Titel:
Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Opel-Diesel-Fahrzeugs (hier: Opel Insignia 2.0 CDTI)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2
RL 2007/46/EG Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46
VwVfG § 24 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu Diesel-Fahrzeugen von Opel: OLG München BeckRS 2021, 52557; BeckRS 2021, 52562; BeckRS 2022, 29314; OLG Bamberg BeckRS 2021, 52538; BeckRS 2022, 19980; BeckRS 2023, 3040; OLG Schleswig BeckRS 2022, 8917; OLG Frankfurt BeckRS 2022, 10556; OLG Koblenz BeckRS 2022, 10605; OLG Köln BeckRS 2022, 12858; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 29322; LG Landshut BeckRS 2021, 53844; BeckRS 2022, 20735; BeckRS 2022, 22852; LG Memmingen BeckRS 2022, 12853; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2022, 29316; BeckRS 2022, 29310; LG Kempten BeckRS 2022, 29315. (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Hinblick auf die bis in das Jahr 2022 unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Thermofensters fehlt es unabhängig vom konkret verwendeten Typ des Dieselmotors und herstellerübergreifend sowohl an einem besonders verwerflichen Verhalten des Herstellers als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dass bestimmte Ausgestaltungen des Thermofensters nunmehr vom EuGH als unzulässige Abschalteinrichtungen angesehen werden und denkbar ist, dass diese Sicht in Zukunft auch vom KBA übernommen wird, ändert an der vorstehenden Beurteilung nichts, da die damaligen, vor Erwerb des Fahrzeuges liegenden, Vorstellungen und Erkenntnisse maßgeblich bleiben. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
4. Wenn die Herstellerin noch über die gesetzlichen Anforderungen hinaus ihren Mitteilungspflichten bezüglich des Thermofensters nachgekommen war, durfte sie auf die Prüfungskompetenz des KBA als Genehmigungsbehörde vertrauen und ohne Verschulden von der Zulässigkeit ihres Vorgehens ausgehen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Opel, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, KBA, Thermofenster, Umdrehungszahl, Außenluftdruck, Prüfstanderkennung, Schlussanträge des Generalanwalts
Vorinstanzen:
OLG Bamberg, Beschluss vom 24.08.2022 – 3 U 161/22
LG Aschaffenburg, Endurteil vom 10.06.2022 – 23 O 197/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 3006
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 10.06.2022, Az. 23 O 197/21, durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 18.02.2023.
Entscheidungsgründe
1
Wegen des Sach- und Streitstands wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Lediglich ergänzend oder erläuternd ist noch auszuführen:
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Die Klagepartei nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
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Die Klagepartei erwarb am 17.10.2015 zu einem Kaufpreis von 34.843,75 € ein Neufahrzeug der Marke Opel Insignia 2.0 CDTI von einer nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Abgasnorm EU 6 ausgestattet, der über einen Hubraum von 2.0 l und eine Leistung von 125 kW verfügt. Am 21.08.2022 im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung betrug die Laufleistung 145.540 km. Das Emissionskontrollsystem des Fahrzeugs wird in Abhängigkeit von Umgebungstemperatur („Thermofenster“), Umgebungsluftdruck und Motorendrehzahl in seiner Wirkungsweise verringert. Die Funktionsweise des „Thermofensters“ teilte die Beklagte dem KBA im Genehmigungsverfahren mit (Anlage AOG-5), das die Typgenehmigung auch erteilte. Der Öffentlichkeit machte die Beklagte in einer Stellungnahme vom 17.05.2016 diese technische Vorgehensweise publik (Anlage AOG-9)
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Die Beklagte entwickelte seit Anfang des Jahres 2016 ein freiwilliges Software-Update zur weiteren Reduktion der Stickstoffemissionen, dass seitens des KBA am 21.02.2017 genehmigt wurde. In diesem Rahmen stellte das KBA fest, dass die von der Beklagten mitgeteilten Abschalteinrichtungen zulässig seien (Anlage AOG-11). Daraufhin bot die Beklagte auch der Klagepartei am 10.05.2017 das freiwillige Update an (Anlage AOG-12), wovon die Klagepartei am 05.09.2017 Gebrauch machte. Danach im Oktober 2018 kam das KBA zu der Einschätzung, dass die freiwillige Servicemaßnahme nicht ausreiche. Es erließ daher einen Bescheid, dass das bislang freiwillige Update nunmehr verbindlich installiert werden müsse. Diesen Bescheid hat die Beklagte angefochten.
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Die Klagepartei hat in erster Instanz vorgetragen, dass die im Fahrzeug verwendeten Abschalteinrichtungen unzulässig seien und letztlich einer Prüfstandserkennung entsprechen würden. Jedenfalls sei das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung anzusehen. Die Beklagte habe das KBA getäuscht. Die Klagepartei hat deshalb erstinstanzlich in der Hauptsache Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten, hilfsweise Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich eines weiteren Nutzungsvorteils verlangt. Die Beklagte hat sich hiergegen mit dem Vortrag gewandt, dass die Modulation der Abgasrückführung technisch geboten gewesen sei. Der Motor habe den gesetzlichen Anforderungen entsprochen. Außerdem arbeite der Motor im realen Fahrbetrieb genauso wie auf dem Prüfstand. Eine Täuschung des KBA liege nicht vor, vielmehr habe die Beklagte die temperaturabhängige Wirkungsweise dem KBA offengelegt. Letztendlich erhebe die Beklagte die Einrede der Verjährung.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es könne dahinstehen, ob der Feststellungsantrag unzulässig sei. Die Klage sei jedenfalls unbegründet, weil ein sittenwidriges Handeln der Beklagten nicht hinreichend vorgetragen sei. Eine Prüfstandsmanipulation sei nicht hinreichend vorgetragen. Auch andere Anspruchsgrundlagen kämen nicht in Betracht.
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Hiergegen wendet sich die zulässige Berufung der Klagepartei, die unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens in der Hauptsache nunmehr den erstinstanzlich hilfsweise gestellten Zahlungsantrag weiterverfolgt und daneben die Ersatzpflicht für weitere Schäden festgestellt haben will. Sie behauptet weiter, dass das Verhalten der Beklagten die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Handlung begründe. Daneben berufe sich die Klagepartei auf die Vorschrift des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 12, 18 RL Nr. 2007/46 (EG), §§ 4, 6, 25 EG-FGV. Das Landgericht habe sich zudem zu dem Anspruchsgrund aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 UWG nicht verhalten.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.
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Nach der einstimmigen Auffassung des Senats ist die Berufung offensichtlich unbegründet, so dass das Rechtsmittel keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinn des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO bietet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil die Klagepartei einen Schadensersatzanspruch nicht hinreichend dargelegt hat (zum von Senat insoweit zugrunde gelegten Maßstab vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, juris Rn. 21 ff. m.w.N.). Der Senat nimmt auf die zutreffenden Gründe des landgerichtlichen Urteils zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug und weist lediglich ergänzend auf die folgenden Umstände hin:
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1. Ein Anspruch aus § 826 BGB wegen der Verwendung eines „Thermofensters“ scheidet schon mangels einer dafür vorausgesetzten vorsätzlichen sittenwidrigen Handlung der Beklagten aus. Hierfür wäre erforderlich, dass die Beklagte in dem von der Klagepartei erworbenen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut und diesen Umstand dem Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) als zuständiger Behörde verschwiegen hätte, um sich die Typgenehmigung zu erschleichen. Selbst wenn die Beklagte also in die Motoren des in Rede stehenden Fahrzeugtyps eine nach Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut haben sollte, genügte dies allein noch nicht für einen Anspruch aus § 826 BGB. Die Annahme objektiver Sittenwidrigkeit setzt vielmehr darüber hinaus voraus, dass die Verantwortlichen der Beklagten bei der Entwicklung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Für diese Voraussetzung trägt nach den allgemeinen Grundsätzen die Klagepartei als Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19 Rn. 13ff; BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20 Rn. 27 f.).
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a) Der Umstand, dass die Abgasrückführung in dem Fahrzeug der Klagepartei durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems reduziert wird und die Abgasreinigung in bestimmten Umgebungstemperaturbereichen nicht mehr voll funktionsfähig ist (Thermofenster), reicht unabhängig davon, ob die Einrichtung in ihrer konkreten Ausgestaltung als unzulässig i. S.v Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007 zu qualifizieren ist, für die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten nicht aus.
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Seit der Entscheidungsserie vom 16.09.2021 (Urteile vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20) nimmt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung an, dass es im Hinblick auf die – jedenfalls bis zur Auslegung der unionsrechtlichen Vorschriften durch den Gerichtshof der Europäischen Union in dessen Urteilen vom 14.07.2022 (Rechtssachen C-128/20, C-134/20 und C-145/20) bestehende – unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters unabhängig vom konkret verwendeten Typ des Dieselmotors und herstellerübergreifend (zu Daimler: u.a. Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721; zu VW : Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814; zu Audi: Beschluss vom 01.09.2021, VII ZR 128/21, juris; Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 164/21, juris; zu BMW : Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris) sowohl an einem besonders verwerflichen Verhalten des Herstellers als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz fehlt. Lediglich mit Blick auf das Vorbringen der Klagepartei ist ergänzend anzumerken:
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a) Bei Implementierung des Thermofensters erfolgt die Abgasreinigung im Grundsatz auf dem Prüfstand und im realen Betrieb in gleicher Weise. Es liegt damit – im „Thermofenster“ als solchem – noch kein System der Prüfstandserkennung vor (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, Rn. 19). Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19). Soweit die Klagepartei behauptet, der Temperaturbereich des Thermofensters sei auf die Bedingungen auf dem Prüfstand exakt zugeschnitten, hat sie dies schlüssig und in prozessual beachtlicher Weise vorzutragen (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, Rn. 20). Diese Anforderungen an die Darlegungslast hat die Klagepartei vorliegend nicht erfüllt.
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b) Überdies ist der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidungsserie vom 16.09.2021 (Urteile des BGH vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20) unabhängig vom konkret verwendeten Typ des Dieselmotors und herstellerübergreifend nunmehr zu dem Ergebnis gelangt, dass es im Hinblick auf die unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters sowohl an einem besonders verwerflichen Verhalten des Herstellers als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz fehlt.
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(1) Danach kann bei einer Abschalteinrichtung wie hier, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der sich die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantworten lässt, bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht. Allein aus der – unterstellten – objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters folgt ferner kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage -das KBA hat das verwendete Thermofenster zunächst als zulässig erachtetist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen.
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(2) Dass bestimmte Ausgestaltungen des Thermofensters nunmehr vom EuGH als unzulässige Abschalteinrichtungen angesehen werden (EuGH NJW 2022, 2605) und denkbar ist, dass diese Sicht, wenn sie nicht bereits in der Vergangenheit vom KBA geteilt und im Prüfungsverfahren umgesetzt wurden, in Zukunft auch vom KBA übernommen wird, ändert an der vorstehenden Beurteilung nichts. Denn für diese sind die damaligen, vor Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeuges liegenden, Vorstellungen und Erkenntnisse maßgeblich (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, Rn. 38).
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2. Hieran anknüpfend bietet das Vorhandensein eines „Thermofensters“ unter Berücksichtigung der Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 (ECLI:EU:C:2022:420) auch keine Grundlage für einen Anspruch aus den Vorschriften der Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 der VO 715/2007, Art. 18 Abs. 1, 26 Abs. 1, 46 der RL 2007/46 i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB, selbst wenn der Senat der Auffassung des Generalanwalts folgen würde.
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a) Das „Thermofenster“ funktioniert im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise wie im realen Fahrbetrieb. Deshalb kann die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden, so dass, wie bereits erörtert, bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte auch nicht ohne Weiteres unterstellt werden kann, dass die für die Beklagte handelnden Personen einen Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen und damit bedingt vorsätzlich gehandelt haben (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az. III ZR 263/20 Rn. 22; BGH NJW 2021, 3721, Rn. 30). Die vorliegenden Umstände rechtfertigen jedoch noch nicht einmal ein fahrlässiges Handeln der Beklagten.
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b) Aus dem senatsbekannten Bericht der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission „Volkswagen“ vom April 2016 ist zu entnehmen, dass in dem hier fraglichen Zeitraum Thermofenster von allen Autoherstellern verwendet und mit dem Erfordernis des Motorschutzes begründet wurden. Nach Einschätzung der Untersuchungskommission handelt es sich bei der Verwendung eines Thermofensters angesichts der Unschärfe der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 715/2007, wonach zum Schutz des Motors vor Beschädigungen und zur Gewährleistung eines sicheren Fahrzeugbetriebs notwendige Abschalteinrichtungen zulässig sind, um keine eindeutigen Gesetzesverstöße, sofern ohne die Verwendung des Thermofensters dem Motor Schaden drohe und „sei dieser auch noch so klein“ (vgl. BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016, S. 123). Daneben zeigt auch der in der Literatur (vgl. Führ, NVwZ 2017, 265) betriebene erhebliche Begründungsaufwand, um das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az. III ZR 263/20 Rn. 22; OLG Koblenz, Urteil vom 14.09.2020, AZ.: 12 U 1464/19, Rn. 23).
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c) Daneben ist eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung bei Dieselmotoren zur Vermeidung von Stickoxiden seit Jahrzehnten üblich und in Fachkreisen allgemein (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.02.2022, 8 U 143/21, Rn. 10) und zumindest ab 2008 speziell auch dem EU-Normgeber (vgl. Mitteilung der EU-Kommission – 2008/C 182/08 – über die Anwendung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Emissionen, dort unter Nr. 8) bekannt (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, Rn. 36). Das KBA hatte von der Verwendung von Thermofenstern bei allen Herstellern und die in diesem Zusammenhang geführte rechtliche Diskussion um den Motorschutz ebenfalls Kenntnis. Es war deshalb zu einer Überprüfung des Emissionsverhaltens der Fahrzeuge – gegebenenfalls nach weiteren Rückfragen beim Hersteller – ohne weiteres in der Lage (BGH, Urteil vom 13.01.2022, III ZR 205/20, Rn. 25). Zudem waren die Hersteller nach der genannten Mitteilung der EU-Kommission (dort Ziff. 7) auch nicht verpflichtet, Informationen über das Emissionsverhalten von Dieselfahrzeugen bei niedrigen Temperaturen zur Verfügung zu stellen, so dass die Hersteller keine Verpflichtung zu einer Beschreibung über die exakte Wirkungsweise traf (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.02.2022, 8 U 143/21, Rn. 10). Vor diesem Hintergrund durfte die Beklagte bei der Beantragung der EG-Typgenehmigung davon ausgehen, dass die Existenz von Thermofenstern dem KBA bekannt gewesen war und ihr insoweit keine Pflicht oblegen hatte, ungefragt von sich aus auf ein Thermofenster hinzuweisen (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, Rn. 36).
21
Vorliegend stellt sich die Besonderheit, dass die Beklagte das KBA im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens über das Thermofenster unterrichtet und das KBA die Typgenehmigung erteilt hatte. Auch in dem Bescheid betreffend das Software-Update 21.02.2017 stellte das KBA fest, dass die von der Beklagten mitgeteilten Abschalteinrichtungen zulässig seien (Anlage AOG-11). Wenn also die Beklagte sogar noch über die gesetzlichen Anforderungen hinaus ihren Mitteilungspflichten bezüglich des Thermofensters nachgekommen ist, durfte sie sich grundsätzlich darauf verlassen, dass das KBA im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG eine Ergänzung verlangen würde, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit des Thermofensters in dem betreffenden Fahrzeug zu prüfen. Anderenfalls durfte sich die Beklagte auf die Prüfungskompetenz des KBA als Genehmigungsbehörde vertrauen und ohne Verschulden von der Zulässigkeit ihres Vorgehens ausgehen. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das KBA im Jahr 2018 seine Auffassung geändert hat, durfte sich die Beklagte im Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung grundsätzlich auf die Fachkompetenz der Fachbehörde verlassen; ein „besseres“ Wissen als das der Genehmigungsbehörde ist ihr nicht abzuverlangen. Es handelt sich insoweit um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum (BGH, NJW-RR 2017, 1004 Rn. 17; BGH NJW-RR 2018, 1250 Rn. 28, 32). Hierauf kann sich die Beklagte angesichts der vorgenannten Umstände zu Recht berufen (OLG Koblenz Urt. v. 24.11.2022 – 7 U 1038/22).
22
d) Im Übrigen hat auch der Generalanwalt die von ihm vertretene Rechtsfolge von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht, insbesondere, dass die EG-Typgenehmigung erwirkt worden ist, ohne dass die Genehmigungsbehörde vom Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung etwas wusste (Rn. 48 ff. der Schlussanträge, BeckRS 2022, 12232). Es ist demnach erforderlich, dass der Genehmigungsbehörde die unzulässige Abschalteinrichtung nicht bekannt war, und dass diese Unkenntnis auf einer Täuschung der Genehmigungsbehörde beruht (vgl. OLG München, Beschluss vom 14.06.2022, 36 U 141/22, dort Seite 12). Für einen solchen Sachverhalt ist im Streitfall aufgrund der vorstehenden Erörterungen nichts ersichtlich, tatsächlich ist vom Gegenteil auszugehen.
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1. Die vorstehenden Ausführungen gelten sinngemäß für die Verringerung der Wirkung des Emissionskontrollsystems in Abhängigkeit vom Umgebungsdruck (unterhalb 91,5 kPa) und der Motorendrehzahl (oberhalb 2.750 U/min). Abgesehen davon, dass es insoweit mangels näherer Darlegungen zur konkreten Auswirkung der genannten Parameter auf die Abgasreinigung bzw. das Emissionsverhalten des Pkw bereits an schlüssigem Sachvortrag für eine unzulässige Abschalteinrichtung fehlt, entbehrt das klägerische Vorbringen jeglichen Anhaltspunktes dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen ggf. in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen oder, angesichts der Feststellungen des KBA im Bescheid vom 21.02.2017, auch nur ein fahrlässiges Handeln vorliegt.
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2. Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 UWG besteht nicht. Einen Vortrag zu konkreten Werbemaßnahme der Beklagten und bezüglich deren Wahrheit oder Unwahrheit hat die Klagepartei nicht gehalten.
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Aus diesen Gründen erscheint die Berufung der Klagepartei als aussichtslos und wird daher zurückzuweisen sein.
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1. Die aussichtslosen Berufungsangriffe erfordern keine Erörterung in mündlicher Verhandlung.
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2. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Nr. 3 ZPO liegen nicht vor.
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3. Der Senat regt daher – unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme – die kostengünstigere Rücknahme der aussichtslosen Berufung an, die zwei Gerichtsgebühren spart (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis GKG).
29
4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für die Berufungsinstanz auf bis zu 15.000,00 € festzusetzen und den erstinstanzlichen Streitwert entsprechend abzuändern (§ 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG).