Titel:
Unwirksamkeit eines Bebauungsplanes wegen Verkündungsmangel
Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 1
BauGB § 10 Abs. 3 S. 1, § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Alt. 3, § 215 Abs. 1 S. 1
GO Art. 26 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Für die Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren reicht es aus, dass ein Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die zu prüfende Norm in einem subjektiven Recht verletzt wird. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Ersatzverkündung eines Bebauungsplans bedarf es eines Hinweises, um den ausliegenden Bebauungsplan zu identifizieren, der geeignet sein muss, das Inkrafttreten neuen Bebauungsrechts in einem näheren Bereich des Gemeindegebiets dem Normadressaten gegenüber bewusst zu machen und denjenigen, der sich über den genauen räumlichen und gegenständlichen Regelungsgehalt des Bebauungsplans informieren will, zu dem richtigen – bei der Gemeinde ausliegenden – Plan zu führen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Durch die Ausfertigung wird der als Satzung erlassene Bebauungsplan als Originalurkunde hergestellt, die den Willen des Normgebers nach außen wahrnehmbar macht und zudem bestätigt und sichergestellt, dass der Inhalt des Bebauungsplans mit dem Willen des Gemeinderats übereinstimmt (sog. „Identitätsfunktion“ bzw. „Beurkundungs- und Gewährleistungsfunktion“). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrolle, Bebauungsplan, Verkündungsmangel, Normenkontrollantrag, Antragsbefugnis, Satzungsbeschluss, Bekanntmachung, Geltungsbereich, Kennzeichnung, beachtlicher Fehler, Ausfertigungsmangel, Identitätsfunktion, Beurkundungsfunktion, Gewährleistungsfunktion
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29913
Tenor
I. Der am 8. Juni 2016 bekanntgemachte Bebauungsplan Nr. ... „Mobilfunk ...“ der Antragsgegnerin ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Antragstellerin wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. … „Mobilfunk …“ der Antragsgegnerin, der im Wesentlichen darauf abzielt, im Gemeindegebiet einzelne Standorte für Mobilfunkanlagen festzusetzen, im Übrigen aber deren Zulässigkeit als Haupt- oder Nebenanlagen (§ 14 BauNVO 1990) im Geltungsbereich des Plans auszuschließen und der – mit einzelnen Ausnahmen – die im Flächennutzungsplan der Antragsgegnerin dargestellten Baugebiete umfasst. Die parallel dazu in Kraft getretene 3. Änderung des Flächennutzungsplans „Konzentrationsflächen für Mobilfunkanlagen“, die eine Konzentrationsflächenplanung zum Inhalt hat, ist Gegenstand des Normenkontrollverfahrens 9 N 17.1119.
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Die Antragstellerin, ein Mobilfunkinfrastruktur-Dienstleister, ist maßgeblich am Ausbau der Infrastruktureinrichtungen für alle Mobilfunkanbieter in Deutschland beteiligt und betreibt auch im Gemeindegebiet Mobilfunkstandorte. Sie rügte mit Telefax vom 8. Juni 2017 gegenüber der Antragsgegnerin formelle und materielle Mängel des Bebauungsplans, unter anderem den fehlenden Hinweis zur Identifikation des räumlichen Geltungsbereichs des Planes bei der Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses, die mangelnde Erforderlichkeit der Bauleitplanung sowie zahlreiche Abwägungsfehler: Die Planung berücksichtige die Netzstruktur ihres Mobilfunknetzes nicht hinreichend und die Eignung der gewählten Standorte sei zu bezweifeln. Demgegenüber seien die privaten Belange in Form der Vorsorge überbewertet worden. Im Normenkontrollverfahren beruft sich die Antragstellerin darüber hinaus auch auf die fehlerhafte Ausfertigung der aus zwei nicht miteinander verbundenen Kartenteilen bestehenden Planurkunde. Der ausgefertigte Planteil nehme auf den zweiten Teil nicht hinreichend Bezug.
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den Bebauungsplan Nr. … – Mobilfunk … – der Antragsgegnerin, in Kraft getreten durch Bekanntmachung im Amtsblatt der Antragsgegnerin vom 8. Juni 2016, für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegnerin hat beantragt,
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Sie betont die Eignung der vorgesehenen Standorte und kündigte zunächst an, ein ergänzendes Verfahren zur Heilung möglicher Bekanntmachungsmängel durchführen zu wollen. Im Februar 2021 entschied der Gemeinderat der Antragsgegnerin, das ergänzende Verfahren einzustellen und stattdessen ein Verfahren zur förmlichen Aufhebung des Bebauungsplans einzuleiten. Nachdem das Landratsamt Bedenken in Bezug auf die Planunterlagen geäußert und eine Darstellung der aufzuhebenden Planbestandteile auf einem gesonderten Planblatt unter Gegenüberstellung der bisherigen und der künftigen Rechtslage gefordert hatte, verfolgte die Antragsgegnerin auch das Aufhebungsverfahren nicht mehr weiter. Ein Zugriff auf die seinerzeitigen Daten sei nicht möglich und eine nachträgliche Digitalisierung mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden.
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Auf Anregung des Gerichts haben Antragstellerin und Antragsgegnerin auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Der Normenkontrollantrag, über den der Senat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg.
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1. Der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist zulässig. Er wurde innerhalb der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt. Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Hierfür reicht es nach ständiger Rechtsprechung aus, dass sie hinreichend substantiiert Tatsachen vorgetragen hat, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass sie durch die zu prüfende Norm in einem subjektiven Recht verletzt wird (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 47 Rn. 41 m.w.N.). Die Antragsbefugnis fehlt nur dann, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte verletzt sein können (vgl. BVerwG, U.v. 17.1.2001 – 6 CN 4.00 – juris Rn. 10). Es genügt die nach dem Tatsachenvortrag bestehende Möglichkeit einer fehlerhaften Behandlung eigener Belange in der Abwägung (vgl. BVerwG, B.v. 16.6.2020 – 4 BN 53.19 – juris Rn. 9; BayVGH, U.v. 16.7.2019 – 9 N 17.2391 – juris Rn. 18, jew. m.w.N.), die hier gegeben ist. Die Antragstellerin betreibt als überregional tätiger Mobilfunkinfrastruktur-Dienstleister Mobilfunkstandorte im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin und ist dort maßgeblich am Ausbau der entsprechenden Infrastruktur beteiligt. Die Festsetzungen im Bebauungsplan entfalten ihr gegenüber einschränkende rechtliche Wirkungen. Nach dem tatsächlichen Vorbringen erscheint es möglich, dass ihr Interesse, im Plangebiet Mobilfunkbasisstationen mit den hierfür notwendigen Antennenanlagen betreiben und fortentwickeln zu können, nicht hinreichend berücksichtigt oder in der Abwägung fehlgewichtet wurde.
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2. Der Normenkontrollantrag ist auch begründet.
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a) Der Bebauungsplan leidet an einem Verkündungsmangel. In der ortsüblichen Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses (§ 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB) fehlt es an der erforderlichen Kennzeichnung des Geltungsbereichs.
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Das Rechtsstaatsprinzip gebietet, dass förmlich gesetzte Rechtsnormen verkündet werden. Die Verkündung ist Geltungsbedingung. Sie verlangt, dass eine Rechtsnorm der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich gemacht wird, dass sich die Betroffenen verlässlich Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen können. Für die Ersatzverkündung eines Bebauungsplans gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB bedarf es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2020 – 4 CN 2.19 – juris Rn. 16 f. m.w.N., unter Berufung auf § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 3 BauGB) hierfür eines Hinweises, um den ausliegenden Bebauungsplan zu identifizieren. Dieser muss geeignet sein, das Inkrafttreten neuen Bebauungsrechts in einem näheren Bereich des Gemeindegebiets dem Normadressaten gegenüber bewusst zu machen und denjenigen, der sich über den genauen räumlichen und gegenständlichen Regelungsgehalt des Bebauungsplans informieren will, zu dem richtigen – bei der Gemeinde ausliegenden – Plan zu führen (BVerwG, B.v. 3.6.2010 – 4 BN 55.09 – juris Rn. 13). Die Bekanntgabe kann etwa mittels einer schlagwortartigen Kennzeichnung einen Hinweis auf den räumlichen Geltungsbereich des Plans geben (BVerwG, U.v. 6.7.1984 – 4 C 22.80 – BVerwGE 69, 344/350; U.v. 29.10.2020 – 4 CN 2.19 – a.a.O. m.w.N.). In Fällen, in denen der räumliche Geltungsbereich eines Bebauungsplans aus mehreren nicht verbundenen, sich über verschiedene Gemarkungen des Gemeindegebiets erstreckenden Gebieten besteht, muss die Bekanntmachung auf alle Teile des Geltungsbereichs abstellen, um der gemeindlichen Öffentlichkeit eine verlässliche Kenntnisnahme vom geltenden Recht in einem näheren Bereich des Gemeindegebiets zu vermitteln (Hess. VGH, U.v. 18.5.2017 – 4 C 2399/15.N – juris Rn. 46 f.; OVG NW, U.v. 5.7.2018 – 7 D 11/16.NE – juris Rn. 28 m.w.N.; Reidt in: Bracher/Reidt/Schiller, Bauplanungsrecht, 9. Aufl. 2022 Rn. 11.470).
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Diese Anforderungen erfüllt die Bekanntmachung vom 8. Juni 2016 nicht. Der Geltungsbereich, der sich nicht auf das gesamte Gemeindegebiet, sondern auf unterschiedliche Gemeindeteile erstreckt, wurde nicht in einer abgedruckten Plankarte zeichnerisch dargestellt und es fehlt an einer textlichen Umschreibung des Planbereichs. Über die Gemeindebezeichnung hinaus („Mobilfunk …“) finden sich weder geographische Lagebezeichnungen, wie etwa Bezugnahmen auf Ortsteile oder anliegende Straßen, noch Flurstücks-Nummern der betroffenen Grundstücke.
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Der Fehler ist nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 3 BauGB beachtlich, weil der beschriebene, mit der Bekanntmachung verfolgte Hinweiszweck nicht erreicht wurde (vgl. Hess. VGH, U.v. 18. Mai 2017 – 4 C 2399/15.N – juris Rn. 48). Der Mangel kann anders als eine Verletzung der in § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BauGB bezeichneten Verfahrens- und Formvorschriften nicht nach § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB unbeachtlich werden. Er wurde dessen ungeachtet von der Antragstellerin auch innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB schriftlich gegenüber der Antragsgegnerin ausdrücklich gerügt.
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b) Es spricht darüber hinaus alles dafür, dass der Bebauungsplan auch aufgrund eines gegen Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO verstoßenden Ausfertigungsmangels unwirksam ist.
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Bebauungspläne sind Satzungen (§ 10 Abs. 1 BauGB) und als solche nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO auszufertigen. Dies gebietet das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 3 Abs. 1 BV), das die Identität der erlassenen Norm und ihres Inhalts mit dem vom Normgeber Beschlossenen verlangt. Durch die Ausfertigung wird die Satzung als Originalurkunde hergestellt, die den Willen des Normgebers nach außen wahrnehmbar macht; zudem wird bestätigt und sichergestellt, dass der Inhalt des als Satzung beschlossenen Bebauungsplans mit dem Willen des Gemeinderats übereinstimmt (sog. „Identitätsfunktion“ bzw. „Beurkundungs- und Gewährleistungsfunktion“). Art, Inhalt und Umfang der Ausfertigung richten sich dabei nach Landesrecht. Besteht der Bebauungsplan nicht aus einem einzigen Satzungsteil und sind nicht alle Einzelteile bzw. Einzelblätter ausgefertigt, muss – wenn keine feste Verbindung besteht – auf den ausgefertigten Teilen in einer Weise auf die nicht ausgefertigten Bestandteile der Satzung Bezug genommen werden, die jeden Zweifel an der Identität bzw. der Zusammengehörigkeit ausschließt. Der mit Unterschrift des Bürgermeisters versehene Ausfertigungsvermerk auf lediglich einem Einzelblatt genügt in diesen Fällen grundsätzlich nur dann den Anforderungen des Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO für eine wirksame Ausfertigung, wenn alle Einzelblätter des Bebauungsplans mit Regelungsinhalt zusammen mit dem ausgefertigten Blatt des Bebauungsplans durch eine Art „gedanklicher Schnur“ untereinander dergestalt verknüpft sind, dass jeder Zweifel an der Zugehörigkeit der nicht gesondert ausgefertigten Teile zur Gesamtsatzung ausgeschlossen ist (s. zum Ganzen BayVGH, U.v. 28.4.2017 – 15 N 15.967 – juris LS und Rn. 33 ff.; U.v. 11.5.2018 – 15 N 17.1175 – juris Rn. 31 f.; U.v. 10.8.2022 – 9 N 20.1772 – juris Rn. 25, jew. m.w.N.).
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Diesen Anforderungen wird der angegriffene Bebauungsplan nicht gerecht, der aus zwei getrennten Kartenblättern besteht, von denen nur eines den vom Ersten Bürgermeister am 24. Mai 2016 unterzeichneten Ausfertigungsvermerk trägt. Zwar weist die nicht gesondert ausgefertigte zweite Planzeichnung hinsichtlich der Planfertigung und -änderung in Teilen gleiche Daten aus (11.6.2015 sowie 2.2.2016), das aktuellste Datum, das zudem mit der Unterschrift des Architekten und Stadtplaners versehen ist (20.5.2016), fehlt aber auf dem zweiten Blatt. Vor allem findet sich auf der ausgefertigten Planzeichnung mit den textlichen Festsetzungen und Hinweisen keine ausdrückliche Bezugnahme auf die weitere Planzeichnung. Durch das bloße Abheften in demselben Ordner mit Schnellheftungssystem wurde auch keine hinreichende körperliche Verbindung mit der ausgefertigten Planzeichnung geschaffen, die einen Verzicht auf eine „gedankliche Schnur“ rechtfertigen könnte (vgl. BayVGH, U.v. 11.5.2018 – 15 N 17.1175 – juris Rn. 32 m.w.N.). Die Entnahme oder das Auswechseln von Einzelblättern ohne Substanzzerstörung wäre bei dieser Sachlage möglich, d.h. die Auseinandertrennung der einzelnen Bestandteile bzw. Seiten des Bebauungsplans würde nicht zwangsläufig zur Zerstörung einer Gesamturkunde führen (vgl. BayVGH, U.v. 11.5.2018 – 15 N 17.1175 – a.a.O. m.w.N.).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
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Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO muss die Antragsgegnerin die Ziffer I. der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre.