Inhalt

VG München, Beschluss v. 19.10.2023 – M 10 S 23.5071
Titel:

Eilrechtsschutz, Verbot einer Versammlung, Menschenrechte und Völkerrecht auch für Palästina, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Gefahrenprognose

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BayVersG Art. 15 Abs. 1
GG Art. 8
Schlagworte:
Eilrechtsschutz, Verbot einer Versammlung, Menschenrechte und Völkerrecht auch für Palästina, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Gefahrenprognose
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 19.10.2023 – 10 CS 23.1862
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30058

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen ein Versammlungsverbot.
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Unter dem … Oktober 2023 zeigte der Antragsteller eine Versammlung mit dem Thema „Menschenrechte und Völkerrecht auch für Palästina“ für den … Oktober 2023 um 18:30 Uhr auf dem …platz in M. … mit 50 erwarteten Teilnehmern an.
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Mit Bescheid vom … Oktober 2023 untersagte die Antragsgegnerin diese Versammlung. Zur Begründung bezog sie sich auf eine konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen.
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Der Antragsteller hat am 19. Oktober 2023 Klage gegen diesen Bescheid erhoben (Az. M 10 K 23.5070). Gleichzeitig wird beantragt,
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Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
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Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Antragsschrift Bezug genommen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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Der Antrag wird abgelehnt.
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Zur Begründung wird auf den Bescheid sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
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Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG ist nicht begründet.
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Im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Hierbei hat es abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Sofern die Klage jedoch nach summarischer Prüfung erfolgreich sein wird, tritt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung zurück.
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Im vorliegenden Fall überwiegt bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage das öffentliche Interesse am gesetzlich grundsätzlich vorgesehenen Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Die Klage gegen das Versammlungsverbot hat voraussichtlich keinen Erfolg. Bei kursorischer Prüfung ist der streitgegenständliche Bescheid vom … Oktober 2023 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insoweit wird zur Begründung zunächst Bezug genommen auf die Ausführungen im Bescheid vom … Oktober 2023.
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Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage. Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
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Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst dabei den Schutz zentraler Rechtsgüter wie das Grundrecht Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Daneben umfasst der Begriff der öffentlichen Sicherheit den Schutz der Unversehrtheit der Rechtsordnung jedenfalls dann, wenn deren strafbare Verletzung droht. Soweit sich der Verbotsbescheid dabei – wie hier – auf den Inhalt von Aussagen bezieht, ist er auch am Maßstab des Art. 5 Abs. 1 und 2 GG zu beurteilen. Die Äußerung verliert den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG nicht allein wegen ihres Inhalts, es sei denn, der Inhalt ist strafbar. Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Inhalte einer auf einer Versammlung geäußerten Meinung richten sich nicht nach Art. 8 Abs. 2 GG, sondern nach Art. 5 Abs. 2 GG. Die Grenze verläuft nach letztgenannter Vorschrift dort, wo Meinungsäußerungen auf verfassungsgemäße Weise rechtlich verboten, insbesondere unter Strafe gestellt sind (vgl. zum Begriff der öffentlichen Sicherheit aktuell: VG B. …, B.v. 11.10.2023 – 1 L 428/23 – juris Rn. 8).
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Für den Begriff der öffentlichen Ordnung ist kennzeichnend, dass er auf ungeschriebene Regeln verweist, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. So sind Beschränkungen der Versammlungsfreiheit verfassungsrechtlich unbedenklich, die ein aggressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer verhindern sollen, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2004 – 1 BvQ 19/04 – juris Rn. 21, 23).
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Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. zum Ganzen: BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u.a. – juris Rn. 39 ff., Rn. 63; B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 16 f.).
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Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben begegnet das im konkreten Fall auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG gestützte Verbot der Versammlung bei summarischer Prüfung keinen rechtlichen Bedenken. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin eine Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit für Versammlungsteilnehmer, Dritte und eingesetzte Polizeibeamte sowie eine Gefahr der Beeinträchtigung der Rechtsordnung aus vergleichbaren Versammlungen in B. …, in M. … am .. und … Oktober 2023 sowie in anderen Städten, wie z.B. H. …, F. ... oder B. …, abgeleitet hat. Anerkannt ist, dass bei der Gefahrenprognose Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen herangezogen werden können, soweit diese – wie hier – Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (BVerfG, B.v. 21.11.2020 – 1 BvQ 135/20 – juris Rn. 11). Überdies kam es in B. … am … Oktober 2023 zu Ausschreitungen, insbesondere gegen eine jüdische Einrichtung. Die Gefahrenprognose, dass aus der geplanten Versammlung heraus Straftaten in Form von Äußerungsdelikten verübt werden könnten, ist ebenso nicht zu beanstanden. Im Nachgang zu der (vergleichbaren) Versammlung der Vereinigung „Palästina spricht“ am … Oktober 2023 in M. … ermittelt die Polizei derzeit insbesondere wegen zwei Fällen von Belohnung und Billigung von Straftaten, einer Beleidigung und einer Volksverhetzung (vgl. hierzu den Polizeibericht vom …10.2023). Im Rahmen der Gefahrenprognose ist zudem einzustellen, dass sich, obwohl eine weitere Versammlung der Vereinigung „Palästina spricht“ für den … Oktober 2023 mit 50 erwarteten Teilnehmern verboten wurde, 300 Personen auf dem O. …platz versammelten. Die verbotene Versammlung wurde von der Polizei aufgelöst. Einige Personen wurden in Gewahrsam genommen. Hinzu kommt die bundesweit äußerst angespannte Lage im Hinblick auf pro-palästinensische Versammlungen (vgl. hierzu: auch HessVGH, B.v. 14.10.2023 – 2 B 1423/23 – noch n.v.). Es steht in der derzeitigen Situation zu befürchten, dass bei der angezeigten Versammlung Teilnehmende der Versammlung mit Opponierenden aufeinandertreffen und es hierbei zu wechselseitigen Straftaten kommt. Trotz des eher sachlich gehaltenen Versammlungsthemas erscheint es nicht ausgeschlossen, dass sich der Versammlung spontan Personen anschließen werden, denen es nicht nur um eine sachliche Meinungskundgabe geht. Ferner steht die für den … Oktober 2023 angezeigte Versammlung im Kontext des globalen Aufrufs der Hamas für den … Oktober 2023 zum „Freitag der Al-Aksa-Flut“. Mit diesem Aufruf ist die Aufforderung zur Solidarisierung und zu Demonstrationen verbunden. In den Nachrichten und den Social Media-Kanälen ist von Gewaltaufrufen gegenüber jüdischen Menschen und Einrichtungen, sogar von einer „Reichspogromnacht 2.0“ die Rede. Da davon auszugehen ist, dass dieser Aufruf noch nachwirkt, ist auch bei der angezeigten Versammlung mit einer erhöhten Mobilisierung und Emotionalisierung zu rechnen. Dies gilt auch in Bezug auf den von der Hisbollah für den … Oktober 2023 ausgerufenen „Tag des Zorns“.
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Dieser Gefahrenprognose kann der Antragsteller nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die beiden Versammlungen am … Oktober 2023 in M. … störungsfrei verlaufen seien. Denn diese Versammlungen sind mit der vorliegend untersagten Versammlung nicht vergleichbar, da es sich bei diesen um Spontanversammlungen von sehr wenigen Personen in der Nacht handelte. Vor diesem Hintergrund ist nicht von einer vergleichbaren (erhöhten) Mobilisierung und Emotionalisierung von Versammlungsteilnehmern und/oder Dritten wie bei der angezeigten Versammlung auszugehen. Auch der Einwand, die Versammlungsleiterin leite seit Jahren störungsfrei Versammlungen zu der Thematik in M. …, greift angesichts der im Bescheid dargestellten Gefährdungslage und der insgesamt sehr aufgeheizten Situation nicht durch. Im Übrigen ist die Organisation „Frauen in Schwarz“, für die die Antragstellerin Versammlungen veranstaltet und leitet, in der Vergangenheit nach Aktenlage durch antisemitische Äußerungen aufgefallen.
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Auch ist es im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin eine Gefahr für die öffentliche Ordnung angenommen hat. Angesichts der aktuell aufgeheizten Lage und vor dem Hintergrund des weltweiten Aufrufs der Hamas ist es hinreichend wahrscheinlich, dass durch die geplante Versammlung und das Verhalten der Teilnehmer ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft er-zeugt wird. Insbesondere steht zu befürchten, dass im Zug der Versammlung die terroristischen Angriffe der Hamas auf Israel zumindest gebilligt und verharmlost werden, da bei vergleichbaren Versammlungen der letzten Tage eine israelfeindliche und in den Antisemitismus reichende Stimmung – bis hin zur Negierung des Existenzrechts Israels – festgestellt wurde. Eine lautstarke Propagierung der Vernichtung des Staates Israel und/oder die Aufforderung zur Tötung der Bewohner dieses Staates vermittelt erhebliche Gewaltbereitschaft. Diese Äußerungen sind ihrem Inhalt nach auf Aggression und Rechtsbruch angelegt und wirken für einen Beobachter einschüchternd (vgl. hierzu auch jüngst: VG Berlin. …, B.v. 11.10.2023 – 1 L 428/23 – juris Rn. 11; s. auch: HessVGH, B.v. 14.10.2023, a.a.O.). Insbesondere sind versammlungsrechtliche Beschränkungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung vorliegend nicht mehr ausreichend (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2004 – 1 BvQ 19/04 – juris Rn. 23).
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Ermessenfehler sind weder vorgetragen noch erkennbar. Insbesondere sind gegenüber dem Verbot der Versammlung mildere, aber gleich wirksame Mittel nicht erkennbar. In der derzeit aufgeheizten Lage könnte insbesondere durch versammlungsrechtliche Beschränkungen nicht verhindert werden, dass Straftaten, wie z.B. Beleidigungen, begangen werden.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nummer 45.4 und Nummer 1.5, Satz 2 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.