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VGH München, Beschluss v. 04.01.2023 – 11 ZB 22.31274
Titel:

Terminverlegung wegen akuter Erkrankung des Prozessbevollmächtigten (Coronaverdacht)

Normenketten:
ZPO § 227
VwGO § 173
Leitsatz:
Wird eine Terminverlegung erst kurz vor der anberaumten mündlichen Verhandlung wegen einer Erkrankung beantragt, so muss dieser Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ihn ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann. Regelmäßig muss deshalb ein ärztliches Attest beigebracht werden (Anschluss an BFH BeckRS 2020, 16655 Rn. 8; BeckRS 2007, 25011907; Bestätigung von VGH München BeckRS 2019, 28123 Rn. 29 f.). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Terminsverlegungsantrag, Ablehnung, Willkür, Glaubhaftmachung, erhebliche Gründe
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 07.11.2022 – RN 9 K 22.31314
Fundstellen:
BayVBl 2023, 208
LSK 2023, 29
BeckRS 2023, 29

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) bzw. nicht gegeben ist.
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Der Bevollmächtigte des Klägers macht geltend, das Verwaltungsgericht habe seinen Antrag auf Terminsverlegung willkürlich abgelehnt. Er habe vor der auf Montag, den 7. November 2022 anberaumten mündlichen Verhandlung am Freitag, den 4. November 2022 um 14:50 Uhr deren Verlegung mit der Begründung beantragt, er leide an starken Grippesymptomen; eine Coronaerkrankung sei nicht auszuschließen. Am 7. November 2022 habe ihn um 8:12 Uhr per beA die gerichtliche Aufforderung erreicht, die Erkrankung glaubhaft zu machen. Das Gericht könne nicht ernsthaft davon ausgegangen sein, dass nach einer am Freitagnachmittag aufgetretenen Erkrankung, die sich am Wochenende intensiviert habe, er am Montag bis 9:00 Uhr einen Arzt hätte aufsuchen können. Eine solche Verpflichtung habe ihn auch nicht getroffen, da weder eine akute lebensbedrohliche Erkrankung noch ein medizinischer Notfall vorgelegen habe, in dem er prioritär von einem Arzt hätte empfangen werden können. Dies sei nach der aktuellen Rechtsprechung auch nicht erforderlich. Er habe seine Symptome anwaltlich versichert, was ein geeignetes Mittel der Glaubhaftmachung sei. Insofern habe er die gerichtlich geforderte Glaubhaftmachung durch seine handschriftliche Notiz, die das Gericht um 8:44 Uhr erhalten habe, erfüllt. Im Übrigen sei auf die gerichtlichen Hinweise zu verweisen, wonach Personen mit Erkältungssymptomen ohnehin keinen Zutritt zum Gerichtsgebäude erhielten. Auch darauf habe er in seiner Notiz hingewiesen.
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Nach § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt werden. Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „erheblichen Gründe“ ist einerseits dem im Verwaltungsprozess geltenden Gebot der Beschleunigung des Verfahrens und der Intention des Gesetzes, die gerichtliche Entscheidung möglichst aufgrund einer einzigen mündlichen Verhandlung herbeizuführen, andererseits dem verfassungsrechtlichen Erfordernis des rechtlichen Gehörs Rechnung zu tragen (BVerwG, B.v. 25.9.2013 - 1 B 8.13 - juris Rn. 13; B.v. 28.4.2008 - 4 B 47.07 - juris Rn. 22 jeweils m.w.N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör schließt das Recht eines Beteiligten ein, sich durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vertreten zu lassen (BVerwG, B.v. 21.12.2009 - 6 B 32.09 - juris Rn. 3; Jaspersen in BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, Stand 1.12.2022, § 227 Rn. 7). Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Vertretung in der mündlichen Verhandlung infolge einer kurzfristigen, überraschenden Erkrankung eines als Einzelanwalt tätigen Prozessbevollmächtigten mit daraus folgender Unzumutbarkeit des Erscheinens oder des Verhandelns ist daher in der Regel ein erheblicher Grund für eine Terminsänderung (BVerwG, B.v. 20.4.2017 - 2 B 69.16 - juris Rn. 9; B.v. 21.12.2009 a.a.O. Rn. 3; BVerfG, B.v. 8.2.2001 - 2 BvR 266/99 - juris Rn. 2), wenn die Erkrankung so schwer ist, dass ein Erscheinen zum Termin nicht erwartet werden kann (vgl. BFH, B.v. 1.4.2009 - X B 78/08 - juris Rn. 5). Liegt ein solcher Grund vor, verdichtet sich angesichts des hohen Ranges des Anspruchs auf rechtliches Gehör das durch § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingeräumte Ermessen regelmäßig zu einer entsprechenden Verpflichtung des Gerichts (BVerwG, B.v. 21.12.2009 a.a.O. Rn. 3; B.v. 22.5.2001 - 8 B 69.01 - Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 30 S. 6 = juris Rn. 5).
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Dem verhinderten Beteiligten obliegt es, die Hinderungsgründe, auf die er sich berufen will, unverzüglich nach Bekanntwerden schlüssig und substantiiert darzulegen, so dass das Gericht in die Lage versetzt wird, das Vorliegen eines erheblichen Grundes zu beurteilen und ggf. eine Ergänzung des Vortrags und (weitere) Glaubhaftmachung gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO zu verlangen (BVerwG, B.v. 26.4.1999 - 5 B 49.99 - juris Rn. 3, 6; B.v. 20.6.2000 - 5 B 27.00 - juris Rn. 10; B.v. 22.5.2001 a.a.O. Rn. 5; B.v. 29.4.2004 - 1 B 203.03 - juris Rn. 4; B.v. 20.4.2017 - 2 B 69.16 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 8 Rn. 8; BFH, B.v. 27.1.2010 - VIII B 221/09 - juris Rn. 6). Letztere sieht das Gesetz vor, wenn dem Gericht zweifelhaft erscheint, ob der von dem Beteiligten schlüssig behauptete Sachverhalt zutrifft (BVerwG, B.v. 20.6.2000 a.a.O.). Dabei dürfen vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Ranges der prozessualen Gewährleistung des rechtlichen Gehörs keine überzogenen Anforderungen gestellt werden (BVerwG, B.v. 20.6.2000 a.a.O.; B.v. 21.12.2009 a.a.O. Rn. 4). Im Einzelfall kann der bloße Vortrag genügen (Wendl in Gosch, AO/FGO, Stand November 2022, § 91 FGO Rn. 86; BFH, U.v. 26.5.1992 - VII R 26/91 - BFH/NV 1993, 177 = juris Rn. 17 f.). Die Glaubhaftmachung muss zeitlich möglich und zumutbar sein (BFH, B.v. 27.1.2010 a.a.O. Rn. 8 f. m.w.N.). Allerdings stellt die Rechtsprechung bei kurzfristig geltend gemachten Erkrankungen wegen der damit verbundenen Missbrauchsgefahr strenge(re) Anforderungen an den Vortrag und die Glaubhaftmachung (vgl. BFH, B.v. 10.3.2005 - IX B 171/03 - juris Rn. 4; BSG, B.v. 16.4.2018 - B 9 V 66/17 B - juris Rn. 5 f.; B.v. 13.8.2015 - B 9 V 13/15 B - juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 25.4.2018 - 12 ZB 17.1072 - juris Rn. 3; OVG NW, B.v. 13.4.2021 - 6 A 2041/18 - juris Rn. 12 ff.; LSG Nds-Bremen, U.v. 15.6.2016 - L 2 R 287/14 - juris Rn. 23). Wird eine Terminverlegung erst kurz vor der anberaumten mündlichen Verhandlung wegen einer Erkrankung beantragt, so muss dieser Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ihn ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann (BSG, B.v. 13.8.2015 a.a.O.; BVerwG, B.v. 20.4.2017 a.a.O. Rn. 9; OVG NW, B.v. 13.4.2021 - 6 A 2041/18 - juris Rn. 12 ff.), d.h. regelmäßig ein ärztliches Attest beigebracht werden (vgl. BFH, B.v. 5.5.2020 - III B 158/19 - juris Rn. 8; B.v. 10.4.2007 - XI B 58/06 - DStRE 2007, 1411 = juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 5.11.2019 - 12 ZB 19.1222 - juris Rn. 29 f.).
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Hieran gemessen ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers schon seiner Darlegungsobliegenheit nicht hinreichend nachgekommen. Seinem am Freitagnachmittag, den 4. November 2022 eingegangenen Verlegungsantrag ist nicht zu entnehmen, dass ihm die Sitzungsteilnahme am Montag, den 7. November 2022 unmöglich sein würde. Weder hat er mitgeteilt, an welchen „Grippesymptomen“ er leidet, noch, seit wann dies der Fall ist, ob er also der unverzüglichen Anzeigepflicht nachgekommen ist, und ob und ggf. mit welchem Ergebnis er einen Coronatest gemacht hatte. Auch aus seiner Sicht war die Verhandlungsfähigkeit am Verhandlungstermin offen, da er die Terminverlegung „sicherheitshalber“ beantragt hat. Erst aus der handschriftlichen Notiz vom Montagmorgen, 8:44 Uhr, ergab sich, dass die auch hier nicht näher mitgeteilten „Symptome“ noch anhielten und er sich deshalb für verhandlungsunfähig hielt. Die spärlichen Informationen in diesem kurzfristigen Verlegungsantrag haben es dem Gericht jedoch nicht ermöglicht, den Verhinderungsgrund ohne weitere Nachforschungen selbst zu beurteilen.
6
Auch wenn man auf den Verlegungsantrag vom Freitagnachmittag (4.11.2022) abstellen würde, handelte es sich um eine die gleichzeitige Glaubhaftmachung erfordende Erkrankung im Sinne der dargelegten obergerichtlichen Rechtsprechung, da der Antrag erst am Werktag vor der mündlichen Verhandlung und jedenfalls nach Dienstschluss gestellt worden ist (vgl. BFH, B.v. 4.11.2019 - X B 70/19 - juris Rn. 15; B.v. 8.11.2016 - I B 137/15 - juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 14.9.2020 - 6 ZB 20.31751 - juris Rn. 3, 5; B.v. 27.7.2016 - 11 ZB 16.30121 - juris Rn. 8). Erkrankungen, die Gegenstand eines derart kurzfristigen Verlegungsantrags sind, sind regelmäßig, auch von einem Bevollmächtigten, mit einem ärztlichen Attest zu belegen (vgl. BFH, B.v. 7.4.2004 - I B 111/03 - juris Rn. 17; B.v. 10.4.2007 a.a.O. Rn. 11; B.v. 10.4.2015 - III B 42/14 - juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 14.9.2020 a.a.O. Rn. 5; B.v. 5.11.2019 a.a.O. Rn. 29 f.; OVG NW, B.v. 11.8.2016 - 13 A 98/16 - juris Rn. 18 ff.). Dies wäre dem Bevollmächtigten mit Blick auf den zeitlichen Vorlauf und die bereits am frühen Freitagnachmittag bestehende Absicht, den Verhandlungstermin am Montag nicht wahrzunehmen, auch möglich und zumutbar gewesen. Es hätte ihm daher oblegen, zumindest telefonisch ein ärztliches Attest einzuholen oder ggf. darzulegen, weshalb ihm dies nicht möglich war, und einen oder ggf. mehrere Corona-Schnelltests zur Erhärtung seines Coronaverdachts zu machen. Diese Obliegenheit war auch nicht durch die damals allgemein geltenden Coronaschutzmaßnahmen bei Gericht obsolet geworden, die den Zugang zum Gerichtsgebäude bei „grippeähnlichen Symptomen wie Fieber, Atembeschwerden, Halsschmerzen, Husten… grds.“ ausschlossen (vgl. OVG NW, B.v. 25.11.2022 - 4 A 502/21 - juris Rn. 24; B.v. 1.9.2021 - 2 A 163/21 - juris Rn. 4). Auch in Pandemiezeiten sollte die Entscheidung, ob eine mündliche Verhandlung durchgeführt wird, nicht allein vom Willen des Beteiligten abhängen, da dies mit dem Ziel einer möglichst zügigen Durchführung des Verfahrens nicht vereinbar wäre (vgl. BFH, B.v. 9.11.2009 - VIII B 94/09 - ZSteu 2009, R1292-R1293 = juris Rn. 7).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
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Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).