Inhalt

VGH München, Beschluss v. 11.10.2023 – 24 CS 23.1565
Titel:

Widerruf einer Waffenbesitzkarte

Normenketten:
WaffG § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 2, § 45 Abs. 2, Abs. 4, Abs. 5
AWaffV § 4 Abs. 6 S. 1
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1
Leitsatz:
Der Gesetzgeber hat mit § 45 Abs. 5 WaffG einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet. Es bedarf deshalb besonderer Umstände, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Widerruf der Waffenbesitzkarte, Tatsachen, die Bedenken gegen die persönliche Eignung begründen, Vorlage eines amts- oder fachärztlichen oder fachpsychologischen Zeugnisses, Waffenbesitzkarte, persönliche Eignung, Vorlage eines amts- oder fachärztlichen oder fachpsychologischen Gutachtens, sofortige Vollziehung, Vollzugsinteresse
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 15.08.2023 – AN 16 S 23.1490 u.a.
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29894

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 19.375,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt mit der Beschwerde nur noch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf seiner acht Waffenbesitzkarten (Nrn. … bis … …) durch das Landratsamt Roth (im Folgenden: Landratsamt), denn hinsichtlich der sprengstoff- und jagdrechtlichen Erlaubnisse hat das Verwaltungsgericht Ansbach die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet bzw. wiederhergestellt.
2
Aufgrund verschiedener Vorfälle forderte das Landratsamt den Antragsteller erstmals mit Schreiben vom 24. November 2022 auf, die daraus hervorgehenden Bedenken gegen seine persönliche Eignung nach § 6 WaffG durch ein amts- oder fachärztliches oder fachpsychologisches Zeugnis auszuräumen. Daraufhin teilte der Antragsteller mit, er habe keinen Schlaganfall, sondern eine transitorische Attacke mit sekundenlanger Bewusstseinsstörung erlitten und sei in psychologischer Betreuung. Das Landratsamt forderte ihn am 9. Januar 2023 erneut auf, ein entsprechendes ärztliches Gutachten beizubringen. Der Antragsteller legte deshalb ein psychiatrisches Gutachten zum Vollzug des Straßenverkehrsgesetzes und der Fahrerlaubnisverordnung des Dr. med. S … vom 7. Juni 2022 und ein ärztliches Attest des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B … vom 8. März 2023 vor und beauftragte Herrn Dr. L … zur Erstellung eines Gutachtens mit der Frage „Liegen die im Umgang mit Waffen und Munition zu stellenden Eignungsvoraussetzungen vor?“.
3
Nachdem der Antragsteller das Gutachten des Dr. L… nicht vorlegte, widerrief das Landratsamt mit Bescheid vom 13. Juli 2023 die Waffenbesitzkarten und traf diesbezüglich verschiedene Nebenanordnungen. Der Antragsteller habe das zu Recht geforderte Gutachten nicht vorgelegt und sei daher nach § 4 Abs. 6 Satz 1 AWaffV als nicht geeignet anzusehen.
4
Über die gegen den Bescheid vom 13. Juli 2023 erhobene Klage gegen den Widerruf der Waffenbesitzkarten hat das Verwaltungsgericht nach Aktenlage noch nicht entschieden. Den diesbezüglichen Eilantrag hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. Der Bescheid erweise sich voraussichtlich als rechtmäßig, da der Antragsteller kein dem § 4 AWaffV entsprechendes Gutachten vorgelegt habe.
5
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde und macht geltend, das Gutachten hätte nicht angeordnet werden dürfen, da keine durch Tatsachen begründeten Bedenken gegen seine persönliche Eignung bestünden. Aus den vorgelegten Gutachten und Attesten ergebe sich, dass er auch waffenrechtlich geeignet sei. Zudem sei er selbst Arzt und könne seine gesundheitliche Situation selbst einschätzen.
6
Der Antragsgegner verteidigt den angefochtenen Beschluss und teilte im Beschwerdeverfahren mit, die Waffen seien mittlerweile sichergestellt worden. Dabei seien zahlreiche Aufbewahrungsverstöße zu Tage getreten und deshalb auch ein Widerrufsverfahren wegen fehlender Zuverlässigkeit eingeleitet worden.
7
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
8
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung abzuändern. Nach der gebotenen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass der Bescheid des Antragsgegners vom 13. Juli 2023 hinsichtlich des Widerrufs der Waffenbesitzkarten rechtmäßig ist, denn der Antragsteller hat das zu Recht geforderte ärztliche Gutachten nicht vorgelegt.
9
Zutreffend sind das Landratsamt und das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die bekannt gewordenen Umstände, nämlich Auffälligkeiten bei der Waffenkontrolle im Jahr 2022, Auffälligkeiten bei der Verkehrskontrolle sowie die eigenen Angaben des Antragstellers zu seinem gesundheitlichen Zustand und die weiteren Feststellungen der Bediensteten des Landratsamts in ihrer Gesamtschau Tatsachen sind, die die Annahme gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Waffengesetzes (WaffG) i.d.F. d. Bek. vom 11. Oktober 2002 (BGBl I S. 3970), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl I S. 1328), rechtfertigen, dass der Antragsteller auf Grund in seiner Person liegender Umstände mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren kann oder dass die konkrete Gefahr einer Fremd- oder Selbstgefährdung besteht. Das Landratsamt musste dem Antragsteller daher nach § 6 Abs. 2 WaffG die Vorlage eines amts- oder fachärztlichen oder fachpsychologischen Zeugnisses über seine geistige oder körperliche Eignung aufgeben. Ein Ermessen besteht diesbezüglich nicht. Es kann weder aufgrund der vorgelegten Atteste noch aufgrund des Umstandes, dass der Antragsteller selbst Arzt ist, von der Anforderung eines entsprechenden ärztlichen Zeugnisses abgesehen werden. Das Landratsamt hat den Antragsteller auch gemäß § 45 Abs. 4 WaffG i.V.m. § 4 Abs. 6 Satz 1 der Allgemeinen Waffengesetz-Verordnung (AWaffV) i.d.F. d. Bek. vom 27. Oktober 2003 (BGBl I S. 2123), zuletzt geändert durch Verordnung vom 1. September 2020 (BGBl I S. 1977), auf die Rechtsfolgen hingewiesen.
10
Ungeachtet der gegenwärtig fehlenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids hat die Beschwerde auch deshalb keinen Erfolg, weil bei der gebotenen Interessenabwägung die differenzierte gesetzgeberische Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO einerseits und § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO andererseits zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2017 – 2 BvR 2013/16 – Rn. 17). Aus diesem Grund überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse der Behörde das Suspensivinteresse des Antragstellers. Der Gesetzgeber hat mit § 45 Abs. 5 WaffG einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet; er hielt den Sofortvollzug ausweislich der Gesetzesmaterialien für dringend angezeigt (vgl. BT-Drs. 16/7717, S. 33). Es bedarf deshalb besonderer Umstände, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Hiervon ausgehend hat der Antragsteller keine Gründe vorgetragen, die über die im Regelfall mit der Anordnung sofortiger Vollziehung verbundenen Umstände hinausreichen, zumal mittlerweile zusätzlich auch noch ein Widerrufsverfahren wegen fehlender Zuverlässigkeit gemäß § 5 WaffG gegen ihn eingeleitet worden ist, da nach im Beschwerdeverfahren unwidersprochenen Feststellungen des Landratsamts bei der Sicherstellung der Waffen erhebliche Aufbewahrungsverstöße festgestellt worden sind.
11
Dieses öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug aus Gründen der Gefahrenabwehr besteht auch – wie regelmäßig – für die nicht vom gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug erfassten, mit der Widerrufsentscheidung verbundenen notwendigen waffen- und vollstreckungsrechtlichen Nebenentscheidungen.
12
Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Abänderung der Kostenentscheidung im erstinstanzlichen Beschluss kommt nicht in Betracht, denn das Verwaltungsgericht hat die Kosten zutreffend anhand der Streitwerte für die einzelnen Teile des Bescheids vom 13. Juli 2023 aufgeteilt.
13
Die Streitwertfestsetzung im Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Nrn. 1.5 und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013 und entspricht der Streitwertfestsetzung bezüglich der Waffenbesitzkarten im erstinstanzlichen Verfahren, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
14
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).