin-Verfahren
Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Für junge, gesunde und arbeitsfähige männliche Dublin-Rückkehrer, deren Asylverfahren dort noch nicht abgeschlossen ist, liegen unter Berücksichtigung der neuesten Entwicklungen in Bulgarien derzeit keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vor. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Derartigen Antragstellern droht bei einer Rückkehr nach Bulgarien auch im Fall der Zuerkennung internationalen Schutzes durch diesen Mitgliedstaat nicht die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSd Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erfolgloser Eilantrag gegen Dublin-Bescheid bezüglich Bulgarien, Dublin-Verfahren, Abschiebungsanordnung nach Bulgarien, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen, Zuerkennung internationalen Schutzes, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, systemische Mängel, Sicherung der Existenz, VO (EU) Nr. 604/2013
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30140
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsanordnung nach Bulgarien im Rahmen des „Dublin-Verfahrens“.
2
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben syrischer Staatsangehöriger, arabischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens. Er wurde am 10. September 2023 von der Bundespolizeiinspektion Passau nach der Einreise aus Österreich aufgegriffen. Nachdem er kein Asylgesuch äußerte, wurde er in Sicherungshaft genommen.
3
Eine am 10. September 2023 durchgeführte Eurodac-Recherche ergab einen Treffer der Kategorie 1 für Bulgarien (Zeitpunkt der Antragstellung: 28. August 2023; …*).
4
Auf dieser Grundlage richtete das Bundesamt am 12. September 2023 ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO an Bulgarien, welches die bulgarischen Behörden mit Schreiben vom 15. September 2023 annahmen.
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Der Antragsteller äußerte am 28. September 2023 ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durch behördliche Mitteilung am selben Tag schriftlich Kenntnis erlangte. Am 28. September 2023 stellte er einen förmlichen Asylantrag. Bei der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags 28. September 2023 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, Deutschland sei das Ziel seiner Reise gewesen, er wolle auch in Deutschland bleiben und studieren. In Bulgarien seien ihm Fingerabdrücke genommen worden, anschließend habe man ihn in ein Camp gebracht. Auf Nachfrage gab der Antragsteller an, gesund zu sein.
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Mit Bescheid vom 4. Oktober 2023 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 auf AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2) und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Bulgarien an (Ziffer 3). In Ziffer 4 des Bescheides ordnete das Bundesamt das Einreiseund Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete es auf 11 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Auf die Begründung des Bescheids, der dem Antragsteller am 4. Oktober 2023 gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt wurde, wird Bezug genommen.
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Hiergegen ließ der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 9. Oktober 2023, der am gleichen Tag beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth einging, Klage erheben und einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage stellen. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine Überstellung des Antragstellers sei unmöglich im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO, was auch die Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung im Sinne des § 34 a AsylG zur Folge habe. In Bulgarien drohe dem Antragsteller im Falle einer Zuerkennung des internationalen Schutzes eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, die mit Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK nicht in Einklang stehe (VG Ansbach, B.v. 31.10.2022 – AN 14 S 22.50126).
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Der Antragsteller beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 3 im Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2023 verfügte Abschiebungsanordnung nach Bulgarien wird angeordnet.
9
Die Antragsgegnerin beantragt,
10
Das Verwaltungsgericht Bayreuth hat nach Anhörung der Beteiligten mit Beschlüssen vom 13. Oktober 2023 sowohl das Klageverfahren (B 3 K 23.50307) als auch das einstweiligen Rechtsschutzverfahren (B 3 S 23.50306) zuständigkeitshalber an das Verwaltungsgericht Ansbach verwiesen.
11
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Bundesamtsakten, die Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts Bayreuth und des Verwaltungsgerichts Ansbach sowie die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
12
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin.
13
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 9. Oktober 2023 gegen die in Ziffer 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 4. Oktober 2023 enthaltene Abschiebungsanordnung nach Bulgarien ist zulässig, aber unbegründet.
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Die vom Antragsteller erhobene Klage gegen diesen Bescheid entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG). Das Gericht der Hauptsache kann aber nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen. Grundlage dieser Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann.
15
Nach diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage, weil diese aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Die in Ziffer 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 4. Oktober 2023 getroffene Abschiebungsanordnung erweist sich nach summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2 AsylG) als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Demnach ordnet das Bundesamt die Abschiebung eines Ausländers in einen im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
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1. Bulgarien ist der für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständige Mitgliedstaat.
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Ausweislich des vom Bundesamt festgestellten EURODAC-Treffers der Kategorie 1 hat der Antragsteller am 28. August 2023 in Bulgarien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Das Bundesamt hat am 12. September 2023 ein Wiederaufnahmegesuch an die bulgarischen Behörden gestellt und damit die sich aus Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO ergebende zweimonatige Frist gewahrt, sodass die Bundesrepublik Deutschland nicht nach Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO für das Asylverfahren des Antragstellers zuständig geworden ist. Bulgarien hat das Gesuch mit Schreiben vom 15. September 2023 unter Bezugnahme auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO angenommen und damit seine Bereitschaft zur Wiederaufnahme des Antragstellers gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO erklärt. Damit ist Bulgarien der für das Asylverfahren des Antragstellers zuständige Mitgliedstaat.
19
Auf die Zuständigkeit Bulgariens gemäß den Kriterien von Kapitel III der Dublin III-VO kommt es daher grundsätzlich nicht mehr an (vgl. EuGH, U.v. 2.4.19 – C-582/17 und C-583/17 – juris).
20
Die Antragsgegnerin ist schließlich nicht wegen Ablaufs der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO zuständig geworden, denn diese wurde durch den vorliegenden, fristgerecht gestellten Antrag unterbrochen und läuft erst mit der Ablehnung des Antrags erneut an (vgl. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO a.E.).
21
2. Der Zuständigkeit Bulgariens steht weder Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO (hierzu a.) noch eine dem Antragsteller im Fall der Zuerkennung internationalen Schutzes durch Bulgarien dort drohende, gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung (hierzu b.) entgegen.
22
a. Es liegen keine außergewöhnlichen Umstände vor, welche die Zuständigkeit Bulgariens in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin III-VO entfallen lassen und zum Übergang der Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO führen würden.
23
aa. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylsuchenden in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht.
24
Diese Vermutung kann widerlegt werden, weshalb den nationalen Gerichten die Prüfung ob-liegt, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zu-ständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O.).
25
Mit Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – hat der Europäische Gerichtshof – wegen des allgemeinen und absoluten Charakters von Art. 4 GRCh gleichermaßen für Asylsuchende und Anerkannte – die Maßstäbe für Rückführungen im Dublin-Raum präzisiert. Aufgrund des fundamental bedeutsamen EU-Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens darf ein Asylsuchender hier-nach grundsätzlich immer in den Mitgliedstaat rücküberstellt werden, der nach der Dublin III-VO für die Bearbeitung seines Antrages zuständig ist bzw. ihm bereits Schutz gewährt hat, es sei denn, er würde dort ausnahmsweise aufgrund der voraussichtlichen Lebensumstände für längere Zeit dem „real risk“ einer Lage extremer materieller Not ausgesetzt, die gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. des insoweit inhaltlich gleichen Art. 3 EMRK verstößt, das heißt seine physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder ihn in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. dazu VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 38).
26
Die vom Europäischen Gerichtshof geforderte besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre etwa dann anzunehmen, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O.
27
Rn. 92 unter Verweis auf EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – M.S.S./Belgien und Griechenland; vgl. auch BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris).
28
Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O. Rn. 93.). Es lässt sich allerdings nicht völlig ausschließen, dass ein Asylsuchender oder Schutzberechtigter nachweisen kann, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die im Fall der Überstellung bedeuten würden, dass er sich aufgrund besonderer Verletzlichkeit unabhängig von seinem Willen und persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O).
29
Vor diesem Hintergrund liegen unter Berücksichtigung der neuesten Entwicklungen in Bulgarien im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrende wie den Antragsteller vor.
30
bb. Bei einer Rückkehr nach Bulgarien im Rahmen des Dublin-Verfahrens ist für die Rückkehrenden der Zugang zum Asylverfahren grundsätzlich gegeben. Die Bedingungen der Fortsetzung des Verfahrens und die Behandlung der Rückkehrenden sind je nach Status des dortigen Asylverfahrens unterschiedlich (vgl. AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 45 ff.).
31
Nach Rücküberstellung auf Grundlage der Dublin III-VO wird ein Asylverfahren eingeleitet bzw. wiederaufgenommen, wenn dieses noch nicht aufgrund einer inhaltlichen Prüfung bestandskräftig abgeschlossen ist. Eine solche Wiederaufnahme des Verfahrens ist für Personen, die aufgrund der Dublin III-VO überstellt werden, im bulgarischen Asyl- und Flüchtlingsgesetz seit 2015 zwingend vorgeschrieben. Diese Konstellation bildet den Regelfall, denn verlässt ein Antragsteller Bulgarien noch während des Asylverfahrens, wird sein Antrag in der Regel nicht mehr inhaltlich geprüft (vgl. AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 45; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 6).
32
Ist der Antrag auf die Gewährung von Asyl in Bulgarien in der Abwesenheit des Antragstellers inhaltlich abgelehnt worden, so wird der Antragsteller bei seiner Rückkehr nach Bulgarien als illegaler Einwanderer angesehen (vgl. AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 45, 71). Er kann in diesem Fall einen neuen Asylantrag stellen, welcher als Folgeantrag gilt (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 6). Als Folgeantragsteller erhält der Dublin-Rückkehrer keinen Zugang zu Unterkunft, Verpflegung und zu medizinischer Versorgung, vielmehr sind Dublin-Rückkehrende dann dem Risiko der Abschiebehaft und der anschließenden Abschiebung ausgesetzt (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 45, 71).
33
Dublin-Rückkehrer, die erstmals einen Asylantrag stellen oder deren Asylverfahren in Bulgarien fortgesetzt werden kann, werden in der Regel auf Antrag in Aufnahmeeinrichtungen untergebracht, sofern dort Unterbringungsplätze zur Verfügung stehen (vgl. AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 71). Die Asylbehörde SAREF ist für die Versorgung von Asylbewerbern zuständig. Seit Ende 2015 erhalten diese während des Verfahrens Unterkunft, Verpflegung und medizinische Grundversorgung (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 12 f.).
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Obwohl das Gesetz diesbezüglich keine ausdrücklichen Bestimmungen enthält, werden mittellose Asylbewerber im Falle begrenzter Unterbringungskapazitäten vorrangig untergebracht. Die Unterbringung außerhalb der Aufnahmezentren in privaten Wohnungen ist zulässig, jedoch nur für Asylbewerber, welche die Kosten für Miete und Nebenkosten selbst tragen können, denn sie haben während des Verfahrens auch keinen Anspruch auf sonstige materielle oder soziale Unterstützung (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 12 f.).Trotz des erheblichen Anstiegs der Ankunftszahlen in Bulgarien im Jahr 2022 um 55% im Vergleich zu 2021, das bereits einen Anstieg um 212% im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen hatte, waren die Aufnahmeeinrichtungen im Jahr 2022 durchschnittlich nur zu 77% ausgelastet (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 71), nach anderen Angaben sind sie im Mai 2023 zu etwa 50% belegt (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 17.5.2023, S. 13). Zudem würde Bulgarien nach Aussage der bulgarischen staatlichen Flüchtlingsagentur gegenüber dem österreichischen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einer Überstellung nicht zustimmen, wenn keine Unterbringungskapazitäten vorhanden wären (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Stand 17.5.2023, S. 16).
35
Die Belastung des Asylsystems in Bulgarien ist nach Rückgängen bis 2020 in den letzten Jahren wieder stark angestiegen: Ende des Jahres 2020 wurden 3.525 Anträge auf Asyl in Bulgarien verzeichnet, im Jahr 2021 wurden insgesamt 10.999 Anträge und 2022 wurden bereits 20.407 Anträge auf internationalen Schutz gestellt (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 7).
36
Bulgarien verfügt über Unterbringungszentren in Sofia (Ovcha Kupel, Vrazhdebna und Voenna Rampa), Banya, Pastrogor und Harmanli, die durch die Migrationsbehörde SAREF verwaltet werden (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 17.5.2023, S. 13 f.). Eine Unterbringung von Familien erfolgt nach Möglichkeit ohne deren Trennung. Die Unterbringungsbedingungen in den meisten der Aufnahmezentren wurden allerdings wiederholt als inadäquat beschrieben (vgl. AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 75). Trotz der durch die SAREF durchgeführten Teilrenovierungen sollen die Lebensbedingungen in den Aufnahmezentren schlecht sein und unter dem Mindeststandard liegen, bzw. diesen knapp erfüllen, insbesondere in Bezug auf die hygienischen Umstände. Dies gilt insbesondere in Bezug auf sanitäre Anlagen (vgl. AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 76 f.).
37
Asylbewerber haben in Bulgarien das Recht auf materielle Versorgung während des Asylverfahrens (BFA, Länderdokumentation der Staateninformation Bulgarien, Stand: 17.5.2023, S. 11). Zumindest bei einer Unterbringung in einer der Aufnahmeeinrichtungen besteht der Zugang zu materieller Versorgung (vgl. ADA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 72 f.). Mit Erhalt der Asylwerbekarte, welche die Verfahrensidentität bestätigt, ist das Recht gegeben, sich in Bulgarien aufzuhalten, auf Unterbringung und Versorgung, insbesondere durch die zur Verfügung gestellten Mahlzeiten, sowie auf Sozialhilfe im selben Ausmaß wie bulgarische Staatsangehörige, wobei jedoch die Auszahlung der Sozialhilfe für Asylbewerber 2015 eingestellt worden ist (vgl. BFA, Länderdokumentation der Staateninformation Bulgarien, Stand: 17.5.2023, S. 11). Zudem haben die Asylantragsteller das Recht auf medizinische sowie psychologische Behandlung und Bildung, auch stehen Dolmetscher in den Aufnahmezentren zur Verfügung (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 17.5.2023, S. 12).
38
Bereits während des Asylverfahrens haben Asylsuchende Zugang zur Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen, welche die Asylbewerber mit Integrationsleistungen und auch mit rechtlicher Hilfe unterstützen (BAMF-BMI, Aktuelle Entwicklung zur Rechtslage und Situation von Asylwerbern und anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien, Stand Mai 2019, S. 6; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 17.5.2023, S. 13).
39
Falls das Asylverfahren aus objektiven Umständen länger als drei Monate andauert, haben Asylbewerber schließlich noch während des laufenden Asylverfahrens Zugang zum Arbeitsmarkt (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 17.5.2023, S. 13).
40
cc. Anhaltspunkte dafür, dass das Asylverfahren des Antragstellers, der sich in Bulgarien nur wenige Tage aufgehalten hat und dort noch nicht angehört wurde, ausnahmsweise bereits inhaltlich geprüft worden wäre, sind weder vorgetragen noch ersichtlich, sodass von einer Wiederaufnahme des Asylverfahrens auszugehen ist.
41
Daher wird der Antragsteller voraussichtlich für die Dauer des Asylverfahrens und eines etwaigen Rechtsmittelverfahrens in den Aufnahmezentren der SAREF untergebracht. Die Aufnahmezentren verfügen weiterhin über gut ausreichende Kapazitäten. In der Aufnahmeeinrichtung wird dem Antragsteller Verpflegung zur Verfügung gestellt und es besteht eine medizinische Grundversorgung. Damit ist jedenfalls eine Minimalversorgung sichergestellt, die die elementarsten Bedürfnisse (in „Bett, Brot, Seife“) in der Regel befriedigt und eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigten Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erwarten lässt.
42
b. Dem Antragsteller droht bei einer Rückkehr nach Bulgarien auch im Fall der Zuerkennung internationalen Schutzes durch Bulgarien nicht die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK.
43
aa. Aufgrund des allgemeinen und absoluten Verbotscharakters des Art. 4 GRCh soll die Überstellung von Asylsuchenden im Rahmen des Dublin-Verfahrens auch in all den Situationen ausgeschlossen sein, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass die Asylsuchenden bei ihrer Überstellung oder infolge ihrer Überstellung Gefahr laufen werden, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 85 ff.).
44
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist es daher für die Anwendung von Art. 4 GRCh gleichgültig, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung oder während des Asylverfahrens oder erst nach dessen Abschluss dazu kommt, dass die betreffenden Personen aufgrund ihrer Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin III-VO einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wären, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 87 f.). Das Asylsystem des nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaates darf zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte dafür geben, dass den Rücküberstellten bei einer Rückkehr in den zuständigen Mitgliedstaat eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 88). Demgemäß ist nicht lediglich die Situation von Asylsuchenden als Dublin-Rückkehrende in den Blick zu nehmen, sondern es ist eine zusätzliche Abschätzung der Situation bei einer Zuerkennung internationalen Schutzes im zuständigen Mitgliedstaat erforderlich (VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 42; VG Würzburg, B.v. 11.12.2020 – W 8 S 20.50301 – juris Rn. 19).
45
Wie oben für Dublin-Rückkehrende bereits dargelegt, kann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in den vorherrschenden humanitären Bedingungen für anerkannte Schutzberechtigte erst gesehen werden, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht ist. Daher kann auch der Umstand, dass international Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der sie anerkannt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich reduziertem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne dabei anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, nur dann zur Feststellung der Gefahr einer Verletzung des Standards des Art. 4 GRCh führen, wenn der Antragsteller sich aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93 f.; U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 95; VG Ansbach, U.v. 21.5.2021 – AN 17 K 18.50704 – BeckRS 2021, 12738, Rn. 22). Dafür genügt es nicht, dass in dem Mitgliedstaat, in dem ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, höhere Sozialleistungen gewährt werden oder die Lebensverhältnisse besser sind als in dem Mitgliedstaat, der bereits internationalen Schutz gewährt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 97; VG Ansbach, U.v. 21.5.2021 – AN 17 K 18.50704 – BeckRS 2021, 12738, Rn. 22).
46
bb. Die Situation für anerkannte international Schutzberechtigte in Bulgarien stellt sich derzeit wie folgt dar:
47
Anerkannte Flüchtlinge haben – mit wenigen Ausnahmen, die die bulgarische Staatsbürgerschaft voraussetzen – grundsätzlich dieselben Rechte wie bulgarische Staatsbürger, subsidiär Schutzberechtigte haben dieselben Rechte wie Inhaber eines permanenten Aufenthaltstitels (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 21). Dabei erhalten anerkannte Flüchtlinge ein Identitätsdokument mit einer Gültigkeitsdauer von fünf Jahren, das Identitätsdokument der subsidiär Schutzberechtigten hat eine Gültigkeitsdauer von drei Jahren (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 103).
48
Der Besitz eines gültigen Identitätsdokuments ist Voraussetzung für die Ausübung fast aller Rechte wie u.a. des Rechts, sich in Bulgarien aufzuhalten, auf Unterbringung und Versorgung, sowie auf Sozialhilfe im gleichen Umfang wie bei bulgarischen Staatsbürgern sowie auf Krankenversicherung, medizinische Versorgung und Bildung (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 103). Antragsteller mit einer positiven Entscheidung erhalten eine entsprechende Ausweiskarte (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 21).
49
Voraussetzung für den Erhalt des Identitätsdokuments -sofern noch keine Ausweiskarte vorhanden ist – ist stets eine Registrierung in der zivilen Datenbank, bei der ein fester Wohnsitz angegeben werden muss (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 103). Dies stellt in der Praxis ein massives Problem für die Schutzberechtigten dar, denn für den Abschluss eines Mietvertrags ist wiederum ein Identitätsdokument erforderlich (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 111). Dieser vermeintliche Teufelskreis ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass die Angabe der Adresse der bisherigen Flüchtlingsunterkunft als Wohnsitz zur Erlangung von Ausweisdokumenten durch die bulgarische Staatliche Agentur für Flüchtlinge beim Ministerrat Ende 2016 untersagt wurde (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 103). Dementsprechend können anerkannt Schutzberechtigte bei der Beantragung der Dokumente keine gültige Wohnanschrift angeben, da es ihnen, in Ermangelung eben dieser Identitätsdokumente, verwehrt ist, eine Wohnung anzumieten (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 103). Dies führt unter anderem zu Korruptionspraktiken mit falschen Anmietungen und Adressregistrierungen (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 111, 103). Unter den Betroffenen ist es üblich, sich eine Meldeadresse zu „kaufen“. Die Preise liegen bei EUR 350 bis 400 pro Person. Die Migranten-„Communities“ helfen üblicherweise den Betroffenen dabei, diese Beträge aufzubringen (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 21). Zudem stellte das Innenministerium im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2021 13.829 Reiseausweise für Flüchtlinge und 17.871 Reiseausweise für Personen mit subsidiärem Schutzstatus aus, im Jahr 2022 634 Reiseausweise für Flüchtlinge und 6.674 Reiseausweise für subsidiär Schutzberechtigte (vgl. AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 110). Dies spricht in der Gesamtschau dafür, dass das Registrierungsproblem in der Praxis lösbar ist.
50
Ende des Jahres 2020 wurde in Bulgarien die gesetzlich verankerte finanzielle Unterstützung zur Unterbringung für einen Zeitraum von sechs Monaten abgeschafft (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 111). Nach einer positiven Entscheidung dürfen Schutzberechtigte noch 14 Tage in der Unterbringung für Asylbewerber bleiben. Danach dürfen in den Aufnahmezentren, in Ermangelung einer staatlichen Unterstützung bei der Integration, nach der Zuerkennung internationalen Schutzes nur noch manche besonders schutzbedürftigen Personen für ein paar Monate bleiben. Ende 2022 betrug die Zahl der in den Aufnahmezentren untergebrachten Schutzberechtigten 298 (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 111; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 21 f.). Ansonsten besteht für in Bulgarien anerkannt Schutzberechtigte keine Möglichkeit der staatlichen Unterbringung mehr.
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Wenn die Unterbringung in Aufnahmezentren nicht (mehr) möglich ist, sind anerkannte Schutzberechtigte darauf verwiesen, auf dem freien Wohnungsmarkt eine Wohnung zu finden. Die Wohnungssuche gestaltet sich für anerkannt Schutzberechtigte aufgrund der Sprachbarriere und der Unerfahrenheit der anerkannten Schutzberechtigten als sehr schwierig (vgl. AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 111). Es besteht zudem Zurückhaltung bulgarischer Vermieter, Wohnungen an anerkannt Schutzberechtigte zu vermieten (vgl. Auskunft des AA an das VG Potsdam zur Lage von in Bulgarien anerkannt Schutzberechtigten, vom 11.3.2021, S. 3; UNHCR, Municipal Housing Policies: A Key Factor for Successful Integration at the Local Level, 2020 (Sofia), S. 61).
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Von den vorhandenen Hilfsorganisationen selbst werden zwei Arten von Notunterkünften angeboten: Zentren für die vorübergehende Unterbringung können bis zu drei Monaten in einem Kalenderjahr eine Unterkunft bieten, mit der Möglichkeit einer Verlängerung um weitere 3 Monate. Weiterhin gibt es im Winter Notunterkünfte für eine Nacht für Obdachlose. In Ausnahmefällen bieten die Caritas Sofia und das bulgarische Rote Kreuz Notunterkünfte für bis zu 2 Wochen für vulnerable Personen an, die von Obdachlosigkeit bedroht sind (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 25).
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Die Unterbringung von Schutzberechtigten in kommunalen Wohnungen erfolgt auf der Grundlage der entsprechenden Verordnungen der jeweiligen Gemeinden. Die Zugangsvoraussetzungen können somit entsprechend variieren. Viele verlangen zumindest 5 bis 10 Jahre durchgehende Meldung und ständigen Wohnsitz in der Gemeinde (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 23). In vielen Gemeinden ist Voraussetzung für den Zugang, dass mindestens ein Familienmitglied die bulgarische Staatsangehörigkeit besitzt, was bei anerkannt Schutzberechtigten regelmäßig nicht der Fall ist (UNHCR, Municipal Housing Policies: A Key Factor for Successful Integration at the Local Level, 2020 (Sofia), S. 47). Daneben verlangen die Gemeinden eine mehrjährige Mindestwohndauer im Gemeindegebiet – je nach Gemeinde zwischen zwei und zehn Jahre – als Voraussetzung für den Zugang zu Sozialwohnungen (UNHCR, Municipal Housing Policies: A Key Factor for Successful Integration at the Local Level, 2020 (Sofia), S. 47).
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Das Sozialhilfegesetz nennt zwei grundlegende Formen der Sozialhilfe – die Gewährung von Sozialleistungen und die Erbringung von Sozialdiensten. Die monatliche finanzielle Unterstützung wird Schutzberechtigten unter denselben Bedingungen wie für bulgarische Staatsangehörige gewährt. Eine wichtige Voraussetzung ist die Registrierung bei den Arbeitsämtern. Schutzberechtigte haben Anspruch auf eine monatliche Mietzinsbeihilfe kommunale Wohnungen zu den für bulgarische Bürger geltenden Bedingungen. Weitere Sozialleistungen, zu denen Schutzberechtigte unter bestimmten Bedingungen Zugang haben, sind: die Heizbeihilfe; eine einmalige finanzielle Unterstützung zur Deckung von unvorhergesehenen Gesundheits-, Bildungs-, Logistikund anderen lebenswichtigen Bedürfnissen; eine einmalige finanzielle Unterstützung für die Ausstellung eines Identitätsdokuments; Sozialrente, soziale Altersrente, soziale Invaliditätsrente u.s.w. (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 23). Ohne festen Wohnsitz können anerkannt Schutzberechtigte keine Sozialleistungen erhalten, da diese bei der zuständigen Wohnsitzbehörde zu beantragen sind (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 112). Auch hierbei darf als Wohnsitz nicht die Adresse des vorherigen Aufnahmezentrums angegeben werden (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 112). Zudem ist die Beantragung mit bürokratischen und formalen Hürden verbunden (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 23), die anerkannt Schutzberechtigte nur mithilfe entsprechender Hilfsorganisationen, welche aber nicht immer verfügbar sind, überwinden können (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 112). Daneben setzen auch viele Sozialleistungen eine bestimmte Mindestwohndauer in der Gemeinde voraus, sodass sie von anerkannt Schutzberechtigten in den meisten Fällen nicht sofort beansprucht werden können (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 112).
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Schutzberechtigte haben in Bulgarien automatisch und bedingungslos Zugang zum Arbeitsmarkt (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 111). Gleichwohl gestaltet sich eine erfolgreiche Arbeitssuche als schwierig. Übliche Probleme sind die mangelnden Sprachkenntnisse und eine fehlende staatliche Unterstützung (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 111; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 24). Darüber hinaus ist auch für die Annahme einer (legalen) Erwerbstätigkeit wiederum ein gültiges Identitätsdokument erforderlich (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 103; UNHCR, Municipal Housing Policies: A Key Factor for Successful Integration at the Local Level, 2020 (Sofia), S. 43). Arbeitsplatzangebote beziehen sich oftmals auf einfache Tätigkeiten in der Landwirtschaft und in der Gastronomie, für die eine besondere Ausbildung oder Sprachkenntnisse nicht erforderlich sind. Die Mehrheit der arbeitenden anerkannten Schutzberechtigten ist entweder in schlecht bezahlten unqualifizierten Jobs oder bei Arbeitgebern gleicher Herkunft beschäftigt, die sich in Bulgarien (vornehmlich in Sofia) ein Geschäft aufgebaut haben. Manche Arbeitgeber gehen gezielt auf die staatliche Flüchtlingsagentur und Nichtregierungsorganisationen zu, um anerkannte Flüchtlinge einzustellen. Auch Nichtregierungsorganisationen selbst beschäftigten einige Schutzberechtigte. Einige Flüchtlinge finden einen Arbeitsplatz durch Nichtregierungsorganisationen, Online-Arbeitsvermittlungen, Mund-Propaganda oder mithilfe von Flüchtlingsorganisationen (OVG Berlin-Brandenburg, U. v. 18.12.2019 – OVG 3 B 8.17 –, juris Rn. 64 m. w. N.; VGH Baden-Württemberg, B. v. 13.10.2022, A 4 S 2182/22, juris; OVG Münster, B. v. 16.12.22 – 11 A 1397/21.A –, juris Rn. 104).
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Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Bulgarien stellen sich nach den aktuellen Erkenntnismitteln folgendermaßen dar: nach gegenwärtigem Stand scheint der bulgarische Arbeitsmarkt insgesamt verhältnismäßig gut durch die Pandemie gekommen zu sein. So lag die Arbeitslosigkeit in Bulgarien im Jahr 2020 bei 6,1%, während für die gesamte EU die Quote mit 7,2% angegeben wird (vgl. eurostat, Data Browser, https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/tps00203/default/table?lang=de, zuletzt abgerufen am 17. Oktober 2023). Die Arbeitslosenrate ist sodann weiter gefallen und beträgt aktuell 4,6% (vgl. Startseite des Nationalen Statistischen Instituts, https://www.nsi.bg/bg, zuletzt aufgerufen am 17. Oktober 2023). Seit dem 1. Januar 2023 beträgt der monatliche Mindestlohn in Bulgarien 780 Bulgarische Lew (BGN), zugleich sind die Lebenshaltungskosten niedriger als in allen anderen EU-Mitgliedstaaten (vgl. zum Ganzen: EURES, Lebens- und Arbeitsbedingungen Bulgarien, Stand: November 2022, https://ec.europa.eu/eures/public/living-and-working/living-and-working-conditions/living-and-working-conditions-bulgaria_de, zuletzt abgerufen am 17.10.2023).
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Hinsichtlich der Gesundheitsversorgung sind anerkannt Schutzberechtigte bulgarischen Staatsangehörigen gleichgestellt; ab Schutzzuerkennung müssen sie monatliche Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von mindestens BGN 44,80 (22,90 EUR) selbst bezahlen (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 112 f., 81). Das führt dazu, dass viele anerkannt Schutzberechtigte ohne Versicherung bleiben (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 24). Die medizinische Versorgung von Kindern unter 16 Jahren wird aus dem Staatshaushalt bezahlt (vgl. Website der Europäischen Kommission, aufgerufen am 18.10.2023 unter https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1103& langId=de& intPageId=4432). Hinzu kommen bei Ärzten und Krankenhäusern häufig sogenannte „out-of-Pocket“-Zahlungen, die ebenfalls aus eigenen finanziellen Mitteln zu erbringen sind und in Kombination mit den zu leistenden Krankenkassenbeiträgen zu einer unverhältnismäßigen Belastung der zahlreichen einkommensschwachen Haushalte führen (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 24).
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Problematisch ist, dass wegen des schlechten Allgemeinzustandes des Gesundheitssystems aufgrund finanzieller und materieller Defizite viele chronische Krankheiten nicht behandelt werden können und viele notwendige Medikamente nicht verfügbar sind (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 112 f., 46). Unabhängig vom Bestehen einer Versicherung wird allerdings die Nothilfe durch das Ministerium für Gesundheit gedeckt (vgl. Website der Europäischen Kommission, https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1103& langId=de& int-PageId=4432, zuletzt aufgerufen am 5.10.2023). Außerdem hängt der Zugang zur Gesundheitsversorgung ebenfalls vom Besitz eines gültigen Identitätsdokuments ab (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 103).
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Das bulgarische Integrationssystem stützt sich stark auf internationale und nichtstaatliche
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Organisationen. Derzeit gibt es in Bulgarien keine staatlichen Mechanismen zur Unterstützung der Kommunen bei der Integrationsplanung. Anerkannt Schutzberechtigte haben aber Zugang zu den Hilfeleistungen kommunaler und karitativer Einrichtungen in Bulgarien, sowie zu internationalen und bulgarischen Nichtregierungsorganisationen, wie etwa dem Bulgarischen Roten Kreuz, der Caritas oder dem vom UNHCR finanzierten Bulgarian Helsinki Commitee (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 24 f.). Diese bieten den Schutzberechtigten Unterstützung etwa bei der Arbeitssuche, durch Sachleistungen, beim Zugang zu medizinischer Versorgung, Integrationsmaßnahmen (beispielsweise Sprachkurse), kurzzeitige Unterbringungsmöglichkeiten und soziale und psychologische Beratung (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 21). Die Caritas Bulgarien betreibt das sogenannte Refugee and Migrant Integration Center Sveta Anna in Sofia, wo soziale Beratung, psychologische Hilfe, Sprachtraining, Hilfe bei Meldeangelegenheiten, Registrierung beim praktischen Arzt, Unterstützung bezüglich Wohnen und Arbeit, ein Mentoring-Programm und weitere Integrationsmaßnahmen angeboten werden (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 24 f.).
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In Bulgarien existiert eine Integrationsverordnung vom 19. Juli 2017 (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 101), die den Abschluss individueller Integrationsvereinbarungen auf Wunsch der Gemeinde und mit Zustimmung des Schutzberechtigten innerhalb von drei Jahren ab Schutzgewährung vorsieht (BFA, Bulgarien, Situation von subsidiär Schutzberechtigten, 19.07.2021 (Wien), S. 7). Eine Verpflichtung der Gemeinden zur Teilnahme an dem Integrationsprogramm oder zur Schaffung günstigerer Konditionen für die Integration gibt es nicht. Grundsätzlich kann ein Integrationsvertrag zwischen einem anerkannten Flüchtling (nicht jedoch einem subsidiär Schutzberechtigten) und dem Bürgermeister einer Gemeinde abgeschlossen werden. Die beiden Sofioter Bezirke Vitosha und Oborishte sind weiterhin die einzigen, die Integrationsvereinbarungen mit neu anerkannten Flüchtlingen in Bulgarien abgeschlossen haben (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 22.8.2023, S. 22). Obwohl für jeden einzelnen Schutzberechtigten die finanziellen Mittel für eine Integrationsvereinbarung bereitstünden, werden diese von den Gemeinden seit Jahren nicht abgerufen (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 102).
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Für die Kinder international Schutzberechtigter besteht laut Auskunftslage Zugang zum bulgarischen Schulsystem (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 Update, S. 112, 80).
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cc. Im Falle des Antragstellers bedeutet dies, dass er im Falle einer Anerkennung als international Schutzberechtigter in Bulgarien mit den notwendigen Ausweispapieren ausgestattet würde, sodass er sich in der nationalen Datenbank registrieren lassen könnte. Auf dieser Grundlage könnte er die (geringen) Sozialhilfeleistungen, die der bulgarische Staat bzw. die Kommunen gewähren, grundsätzlich in Anspruch nehmen. Für viele dieser Leistungen dürfte es für ihn aber an der als Anspruchsvoraussetzung verlangten langjährigen Niederlassung in einer bulgarischen Gemeinde fehlen. Auch bestünde im dargestellten Umfang Zugang zu Notschlafeinrichtungen. Daneben wären aufgrund der Tatsache, dass die bulgarische Integrationsverordnung praktisch nur auf dem Papier existiert und nicht in der Praxis umgesetzt wird weitere Integrationsleistungen wie Sprachkurse oder eine wenigstens zeitweise Unterbringung in einer staatlichen Einrichtung nicht zu erreichen. Allerdings wäre er berechtigt, in Bulgarien zu arbeiten.
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Der Antragsteller wäre daher neben den bereits erwähnten Sozialleistungen und den genannten Hilfen von Seiten nichtstaatlicher Organisationen im Wesentlichen für die Deckung seiner Grundbedürfnisse auf eigene Mittel angewiesen. Außer seiner Arbeitskraft stehen ihm dabei soweit erkennbar keine Möglichkeiten zur Verfügung. Allerdings ist der Antragsteller jung und grundsätzlich arbeitsfähig. Hinzu kommt, dass der Antragsteller in Bulgarien nur für seinen eigenen Unterhalt aufzukommen hat. Daher dürfte es ihm möglich sein durch seine Arbeitskraft eine Arbeit zu finden, mit der ihm ein Leben am Rande des Existenzminimums möglich sein dürfte.
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Die Einzelrichterin verkennt nicht, dass die Lebensverhältnisse in Bulgarien für den Antragsteller ungleich härter sind als in Deutschland und es für den Antragsteller in Bulgarien aufgrund des dortigen Systems und verglichen mit den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein kann, sich eine Existenz zu schaffen und zu erhalten. Die Leistungen des bulgarischen Staates bleiben weit hinter denen der Bundesrepublik Deutschland zurück.
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Der Antragsteller wird jede angebotene Erwerbstätigkeit annehmen müssen, auch Tätigkeiten, die mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden und schlecht bezahlt sind. Auch die Tatsache, dass der Antragsteller anders als bulgarische Staatsangehörige nicht über ein Unterstützungsnetzwerk verfügt, wird ihn in Bulgarien vor Probleme stellen. Dennoch ist es nicht so, dass ihm die Schaffung einer Existenzgrundlage durch den Einsatz seiner Arbeitskraft unmöglich gemacht würde. Vielmehr liegen die Grundvoraussetzungen wie ein Aufenthaltsrecht und eine Arbeitserlaubnis vor, auch gewisse Integrationsleistungen werden erbracht, sodass sich der Antragsteller in zumutbarer Weise eine Lebensgrundlage schaffen und erhalten kann. Daneben existieren Unterstützungsleistungen von zivilgesellschaftlicher Seite, die ebenfalls zu berücksichtigen sind.
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Es ist damit nicht ersichtlich, dass der Antragsteller in Bulgarien unverschuldet in eine Situation geraten würde, die nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht mit Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK vereinbar wäre.
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3. Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland notwendig machen könnten, sind nicht ersichtlich.
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4. Der Abschiebungsanordnung stehen keine Abschiebungshindernisse entgegen, welche bei einer Überstellung des Antragstellers nach Bulgarien Berücksichtigung finden müssten. Dies gilt sowohl für zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, als auch für inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, welche die Antragsgegnerin im Rahmen des Erlasses einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenfalls zu überprüfen hat (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810, 10 C 15.813 – juris Rn. 4).
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Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind nicht ersichtlich. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bestehen nicht, denn wie bereits dargestellt droht dem Antragsteller in Bulgarien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt ebenfalls nicht in Betracht, da der Antragsteller keine einer Abschiebung entgegenstehenden gesundheitlichen Beschwerden im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG angegeben hat.
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Im Übrigen wird auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids gemäß § 77 Abs. 3 AsylG verwiesen.
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Nach alldem war der Antrag in Ermangelung hinreichender Erfolgsaussichten des gegen die Abschiebungsanordnung gerichteten Rechtsbehelfs in der Hauptsache abzulehnen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.