Inhalt

VGH München, Beschluss v. 05.10.2023 – 9 ZB 23.1082, 9 ZB 23.1083, 9 ZB 23.1084
Titel:

Klage gegen Kostenentscheidung einer Zwangsgeldandrohung und gegen Androhung der Ersatzvornahme sowie den Kostenbescheid nach erfolgter Ersatzvornahme 

Normenkette:
VwGO § 122 Abs. 2 S. 3, § 124 Abs. 2
Leitsätze:
1. Umfang und Art der Tatsachenermittlung bestimmt das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Eine Aufklärungsrüge kann nur Erfolg haben, wenn sie schlüssig aufzeigt, dass das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Aufklärung hätte sehen müssen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Weiterhin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr beanstandet wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Geht das Verwaltungsgericht aufgrund einer von der Verwaltungsbehörde vorgenommenen Dokumentation vom Fortbestand sicherheitsrelevanter Mängel aus, muss es Aufklärungsmaßnahmen nicht mehr von sich aus für erforderlich halten. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zulassung der Berufung, Zwangsgeldandrohung, Ersatzvornahme, Kostenbescheid, Aufklärungsrüge, Tatsachenermittlung, pflichtgemäßes Ermessen
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 22.03.2023 – AN 3 K 22.1062, AN 3 K 22.1650, AN 3 K 23.293
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29915

Tenor

I. Die Verfahren 9 ZB 23.1082, 9 ZB 23.1083 und 9 ZB 23.1084 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.
III. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 3.994,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich gegen die Kostenentscheidung einer Zwangsgeldandrohung (Verfahren 9 ZB 23.1082), gegen die Androhung der Ersatzvornahme (Verfahren 9 ZB 23.1083) sowie gegen den Kostenbescheid nach erfolgter Ersatzvornahme (Verfahren 9 ZB 23.1084).
2
Mit für sofort vollziehbar erklärter, zwangsgeldbewehrter Sicherungsanordnung des Landratsamts Nürnberger Land vom 10. August 2020 wurde dem Kläger aufgegeben, durch geeignete Maßnahmen (z.B. engmaschiges Netz, Austausch defekter Dachziegel und Lattungen) die öffentliche Verkehrsfläche vor seinem Anwesen M…weg … … … gegen herunterfallende Dachziegel abzusichern (Nr. 1), und die defekten Zaunelemente entlang seiner Grundstücke FlNr. … und …, Gemarkung … aus dem öffentlichen Verkehrsraum zu entfernen (Nr. 2). Nach Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung durch Beschluss des Senats vom 9. November 2021 (Verfahren 9 ZB 21.2210) ist der Bescheid bestandskräftig. In der Folgezeit wurde bei mehreren Baukontrollen festgestellt, dass der Zustand der Dachhaut sowie des Zaunes unverändert fortbestand. Auf den dabei jeweils angefertigten Fotos sind unter anderem Ziegelstücke zu sehen, die auf der Straße vor dem Anwesen liegen, sowie Nägel, die vom defekten Zaun mehrere Zentimeter abstehen.
3
Der Kläger hat jeweils gegen die Kostenentscheidung der erneuten Zwangsgeldandrohung mit Bescheid vom 2. März 2022 (Nr. 3 und 4 des Tenors; Streitgegenstand im Verfahren 9 ZB 23.1082), gegen die Androhung der Ersatzvornahme mit Bescheid vom 1. Juli 2022 (Streitgegenstand im Verfahren 9 ZB 23.1083) sowie gegen den Kostenbescheid nach Durchführung der Ersatzvornahme vom 9. Januar 2023 (Streitgegenstand im Verfahren 9 ZB 23.1084) Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und mit Urteil vom 22. März 2023 abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
4
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakte verwiesen.
II.
5
Die gem. § 93 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Anträge auf Zulassung der Berufung haben keinen Erfolg. An der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und es liegen keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Auch der sinngemäß geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt nicht vor.
6
1. Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel hier nicht.
7
Das Verwaltungsgericht ist in rechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die angefochtenen Vollstreckungsmaßnahmen rechtmäßig sind und den Kläger nicht in eigenen Rechten verletzen, weil die erforderlichen Vollstreckungsvoraussetzungen vorlagen und der Kläger nach Überzeugung des Gerichts seiner Verpflichtung aus dem zugrundeliegenden Bescheid vom 10. August 2020 nicht nachgekommen ist. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen deshalb zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils. Im Hinblick auf das klägerische Vorbringen bleibt folgendes zu bemerken:
8
a) Soweit der Kläger „vortragen lässt“, er habe den Zustand der Dachziegel auf deren festen Sitz überprüft und dabei festgestellt, dass lediglich „optische Mängel“ vorgelegen hätten, überzeugt dies nicht. Aus den zahlreichen Aufnahmen in den Behördenakten (vgl. Behördenakte S. 332 ff., S. 356 ff., S. 370 ff.; S. 421 ff.; S. 472 ff.; S. 489 ff., S. 510 ff.) ergibt sich eindeutig, dass Dachziegel seit längerem nicht fachgerecht verlegt, teilweise sogar zerbrochen waren und dass die erforderliche Sicherung gegen herabfallende Ziegelstücke nicht gewährleistet war. Zu erkennen sind u.a. Lücken sowie schräg aus der Dachhaut herausragende Ziegel, was nach allgemeiner Lebenserfahrung ein Anzeichen dafür ist, dass diese jedenfalls nach geraumer Zeit witterungsbedingt herunterzufallen drohen. Demgegenüber lässt sich auf den vom Landratsamt nach der Durchführung der Ersatzvornahme gefertigten Fotos (vgl. Behördenakte S. 518 ff., S. 552 ff.) ersehen, dass sich das Dach an den zuvor schadhaften Stellen nunmehr in ordnungsgemäßem Zustand befindet. Der Kläger setzt insofern seine eigene Einschätzung in Bezug auf den festen Sitz von Dachziegeln und auf die Gefahr des Herabfallens von Ziegelstücken an die Stelle der Beurteilung der fachkundigen Stellen, ohne diese dadurch erschüttern zu können. Hinzukommt, dass auf mehreren Aufnahmen Ziegelteile zu erkennen sind, die auf der Straße liegen. Der Kläger benennt keine nachvollziehbaren Gründe dafür, dass diese Ziegelstücke nicht von seinem Dach gefallen sind. Warum dies physikalisch unmöglich sein soll, wird nicht erläutert. Der vom Kläger angedeutete Geschehensverlauf, es könne sich um Ziegelstücke handeln, die seit längerem in seinem Garten lagerten und von dort auf die Straße gelangt sind, wird nicht belegt und erscheint lebensfremd. Die behauptete Vermoosung der Ziegelbrocken, die als Indiz angeführt wird, ist auf den Bildern nicht zu erkennen. Sie ließe sich aber ohne Weiteres dadurch erklären, dass einzelne Ziegel, die nicht ordnungsgemäß im Dach verankert sind und aus der Dachhaut herausragen oder solche, die aus anderen Gründen starken Witterungseinflüssen ausgesetzt sind, erfahrungsgemäß dazu neigen, an den Rändern vermehrt Moos anzusetzen. Auch im Übrigen stellt der Kläger entweder bloße Spekulationen an oder wiederholt im Wesentlichen nur seinen bisherigen Vortrag, ohne sich mit den Gründen des angefochtenen Urteils hinreichend auseinanderzusetzen.
9
b) Entgegen der Ansicht des Klägers bezog sich die Verpflichtung, die defekten Zaunelemente aus dem Verkehrsraum zu entfernen, ausweislich des Tenors in Nr. 2 des Ausgangsbescheids auf beide Grundstücke (FlNr. … und …). Sowohl die Zwangsgeldandrohung als auch die Androhung der Ersatzvornahme nehmen ausdrücklich Bezug auf die „Tenorziffer 2“, so dass hinsichtlich des räumlichen Umfangs keine Zweifel bestehen konnten. In den Akten finden sich – entgegen dem klägerischen Einwand – auch zahlreiche Aufnahmen, die den Zustand des seit längerem defekten Zauns belegen. Daraus lässt sich entnehmen, dass Latten in die öffentliche Verkehrsfläche hineinzuragen drohten oder bereits hineinragten. Zudem finden sich Bilder von Nägeln, die aus dem Holz hervorstehen.
10
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die im Zulassungsantrag zum Sachverhalt aufgeworfenen Fragen lassen sich aus dem in den Behördenakten vorhandenem Bildmaterial ohne Weiteres klären. Auf die Ausführungen unter 1. wird verwiesen.
11
3. Der Zulassungsantrag kann auch nicht mit Erfolg auf § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO gestützt werden. Soweit der Kläger eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung durch das Verwaltungsgericht hinsichtlich des Bestehens von Mängeln am Dach kritisiert, kann er damit ebenfalls nicht durchdringen.
12
Umfang und Art der Tatsachenermittlung bestimmt das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. BVerwG, U.v. 14.11.1991 – 4 C 1.91 – juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 2.4.2019 – 9 ZB 16.597 – juris Rn. 11). Eine Aufklärungsrüge – wie hier – kann nur Erfolg haben, wenn sie schlüssig aufzeigt, dass das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Aufklärung hätte sehen müssen. Mit der Beschwerde muss ferner dargelegt werden, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der unterbliebenen Aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können (BVerwG, B.v. 16.3.2011 – 6 B 47.10 – juris Rn. 12). Weiterhin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr beanstandet wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 4 B 21.16 – juris Rn. 12 m.w.N.; BayVGH, B.v. 20.5.2019 – 9 ZB 18.1261 – juris Rn. 21). Daran fehlt es hier. Der Kläger legt vor allem nicht dar, warum es ihm nicht möglich gewesen sein soll – etwa im Wege der Einvernahme der Mitarbeiter der Fachfirma, deren Namen und ladungsfähige Anschriften ohne Weiteres hätten ermittelt werden können – eine Sachverhaltsaufklärung anzustoßen. Nachdem das Verwaltungsgericht aufgrund der vom Landratsamt vorgenommenen Dokumentation vom Fortbestand sicherheitsrelevanter Mängel ausging, musste es Aufklärungsmaßnahmen nicht mehr von sich aus für erforderlich halten (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2018 – 9 ZB 16.321 – juris Rn. 32). Von der Herstellung ordnungsgemäßer Zustände hat sich das Gericht nicht zuletzt durch die Lichtbilder überzeugen können, die das Landratsamt nach gerichtlicher Aufforderung vom aktuellen Zustand der Dachhaut und des Gartenzauns gefertigt hat. Diesen lässt sich entnehmen, dass die zuvor auf den Bildern identifizierbaren schadhaften Stellen in der Dachhaut nunmehr ordnungsgemäß eingedeckt sind und dass die Bereiche des Zauns, die in den Verkehrsraum ragten oder dorthin zu fallen drohten, nach hinten, auf den klägerischen Grundstücken abgelegt wurden.
13
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
14
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
15
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).