Titel:
Erfolgloser Eilantrag der Nachbarn gegen Anbau an Wohngebäude – Abstandsfläche
Normenkette:
BayBO Art. 6 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine Nutzungsänderung löst eine abstandsflächenrechtliche Neubeurteilung oder Gesamtbeurteilung aus, wenn sie sich negativ auf die Schutzgüter des Abstandsflächenrechts auswirken kann. Bei Anbauten an bestandsgeschützte Anlagen ist darauf abzustellen, ob sich durch den Anbau eine neue einheitliche Außenwand bildet, die eine Gesamtbeurteilung auch der Abstandsflächen der bestandsgeschützten Anlage notwendig macht. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Drittschutz durch die Festsetzung eines Bebauungsplans ist immer dann anzunehmen, wenn sie in ein wechselseitiges (nachbarliches) Austauschverhältnis gestellt und damit vergleichbar einem Gebietserhaltungsanspruch eine „bodenrechtliche Schicksalsgemeinschaft“ gebildet werden sollte. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Über das Gebot der Rücksichtnahme wird in bebauten Ortslagen kein genereller Schutz des Nachbarn vor jeglichen (weiteren) Einsichtsmöglichkeiten vermittelt; allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen kann sich etwas Anderes ergeben.(Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage gegen Anbau an bestehendes Wohngebäude, Notwendigkeit einer abstandsflächenrechtlichen Neubeurteilung / Gesamtbeurteilung (verneint), neue einheitliche Außenwand, (nachbarliches) Austauschverhältnis, Befreiung, Gebot der Rücksichtnahme, Einsichtsmöglichkeiten
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30114
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller als Gesamtschuldner. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten im Wege einstweiligen Rechtsschutzes über die Rechtmäßig einer der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung für den „Umbau und die Erweiterung eines Einfamilienhauses in ein Dreifamilienhaus“ auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung … (* …*) in … Das eingangs genannte Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. * „…“ aus dem Jahr 1964 (mit letzter Änderung für das streitgegenständliche Grundstück von 1971). Der streitgegenständliche Bebauungsplan sieht hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet (WA) vor. Für das streitgegenständliche Grundstück wird ein Baufeld durch Baugrenzen sowie hinsichtlich der Zahl der Vollgeschosse (E+U) mit der textlichen Ergänzung „Höchstgrenze Dachneigung 25 bis 35°“ festgelegt. Das Grundstück ist aktuell mit einem Einfamilienhaus bebaut, welches das aktuelle Baufeld bereits vollständig ausnutzt.
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Die Antragsteller sind Eigentümer des östlich angrenzenden Grundstücks FlNr. … (* …*), welches ebenfalls mit einem Einfamilienhaus bebaut ist.
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Mit Bauantrag vom 8. November 2022 begehrte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für das eingangs genannte Vorhaben. Ausweislich der Bauvorlagen ist die Errichtung zweier Dachgauben an der nördlichen Seite des Satteldachs sowie zweier Dachgauben an der südlichen Seite des Satteldachs geplant. Zwischen den südlichen Dachgauben ist die Errichtung einer Loggia geplant. Südlich soll an das bestehende Gebäude unter Wegfall der dort errichteten Terrasse ein eingeschossiger Anbau mit Wohnnutzung errichtet werden. Der Anbau ist aus Sicht des Grundstücks der Antragsteller um ca. 2,40 m nach Westen zurückversetzt (im Vergleich zur bereits bestehenden östlichen Giebelwand des Bestandsgebäudes). An der östlichen Giebelwand des Bestandsgebäudes, welche eine Firsthöhe von 9,00 m über der natürlichen Geländeoberfläche aufweist, sind keine baulichen Veränderungen geplant. Die Dachfläche des Anbaus soll als Dachterrasse genutzt werden, deren Umwehrung ca. 3,70 m über der natürlichen Geländeoberfläche endet. Mit dem Bauantrag wurden zugleich Befreiungen vom streitgegenständlichen Bebauungsplan hinsichtlich der Überschreitung der Baugrenzen nach Süden sowie der Dachneigung bezüglich des Anbaus beantragt.
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Die Gemeinde erteilte ihr Einvernehmen hierzu mit Schreiben vom 14. Dezember 2022.
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Mit Baugenehmigungsbescheid vom 28. Februar 2023 wurde die Baugenehmigung unter Erteilung der begehrten Befreiungen erlassen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Grundkonzeption des Bebauungsplans und damit die Grundzüge der Planung durch die Befreiung nicht berührt würden. Eine Vereinbarkeit mit öffentlichen Belangen sei gegeben. Die Befreiungen seien städtebaulich vertretbar, da diese mit der städtebaulichen Entwicklung vereinbar seien. Eine Bewertung der Bauherren- und Nachbarinteressen sei vorgenommen worden, so dass die Befreiungen auch unter Würdigung der nachbarlichen Interessen hätten erteilt werden können. Die Befreiungen erfolgten nach § 31 Abs. 2 BauGB im pflichtgemäßen Ermessen der Bauaufsichtsbehörde.
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Mit Schriftsatz vom 30. März 2023 ließen die Antragsteller Klage gegen den Genehmigungsbescheid erheben. Über die Klage ist bisher noch nicht entschieden.
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Mit Bauantrag vom 20. Juli 2023 reichte die Beigeladene eine weitere Tektur über die Gemeinde zu obigem Vorhaben ein und beantragte die Genehmigungsfreistellung. Ausweislich der diesbezüglich eingereichten Bauvorlagen soll auf diesem Wege nur noch eine der geplanten nördlichen Dachgauben errichtet werden. Ebenso soll die Loggia im südlichen Bereich errichtet werden. Die Errichtung eines Anbaus nach Süden ist hiernach nicht geplant. Den Plänen ist allerdings eine Glasüberdachung für die existierende Terrasse zu entnehmen. Im Übrigen sind nur Umbauten im Inneren geplant.
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Mit Schreiben der Gemeinde vom 31. Juli 2023 teilte diese gegenüber dem Landratsamt mit, dass kein Baugenehmigungsverfahren durchgeführt werden solle. Die Beigeladene übermittelte dem Landratsamt eine Baubeginnsanzeige datierend vom 29. August 2023, in welcher der Tag des Baubeginns auf den 11. September 2023 gelegt wurde. Auf Nachfrage des Landratsamts teilte die Beigeladene mit E-Mail vom 29. September 2023 mit, dass sich die Baubeginnsanzeige auf das genehmigungsfreigestellte Vorhaben beziehe. Die Baubeginnsanzeige diene explizit nicht der Realisierung des mit Genehmigungsbescheids vom 28. Februar 2023 genehmigten Vorhabens.
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Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 19. September 2023 beantragten die Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz. In tatsächlicher Hinsicht wird ausgeführt, dass bereits der Bestandsbau, der durch das geplante Bauvorhaben ebenfalls umgebaut werden solle, von den Festsetzungen des Bebauungsplans abgewichen sei. Der Bestandsbau überschreite sowohl in Richtung Norden als auch in Richtung Osten das Baufenster nach dem Bebauungsplan. Zudem halte der Bestandsbau in Richtung Osten die Abstandsflächen nicht ein. Zwischen der östlichen Außenwand des Bestandsbaus und der östlichen Grundstücksgrenze – der Grundstücksgrenze zu den Antragstellern – lägen 3 m. Der Bestandsbau habe am First der Ostseite eine Höhe von 9 m. Die einzuhaltende der Abstandsfläche müsse damit 3,60 m betragen. Über eine Breite von 6,56 m und eine maximalen Tiefe von 0,6 m lägen die Abstandsflächen jedoch auf dem Grundstück der Antragsteller. Eine Befreiung von den nach Art. 6 BayBO einzuhaltenden Abstandsflächen sei weder beantragt noch genehmigt worden. Der geplante Anbau sei überdimensioniert und werde die Sicht aus den Wohnräumen der Antragsteller versperren. Die Belichtung und Besonnung der Wohnräume der Antragsteller werde durch die geplanten Umbaumaßnahmen erheblich beeinträchtigt. Durch die geplanten weiteren Stellplätze und durch den Ausbau zu einem Dreifamilienhaus sei mit einem stark erhöhten Verkehrsaufkommen und Personenverkehr zu rechnen. Die Wohnqualität der Antragsteller werde hierdurch erheblich beeinträchtigt. Die Beigeladene habe bereits mit Baumaßnahmen begonnen. Es sei Baumaterial geliefert, Bauschuttcontainer positioniert und Baugerüste aufgebaut worden. Außerdem sei das Dach bereits teilweise abgedeckt (unter Verweis auf Fotos).
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In rechtlicher Hinsicht ist ausgeführt, dass die Anfechtungsklage begründet sei, da die Baugenehmigung rechtswidrig sei und die Antragsteller in ihren Rechten verletze. Das Bauvorhaben verstoße gegen die Abstandsflächenvorschrift des Art. 6 BayBO, da die Abstandsflächen in Richtung Osten nicht vollständig auf dem Grundstück der Beigeladenen lägen. Zwar habe bereits der Bestandsbau die Abstandsflächen nicht eingehalten, aber aufgrund des massiven Um- und Erweiterungsbaus von einem Einfamilienhaus zu einem Dreifamilienhaus könne sich die Beigeladene nicht mehr auf einen etwaig bestehenden Bestandsschutz berufen. Im Fall der Änderung einer baulichen Anlage müsse grundsätzlich das Gesamtvorhaben in seiner geänderten Gestalt Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung sein. Die geplante Maßnahme erfasse damit genehmigungsrechtlich das gesamte Gebäude und durchbreche den Bestandsschutz. Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO könne zwar die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von den Anforderungen dieses Gesetzes zulassen, wenn diese mit den nachbarlichen Belangen vereinbar seien, aber vorliegend sei weder eine Abweichung bezüglich der Abstandsflächen beantragt noch genehmigt worden. Neben den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften gelte es auch, das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme zu berücksichtigen. Das Bauvorhaben der Beigeladenen verstoße in vielerlei Hinsicht gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans (Dachneigung und Baugrenzenüberschreitung), so dass dadurch der Grundsatz der Planung gestört sei. Das Bauvorhaben der Beigeladenen liege völlig außerhalb der Baugrenzen. Bei dem streitgegenständlichen Gebiet handle es sich um ein allgemeines Wohngebiet, welches weit überwiegend mit Einfamilienhäusern und einer lockeren Bebauung bebaut sei. Durch das Bauvorhaben werde dieses Bild erheblich gestört. Die Beigeladene plane ein Dreifamilienhaus mit Einliegerwohnung und entsprechend vielen Stellplätzen vor dem Haus. Der Bau füge sich aufgrund des Umfanges nicht in das Gebiet ein. Schon allein aufgrund der zusätzlichen Stellplätze und dem hierdurch entstehenden erhöhten Verkehrsaufkommen sei der Wohnfriede erheblich beeinträchtigt und die Antragsteller in ihren Eigentumsrechten verletzt. Auch aufgrund der nicht eingehaltenen Abstandsflächen und der Baugrenzenüberschreitung seien die Rechte der Antragsteller als Nachbarn in nicht hinnehmbarer Weise verletzt. Eine ausreichende Belüftung, Besonnung und Belichtung des unmittelbar angrenzenden Grundstückes der Antragsteller sei durch die enorme Erweiterung des Einfamilienhauses der Beigeladenen nicht mehr gewährleistet. Der geplante Erweiterungsbau sei für den Süden des Anwesens geplant. Dies sorge für eine erhebliche Beschattung auf dem Grundstück und insbesondere im Garten der Antragsteller. Aufgrund der Straßenkurve vor dem Anwesen der Beigeladenen und der Antragsteller gebe es ohnehin eine bereits angespannte Parksituation. Durch die geplante Dachterrasse würden außerdem neue Einblickmöglichkeiten in das Grundstück der Antragsteller geschaffen. Darüber hinaus sei laut angegriffener Baugenehmigung ein zusätzlicher Eingang in das geplante Dreifamilienhaus auf der Grundstücksseite der Antragsteller vorgesehen. Der geplante Eingang liege nicht an der Straßenseite des Anwesens der Beigeladenen, sondern im Garten des Anwesens. Folglich werde auch der Garten der Antragsteller nur noch bedingt und nicht mehr ungestört nutzbar sein. Es entstehe ein großes Aufkommen an Personenverkehr aufgrund der erhöhten Einwohnerzahl des Dreifamilienhauses und deren Gäste. Die Antragsteller würden hierdurch in der Wohnqualität, die in einem allgemeinen Wohngebiet vorherrsche, erheblich gestört. Durch diesen neuen Eingang würden ebenfalls neue Einblickmöglichkeiten in das Grundstück der Antragsteller geschaffen. Der geplante 7 m lange Anbau versperre die Sicht der Antragsteller aus deren Wohnräumen. Die Wohnräume würden durch den überdimensionierten Anbau verschattet.
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Mit Schriftsatz vom 19. September 2023 beantragen die Antragsteller:
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Die aufschiebende Wirkung der gegen den Baugenehmigungsbescheid des Landratsamts … vom 28. Februar 2023 eingereichten Klage der Antragsteller vom 30. März 2023 wird angeordnet.
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Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2023 beantragt der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass die laufenden Baumaßnahmen nach Meinung des Landratsamtes gerade nicht aufgrund der erteilten und beklagten Baugenehmigung vom 28. Februar 2023 erfolgten. Vielmehr sei auf die Bestätigung durch die Bauherrin (Beigeladene) mit ihrer E-Mail vom 29. September 2023 zu verweisen, in der diese darlege, dass die Baumaßnahmen das Genehmigungsfreistellungsverfahren beträfen. Selbst wenn also entgegen der Auffassung des Landratsamtes die aufschiebende Wirkung durch das Gericht angeordnet werden würde, dürfte die Beigeladene rechtmäßig weiterbauen. Das Landratsamt gehe davon aus, dass von Seiten der Beigeladenen eine entsprechende Erklärung vorgelegt werde, dass der streitgegenständliche Baugenehmigungsbescheid nicht mehr weiterverfolgt werden solle. Sollte dieser erwartete Verzicht auf die Baugenehmigung erfolgen, sei von einer Erledigung des vorliegenden Verfahrens auszugehen.
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In rechtlicher Hinsicht wird ausgeführt, dass die Abstandsflächen des im Rahmen der Baugenehmigung genehmigten Anbaus vollständig auf dem Gelände der Bauherrin lägen. Dem Abstandsflächenplan sei tatsächlich zu entnehmen, dass ein geringer Teil der Abstandsflächen der Giebelseite des Bestandsgebäudes – jedenfalls wenn es sich um eine Neuerrichtung handeln würde – die Grundstücksgrenze hin zum Grundstück der Antragsteller überschreite. Hierbei gehe es jedoch gerade um Abstandsflächen der Gebäudeseite, die baulich nicht verändert werden solle. Zum Zeitpunkt der Genehmigung des Bestandsgebäudes seien die damaligen abstandsrechtlichen Vorgaben der BayBO erfüllt gewesen. Aufgrund der gesetzlichen Änderung der Bayerischen Bauordnung aus dem Jahr 2021 gäbe es jedoch Fälle, in welchen vorhandene Gebäude die Abstandsflächen zum heutigen Zeitpunkt an der Giebelseite eines Gebäudes nicht mehr einhalten würden. Vor der Gesetzesänderung habe aber wie beschrieben gerade keine Überschreitung der Grundstücksgrenze durch das Bestandsgebäude vorgelegen, so dass in dieser Hinsicht mangels abstandsflächenrechtlich relevanter Änderungen des Hauptgebäudes von Bestandsschutz auszugehen sei. Die Abstandsflächensituation verschlechtere sich durch den genehmigten Verfahrensgegenstand im Hinblick auf das Klägergrundstück nicht. Die Änderungen am Gebäude insgesamt hielten für sich gesehen die notwendigen Abstandsflächen ein. Sei eine Verschlechterung der abstandsflächenrechtlichen Situation nicht erkennbar, so bedürfe die Änderung keiner abstandsflächenrechtlichen Gesamtbeurteilung (unter Verweis auf Rechtsprechung). Die gegenteilige Auffassung würde dazu führen, dass ohne erkennbare Vorteile für die Allgemeinheit oder den Nachbarn jede Änderung eines grenznahen Gebäudes grundsätzlich unzulässig wäre. Es ergäben sich keine Beeinträchtigungen der geschützten Belange der Antragsteller, da keine Verletzung des Abstandsflächenrechts vorliege.
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Auch das Gebot der Rücksichtnahme sei durch die Baugenehmigung nicht verletzt. Im Grundsatz sei bei Einhaltung der Abstandsflächenvorgaben davon auszugehen, dass ein Verstoß gegen das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme nicht vorläge. Ein Ausnahmefall sei vorliegend nicht gegeben, insbesondere auch keine erdrückende Wirkung durch die Änderung des Gebäudes anzunehmen. Es werde ein eingeschossiger Anbau mit Dachterrasse genehmigt. Die gerügte Beeinträchtigung der Belichtung, Belüftung und Besonnung des Klägergrundstücks liege durch den ausreichenden Abstand des Anbaus nicht vor, da die Abstandsflächen eingehalten seien. Im Hinblick auf Einsichtnahmemöglichkeiten durch die neu genehmigte Dachterrasse in das Antragstellergrundstück werde mitgeteilt, dass hier eine weitere Wohnnutzung auf eine vorhandene Wohnnutzung treffe. Unter dem Gesichtspunkt der Nutzungsart komme ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme daher nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen in Betracht (unter Verweis auf Rechtsprechung). Das Rücksichtnahmegebot gebe den Nachbarn insbesondere nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung, speziell von jeglichen Einblicken, verschont zu bleiben (unter Verweis auf Rechtsprechung). Die Dachterrasse liege ca. 5 m von der Grundstücksgrenze und ca. 13 m vom Nachbargebäude entfernt, so dass von Seiten des Landratsamtes davon ausgegangen werde, dass eventuell zusätzlich entstehende Einblickmöglichkeiten nicht unzumutbar seien. Die erforderlichen Stellplätze seien planerisch nachgewiesen und von einer Beeinträchtigung aufgrund eines erhöhten Verkehrsaufkommens sei vorliegend nicht auszugehen. Die darüber hinaus dargelegten Argumente (Baugrenzenüberschreitung und Dachform) seien nicht drittschützend, wobei die erteilten Befreiungen ohnehin auch rechtmäßig erfolgt seien.
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Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2023 äußerte sich die Beigeladene, ohne einen Antrag zu stellen. Im Übrigen nimmt das Gericht Bezug auf die Akten.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid ist zulässig, aber unbegründet.
19
Nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, soweit der Klage – wie im vorliegenden Fall – aufgrund § 80 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 212a BauGB keine aufschiebende Wirkung zukommt. Hierbei trifft das Gericht eine originäre Ermessensentscheidung, welche sich in erster Linie an den Erfolgsaussichten der Hauptsache (BayVGH, B. v. 26.4.2021 – 15 CS 21.1081 – juris Rn. 22) orientiert. Dem Charakter des vorläufigen Rechtsschutzes entspricht es, dass diese Prüfung grundsätzlich nur summarisch erfolgt, da für eine Beweisaufnahme grundsätzlich bei diesen Verfahren kein Raum bleibt. Bei offenen Erfolgsaussichten wird die Ermessensentscheidung anhand einer Interessenabwägung getroffen (BayVGH a.a.O.).
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1. Die Anfechtungsklage hat nach summarischer Prüfung wohl keine Aussicht auf Erfolg, da die angegriffene Baugenehmigung rechtmäßig ist und die Antragsteller nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21
Einem Kläger kommt im Rahmen einer Drittanfechtungsklage gegen eine an einen Dritten gerichtete Baugenehmigung kein Vollüberprüfungsanspruch zu. Vielmehr kann der Kläger als Nachbar nur solche Rechtsverletzungen ins Feld führen, die auf Normen beruhen, die in qualifizierter und individualisierter Weise gerade auch dem Schutz des Klägers dienen (BayVGH, B. v. 26.5.2020 – 15 ZB 19.2231 – juris Rn. 8).
22
1.1 Ein Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht ist nicht gegeben.
23
Die Abstandsflächenregelungen des Art. 6 BayBO sind für den Eigentümer des Nachbargrundstücks drittschützend (BayVGH, U. v. 21.7.2020 – 15 B 19.832 – juris Rn. 22 = NVwZ-RR 2020, 1004). Der Schutzzweck des Abstandsflächenrechts besteht für den Nachbarn gerade darin, Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie ggf. einen ausreichenden Sozialabstand zu gewährleisten (BayVGH, a.a.O.).
24
Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor Außenwänden von Gebäuden im Sinne von Art. 2 Abs. 3 BayBO Abstandsflächen einzuhalten. Gleiches gilt nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO für Anlagen von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, wie etwa Mauern und Einfriedungen bei ausreichender Höhe und Breite (vgl. BayVGH, B.v. 22.2.2017 – 15 CS 16.1883 – juris Rn. 24 = BayVBl 2018, 526).
25
Die Pflicht zur Freihaltung von Abstandsflächen gilt nicht nur bei der gänzlichen Neuerrichtung von baulichen Anlagen, sondern kann auch bei Änderungen oder bloßen Nutzungsänderungen von Anlagen ausgelöst werden (Busse/Kraus BayBO Art. 6 Rn. 26 ff, BeckOK BayBO Art. 6 Rn. 29 ff.; Moldovsky/Farmers/Waldmann BayBO Art. 6 Rn. 42 ff.). Insofern stellt sich die Frage, ob die Änderung/Nutzungsänderung eine sog. abstandsflächenrechtliche Neubeurteilung oder Gesamtbeurteilung auslöst (BayVGH, B.v. 19.9.2022 – 9 CS 22.1627 – juris Rn. 12 m.w.N.; B.v. 27.2.2015 – 15 ZB 13.2384 – juris Rn. 11). Dies ist bei Nutzungsänderungen jedenfalls dann der Fall, wenn sich die Nutzungsänderung negativ auf die Schutzgüter des Abstandsflächenrechts auswirken kann (BayVGH, B.v. 27.2.2015 – 15 ZB 13.2384 – juris Rn. 11; strenger wohl B.v. 14.3.2022 – 1 ZB 22.89 – juris Rn. 7). Bei baulichen Änderungen insbesondere bei Anbauten an bestandsgeschützte Anlagen ist darauf abzustellen, ob sich durch den Anbau eine neue einheitliche Außenwand bildet, die eine Gesamtbeurteilung auch der Abstandsflächen der bestandsgeschützten Anlage notwendig macht (BayVGH, B.v. 19.9.2022 – 9 CS 22.1627 – juris Rn. 12 m.w.N., kritisch zur Rechtsprechung insgesamt BeckOK BayBO Art. 6 Rn. 34). Ob eine oder mehrere abstandsflächenrechtlich relevante Außenwände vorliegen, bemisst sich nach der sog. natürlichen Betrachtungsweise (BayVGH, B.v. 21.4.1986 – GrS 1/85 = BayVBl, 1986, 397 (398); BayVGH, U.v. 31.7.2020 – 15 B 19.832 – juris Rn. 31 m.w.N. = NVwZ-RR 2020, 1004). Nichts Anderes gilt auch für die Frage, ob eine einheitliche Außenwand vorliegt, die eine Gesamtbeurteilung auslöst (BayVGH, B.v. 23.9.2009 – 15 ZB 09.98 – juris Rn. 12; B.v. 9.10.2003 – 25 CS 03.897 – juris Rn. 23; Busse/Kraus BayBO Art. 6 Rn. 28).
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Nach diesen Grundsätzen ist das Landratsamt im hiesigen Ausnahmefall zu Recht davon ausgegangen, dass der streitgegenständliche Anbau keine abstandsflächenrechtliche Gesamtbeurteilung auslöst. Nach natürlicher Betrachtungsweise entsteht vorliegend keine einheitliche Außenwand. Dies ergibt sich daraus, dass der Anbau aus Sicht des Grundstücks der Antragsteller nicht nur horizontal versetzt nach Süden errichtet wird, sondern dass der Anbau mit erheblichem Versatz in die Tiefe nach Westen und mithin „von den Antragstellern weg“ errichtet werden soll. Der Versatz in die Tiefe beträgt im Vergleich zur östlichen Giebelwand des Bestandsbaus, welche der Anknüpfungspunkt für eine einheitliche Außenwand wäre, 2,44 m und ist somit gerade auch im Hinblick auf die Höhe des Anbaus von 3,70 m erheblich. Der Abstand des Anbaus zur Grundstücksgrenze beträgt damit 5,44 m. Der Anbau hält seine Regelabstandsfläche von 0,4 H um mehr als das Dreifache ein (vgl. Busse/Kraus BayBO Art. 6 Rn. 354). Der Anbau stellt sich damit durch sein erhebliches Zurücktreten nach Westen und durch seine auch erheblich kleineren baulichen Dimensionen der Höhe nach (3,70 m Höhe gegenüber einer Firsthöhe von 9,00 m der Giebelwand) nicht mehr als einheitliche Wand und Fortsetzung der Giebelwand dar. Dabei verkennt das Gericht auch nicht, dass der Anbau eine Dachterrasse enthalten soll und somit ein gelegentlicher Aufenthalt von Menschen dort anzunehmen ist.
27
Dass die bestehende Giebelwand damit die Abstandsflächen – aufgrund des über dem Obergeschoss liegenden, nicht ausgebauten Spitzbodens – unbestritten nicht einhält, führt mithin mangels Notwendigkeit einer Gesamtbeurteilung der Abstandsflächen nicht zu einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 BayBO. Der isoliert zu betrachtende Anbau hält die Abstandsflächen unbestritten ein.
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Nichts Anderes gilt auch für die auf der Nord- und Südseite des Bestandsbaus geplanten Dachgauben. Diese tangieren aufgrund ihres Abstands zur Giebelseite keine abstandsflächenrelevanten Aspekte. Sie eröffnen auch keinerlei neue Einblicknahmemöglichkeiten zu den Antragstellern.
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1.2 Es liegt auch kein Verstoß gegen einen Gebietsprägungserhaltungsanspruch vor.
30
Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind Bauvorhaben im Einzelfall unzulässig, wenn Sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen (BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – juris Rn. 18 ff. = BVerwGE 94, 151). § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO beinhaltet nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, B.v. 13.5.2002 – 4 B 86/01 – juris Rn. 4 = NVwZ 2002, 1384) einen Gebietsprägungserhaltungsanspruch. Für einen Verstoß gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ist jedenfalls im Hinblick auf die Aspekte „Anzahl“ und „Umfang“ ein Umschlagen von „Quantität in Qualität“ notwendig (BVerwG, U.v. 16.3.1995 – 4 C 3/94 – juris Rn. 17 = NVwZ 1995, 899). Es müssten somit Anhaltspunkte vorliegen, dass das Bauvorhaben bei typisierender Betrachtung die Art der baulichen Nutzung derart beeinflusst, dass im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden muss (BayVGH, B.v. 22.6.2021 – 9 ZB 21.466 – juris Rn. 8).
31
Das Gericht kann nicht erkennen, inwiefern der angegriffene Umbau in ein „Dreifamilienhaus“ ausnahmsweise die Prägung des allgemeinen Wohngebiets unzumutbar beeinflussen soll. Dies ist obergerichtlich bereits für Mehrfamilienhäuser geklärt (BayVGH, B.v. 4.3.2021 – 15 ZB 20.3151 – juris Rn. 16) und gilt erst Recht für ein hier in Frage stehendes Dreifamilienhaus. Das Baugesetzbuch kennt im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung keinen Unterschied zwischen Wohnen in Ein- und Mehrfamilienhäusern. Soweit auf die erteilten Befreiungen von der Dachneigung und der Baugrenze nach Süden abgestellt wird, ist darauf hinzuweisen, dass § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO die Art der baulichen Nutzung regelt und mithin kein Vehikel für die Überprüfung des grundsätzlich nicht drittschützenden Maßes der baulichen Nutzung darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2021 – 9 ZB 21.466 – juris Rn. 8).
32
1.3 Eine Verletzung drittschützender Normen ergibt sich auch nicht aus den erteilten Befreiungen.
33
Für die Frage des Rechtsschutzes Dritter gegen Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB kommt es zunächst darauf an, ob die Festsetzungen des Bebauungsplans, von denen befreit werden soll, selbst drittschützenden Charakter haben (BayVGH, B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris Rn. 21 = NVwZ-RR 2020, 960). Bei drittschützenden Festsetzungen kommt dem Nachbarn ein Vollüberprüfungsanspruch der Voraussetzungen von § 31 Abs. 2 BauGB mit der Folge zu, dass jeder Verstoß gegen Tatbestandselemente des § 31 Abs. 2 BauGB zum Erfolg der Klage führt (BayVGH, B.v. 28.1.2019 – 15 ZB 17.1833 – juris Rn. 2 m.w.N.). Bei Befreiungen von nicht drittschützenden Festsetzungen kommt dem Nachbarn lediglich der Anspruch auf „Würdigung der nachbarlichen Belange“ zu, was auf einen Anspruch auf Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme hinausläuft (BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – juris Rn. 5 m.w.N. = NVwZ-RR 1999, 8). Weitergehende Ansprüche im Fall nicht drittschützender Festsetzungen, insbesondere einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung im Übrigen, hat der Nachbar nicht (BVerwG a.a.O.).
34
Drittschutz ist immer dann anzunehmen, wenn die Festsetzung in ein wechselseitiges (nachbarliches) Austauschverhältnis gestellt (BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7/17 – juris Rn. 15 m.w.N. = BVerwGE 162, 363) und damit vergleichbar einem Gebietserhaltungsanspruch eine „bodenrechtliche Schicksalsgemeinschaft“ gebildet werden sollte. Ob eine Festsetzung drittschützende Wirkung hat oder nicht, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, wobei auf die konkrete Anordnung von Drittschutz in der Festsetzung, auf die Begründung des Plans, Unterlagen des Aufstellungsverfahrens oder die Bewertung des Zusammenhangs der Festsetzungen abgestellt werden kann (BayVGH, B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris Rn. 23 = NVwZ-RR 2020, 960).
35
Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung im Regelfall keinen Drittschutz vermitteln sollen, sondern aus gestalterischen Gründen geregelt werden (BayVGH, B.v. 26.2.2014 – 2 ZB 14.101 – juris Rn. 4 = BayVBl 2015, 170; B.v. 27.7.2022 – 9 ZB 22.376 – juris Rn. 11). Gleiches gilt für Baugrenzen (BayVGH, B.v. 5.8.2019 – 9 ZB 16.1276 – juris Rn. 5, B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris Rn. 23 m.w.N. = NVwZ-RR 2020, 961).
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Eine drittschützende Wirkung der maßgeblichen Festsetzungen ist vorliegend von keiner Seite auch nur behauptet worden. Es ergeben sich hierfür auch keinerlei Anhaltspunkte in der Begründung des Bebauungsplans. Ein Verstoß gegen das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme ist nicht ersichtlich, da der Anbau, auch wenn er die Baugrenze nach Süden überschreitet, seine Abstandsflächen deutlich einhält. Inwiefern für die Antragsteller die Nichteinhaltung der Dachneigung eine nachbarliche Rücksichtslosigkeit darstellen sollte, verbleibt vollkommen unklar. Soweit auf die Nutzung des „Flachdachs“ des Anbaus als Dachterrasse abgestellt wird, gelten die Ausführungen zu Einsichtnahmemöglichkeiten (dazu unten).
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1.4 Schließlich liegt auch kein Verstoßt gegen das Gebot der Rücksichtnahme vor.
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Das Gebot der Rücksichtnahme ist kein generelles Rechtsprinzip des öffentlichen Baurechts und verkörpert auch keine allgemeine Härteregelung, die über den speziellen Vorschriften des Städtebaurechts oder gar des gesamten öffentlichen Baurechts steht. Es ist vielmehr Bestandteil einzelner gesetzlicher Vorschriften des Baurechts (BVerwG, U.v. 30.9.1983 – 4 C 74.78 – BVerwGE 68, 58, 60) und als solches in den Tatbestandsmerkmalen der §§ 30 bis 35 BauGB und des § 15 Abs. 1 BauNVO enthalten (BVerwG, U.v. 30.9.1983 a.a.O.). Es ist gegenüber anderen (ausdrücklich und von vornherein) nachbarschützenden Vorschriften subsidiär (BVerwG, U.v. 27.6.2017 – 4 C 3.16 – juris Rn. 10).
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Nach gefestigter Rechtsprechung hängen die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen (BayVGH, B.v. 30.7.2021 – 1 CS 21.1506 – juris Rn. 10). Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris Rn. 11).
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Das Bauplanungsrecht vermittelt keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken. Die Möglichkeit der Einsichtnahme ist grundsätzlich nicht städtebaulich relevant (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 – 4 B 72.89 -juris Rn. 7 = NVwZ 1989, 1060). In bebauten innerörtlichen Bereichen (wie hier) gehört es zur Normalität, dass von benachbarten Grundstücken bzw. Gebäuden aus Einsicht in andere Grundstücke und Gebäude genommen werden kann. Auch über das Gebot der Rücksichtnahme wird in bebauten Ortslagen daher kein genereller Schutz des Nachbarn vor jeglichen (weiteren) Einsichtsmöglichkeiten vermittelt, allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen kann sich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme etwas Anderes ergeben (BayVGH, B.v. B.v. 5.4.2019 – 15 ZB 18.1525 – BeckRS 2019, 7160 Rn. 12 ff.). Dem Nachbarn ist es insbesondere dann, wenn die Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO eingehalten sind, grundsätzlich zuzumuten, seine Räumlichkeiten, in die potenziell vom Bauherren aus eingesehen werden könnte, durch in Innerortslagen typische Sichtschutzeinrichtungen, wie z.B. Vorhänge, Jalousien o.ä., vor ungewollter Einsichtnahme zu schützen (BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 19 m.w.N. = BayVBl 2020, 273). Jedenfalls wäre notwendig, dass der Nachbar darlegt, inwiefern durch die Realisierung neue, vorher nicht vorhandene Einsichtsmöglichkeiten für besonders geschützte Bereiche geschaffen werden, die über das normale, in Innerortslagen zu erwartende Maß weit hinausgehen (BayVGH, B.v. 6.4.2018 – 15 ZB 17.36 – juris Rn. 26).
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Vorliegend ist hierfür nichts ersichtlich oder vorgetragen. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Abstandsflächen des Anbaus unbestritten eingehalten sind, an der bestehenden Giebelfläche keine neuen Einsichtnahmemöglichkeiten geschaffen werden und der tatsächliche Abstand zwischen dem Anbau des Beigeladenen und dem Gebäude der Kläger mindestens 13 m beträgt. Neue Einsichtsmöglichkeiten werden seitens des Beigeladenen im Wesentlichen durch die Nutzung der Dachterrasse geschaffen. Besonders geschützte Räume der Antragsteller sind nicht aufgeführt oder ersichtlich. Im Übrigen befindet sich in der Sichtlinie zwischen geplanter Dachterrasse und der westlichen Giebelfläche der Antragsteller auch ein Baum, der die direkte Sichtlinie behindern dürfte.
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Das Gebot der Rücksichtnahme ist kein allgemeiner Abwehranspruch gegen jegliche Beeinträchtigung nachbarlicher Belange, sondern verbietet lediglich unzumutbare Beeinträchtigungen (vgl. BayVGH, B.v. 11.8.2021 – 15 CS 21.1775 – juris Rn. 27, B.v. 5.12.2022 – 9 ZB 22.1076 – juris Rn. 12). Die von der Antragstellerseite im Übrigen aufgeführten Aspekte treffen in ihrer Pauschalität auf jede Bebauung innerhalb von Siedlungsflächen zu und würden jeglicher Bebauung im Innenbereich entgegenstehen. Eine Unzumutbarkeit im konkreten Einzelfall ist weder begründet noch ersichtlich.
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Nach alledem wird die Anfechtungsklage wohl keinen Erfolg haben.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 i.V.m. § 159 Satz 2 VwGO. Da sich die Beigeladene nicht durch Antragstellung einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es auch nicht der Billigkeit gemäß § 162 Abs. 3 VwGO, ihr einen Kostenerstattungsanspruch zuzusprechen. Sie trägt ihre außergerichtlichen Kosten daher selbst.
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3. Die Entscheidung zum Streitwert fußt auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs.