Titel:
Aufhebung einer erweiterten Gewerbeuntersagung
Normenkette:
GewO § 35 Abs. 1
Leitsätze:
1. Überschuldung und wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit begründen grundsätzlich die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden. (redaktioneller Leitsatz)
2. Auf Verschuldensaspekte, die sich aus der Tätigkeit eines Steuerberaters ergeben, dessen sich der Gewerbetreibende zur Erfüllung seiner Pflichten bedient, kommt es angesichts des bei der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit geltenden objektiven Beurteilungsmaßstabs nicht an; der Gewerbetreibende muss sich das Verschulden seines Steuerberaters zurechnen lassen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ist die Gewerbeuntersagung gem. § 35 Abs. 1 S. 1 GewO – hier wegen der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit der Klägerin und ihrer länger dauernden Nichterfüllung steuerlicher Pflichten in erheblichem Umfang – zum Schutze der Allgemeinheit erforderlich, ist es nicht unverhältnismäßig, dem Schutzzweck des § 35 Abs. 1 S. 1 GewO Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen zu geben, seine Existenzgrundlage beibehalten zu können. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. Nur dann, wenn im Einzelfall damit gerechnet werden kann, dass eine Abmahnung den Gewerbetreibenden zur künftigen ordnungsgemäßen Ausübung seines Berufes veranlasst, ist eine Gewerbeuntersagung nicht iSd § 35 Abs. 1 S. 1 GewO erforderlich. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
erweiterte Gewerbeuntersagung, Verletzung steuerlicher Pflichten, wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit, Zusammenhang mit COVID19-Pandemie nicht dargelegt, Abmahnung nicht erforderlich, Steuerrückstände, Prognose, Überschuldung, Steuerberater, Corona, Verhältnismäßigkeit, Abmahnung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 18.04.2023 – 16 K 22.3596
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29896
Tenor
I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 18. April 2023 – M 16 K 22.3596 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000 € festgesetzt.
Gründe
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Die Klägerin verfolgt ihr erstinstanzliches Begehren weiter, welches auf die Aufhebung einer erweiterten Gewerbeuntersagung zielte.
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Mit Bescheid vom 24. Juni 2022 untersagte die Beklagte der Klägerin gem. § 35 Abs. 1 GewO die Ausübung ihrer Gewerbe (Groß- und Einzelhandel mit Weinen sowie Einzelhandel mit Lebensmitteln, Milch und Milchprodukten); die Untersagung wurde auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigte einer Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie auf die Ausübung jeglicher selbständigen gewerblichen Tätigkeit erweitert. Zur Begründung der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit der Klägerin führt der Bescheid im Wesentlichen Rückstände beim Finanzamt, die Verletzung steuerlicher Abgabepflichten sowie drei Eintragungen im Schuldnerverzeichnis („Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen“) an.
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Die von der Klägerin gegen den Bescheid vom 24. Juni 2022 erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 18. April 2023, der Klägerin zugestellt am 9. Mai 2023, ab.
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Mit Schriftsatz vom 5. Juni 2023, eingegangen beim Verwaltungsgericht am gleichen Tag, beantragte die Klägerin die Zulassung der Berufung. Sie begründete diesen Antrag mit Schriftsatz vom 5. Juli 2023, eingegangen beim Verwaltungsgerichtshof am gleichen Tag. Die Klägerin macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie einen Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) geltend.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie auf die beigezogene Behördenakte verwiesen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) Ebenso wenig liegt ein Verfahrensmangel vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO; 2.).
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nicht.
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1.1 Solche Zweifel bestehen, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen dessen Richtigkeit gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.).
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1.2 Das Verwaltungsgericht hat zur gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit der Klägerin im Wesentlichen ausgeführt (UA Rn. 24 ff.): Nach den Feststellungen der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid habe die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses erhebliche Steuerrückstände beim Finanzamt gehabt; zudem sei sie mit drei Eintragungen im Schuldnerverzeichnis wegen „Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen“ erfasst gewesen. Diese Rückstände und Eintragungen belegten hinreichend, dass die Klägerin vollstreckbare Forderungen nicht wie geschuldet sofort zahlen könne. Da die älteste Eintragung im Schuldnerverzeichnis vom 10. September 2019 stamme, sei auch von einer anhaltenden wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit auszugehen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Untersagungsbescheids nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept gearbeitet habe. Insbesondere zu den Forderungen, die den Eintragungen im Schuldnerverzeichnis zugrunde liegen, sei von der Klägerin nichts vorgetragen worden. Davon abgesehen gehöre es zur ordnungsgemäßen Gewerbeausübung, insbesondere öffentlich-rechtlichen Zahlungs- und Erklärungspflichten von sich aus rechtzeitig nachzukommen und es nicht – wie die Klägerin – wiederholt auf Vollstreckungsmaßnahmen ankommen zu lassen. Sollten – wie von der Klägerin behauptet, aber nicht belegt – die Gewinne des klägerischen Betriebs tatsächlich derart groß sein, sei die Klägerin gegebenenfalls nicht leistungsunfähig, aber leistungsunwillig, und damit ebenfalls gewerberechtlich unzuverlässig. Die Gewerbeuntersagung sei auch nicht unverhältnismäßig (UA Rn. 29).
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Die im Zulassungsverfahren von der Klägerin erhobenen Einwände erwecken keine Zweifel an dieser Beurteilung.
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1.2.1 Die Klägerin trägt vor, es könne nicht undifferenziert von einer Verletzung steuerlicher Pflichten auf die Unzuverlässigkeit geschlossen werden. Ein solcher Rückschluss sei nur dann gerechtfertigt, wenn das Verhalten des Gewerbetreibenden auf einen eingewurzelten Hang zur Missachtung der ihm obliegenden steuerlichen Verpflichtungen schließen lasse, so dass es sich um eine nachhaltige, dauernde Verletzung handele. Ein solcher Fall liege hier nicht vor. Maßgeblich sei auch die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei. Dem Schreiben des Finanzamtes an die Beklagte vom 22. März 2022 könne entnommen werden, dass sich die steuerrechtlichen Pflichtverstöße im Wesentlichen nur auf das Jahr 2021 beschränkt hätten, so dass nicht von einer hartnäckigen Verweigerung der Steuerpflichten gesprochen werden könne.
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Entgegen diesem Vorbringen war im maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Gewerbeuntersagungsbescheids unter Berücksichtigung der Zeitdauer, während derer die Klägerin als Gewerbetreibende ihren steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen war (vgl. BVerwG, B.v. 9.4.1997 – 1 B 81.97 – juris Rn. 5 m.w.N.), die Prognose gerechtfertigt, dass die Klägerin ihr Gewerbe auch künftig nicht ordnungsgemäß ausüben werde; insbesondere beschränkten sich die steuerlichen Pflichtverletzungen nicht nur im Wesentlichen auf das Jahr 2021. Auch der Umfang der Pflichtverletzungen der Klägerin sprach gegen eine künftige ordnungsgemäße Gewerbeausübung. Die steuerlichen Rückstände der Klägerin hatten sich seit Einleitung des Gewerbeuntersagungsverfahrens durch die Abgabe einer – längst überfälligen – Steuererklärung zwar reduziert, betrugen aber bei Bescheiderlass im Juni 2022 immer noch über 8.000 Euro, wobei in diesem Betrag Schätzungen wegen von Januar 2022 bis April 2022 nicht abgegebener steuerlicher Erklärungen enthalten waren. Für Mai 2022 war ebenfalls eine steuerliche Erklärung nicht abgegeben worden; mit einer erneuten Schätzung war zu rechnen. Zudem leistete die Klägerin im Zeitpunkt des Bescheiderlasses keine freiwilligen Zahlungen; Rückstände konnten nur durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen beigetrieben werden (vgl. UA Rn. 26; streitgegenständlicher Bescheid unter Nr. 1.2.1). Dafür, dass die steuerlichen Pflichtverletzungen der Klägerin angesichts ihrer Dauer und ihres Umfangs keine künftige ordnungsgemäße Gewerbeausübung erwarten ließen, spricht auch, dass nach dem eigenen Vortrag der Klägerin (Zulassungsbegründung S. 4) die in den Jahren 2019 und 2020 erfolgten Einträge im Schuldnerverzeichnis auf Steuerrückständen, also ebenfalls auf der Verletzung steuerlicher Pflichten, basieren.
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Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht die Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit der Klägerin nicht spezifisch auf steuerliche Rückstände gestützt; vielmehr ist es wegen dieser Rückstände und wegen der Eintragungen der Klägerin im Schuldnerverzeichnis von deren wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ausgegangen (vgl. UA Rn. 25 Mitte; vgl. zum Zusammenhang zwischen Steuerschulden und Leistungsunfähigkeit BayVGH, B.v. 19.10.2020 – 22 ZB 20.362 – juris Rn 17; B.v. 5.11.2014 – 22 ZB 14.2221 – juris Rn. 18). Überschuldung und wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit begründen grundsätzlich die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – BVerwGE 152, 39 – juris Rn. 14 m.w.N.). Die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit der Klägerin hat das Verwaltungsgericht auch nachvollziehbar als anhaltend angesehen. Die älteste Eintragung der Klägerin im Schuldnerverzeichnis datiert vom 10. September 2019 (UA Rn. 25). Auch im Zeitpunkt des Bescheiderlasses, also mehr als zweieinhalb Jahre später, mussten in Bezug auf die steuerlichen Rückstände der Klägerin Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden und leistete die Klägerin keine Zahlungen (vgl. oben).
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1.2.2 Die Klägerin macht ferner geltend, dass die Pflichtverletzungen nicht aus ihrem Verhalten, sondern aus dem des von ihr beauftragten Steuerberaters resultiert hätten, der die nötigen Erklärungen nicht rechtzeitig gegenüber dem Finanzamt abgegeben habe. Dies belege, dass es der Klägerin nicht am Willen fehle, sich steuerlich korrekt zu verhalten. Durch den Austausch des Steuerberaters habe die Höhe der ursprünglich veranschlagten Rückstände schnell und deutlich reduziert werden können.
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Auf Verschuldensaspekte, die sich aus der Tätigkeit eines Steuerberaters ergeben, dessen sich der Gewerbetreibende zur Erfüllung seiner Pflichten bedient, kommt es jedoch angesichts des bei der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit geltenden objektiven Beurteilungsmaßstabs nicht an; der Gewerbetreibende muss sich das Verschulden seines Steuerberaters zurechnen lassen. Dass der Klägerin das von ihr geltend gemachte Fehlverhalten ihres Steuerberaters nicht bekannt sein musste oder dass sie sogleich für Abhilfe gesorgt hätte, ist nicht vorgetragen und angesichts dessen, dass Steuerrückstände nach ihrem eigenen Vortrag schon 2019 und 2020 zu Eintragungen in das Schuldnerverzeichnis führten, auch nicht anzunehmen (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 22.10.2021 – 22 ZB 21.1938 – juris Rn. 16 m.w.N.). Überdies bestanden trotz des von der Klägerin angeführten Wechsels ihres Steuerberaters bei Bescheiderlass weiterhin steuerliche Rückstände von über 8.000 Euro, waren steuerliche Erklärungen für die Jahre 2021 und 2022 nicht abgegeben worden und wurden von der Klägerin keine freiwilligen Zahlungen geleistet (vgl. 1.2.1). Eine wesentliche Änderung der Sachlage war damit durch den Wechsel des Steuerberaters nicht eingetreten.
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1.2.3 Die Klägerin trägt ferner vor, ihre Eintragungen im Schuldnerverzeichnis von Oktober 2019 bis September 2020 erstreckten sich nicht einmal auf ein ganzes Jahr. Bei der Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit ist jedoch der Gesamteindruck des Verhaltens des Gewerbetreibenden maßgeblich (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – BVerwGE 152, 39 – juris Rn. 14). Vorliegend ergibt diese Würdigung, dass die Klägerin nicht nur innerhalb eines Jahres, sondern jedenfalls seit 2019 bis Bescheiderlass durchgehend steuerliche Pflichten nicht erfüllte und wirtschaftlich leistungsunfähig war (vgl. 1.2.1).
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1.2.4 Die Klägerin rügt weiter, zwei der Eintragungen im Schuldnerverzeichnis seien im Mai bzw. September 2020 erfolgt und resultierten aus der alle Gewerbetreibenden beeinträchtigenden Phase der Pandemie, in welcher nicht genügend Einnahmen hätten generiert werden können. Aus den pandemiebedingten Steuerrückständen dürfe nicht auf eine gewerbliche Unzuverlässigkeit geschlossen werden.
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Ein konkreter Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Situation der Klägerin und der Pandemie ist jedoch nicht dargelegt (vgl. zu diesem Erfordernis BayVGH, B.v. 1.6.2023 – 22 ZB 22.2472 – juris Rn. 14; OVG NW, B.v. 15.12.2021 – 4 B 1344/21 – juris Rn. 19). Die Klägerin wurde bereits am 10. September 2019 – und damit etliche Monate vor Pandemiebeginn – in das Schuldnerverzeichnis wegen ausgeschlossener Gläubigerbefriedigung eingetragen. Zudem waren die von der Klägerin ausgeübten Gewerbe (Handel mit Lebensmitteln; Milch, Milchprodukte, Weine) nicht durch Infektionsschutzmaßnahmen untersagt; auch insofern wäre eine nähere Darlegung geboten gewesen, inwieweit ihre wirtschaftliche Situation – insbesondere unter Berücksichtigung der Möglichkeit eines Rückgriffs auf staatliche Hilfsprogramme – auf Pandemiefolgen zurückzuführen war. Hätte die Klägerin aufgrund pandemiebedingter Mindereinnahmen steuerliche Rückstände nicht (rechtzeitig) begleichen können, hätte dies zudem im Rahmen eines mit den Finanzbehörden abgestimmten Sanierungskonzepts, ggfs. auch schon durch Stundungen (vgl. z.B. Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 31.1.2022, https://www.bundesfinanzministerium.de/ Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Weitere_Steuerthemen/Abgabenordnung/2022-01-31-steuerliche-massnahmen-zur-beruecksichtigung-der-auswirkungen-des-cor onavirus.pdf? blob=publicationFile& v=1), berücksichtigt werden können (vgl. auch BayVGH, B.v. 30.6.2023 – 22 ZB 22.2158 – juris Rn. 29). Dass die Klägerin Anstrengungen in dieser Hinsicht unternommen hätte, ist nicht dargelegt und angesichts dessen, dass noch bei Bescheiderlass im Juni 2022 Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen sie ergriffen wurden, auch nicht erkennbar. Vor diesem Hintergrund ist auch der Vortrag der Klägerin, es bestehe ein Sanierungskonzept, welches seit Dezember 2021 umgesetzt werde, nicht nachvollziehbar.
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1.3 Die Klägerin kann auch nicht mit ihrem Vorbringen zu einer Unverhältnismäßigkeit der Gewerbeuntersagung durchdringen.
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1.3.1 Im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 19.1.1994 – 1 B 5.94 – juris Rn. 8 m.w.N.) ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass eine den Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen kann. Für einen solchen Fall hat die Klägerin nichts dargelegt. Ihre Einwände betreffend einen geringen Zeitraum ihrer Pflichtverletzungen, Verdienstschwierigkeiten während der Pandemie sowie ein Sanierungskonzept, nach dem sie arbeite, greifen nicht durch (vgl. 1.2.1, 1.2.3 und 1.2.4). Aus dem Vortrag der Klägerin betreffend die Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz ergibt sich ebenfalls kein extremer Ausnahmefall, die eine Unverhältnismäßigkeit begründen könnte. Ist die Gewerbeuntersagung gem. § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO – hier wegen der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit der Klägerin und ihrer länger dauernden Nichterfüllung steuerlicher Pflichten in erheblichem Umfang – zum Schutze der Allgemeinheit erforderlich, ist es nicht unverhältnismäßig, dem Schutzzweck des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen zu geben, seine Existenzgrundlage beibehalten zu können (vgl. BVerwG, B.v. 9.3.1994 – 1 B 33.94 – juris Rn. 3; OVG NW, B.v. 8.8.2023 – 4 B 626/23 – juris Rn. 3). Der pauschale Verweis der Klägerin auf ihr Alter reicht zudem nicht aus, um darzutun, dass es ihr trotz entsprechender Bemühungen nicht möglich sein sollte, eine abhängige Beschäftigung zu finden (vgl. BayVGH, B.v. 19.10.2020 – 22 ZB 20.362 – juris Rn. 27).
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1.3.2 Die Klägerin hält die Gewerbeuntersagung ferner deshalb für unverhältnismäßig, weil sie zuvor nicht abgemahnt worden sei. Auch hiermit kann sie nicht durchdringen. Zwar darf eine Gewerbeuntersagung nicht erfolgen, wenn ein weniger schwerwiegendes Mittel wie eine Abmahnung voraussichtlich bewirkt, dass das Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausgeübt wird. Jedoch braucht eine solche Abmahnung der Gewerbeuntersagung nicht unbedingt vorauszugehen. Nur dann, wenn im Einzelfall damit gerechnet werden kann, dass eine Abmahnung den Gewerbetreibenden zur künftigen ordnungsgemäßen Ausübung seines Berufes veranlasst, ist eine Gewerbeuntersagung nicht i.S.d. § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1975 – I C 44.74 – BVerwGE 49, 16 – LS 3 und juris Rn. 23; B.v. 6.9.1991 – 1 B 97.91 – juris Rn. 3, jeweils zum Widerruf gewerberechtlicher Erlaubnisse). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der Klägerin waren mit Anhörungsschreiben vom 12. April 2022 die gegen ihre Zuverlässigkeit sprechenden Umstände im Einzelnen mitgeteilt worden; sie war abschließend ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass sie, falls sie die Vorwürfe nicht entkräfte, mit einer Gewerbeuntersagung rechnen müsse. Nach Aktenlage äußerte sich die Klägerin hierauf nicht. Bei Bescheiderlass war eine wesentliche Änderung der Sachlage in Bezug auf die Erfüllung steuerlicher Pflichten und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht eingetreten (vgl. 1.2.1, 1.2.2). Insofern ist nicht ersichtlich, weshalb eine Abmahnung hätte erwarten lassen sollen, dass die Klägerin künftig ihr Gewerbe ordnungsgemäß ausübt.
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2. Es liegt auch kein Verfahrensmangel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO vor.
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Die Klägerin rügt, das Verwaltungsgericht sei dem Beweisantrag, ihren Prozessbevollmächtigten als Zeugen über das Bestehen eines Sanierungskonzepts zu vernehmen, nicht nachgekommen. Ausweislich des Sitzungsprotokolls war jedoch in der mündlichen Verhandlung kein Beweisantrag (§ 86 Abs. 2 VwGO) gestellt worden. Das in der Klagebegründung vom 13. Oktober 2022 enthaltene Beweisangebot auf Vernehmung des Klägerbevollmächtigten als Zeugen war kein Beweisantrag i.S.d. § 86 Abs. 2 VwGO, sondern lediglich eine Beweisanregung für das Gericht, den Sachverhalt nach § 86 Abs. 1 VwGO weiter zu erforschen (vgl. BayVGH, B.v. 3.12.2020 – 15 ZB 20.32308 – juris Rn. 21 m.w.N.). Die Klägerin legt jedoch nicht dar, aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Sachaufklärung in Bezug auf das Vorliegen und den Vollzug eines sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzepts im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – BVerwGE 152, 39 – juris Rn. 14 f.) hätte aufdrängen müssen (vgl. BayVGH, B.v. 18.11.2022 – 22 ZB 22.290 – juris Rn. 47; B.v. 18.8.2022 – 10 ZB 22.1265 – juris Rn. 6 m.w.N.). Derartiges ist auch nicht ersichtlich. Der Vortrag der Klägerin in der Klagebegründung (S. 2) deutete darauf hin, dass die Klägerin allenfalls nach Bescheiderlass („nunmehr“) nach einem Sanierungskonzept gearbeitet hat. Dagegen, dass sich in Bezug auf das Vorliegen und die Umsetzung eines Sanierungskonzepts im maßgeblichen Zeitpunkt eine weitere Sachaufklärung aufdrängte, sprach zudem, dass – wie mehrfach ausgeführt – die steuerlichen Rückstände der Klägerin bei Bescheiderlass trotz Reduzierung immer noch über 8.000 Euro betrugen, dass steuerliche Erklärungen nicht abgegeben wurden und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die Klägerin ergriffen werden mussten.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 54.2.1 und 54.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).