Titel:
Konkurrentenstreitverfahren um die Stelle eines Vorsitzenden Richters am Landessozialgericht nach einer neuen Auswahlentscheidung
Normenketten:
GG Art. 33 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 7 S. 1, S. 2, § 146 Abs. 4 S. 6
Leitsätze:
1. Für das Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO finden die Vorschriften des § 80 Abs. 7 VwGO entsprechende Anwendung. Danach kann das Gericht der Hauptsache jederzeit von Amts wegen einen Eilbeschluss ändern oder aufheben (§ 80 Abs. 7 S. 1 VwGO) oder auf Antrag eines Beteiligten wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände eine solche Änderung oder Aufhebung vornehmen (§ 80 Abs. 7 S. 2 VwGO). Diese Zuständigkeitsregelung schließt die Möglichkeit ein, dass ein Verwaltungsgericht die Eilentscheidung eines Oberverwaltungsgerichts bzw. Verwaltungsgerichtshofs abändert. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine erste Auswahlentscheidung entfaltet keine Rechtswirkungen mehr, wenn sie mit Erlass einer neuen Auswahlentscheidung konkludent aufgehoben wurde. Durch sie ist die Antragstellerin mithin nicht mehr beschwert, sodass ihr im noch anhängigen Hauptsacheverfahren kein Rechtsschutzbedürfnis mehr zusteht. Der gegen die erste Auswahlentscheidung eingelegte Rechtsbehelf erstreckt sich nicht auf die zweite Auswahlentscheidung. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ist ein Auswahlverfahren zur Vergabe einer Beförderungsstelle nach erfolgter Aufhebung der Auswahlentscheidung fortgesetzt worden und hat der Dienstherr eine erneute Auswahlentscheidung getroffen, so ist für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser erneuten Auswahlentscheidung durch die Verwaltungsgerichte die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der erneuten Auswahlentscheidung maßgeblich, weshalb auch das zu diesem Zeitpunkt aktuelle Beurteilungsbild der zu betrachtenden Bewerber in den Blick zu nehmen ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
4. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats müssen die einzelnen Beurteilungszeiträume zwar im Wesentlichen übereinstimmen, weil nur so eine vergleichbare Aussagekraft zu Eignung, Befähigung und Leistung der Bewerber untereinander gewährleistet ist. Es gibt aber keinen Rechtssatz, dass dienstliche Beurteilungen hinsichtlich Beurteilungszeitraum und Stichtag stets und „absolut“ gleich sein müssen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
5. In der Konsequenz der neuesten Rechtsprechung des BVerwG ist davon auszugehen, dass bei einem vierjährigem Beurteilungszeitraum eine Regelbeurteilung grundsätzlich hinreichend aktuell ist, wenn der Beurteilungsstichtag höchstens vier Jahre vor dem Zeitpunkt der Auswahlentscheidung liegt. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Stellenbesetzung, Vorsitzende/r Richter/-in am Landessozialgericht, Neue Auswahlentscheidung, Anlassbeurteilung, Abänderungsantrag, Vorsitzender Richter am Landessozialgericht, neue Auswahlentscheidung, Beschwerde, Rechtsschutzinteresse, Statthaftigkeit, Anordnungsanspruch, Zeitpunkt, aktuelle Beurteilung, Aufhebung, Abbruch, Stellenbesetzungsverfahren, Regelbeurteilung, aktuell, Leistungsprinzip, Bewerbungsverfahrensanspruch
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 22.05.2023 – M 5 E 23.786
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29903
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 27.410,83 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten um die Besetzung einer Stelle für eine Vorsitzende Richterin/einen Vorsitzenden Richter am Bayerischen Landessozialgericht (Besoldungsgruppe R 3; Stellenausschreibung v. 2.2.2022 – BayMBl. Nr. 84).
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Mit Beschluss vom 16. November 2022 (3 CE 22.1887) untersagte der Senat im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes dem Antragsgegner die Besetzung der streitgegenständlichen Stelle mit der Beigeladenen bis über die Bewerbung der Antragstellerin rechtskräftig entschieden wurde, weil die der Auswahlentscheidung zugrundeliegende Anlassbeurteilung der Beigeladenen rechtswidrig war. Für die Anlassbeurteilung bestand kein ausreichender Grund, weil die Beigeladene eine wesentlich andere Aufgabe nicht über einen (deutlich) überwiegenden (mit zwei Dritteln anzusetzenden) Teil des vierjährigen Beurteilungszeitraums wahrgenommen hatte.
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Der Präsident des Bayerischen Landessozialgerichts nahm daraufhin die Anlassbeurteilung der Beigeladenen zurück und erstellte für diese eine neue Anlassbeurteilung (v. 12.12.2022) für den Beurteilungszeitraum vom 5. Juli 2018 bis 12. Dezember 2022 mit dem Gesamturteil 15 Punkte. Mit erneuter Auswahlentscheidung vom 19. Januar 2023 entschied das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) die ausgeschriebene Stelle mit der Beigeladenen zu besetzen.
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Am 17. Februar 2023 erhob die Antragstellerin Verpflichtungsklage (M 5 K 23.744) mit dem Ziel, unter Aufhebung der ursprünglichen Auswahlentscheidung vom 6. April 2022 die streitgegenständliche Stelle mit der Antragstellerin zu besetzen. Über diese Klage ist noch nicht entschieden.
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Auf Antrag des StMAS nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog änderte das Verwaltungsgericht den Beschluss des Senats vom 16. November 2022 (3 CE 22.1887) dahingehend ab, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt wird. Durch die rechtlich nicht zu beanstandende erneute Auswahlentscheidung (v. 19.1.2023) sei die ursprüngliche Auswahlentscheidung (v. 6.4.2022) ersetzt und gegenstandslos geworden. Die Änderung der Sachlage habe die Abänderung des Beschlusses des Senats bedingt.
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Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer eingelegten Beschwerde.
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Die Beigeladene und der Antragsgegner beantragen jeweils, die Beschwerde zurückzuweisen und verteidigen den angefochtenen Beschluss.
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Zu den Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
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Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Antragstellerin in ihrer Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren bestimmen und beschränken, führen zu keiner Abänderung der angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
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1. Die Beschwerde geht fehl in der Ansicht, dass die anderweitige Rechtshängigkeit der fehlerhaften Auswahlentscheidung vom 6. April 2022 (Hauptsacheverfahren in der ersten Instanz Az. M 5 K 23.744) der Statthaftigkeit des Abänderungsantrages nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog entgegenstünde.
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Für das Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO finden die Vorschriften des § 80 Abs. 7 VwGO entsprechende Anwendung (BayVGH, B.v. 26.10.2020 – 4 CE 20.2238 – juris Rn. 16; BVerfG, B.v. 23.3.1995 – 2 BvR 492/95 – juris Rn. 67; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 77). Danach kann das Gericht der Hauptsache, hier also das Verwaltungsgericht, jederzeit von Amts wegen einen Eilbeschluss ändern oder aufheben (§ 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO) oder auf Antrag eines Beteiligten wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände eine solche Änderung oder Aufhebung vornehmen (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO). Diese Zuständigkeitsregelung schließt die Möglichkeit ein, dass ein Verwaltungsgericht die Eilentscheidung eines Oberverwaltungsgerichts bzw. Verwaltungsgerichtshofs abändert (Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand März 2023, § 123 Rn. 179 m.w.N.).
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Soweit die Beschwerde meint, für einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog sei „kein Raum“, weil der Antragsgegner ohne Weiteres im anhängigen Hauptsacheverfahren – nämlich unter Zugrundelegung der bereits im Mai 2022 vorhandenen Beurteilungen – eine rechtskonforme Auswahlentscheidung treffen könne, stellt sie inhaltlich nicht die Statthaftigkeit des Abänderungsantrags, sondern das Rechtsschutzbedürfnis des Antragsgegners infrage. Dabei verkennt sie indes sein legitimes Interesse, die ihn belastenden Wirkungen des rechtskräftigen Beschlusses vom 16. November 2022 (3 CE 22.1887) durch einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog wegen einer nachträglichen Änderung der Umstände zu beseitigen. Denn die Untersagung des Senats (B.v. 16.11.2022), die streitgegenständliche Stelle mit der Beigeladenen zu besetzen, „bis über die Bewerbung der Antragstellerin rechtskräftig entschieden wurde“, gilt – wie das Verwaltungsgericht zu Recht erkannt hat – über eine neue Besetzungsentscheidung hinaus und dauert das gesamte Stellenbesetzungsverfahren an (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2020 – 3 CE 20.1582 – juris Rn. 10 ff.).
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In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die erste Auswahlentscheidung vom 6. April 2022 im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats keine Rechtswirkungen mehr entfaltet, da sie mit Erlass der neuen Auswahlentscheidung vom 19. Januar 2023 konkludent aufgehoben wurde. Durch sie ist die Antragstellerin mithin nicht mehr beschwert, so dass ihr im noch anhängigen Hauptsacheverfahren kein Rechtsschutzbedürfnis mehr zusteht. Der gegen die erste Auswahlentscheidung eingelegte Rechtsbehelf erstreckt sich nicht auf die zweite Auswahlentscheidung (BVerwG, B.v. 6.10.2015 – 1 WDS-VR 1.15 – juris LS und Rn. 31 ff.; B.v. 29.4.2016 – 1 WB 27.15 – juris Rn. 16).
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2. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog zu Recht für begründet erachtet.
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Denn es liegen veränderte Umstände vor (2.1), die im Ergebnis zu einer vom früheren einstweiligen Rechtsschutzverfahren abweichenden Beurteilung der Rechtslage führen (2.2). Nach der erneuten Auswahlentscheidung vom 19. Januar 2023 hat die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch mehr.
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Für die Prüfung, ob nachträgliche Änderungen eingetreten sind, ist maßgeblicher Zeitpunkt der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (BayVGH, B.v. 14.2.2019 – 15 CS 18.2487 – juris Rn. 5). Für die materielle Entscheidungsfindung, d.h. für die Beurteilung der Frage, ob die veränderten Umstände im Ergebnis zu einer vom früheren einstweiligen Rechtsschutzverfahren abweichenden Beurteilung der Rechtslage führen, ist in der hier vorliegenden Fallkonstellation der Zeitpunkt der letzten – tatsächlich getroffenen – Behördenentscheidung maßgeblich, also der (neuen) Entscheidung über die Stellenbesetzung durch den dafür zuständigen Amtsträger (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: März 2023, § 80 Rn. 584a; BayVGH, B.v. 23.10.2009 – 3 CE 09.2011 – juris Rn. 19). Denn ist ein Auswahlverfahren zur Vergabe einer Beförderungsstelle nach erfolgter Aufhebung der Auswahlentscheidung – wie hier – fortgesetzt worden und hat der Dienstherr eine erneute Auswahlentscheidung getroffen, so ist für die (dessen Beurteilungsermessen beachtende) Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser erneuten Auswahlentscheidung durch die Verwaltungsgerichte die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der erneuten Auswahlentscheidung maßgeblich, weshalb auch das zu diesem Zeitpunkt aktuelle Beurteilungsbild der zu betrachtenden Bewerber in den Blick zu nehmen ist (vgl. BVerwG, B.v. 29.4.2016 – 1 WB 27.15 – juris Rn. 18; für das Dienstrecht der Beamten und Richter: BVerfG, B.v. 25.1.2017 – 2 BvR 2076/16 – juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 4.11.2010 – 2 C 16.09 – juris Rn. 58; OVG NW, B.v. 30.11.2021 – 1 B 1341/21 – juris Rn. 13 f.). Das erneut durchzuführende Auswahlverfahren durfte deshalb nicht in dem Stadium fortgeführt werden, in dem es sich im Zeitpunkt der damaligen Entscheidung des Senats befand. Andernfalls müsste ein Dienstherr einen zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr aktuellen Erkenntnisstand seiner Auswahlentscheidung zugrunde legen und gegebenenfalls sehenden Auges eine dem Grundsatz der Bestenauslese widersprechende Auswahl treffen.
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2.1 Die Änderung der Sach- oder Rechtslage ergibt sich aus dem Umstand, dass der Antragsgegner vor dem Hintergrund der für die Beigeladene neu erstellten Anlassbeurteilung (v. 12.12.2022) seine ursprüngliche Auswahlentscheidung vom 5. Mai 2022, die Gegenstand des ersten Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes war, konkludent) aufgehoben und durch eine erneute, wiederum zugunsten der Beigeladenen ausfallende Auswahlentscheidung (vom 19.1.2023) ersetzt hat (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2020 – 3 CE 20.1582 – juris Rn. 8).
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Entgegen der Rechtsauffassung der Antragstellerin handelt es sich bei der Aufhebung der Auswahlentscheidung (auch seiner Wirkung nach) nicht um den Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens. Die Stellenausschreibung selbst wurde nicht aufgehoben und die Stelle eines/einer Vorsitzende/n Richter/-in am Bayerischen Landessozialgericht nicht erneut ausgeschrieben. Der Antragsgegner hat das Verfahren weder beendet noch ein erneutes Besetzungsverfahren begonnen. Vielmehr hat er in rechtlich gebotener Weise gehandelt. Der Dienstherr ist verpflichtet, vor einem Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens, der eines sachlichen Grundes bedarf, zu prüfen, ob die aufgetretenen Mängel im laufenden Auswahlverfahren beseitigt werden können. Der Bewerberverfahrensanspruch der Antragstellerin wird dadurch nicht verletzt.
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Wird das Besetzungsverfahren – wie hier – nicht abgebrochen, so hat der Dienstherr die Möglichkeit, hinsichtlich der ausgeschriebenen Stelle eine neue, rechtskonforme Auswahlentscheidung zu treffen. Der vom Senat (B.v. 16.11.2022 – 3 CE 22.1887) festgestellte Fehler war nur durch die Erstellung einer neuen Anlassbeurteilung zu beseitigen. Denn die periodische (aktualisierte) Beurteilung der Beigeladenen vom 4. Juli 2018 (Beurteilungszeitraum vom 1.1.2012 bis 4.7.2018) hatte ihre Aktualität verloren, weil seit ihrer Erstellung (bzw. dem Beurteilungsstichtag) und dem Zeitpunkt der hier maßgeblichen zweiten Auswahlentscheidung (19.1.2023) ein längerer Zeitraum als der Regelbeurteilungszeitraum – hier vier Jahre – verstrichen gewesen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 1.12.2021 – 3 CE 21.2593 – juris Rn. 3). Bei der Fortsetzung des Stellenbesetzungsverfahrens Ende des Jahres 2022 durfte der Antragsgegner die (aktualisierte) periodische Beurteilung vom 4. Juli 2018 mithin nicht mehr verwenden ohne den Bewerbungsverfahrensanspruch der Beigeladenen zu verletzen.
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Der Hinweis des Senats (B.v. 16.11.2022 – 3 CE 22.1887 – juris Rn. 32), dass die Beigeladene über eine noch hinreichend aktuelle Regelbeurteilung verfügte, bezog sich auf den „Zeitpunkt der [ursprünglichen] Auswahlentscheidung“ und ist durch den zeitlichen Fortschritt und die neu getroffene Auswahlentscheidung inzwischen überholt. Dass sich hier der zeitliche Ablauf „einseitig zu Lasten der Antragstellerin“ auswirkt, obwohl diese mit ihrem Begehren des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgreich war (vgl. Beschwerdebegründung unter 2.3), hat sie hinzunehmen. Dies folgt aus der zwingenden Vorgabe, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Stellenbesetzung der Zeitpunkt der erneuten Auswahlentscheidung ist. Ein im einstweiligen Rechtsschutz erfolgreicher Bewerber hat stets damit rechnen, dass sich die Sachlage bzw. die Rechtslage zwischenzeitlich ändert und aus diesem Grund auch eine erneute Auswahlentscheidung zu seinen Ungunsten ausfällt. Die von der Beschwerdebegründung vertretene Rechtsauffassung einer Fixierung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der ersten Auswahlentscheidung hätte eine einseitige Ausrichtung nur an den Interessen der Antragstellerin zur Folge, weil sie dazu führen würde, dass der zweiten Auswahl eine inzwischen inaktuelle Beurteilung der Beigeladenen zugrunde gelegt werden müsste, was jedoch – wie dargestellt – deren Bewerbungsverfahrensanspruch verletzen würde und mit dem Leistungsprinzip nicht zu vereinbaren wäre.
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Durch die Rechtskraft des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. November 2022 war der Antragsgegner nicht daran gehindert, eine neue Auswahlentscheidung unter Vermeidung eines Rechtsfehlers zu treffen. Denn Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren ist es, die Schaffung vollendeter Tatsachen durch Übertragung der Aufgaben einer streitbefangenen Stelle auf einen Bewerber bzw. dessen Ernennung zu verhindern. Entgegen der Beschwerdebegründung (unter 2.3) vermag hieran auch § 113 Abs. 5 VwGO nichts zu ändern, der den Umfang und den Inhalt der gerichtlichen Entscheidungen bei einer Verpflichtungs- bzw. Bescheidungsklage zum Gegenstand hat.
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Die Beschwerdebegründung (unter 2.4) kann sich für ihre Rechtsauffassung auch nicht auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2017 (2 VR 2.16 – juris Rn. 32) stützen, wonach erst nach dem Zeitpunkt der (einzigen) Auswahlentscheidung – etwa im Verlauf des Widerspruchsverfahrens – eingetretene tatsächliche Veränderungen für die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung ohne Belang sind. Diesem Beschluss lag keine erneute Auswahlentscheidung im fortgesetzten Stellenbesetzungsverfahren zugrunde, weshalb das Bundesverwaltungsgericht (Rn. 44) folgerichtig allein auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der (einzigen) Auswahlentscheidung abstellte. Der vom Bundesverwaltungsgericht formulierte Rechtssatz gilt deshalb nur dann, wenn die ursprüngliche Auswahlentscheidung rechtmäßig ist und bestehen bleibt, es also – anders als hier – zu keiner zweiten Auswahlentscheidung kommt bzw. (wegen rechtlicher Beanstandung der ersten Auswahl) kommen muss. Der auf diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts rekurrierende Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. Juli 2020 (2 B 10681/20 – juris Rn. 25), wonach eine dienstliche Beurteilung nicht ihre ursprünglich, das heißt zum Zeitpunkt der ursprünglichen Auswahlentscheidung, gegebene hinreichende Aktualität verliert, wenn während des vorgeschriebenen Vorverfahrens die maßgebliche Zeitgrenze überschritten wird, kann ebenfalls auf das hiesige Verfahren nicht übertragen werden, weil auch diesem Beschluss schon keine erneute (zweite) Auswahlentscheidung und damit kein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag.
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2.2 Die für die Beigeladene neu erstellte Anlassbeurteilung vom 12. Dezember 2022 führt im Ergebnis zu einer vom früheren einstweiligen Rechtsschutzverfahren abweichenden Beurteilung der Rechtslage. Die Antragstellerin kann nach der erneuten Auswahlentscheidung vom 19. Januar 2023 keinen Anordnungsanspruch nach § 123 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VwGO im Sinne einer Verletzung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs mehr glaubhaft machen. Diese neu getroffene Auswahlentscheidung zugunsten der Beigeladenen ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die von der Beschwerdebegründung dagegen vorgetragenen Gründe führen zu keiner anderen Beurteilung.
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Die beiden streitgegenständlichen Beurteilungen sind trotz divergierender Beurteilungszeiträume (Anlassbeurteilung der Beigeladenen: 5.7.2018 bis 12.12.2022; periodische Beurteilung der Antragstellerin: 1.1.2016 bis 31.12.2019) noch hinreichend miteinander vergleichbar.
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a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats müssen die einzelnen Beurteilungszeiträume zwar im Wesentlichen übereinstimmen, weil nur so eine vergleichbare Aussagekraft zu Eignung, Befähigung und Leistung der Bewerber untereinander gewährleistet ist (BayVGH, B.v. 26.4.2021 – 3 CE 20.3137 – juris Rn. 20; B.v. 28.6.2002 – 3 CE 02.1282 – juris Rn. 35). Es gibt aber keinen Rechtssatz, dass dienstliche Beurteilungen hinsichtlich Beurteilungszeitraum und Stichtag stets und „absolut“ gleich sein müssen. Die „höchstmögliche“ Vergleichbarkeit ist ein Optimierungsziel, das immer nur soweit wie möglich angestrebt werden kann (BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 2 C 1.18 – juris Rn. 58). Unterschiedliche Aktualitätsgrade der einer Auswahlentscheidung zugrunde zu legenden Beurteilungen sind jedoch in bestimmten Konstellationen zwangsläufig in Kauf zu nehmen. Wird einem Bewerber eine Anlassbeurteilung erteilt, sind nicht allein deshalb für alle Bewerber Anlassbeurteilungen einzuholen (vgl. dazu BVerwG, U.v. 9.5.2019 a.a.O. Rn. 57 f.; BayVGH, B.v. 18.9.2020 – 3 CE 20.1849 – juris Rn. 11). Dabei sind auch größere Zeitdifferenzen zwischen einer Regel- und einer Anlassbeurteilung hinzunehmen, solange ein Qualifikationsvergleich auf der Grundlage beider Beurteilungen ohne ins Gewicht fallende Benachteiligung eines Bewerbers nach dem Grundsatz der Bestenauslese möglich bleibt (BVerwG, U.v. 9.5.2019, a.a.O. Rn. 59). Die Frage, welche Länge der – gemeinsame – Beurteilungszeitraum haben muss, um einen Qualifikationsvergleich nach dem Grundsatz der Bestenauslese ohne ins Gewicht fallende Benachteiligung eines Bewerbers zu ermöglichen, ist unter Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (vgl. BayVGH, B.v. 2.9.2020 – 6 CE 20.1351 – juris Rn. 20; ThürOVG, B.v. 28.11.2017 – 2 EO 524/17 – juris Rn. 9).
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Gemessen daran erweist sich der überschneidende Beurteilungszeitraum von knapp 18 Monaten (5.7.2018 bis 31.12.2019) für einen Leistungsvergleich im Auswahlverfahren als hinreichend ausreichend (vgl. BayVGH, B.v. 26.4.2021 – 3 CE 20.3137 – juris Rn. 21 hinsichtlich eines 17 Monate gemeinsamen Beurteilungszeitraums).
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Soweit die Antragstellerin geltend macht (Beschwerdebegründung unter 3.2), dass der gemeinsame Beurteilungszeitraum im Gegensatz zu dem Beschluss des Senats vom 26. April 2021 (a.a.O.), nicht zwei Drittel, sondern gerade einmal ein Drittel des (hier ungewöhnlich langen) Zeitraums der Anlassbeurteilung abdecke, führt dies vor dem Hintergrund des vornehmlich maßgeblichen Beurteilungszeitraums der periodischen Beurteilung und eines diesbezüglichen Abdeckungsgrades von etwa 40% nicht dazu, dass die Beurteilungen der Mitbewerber nicht mehr vergleichbar wären.
28
Soweit die Antragstellerin meint, sie werde durch die Ausblendung ihrer Leistungen seit 1. Januar 2020 und des Aktualitätsvorsprungs der Beigeladenen benachteiligt, dringt sie nicht durch. Denn in der Konsequenz der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 2 C 1.18 – juris Rn. 34) ist davon auszugehen, dass bei einem – wie hier – vierjährigem Beurteilungszeitraum eine Regelbeurteilung grundsätzlich hinreichend aktuell ist, wenn der Beurteilungsstichtag höchstens vier Jahre vor dem Zeitpunkt der Auswahlentscheidung liegt. Dass dies im Falle der Antragstellerin nicht der Fall wäre, legt die Beschwerde nicht substantiiert dar (vgl. auch Bodanowitz in Schnellenbach/Bodanowitz, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, Stand: August 2023, Teil B IV.3.c.aa. Rn. 231). Der Ausnahmefall, dass eine Anlassbeurteilung für die Beigeladene nötig geworden ist, führt nicht dazu, dass auch die regelbeurteilte Antragstellerin – allein deshalb – nunmehr ebenfalls der Ausnahmekategorie unterfiele und die Ausnahme somit zum überwiegenden Anwendungsfall würde. Andernfalls liefe das Aktualitätserfordernis darauf hinaus, dass dienstliche Beurteilungen in einer Art „perpetuum mobile“ jeweils neuen Aktualisierungsbedarf erzeugen, etwa wenn weitere Bewerber hinzutreten, solange das Auswahlverfahren noch nicht zur Entscheidungsreife gelangt ist (BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 2 C 1.18 – juris Rn. 62).
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Die unterschiedlich langen Beurteilungszeiträume (48 Monate/53 Monate) sind gerade vor dem Hintergrund des Verhältnisses einer Regelzu einer Anlassbeurteilung hinzunehmen. Die Antragstellerin wird dadurch nicht etwa gravierend benachteiligt, die Wertigkeit ihrer Regelbeurteilung nicht gemindert oder ausgehöhlt.
30
b) Das Verwaltungsgericht führt zutreffend aus (BA Rn. 41 ff.), dass die Vergleichsgrundlage die Beurteilungszeiträume sind und nicht die Zeiträume, in denen die Bewerberinnen eine vergleichbare Tätigkeit ausgeübt hätten. Denn der Leistungsvergleich anhand dienstlicher Beurteilungen erfolgt zunächst – umfassend – im Hinblick auf das der dienstlichen Beurteilung zugrunde gelegte abstrakte Statusamt (BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 2 C 1.18 – juris Rn. 32). Spezifische Anforderungen des konkreten Dienstpostens sind gegebenenfalls auf einer späteren Stufe der Auswahlentscheidung maßgeblich (OVG Bremen, B.v. 22.9.2016 – 2 B 123/16 – juris Rn. 40 ff.).
31
3. Der Senat hat auch die weiteren Argumente der Antragstellerin, die diese in ihren Schriftsätzen zur Begründung der Beschwerde vorgebracht hat, zur Kenntnis genommen und erwogen. Sie führen ebenfalls nicht zu einer Abänderung der angefochtenen Entscheidung, ohne dass es insoweit im vorliegenden Beschluss einer ausdrücklichen Auseinandersetzung bedurft hätte.
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4. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO zurückzuweisen. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die sich durch eigene Antragstellung im Beschwerdeverfahren einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, der Antragstellerin aufzuerlegen.
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5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 bis 4 GKG (wie Vorinstanz).
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6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).