Inhalt

VGH München, Beschluss v. 11.10.2023 – 3 CE 23.1406
Titel:

Mitwirkungspflicht bei der Anordnung zur Überprüfung der Dienstfähigkeit

Normenketten:
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4
VwGO § 123, §146 Abs. 4 S. 6
BayBG Art. 65 Abs. 2 S. 1
Leitsatz:
Nach der Rechtsprechung des Senats ist es einem Beamten, der trotz Aufforderung des Dienstherrn keine näheren Angaben über Art und Umfang seiner lang andauernden Erkrankung macht, verwehrt, sich auf die darauf beruhende fehlende Bestimmtheit der Untersuchungsanordnung zu berufen. In diesen Fällen genügt es regelmäßig, wenn die Behörde nur die ihr bekannten tatsächlichen Umstände darlegt und auf dieser Grundlage eine amtsärztliche Untersuchung anordnet. Der Dienstherr kann nämlich nur aufgrund der ihm vorliegenden Erkenntnisse Gründe angeben, aus denen sich die Zweifel an der Dienstfähigkeit ergeben, und damit Art und Umfang der erforderlichen ärztlichen Untersuchung näher bestimmen. Ist den vorliegenden Bescheinigungen über die Arbeitsunfähigkeit kein Grund der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu entnehmen und hat der Beamte einen solchen Grund auch nicht anderweitig offenbart oder ist er auf andere Weise bekannt geworden, können Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung nicht näher eingegrenzt werden. (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beamtenrecht, Rechtspflegeinspektorin (BesGr A 11), Anordnung einer allgemeinärztlichen Untersuchung, Überprüfung der Dienstfähigkeit, Umfang der amtsärztlichen Untersuchung, Fehlende Informationen zur Art der Erkrankung, Inhaltliche Anforderungen an die Untersuchungsanordnung, Mitwirkungsobliegenheit bei Klärung des Gesundheitszustands, fehlende Informationen zur Art der Erkrankung, inhaltliche Anforderungen an die Untersuchungsanordnung, Anordnungsanspruch, Dienstpflicht, körperlicher Zustand, gesundheitliche Gründe, dienstunfähig, Verhältnismäßigkeit, Verweis, Zeiten, Arbeitsunfähigkeit, Bestimmtheit, Untersuchung, Anforderungen, Begründungsanforderung, Art und Umfang, Erkrankung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 03.07.2023 – M 5 E 23.2476
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29901

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 3. Juli 2023 wird in Ziffern I. und II. aufgehoben. Der Antrag der Antragstellerin auf vorläufige Freistellung von der Durchführung einer amtsärztlichen Untersuchung aufgrund der Anordnung des Antragsgegners vom 11. April 2023 wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts hat die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, da ihre durch den Antragsgegner angeordnete allgemeinmedizinische Untersuchung bei der Medizinischen Untersuchungsstelle der Regierung von Oberbayern zur Überprüfung der Dienstfähigkeit formell und inhaltlich nicht zu beanstanden ist.
2
Die gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts fristgerecht vorgetragenen Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen deshalb – unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung -zur Ablehnung des Antrags auf Erlass der nach § 123 Abs. 1 VwGO begehrten einstweiligen Anordnung.
3
Nach Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBG ist die Behörde zur Anordnung einer ärztlichen Untersuchung berechtigt, wenn Zweifel über die Dienstunfähigkeit des Beamten bestehen. Aufgrund hinreichend gewichtiger tatsächlicher Umstände muss zweifelhaft sein, ob der Beamte wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen noch in der Lage ist, die Dienstpflichten seines abstrakt-funktionellen Amtes zu erfüllen. Dies ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, der betreffende Beamte sei dienstunfähig. Der Aufforderung müssen tatsächliche Feststellungen zugrunde liegen, die die Dienstunfähigkeit des Beamten als naheliegend erscheinen lassen (BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 2 C 68.11 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 18.2.2016 – 3 CE 15.2768 – juris Rn 21). Die Anordnung gemäß Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBG muss nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit inhaltlichen und formellen Anforderungen genügen (vgl. etwa BVerwG, U.v. 10.4.2014 – 2 B 80.13 – juris Rn. 8).
4
Die Antragstellerin muss anhand der in der Anordnung mitgeteilten tatsächlichen Umstände nachvollziehen und prüfen können, welcher Vorfall oder welches Ereignis zur Begründung der Aufforderung herangezogen wird, und ob die angeführten Gründe tragfähig sind (BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 2 C 68.11 – juris Rn. 20). Dieser Anforderung genügt die streitgegenständliche Untersuchungsaufforderung dadurch, dass sie auf die durch allgemein- und nervenärztliche Bescheinigungen seit 24. Mai 2022 nachgewiesenen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit der Antragstellerin verweist. Dies stellt der angefochtene Beschluss (BA S. 10, 11) zutreffend fest und wird von der Antragstellerin nicht infrage gestellt.
5
Nicht jedoch ist der Auffassung des angefochtenen Beschlusses zu folgen, die Untersuchungsanordnung sei „hinsichtlich ihres Umfangs… zu unbestimmt“ (BA Rn. 31). Die Antragstellerin könne nicht erkennen, „welche ärztlichen Untersuchungen im Rahmen der allgemein-ärztlichen Untersuchung zur endgültigen Klärung des körperlichen Zustandes… als geboten angesehen werden“ (BA Rn. 31). Der Untersuchungsablauf sei nicht einmal in groben Zügen mitgeteilt worden. Der Antragsgegner habe sich zwar erkennbar, jedoch erfolglos – insbesondere im Rahmen des Gesundheitsgesprächs am 13. Dezember 2022 – um Beseitigung des Informationsdefizits bemüht. Dennoch hätte er die in Betracht kommenden Untersuchungen in der Anordnung vom 11. April 2023 beispielhaft und grob skizziert darstellen müssen, um die Antragstellerin auf die voraussichtliche Reichweite des zu erwartenden Eingriffs in ihre körperliche Unversehrtheit vorzubereiten. Eine Eingrenzung der Untersuchungsanordnung sei erst im nachfolgenden Schreiben der Untersuchungsstelle vom 20. April 2023 mitgeteilt worden.
6
Der Senat erachtet die im angefochtenen Beschluss für den vorliegenden Fall aufgestellten Anforderungen an die Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung – auch im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – als zu hoch. Sie können von einem Dienstherrn immer dann, wenn er keine Erkenntnisse zum Krankheitsbild besitzt und seine Bemühungen, mithilfe des Beamten Informationen zu erhalten, erfolglos bleiben, praktisch nicht mehr erfüllt werden oder zumindest nur unter erheblicher Erschwernis und mit Verzögerung des Verfahrens (vgl. OVG NW, B.v. 14.4.2023 – 6 B 205/23 – juris Rn. 17- 24 zu § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG). Es ist hier auch nicht erkennbar, dass infolge der nicht näher ausformulierten Anordnung der allgemeinärztlichen Untersuchung die Möglichkeit der Antragstellerin, effektiven Rechtsschutz zu erlangen, unzulässig eingeschränkt wäre.
7
Zum Nachteil gereicht der Antragstellerin, dass sie an der vom Dienstherrn angestoßenen Aufklärung ihrer gesundheitlichen Verhältnisse nicht mitgewirkt hat. Es ist ihr daher wegen des damit verbundenen widersprüchlichen Verhaltens – als Ausprägung des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (etwa: BayVGH, B.v. 21.9.2015 – 3 ZB 14.2627 – juris Rn. 8) – verwehrt, sich gegenüber Maßnahmen des Dienstherrn, die mithilfe eines amtsärztlichen Gutachtens auf die Gewinnung näherer Erkenntnisse über ihre Dienstfähigkeit abzielen, auf die mangelnde hinreichende Bestimmtheit der entsprechenden Anordnung zu berufen. Diese prozessuale Folgerung gilt auch vor dem Hintergrund, dass ein Beamter nicht verpflichtet ist, dem Dienstherrn Auskünfte über seine Krankheit zu erteilen (Ziff. 1.3.4 VV BeamtR).
8
Zutreffend weist der Antragsgegner darauf hin, dass es nach der Rechtsprechung des Senats einem Beamten, der trotz Aufforderung des Dienstherrn keine näheren Angaben über Art und Umfang seiner lang andauernden Erkrankung macht, verwehrt ist, sich auf die darauf beruhende fehlende Bestimmtheit der Untersuchungsanordnung zu berufen; in diesen Fällen genügt es regelmäßig, wenn die Behörde nur die ihr bekannten tatsächlichen Umstände darlegt und auf dieser Grundlage eine amtsärztliche Untersuchung anordnet (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2022 – 3 CE 22.544 – n.v. Rn. 5; B.v. 18.2.2016 – 3 CE 15.2768 – juris Rn. 29). Der Dienstherr kann nämlich nur aufgrund der ihm vorliegenden Erkenntnisse Gründe angeben, aus denen sich die Zweifel an der Dienstfähigkeit ergeben, und damit Art und Umfang der erforderlichen ärztlichen Untersuchung näher bestimmen. Ist – wie hier – den vorliegenden Bescheinigungen über die Arbeitsunfähigkeit der Beamtin kein Grund der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu entnehmen und hat sie einen solchen Grund auch nicht anderweitig offenbart oder ist er auf andere Weise bekannt geworden, können Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung nicht näher eingegrenzt werden (BVerwG, B.v. 14.3.2019 – 2 VR 5.18 – juris Rn. 50). Daher war für die Antragstellerin erwartbar, dass der Antragsgegner, um überhaupt eine Diagnose zu erhalten, eine „orientierende Erstuntersuchung“ anordnet; auch wenn hier dieser Begriff vom Antragsgegner nicht verwendet wird, ergibt sich das Ziel der Untersuchung eindeutig aus ihrem Zweck, erstmals ein umfassendes Krankheitsbild zu ermitteln. Dieses Ziel war der Antragstellerin spätestens seit dem Gesundheitsgespräch am 13. Dezember 2022 klar. Im Hinblick auf ihre weiterhin fehlende Mitwirkung hat sie die nunmehr monierte, (objektiv) bestehende Unbestimmtheit der Untersuchungsanordnung hinzunehmen (BayVGH, B.v. 18.2.2016, a.a.O. Rn. 29). Macht sie nicht einmal Angaben zur Art ihrer Erkrankung, stellt es sich hier als treuwidrig dar, sich später auf einen Mangel der Bestimmtheit der Anordnung einer allgemeinärztlichen Untersuchung zu berufen.
9
Es ist auch nicht so, dass mit der angegriffenen Anordnung über das normale Maß einer allgemeinärztlichen Untersuchung hinausgehende ärztliche Befunderhebungen ermöglicht werden. Die voraussichtliche Reichweite des zu erwartenden Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit der Antragstellerin und ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht ist für sie daher „in den Grundzügen“ überschaubar; darüberhinausgehende Maßnahmen ärztlicher Befunderhebung sind nicht zulässig, sondern bleiben ggf. der Anordnung einer nachfolgenden fachärztlichen Untersuchung durch den Antragsgegner vorbehalten. Eine weitergehende Festlegung des allgemeinärztlichen Untersuchungsumfangs war auch deshalb nicht geboten, weil die Einzelheiten der Untersuchung von deren Verlauf und den dabei gewonnenen Erkenntnissen abhängig sind. Dabei bleibt es dem Amtsarzt überlassen, entsprechend seiner Sachkunde die einzelnen Schritte der Untersuchung und deren Schwerpunkt nach ihrer Erforderlichkeit zu bestimmen. Die von der Antragstellerin letztlich geforderte detaillierte Festschreibung der einzelnen Untersuchungsschritte scheidet im Übrigen schon im Hinblick auf die Ergebnisoffenheit der Begutachtung aus (BayVGH, B.v. 18.2.2016, a.a.O. Rn. 31).
10
Die Auffassung, der vorliegende Fall unterscheide sich grundlegend von dem Sachverhalt, der dem Beschluss vom 18. Februar 2016 (a.a.O.) zugrunde gelegen habe, vermag der Senat nicht zu teilen. Schon im Rahmen der Vorbereitung des Gesundheitsgesprächs, das schließlich am 13. Dezember 2022 stattgefunden hat, hatte der Präsident des Amtsgerichts München mit Schreiben vom 6. September 2022 die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass „in einem persönlichen Gespräch Ihre gesundheitliche Situation“ zu erörtern sei, um über die Notwendigkeit einer Untersuchungsanordnung zu entscheiden. Vor diesem Hintergrund hat die Antragstellerin im Gesundheitsgespräch am 13. Dezember 2022 nach entsprechendem Hinweis darauf, dass sie keine Erklärungen abzugeben brauche, keine Angaben zu ihrer Erkrankung gemacht. Zwar ergibt sich aus dem Gesprächsprotokoll nicht, dass sie konkret um Auskunft über ihre Erkrankung gebeten wurde; dennoch besteht kein Zweifel daran, dass die Thematik im Rahmen des Gesprächs – offen und mit Hinweis auf die Freiwilligkeit von Angaben – erörtert wurde und der Antragstellerin damit nach den gesamten Umständen bewusst sein musste, dass der Dienstherr zur Behebung des Informationsdefizits auf ihre Mitwirkung angewiesen war. Den Vorwurf der Antragstellerin, der Antragsgegner habe sie nicht „unter Hinweis auf ihre Mitwirkungspflicht ausdrücklich aufgefordert…, nähere Angaben zu ihrer Erkrankung zu machen“, hält der Senat angesichts der vorstehend geschilderten Umstände für lebensfremd und konstruiert.
11
Es ist demnach davon auszugehen, dass sich der vorliegende Sachverhalt – bei aller Verschiedenheit im Detail – nicht in grundlegender Weise von dem dem Beschluss vom 8. Februar 2016 (a.a.O., Rn. 2 f., 28 f.) zugrundeliegenden Sachverhalt unterscheidet. Auch im vorliegenden Falle reduzieren sich daher die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Untersuchungsanordnung wegen der fehlenden Mitwirkung der Antragstellerin bei der Aufklärung des Sachverhalts auf die Darlegung der tatsächlichen Umstände, die die Grundlage für die angefochtene Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung bilden. Andernfalls hätte es die Beamtin in der Hand, die ordnungsgemäße Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung zur Feststellung ihrer allgemeinen Dienstunfähigkeit mithilfe einer gegenüber ihrem Dienstherrn begangenen Treuepflichtverletzung dauerhaft zu unterbinden (BayVGH, B.v. 18.2.2016, a.a.O. Rn. 29).
12
Daher war der Beschwerde des Antragsgegners stattzugeben und der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung abzulehnen.
13
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens als unterlegene Partei in beiden Rechtszügen zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
14
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 47 GKG, wobei im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur die Hälfte des Auffangstreitwerts festzusetzen ist.