Titel:
Erstattung von Ausbildungskosten nach vorzeitiger Entlassung aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit wegen Kriegsdienstverweigerung
Normenketten:
SG § 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 Hs. 1, § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 4
GG Art. 4 Abs. 3
EMRK Art. 9
Leitsätze:
1. Ein als Kriegsdienstverweigerer anerkannter Soldat auf Zeit unterliegt nach der Entlassung aus der Bundeswehr gem. § 56 Abs. 4 S. 1 SG iVm § 55 Abs. 1, § 46 Abs. 2 Nr. 7 SG der Pflicht zur Erstattung der Ausbildungskosten. Diese Einbeziehung anerkannter Kriegsdienstverweigerer in die Erstattungspflicht verstößt nach einhelliger Rechtsprechung nicht gegen Art. 4 Abs. 3 GG. Denn die Rückzahlungsverpflichtung richtet sich nicht als Sanktion gegen die Gewissensentscheidung, sondern soll einen Vorteilsausgleich herbeiführen, nachdem der Soldat auf Kosten des Dienstherrn Spezialkenntnisse und -fähigkeiten erworben hat, während der Dienstherr die Kosten der Ausbildung (zum Teil) vergeblich aufgewandt hat. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach ständiger Rechtsprechung führt die Anwendung der Härtefallregelung aufgrund der Ausstrahlungswirkung des Art. 4 Abs. 3 GG zu einer Begrenzung der Erstattungspflicht auf solche Kosten, die der anerkannte Kriegsdienstverweigerer dadurch erspart hat, dass die Bundesrepublik Deutschland den Erwerb von Fachkenntnissen und Fähigkeiten finanziert hat, die ihm im weiteren Berufsleben von Nutzen sind. Dieser im Rahmen der Ermessensausübung des Dienstherrn nach § 56 Abs. 4 S. 3 SG zu bestimmende auszugleichende Vorteil besteht in der Ersparnis von Aufwendungen, die der Soldat andernfalls selbst für ein Studium in Ausbildungseinrichtungen außerhalb der Bundeswehr hätte aufbringen müssen. Erspart sind neben den unmittelbaren Ausbildungskosten wie Ausbildungsgebühren und Aufwendungen für Ausbildungsmittel insbesondere auch die mittelbaren Kosten der Ausbildung wie unter anderem die während dieser Zeit aufzubringenden Lebenshaltungskosten und Kosten für die Krankenversicherung. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Soldatenrecht, Soldat auf Zeit, Medizinstudium, Kriegsdienstverweigerer, Rückforderung von Ausbildungskosten, Stundungszinsen, Verjährung, Rückforderung, Ausbildungskosten, Erstattungspflicht, Härte, Verzinsung, Rückwirkung, Rechtsanwalt, Vollmacht, Zustellung, Berechnung, Entreicherung, Härteklausel, ersparte Ausbildungskosten, Verfassungsgemäßheit
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 04.05.2023 – Au 2 K 22.1877
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29906
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. Mai 2023 – Au 2 K 22.1877 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 58.431,50 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, greifen nicht durch (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
2
1. Der Kläger wendet sich gegen die Erstattung von Ausbildungskosten in Höhe von 58.431,50 €, nachdem er nach seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit vorzeitig entlassen worden ist.
3
Er war zum 1. Juli 2008 als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere des Sanitätsdienstes in die Bundeswehr eingestellt und zum 11. Juli 2008 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen worden. Seine Dienstzeit war auf 17 Jahre mit Dienstzeitende zum 30. Juni 2025 festgesetzt worden. Vom 1. Oktober 2008 bis zum 14. Dezember 2014 studierte er unter Beurlaubung vom militärischen Dienst erfolgreich Humanmedizin und bezog während dieser Zeit Ausbildungsgeld nach Maßgabe des § 30 Abs. 2 SG. Im Dezember 2014 wurde ihm die Approbation als Arzt erteilt. Vom 15. Dezember 2016 bis zum 31. März 2017 absolvierte er eine klinische Weiterbildung im Bereich Innere Medizin an einem Bundeswehrkrankenhaus.
4
Mit Bescheid vom 22. März 2018 wurde der Kläger auf seinen Antrag hin als Kriegsdienstverweigerer anerkannt und infolge dessen mit weiterem Bescheid vom 19. April 2018 mit Ablauf des 3. Mai 2018 gemäß § 55 Abs. 1 SG i.V.m. § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SG aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit aus der Bundeswehr entlassen. Mit Schreiben vom 21. Oktober 2021 wurde der Kläger zur Rückforderung entstandener Kosten nach § 56 Abs. 4 SG angehört. Daraufhin trat der Bevollmächtige des Klägers für diesen gegenüber der Behörde auf, stand mit ihr in Korrespondenz und legte unter dem 6. Dezember 2021 eine vom Kläger unterschriebene Vollmacht vor.
5
Mit dem streitgegenständlichen Leistungsbescheid vom 16. Dezember 2021, dem Bevollmächtigten am selben Tag per Fax und per Postzustellungsurkunde am 18. Dezember 2021 zugestellt, forderte die Beklagte den Kläger auf, den ihm anlässlich seines Studiums verbliebenen geldwerten Vorteil in Höhe von 58.431,50 € zu erstatten. Den vom Kläger erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 2022 zurück. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 4. Mai 2023 die Klage abgewiesen. Die vom Kläger angefochtenen Bescheide seien nach § 56 Abs. 4 SG rechtmäßig und verletzten diesen nicht in seinen Rechten.
6
2. Die Einwände, die der Kläger gegen das erstinstanzliche Urteil vorbringt, können die Zulassung der Berufung nach keinem der in § 124 Abs. 2 VwGO aufgezählten Zulassungsgründe rechtfertigen
7
a) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
8
Solche Zweifel wären begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
9
Rechtsgrundlage der angefochtenen Bescheide ist § 56 Abs. 4 SG. Nach dieser Vorschrift muss ein früherer Soldat auf Zeit, dessen militärische Ausbildung mit einem Studium oder einer Fachausbildung verbunden war und der auf seinen Antrag entlassen worden ist oder als auf eigenen Antrag entlassen gilt, die entstandenen Kosten des Studiums oder der Fachausbildung erstatten. Unter den gleichen Voraussetzungen muss ein früherer Soldat auf Zeit in der Laufbahn der Offiziere des Sanitätsdienstes das ihm als Sanitätsoffizier-Anwärter gewährte Ausbildungsgeld erstatten. Nach § 56 Abs. 4 Satz 3 SG kann auf die Erstattung ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn sie für den früheren Soldaten eine besondere Härte bedeuten würde. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger der Erstattungspflicht unterliegt. Denn er hat als Soldat auf Zeit ein Studium der Humanmedizin an der Universität U. absolviert und wurde vor Ablauf der eingegangenen Verpflichtungszeit entlassen, nachdem er als Kriegsdienstverweigerer anerkannt worden war. Das gilt gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 Halbs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 SG als Entlassung auf eigenen Antrag.
10
aa) Ohne Erfolg macht der Zulassungsantrag geltend, schon die „Verurteilung“ des Klägers zur Entrichtung von Stundungszinsen sei rechtswidrig. Der Kläger trägt insoweit vor, die Forderung der Beklagten sei schon 2018 entstanden. Zu diesem Zeitpunkt habe es an einer Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung von Zinsen gefehlt. Erst zum 4. August 2019 sei der neue Satz 4 des § 56 Abs. 1 SG in Kraft getreten. Das Verwaltungsgericht habe mit der Anwendung des § 56 Abs. 4 Satz 4 SG 2019 das Rückwirkungsverbot verletzt.
11
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids ist grundsätzlich der Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung, hier des Widerspruchsbescheids (vgl. hierzu Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 97 ff.). Somit ist für die Frage der Rechtmäßigkeit der Erhebung von Zinsen die Regelung des § 56 SG in der aktuellen Fassung anzuwenden. Satz 4 des Abs. 4 wurde mit Wirkung vom 9. September 2019 durch Gesetz vom 4. August 2019 (BGBl. I S. 1147) angefügt.
12
Gemäß § 56 Abs. 4 Satz 4 SG sind gestundete Erstattungsbeiträge nach Ablauf eines Monats nach der Bekanntgabe des Rückforderungsbescheids bis zum Ablauf des Kalendermonats vor Zahlung mit 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu verzinsen.
13
Der Einwand, diese Regelung sei wegen des Ausscheidens des Klägers im Jahr 2018 und des Verbots der Rückwirkung nicht anwendbar, geht daher schon im Ansatz fehl. Solange nicht über die Rückforderung entschieden war, war der entscheidende Lebensvorgang noch nicht abgeschlossen und der Kläger durfte nicht darauf vertrauen, das im Zeitpunkt seines Ausscheidens geltende Recht werde sich in Zukunft nicht ändern. Eine Prüfung auf Verhältnismäßigkeit sieht § 56 Abs. 4 Satz 4 SG nicht vor; die gestundeten Erstattungsbeträge sind zu verzinsen. Auf die Frage, ob die Beklagte ihrerseits ein Darlehen für die Ausbildung des Klägers aufgenommen hat, kommt es nicht an.
14
bb) Der Kläger wendet unter Wiederholung seines Vortrags in der ersten Instanz ein, etwaige Ansprüche der Beklagten auf Rückforderung von Ausbildungsvergütung seien verjährt. Die Beklagte habe den Rückforderungsbescheid vom 16. Dezember 2021 an den falschen Adressaten übermittelt, nämlich nicht an den Kläger, sondern seinen erst später entsprechend bevollmächtigten Rechtsanwalt. Das Verwaltungsgericht setze sich in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Entscheidend sei vorliegend, dass in keiner Weise Anknüpfungspunkte für die Annahme einer durch Auslegung zu ermittelnden möglichen Empfangs- bzw. Zustellungsvollmacht vorhanden gewesen seien. Auch insoweit ergeben sich keine Zweifel, denen in einem Berufungsverfahren weiter nachzugehen wäre.
15
Das Verwaltungsgericht ist in zulassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass der geltend gemachte Rückforderungsanspruch nicht verjährt ist. Es weist zutreffend darauf hin, dass der Bevollmächtigte, dem der Bescheid vom 16. Dezember 2021 per Fax am selben Tag und mit PZU am 18. Dezember 2021 zugestellt worden war, eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hatte, die sich auch auf die Zustellung eines Rückforderungsbescheids bezieht (UA S. 19 f.). Die vom Kläger zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 20.1.2017 – 8 B 23.16 – juris) betraf einen gänzlich anderen Sachverhalt. Dort lag lediglich eine bloße Vertretungsanzeige gegenüber der Behörde vor. Die bei den Akten befindliche Vollmachtsurkunde hatte der Kläger im vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall nicht unterschrieben. Hier liegt hingegen eine vom Kläger unterschriebene Vollmacht vor. Worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hinweist, hatte der Bevollmächtigte durch seinen vertieften und wiederholten Schriftverkehr mit der Behörde zu verstehen gegeben, dass er die Angelegenheit für den Kläger bearbeite. Aus den Behördenakten ergibt sich, dass der Bevollmächtigte sich mit Schreiben vom 15. November 2021 gegenüber der Behörde für die „angenehme Gesprächsatmosphäre“ bedankt, verschiedene Fragen bzgl. benötigter Unterlagen bzw. Angaben stellt und um Fristverlängerung bittet. Mit E-Mail vom selben Tag übersandte die Behörde dem Bevollmächtigten den Antrag auf Ratenzahlung bzw. Stundung des Rückforderungsbetrages als pdf-Datei (Behördenakten Bl. 78) und verlängerte die Frist zur Vorlage der Unterlagen wie gewünscht bis 6. Dezember 2021. Mit Schreiben vom 17. November 2021 stellte der Bevollmächtigte für den Kläger einen Antrag auf Verzicht auf die Rückforderung wegen besonderer Härte und zugleich einen Antrag auf Stundung/Ratenzahlung (Bl. 79 der Behördenakte). Wenn der Bevollmächtigte in keiner Weise empfangsberechtigt gewesen wäre, hätte er zu diesem Zeitpunkt schon darauf hinweisen müssen, dass er den ihm per E-Mail zugesandten Antrag auf Ratenzahlung bzw. Stundung nicht entgegennehmen könne. Im Gegenteil ergibt sich aus den Akten, dass es vorab ein Gespräch zwischen Bevollmächtigtem und Behörde gegeben hatte, aufgrund dessen dem Bevollmächtigen gerade eben der entsprechende Antrag elektronisch übermittelt worden war. Insoweit ist der Vortrag, es habe keinerlei Anknüpfungspunkte für eine Empfangs- bzw. Zustellungsvollmacht gegeben, nicht nachvollziehbar. Die vom Bevollmächtigten der Behörde vorgelegte Vollmacht datiert vom 4. November 2021 und ist vom Kläger unterschrieben.
16
Auch die weitere vom Zulassungsantrag angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 25.2.1994 – 8 C 2.92 – juris) spricht nicht für die Ansicht des Klägers, es habe bei Zustellung des angefochtenen Bescheids keine entsprechende Vollmacht des Bevollmächtigten gegeben. Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, die Bevollmächtigung (hier: des Verwalters einer Wohnungseigentümergemeinschaft) brauche nicht ausdrücklich erfolgt zu sein; vielmehr gelte auch derjenige als Bevollmächtigter, der wie ein Bevollmächtigter auftrete, wenn der von ihm durch sein Auftreten erzeugte Rechtsschein der Bevollmächtigung dem oder den Vertretenen zurechenbar sei. Dies könne durch eine Anscheins- oder Duldungsvollmacht bewirkt werden. Das Vorliegen einer Anscheinsvollmacht hat das Bundesverwaltungsgericht dann im konkreten Fall bejaht. Warum dieser Fall für die Annahme des Klägers, der Bevollmächtigte habe nur Erklärungen abgeben, aber nichts entgegennehmen dürfen, sprechen soll, erschließt sich nicht. Im Fall des Klägers war zusätzlich zum Auftreten des Bevollmächtigten gegenüber der Behörde vor Bescheidserlass sogar eine vom Kläger unterschriebene Vollmacht schriftlich vorgelegt worden.
17
cc) Der Kläger wendet des Weiteren ein, die Beklagte habe die Berechnung der Höhe der Kosten des Studiums auf eine nicht nachvollziehbare Grundlage ihrer eigenen Bemessungsgrundsätze durchgeführt. Sie habe Sold, aber keine Ausbildungskosten zurückgefordert und „Sowiesokosten“ geltend gemacht. Er sei zudem entreichert und gutgläubig. Ihm seien überhaupt keine Vorteile entstanden, da er entweder einen Unterhaltsanspruch gegenüber seinen Eltern gehabt hätte oder der Staat über das BAföG für die im Zusammenhang und während der Dauer des Studiums anfallenden Kosten aufgekommen wäre. Er werde nun im Ergebnis schlechter gestellt als ein BAföG-Empfänger im zivilen Leben. Das Zahlenwerk der Beklagten sei nebulös. Die Beklagte habe zudem die Abdienquote falsch berechnet. Diese – pauschalen – Einwände begründen keine Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.
18
Bei Anwendung der Härteklausel des § 56 Abs. 4 Satz 3 SG geht es darum, welche Lebenshaltungskosten der anerkannte Kriegsdienstverweigerer dadurch erspart hat, dass sein Studium durch die Bundeswehr finanziert worden ist. Eine „Ersparnis“ in diesem Sinne liegt vor, wenn und soweit der Betroffene im Rahmen einer zivilen Ausbildung die insoweit erforderlichen Mittel „selbst hätte aufbringen müssen“, wenn er sie also selbst hätte finanzieren müssen, sei es durch Einsatz seines sonstigen Vermögens, durch Aufnahme von Nebenjobs, durch Geltendmachung etwaiger Unterhaltsansprüche gegenüber seinen Eltern oder durch Inanspruchnahme staatlicher Ausbildungsförderung nach dem BAföG (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2015 – 6 ZB 14.1841 – juris Rn. 13 m.w.N.). Die Beklagte hat hier der Sache nach die Mittel für die Lebenshaltung getragen und es damit dem Kläger ermöglicht, ein zivil verwertbares Medizinstudium zu absolvieren, ohne es selbst finanzieren zu müssen. Darin liegt der zu erstattende wirtschaftliche Vorteil für den Kläger (BayVGH, B.v. 6.8. 2019 – 6 ZB 19.1248 – juris Rn. 25).
19
Insoweit geht der Einwand des Klägers fehl, ihm seien gar keine Vorteile entstanden. Dass er gegenüber den Eltern keinen Unterhaltsanspruch geltend machen bzw. er sich nicht um die staatliche Ausbildungsförderung nach dem BAföG bemühen musste, ist gerade ein zu erstattender wirtschaftlicher Vorteil für ihn. Dass die Abdienquote falsch berechnet sei, wird im Zulassungsantrag behauptet, ohne dies näher ausführen. Der Einwand von angeblichen „Sowieso-Kosten“, die nicht erstattet werden müssten, geht ebenfalls fehl. Es ist schon nicht nachvollziehbar, wo die Beklagte solche Kosten explizit aufgeführt hätte.
20
Soweit der Kläger behauptet, das Zahlenwerk der Beklagten sei nebulös, genügt dies bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, zumal dieser Vortrag sich nicht mit den Aufstellungen der Beklagten im angefochtenen Rückforderungsbescheid samt Anlagen auseinandersetzt.
21
Es bestehen keine Bedenken gegen die von der Beklagten vorgenommene fiktive Berechnung der ersparten mittelbaren Ausbildungskosten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine rückwirkende, zwangsläufig auf hypothetischen Annahmen beruhende Kostenermittlung niemals mehr als eine kalkulatorische Annäherung an den tatsächlichen Umfang der real ersparten Aufwendungen sein kann (HessVGH, B.v. 28.11.2008 – 1 ZU 2203/07 – juris Rn. 7). Dies führt dazu, dass sich die Aufwendungen, die der Kläger dadurch erspart hat, dass er sein Studium nicht auf eigene Kosten hat absolvieren müssen, nur generalisierend und pauschalierend bestimmen lassen (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.2015 – 2 C 40.13 – juris Rn.18; im Anschluss daran OVG BB, B.v.12.4.2019 – 10 N 62.16 – juris Rn. 7; SächsOVG, B.v. 5.12.2018 – 2 A 631/17 – juris Rn. 29, 34; BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 6 ZB 17.1416 – juris Rn. 9; OVG NW, U.v. 25.8.2016 – 1 A 2105/14 – juris Rn. 50; OVG RhPf, U.v. 10.6.2016 – 10 A 11136/15 – juris Rn. 36). Insoweit ist es auch nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte u.a. Kosten in Höhe von 800 Euro ansetzt, die für eine Ausbildung Notfallmedizin aufgewendet werden müssten. Dass sich der Kläger subjektiv als „entreichert“ und „gutgläubig“ ansieht, ist unbeachtlich.
22
dd) Entgegen der Ansicht des Klägers ist nicht ersichtlich, inwiefern ein Verstoß gegen Art. 9 EMRK oder gegen Art. 4 Abs. 3, 19 Abs. 2 sowie Art. 2 Abs. 1, Art. 12 und 14 GG vorliegen soll. Für eine Grundrechtswidrigkeit der anzuwendenden Vorschriften oder deren Auslegung durch das Verwaltungsgericht ist nicht ersichtlich.
23
Ein als Kriegsdienstverweigerer anerkannter Soldat auf Zeit unterliegt nach der Entlassung aus der Bundeswehr gemäß § 56 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 55 Abs. 1, § 46 Abs. 2 Nr. 7 SG der Pflicht zur Erstattung der Ausbildungskosten. Diese Einbeziehung anerkannter Kriegsdienstverweigerer in die Erstattungspflicht verstößt nach einhelliger Rechtsprechung nicht gegen Art. 4 Abs. 3 GG (BVerwG, U.v. 12.3.2020 – 2 C 37/18 – juris Rn. 15; U.v. 28.10.2015 – 2 C 40.13 – juris Rn. 13; U.v. 30.3.2006 – 2 C 18.05 – juris Rn. 12). Denn die Rückzahlungsverpflichtung richtet sich nicht als Sanktion gegen die Gewissensentscheidung, sondern soll einen Vorteilsausgleich herbeiführen, nachdem der Soldat auf Kosten des Dienstherrn Spezialkenntnisse und -fähigkeiten erworben hat, während der Dienstherr die Kosten der Ausbildung (zum Teil) vergeblich aufgewandt hat (BVerwG, U.v. 28.10.2015 – 2 C 40.13 – juris Rn. 16; U.v. 30.3.2006 – 2 C 18.05 – juris Rn. 16). Da die Rückzahlungsverpflichtung den Soldaten aber nicht von der Ausübung seines Rechts auf Kriegsdienstverweigerung abhalten darf, stellt es ein verfassungsrechtlich gebotenes Korrektiv dar, die Erstattungspflicht, der sich ein wegen seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer kraft Gesetzes zu entlassender Soldat gegenübersieht, als besondere Härte im Sinn von § 56 Abs. 4 Satz 3 SG anzusehen, die den Dienstherrn zu Ermessenserwägungen über den vollständigen oder teilweisen Verzicht auf einen Ausgleich der Ausbildungskosten zwingt (vgl. nur BVerwG, U.v. 28.10.2015 – 2 C 40.13 – juris Rn. 16; U.v. 30.3.2006 – 2 C 18.05 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 16.8.2018 – 6 ZB 18.1446 – juris Rn. 6). Die danach erforderliche Ermessensentscheidung über eine Reduzierung des Rückforderungsbetrages soll zu einem angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen des grundrechtlich geschützten ehemaligen Soldaten einerseits und dem Dienstherrn andererseits führen (BayVGH, B.v. 6.8. 2019 – 6 ZB 19.1248 – juris Rn. 10).
24
Nach ständiger Rechtsprechung führt die Anwendung der Härtefallregelung aufgrund der Ausstrahlungswirkung des Art. 4 Abs. 3 GG zu einer Begrenzung der Erstattungspflicht auf solche Kosten, die der anerkannte Kriegsdienstverweigerer dadurch erspart hat, dass die Bundesrepublik Deutschland den Erwerb von Fachkenntnissen und Fähigkeiten finanziert hat, die ihm im weiteren Berufsleben von Nutzen sind. Dieser im Rahmen der Ermessensausübung des Dienstherrn nach § 56 Abs. 4 Satz 3 SG zu bestimmende auszugleichende Vorteil besteht in der Ersparnis von Aufwendungen, die der Soldat andernfalls selbst für ein Studium in Ausbildungseinrichtungen außerhalb der Bundeswehr hätte aufbringen müssen. Erspart sind neben den unmittelbaren Ausbildungskosten wie Ausbildungsgebühren und Aufwendungen für Ausbildungsmittel insbesondere auch die mittelbaren Kosten der Ausbildung wie u.a. die während dieser Zeit aufzubringenden Lebenshaltungskosten und Kosten für die Krankenversicherung (vgl. zu alldem: BVerwG, U.v. 30.3.2006 – 2 C 18.05 – juris Rn. 15 ff. BayVGH, B.v. 6.8. 2019 – 6 ZB 19.1248 – juris Rn. 11).
25
Diesen Grundsätzen hat die Beklagte in ihrem Leistungsbescheid Rechnung getragen. Sie hat in Ausübung des ihr durch den Gesetzgeber auf der Rechtsfolgenseite des § 56 Abs. 4 Satz 3 SG eingeräumten Ermessens ohne Rechtsfehler nicht das tatsächlich an den Kläger ausgezahlte Ausbildungsgeld in Höhe von 148.524,01 € geltend gemacht, sondern lediglich den wesentlich niedrigeren Betrag von 58.431,50 € zurückverlangt. Diese Entscheidung lässt keine Ermessensfehler erkennen (§ 114 Satz 1 VwGO), ebenso wenig verfassungswidrige Eingriffe in sonstige Grundrechte, wie das im Zulassungsantrag genannte Eigentumsgrundrecht.
26
b) Der Rechtsstreit weist keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf, die nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern. Die aufgeworfenen Rechts- und Tatsachenfragen lassen sich aus den oben dargelegten Gründen ohne weiteres im Sinn des Verwaltungsgerichts beantworten und bedürfen keiner weiteren Klärung in einem Berufungsverfahren.
27
c) Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat der Kläger nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
28
Um die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache darzulegen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, zudem ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, ferner erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und schließlich darlegen, weshalb ihr eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (BayVGH, B.v. 22.6.2017 – 6 ZB 17.30679 – juris Rn. 3; B.v. 16.2.2017 – 6 ZB 16.1586 – juris Rn. 25 m.w.N.). Diesen Darlegungsanforderungen wird der Zulassungsantrag nicht gerecht. Es fehlt schon an der Formulierung einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage, der eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt. Auch sinngemäß erschließt sich aus dem Zulassungsantrag keine solche konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage.
29
d) Der Kläger hat auch nicht in der gebotenen Weise dargelegt, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts in ergebnisrelevanter Weise von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
30
Zur Darlegung einer Divergenz gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist es erforderlich aufzuzeigen, welchem abstrakten Rechtssatz oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz der Entscheidung des Divergenzgerichts ein bei der Anwendung derselben Rechtsvorschrift in der angefochtenen Entscheidung aufgestellter Rechts- oder Tatsachensatz widerspricht. Dabei muss zwischen den Gerichten ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen; die divergierenden Sätze müssen einander so gegenübergestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird (vgl. BVerwG, B.v. 6.3.2018 – 4 BN 13.17 – juris Rn. 37; BayVGH, B.v. 14.4.2022 – 15 ZB 21.2827 – juris – Rn. 35). Diesen Anforderungen wird der Kläger nicht gerecht. Seine Ausführungen beschränken sich im Wesentlichen auf die allgemeine Aussage, das angefochtene Urteil verstoße gegen obergerichtliche Urteile. Soweit er aus obergerichtlichen Urteilen zitiert, fehlt es an den einer ausreichenden Darlegung. Es werden schon keine divergierenden Rechtssätze herausgearbeitet und gegenübergestellt.
31
e) Verfahrensfehler, die die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO tragen, wurden mit dem Zulassungsantrag bereits nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
32
aa) Der Kläger rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG. Die „Grundsätze der Rückforderung von Ausbildungsvergütung“ habe er erst zusammen mit dem Urteil erhalten. Er habe sich hierzu vor dem Verwaltungsgericht nicht erklären können.
33
Art. 103 Abs. 1 GG verlangt, dass ein Gericht nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse verwertet, die von den Verfahrensbeteiligten oder vom Gericht im Einzelnen bezeichnet zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind und zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (OVG NW, B.v. 19.11.2001 – 8 A 2152/01.A – juris Rn. 2). Zunächst ist schon fraglich, ob es sich bei der zitierten Übersicht der Beklagten überhaupt um „Tatsachen“ handelt, die verfahrensfehlerhaft eingeführt wurden. Denn es handelt es sich hierbei um einen Zentralerlass der Beklagten zum Verfahren sowie zu den Bemessungsgrundsätzen zur Erstattung von Ausbildungskosten gemäß § 49 bzw. § 56 SG, also um eine interne Regelung, auf die die Urteilsbegründung an keiner Stelle Bezug nimmt. Des Weiteren übersieht der Kläger, dass er sich hierauf nur mit Erfolg berufen kann, wenn er zugleich darlegt, was er bei ausreichender Gehörsgewährung zum betreffenden Einzelaspekt der Urteilsbegründung, sollte ein solcher überhaupt zu finden sein, mit Aussicht auf Erfolg vorgetragen hätte (BayVGH, B.v. 11.5.2020 – 13a ZB 18.32274 – juris Rn. 16). Eine solche Darlegung fehlt hier.
34
bb) Soweit der Kläger einen Verfahrensmangel darin sieht, dass der Bescheid vom 16. Dezember 2021 an den „falschen Adressaten“ übermittelt worden sei, und dies einen Verfahrensmangel darstellt, auf dem die Entscheidung beruhe, übersieht er, dass sich diese angeblich mangelhafte Zustellung nicht im Gerichtsverfahren ereignete, sondern im Verwaltungsverfahren. Hinzu kommt, dass dem Bevollmächtigen der angefochtene Bescheid wirksam zugestellt worden war (s.o.).
35
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 3 GKG.
36
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).