Titel:
Pflegedienst für ambulante Pflege- und Hauswirtschaftsleistungen als Lebensmittelunternehmen – Klärung im Hauptsacheverfahren
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
LFGB § 39 Abs. 7
PfleWoqG Art. 2 Abs. 4 S. 1, S. 3
VO (EU) 2017/625 Art. 138 Abs. 1 lit. b
Lebensmittel-Basis-VO Art. 1 Abs. 3 S. 2, Art. 3 Nr. 2, Nr. 3
Leitsätze:
1. Nach der Begriffsbestimmung in Art. 3 Nr. 2 Lebensmittel-Basis-VO, die über Art. 2 Abs. 2 Lebensmittelhygiene-VO auch der Meldepflicht aus Art. 6 Abs. 2 Lebensmittelhygiene-VO zugrunde liegt, sind "Lebensmittelunternehmen" im Grundsatz alle Unternehmen, die eine mit der Produktion, der Verarbeitung und dem Vertrieb von Lebensmitteln zusammenhängende Tätigkeit ausführen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. "Lebensmittelunternehmer" iSd Art. 3 Nr. 3 Lebensmittel-Basis-VO sind die für die Kontrolle eines solchen Lebensmittelunternehmens zuständigen Personen bzw. Organe. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Sowohl die Basisverordnung (Art. 1 Abs. 3 S. 2 Lebensmittel-Basis-VO) als auch die Hygieneverordnung (Art. 1 Abs. 2 lit. b Lebensmittelhygiene-VO) gelten aber in ihrer Gesamtheit ausdrücklich nicht "für die häusliche Verarbeitung, Handhabung oder Lagerung von Lebensmitteln zum häuslichen privaten Verbrauch". Unabhängig davon, ob in solchen Fällen tatbestandlich kein Lebensmittelunternehmen vorliegt oder nur die Geltung der einzelnen lebensmittelrechtlichen Vorgaben suspendiert wird, setzt die Anwendung der hier streitgegenständlichen Meldepflicht aus Art. 6 Abs. 2 Lebensmittelhygiene-VO jedenfalls maßgeblich voraus, dass sich die Tätigkeit der Antragstellerin nicht in einer "häuslichen Verarbeitung, Handhabung oder Lagerung von Lebensmitteln zum häuslichen privaten Verbrauch" erschöpft. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Vorfrage, ob ein Pflegedienst mit den hauswirtschaftlichen Dienstleistungen für eine ambulant betreute Wohngemeinschaft ein "Lebensmittelunternehmen" iSd Art. 3 Nr. 2 Lebensmittel-Basis-VO betreibt und damit als "Lebensmittelunternehmer" iSd Art. 3 Nr. 3 Lebensmittel-Basis-VO anzusehen ist und/oder ob hier eine rein "häusliche Verarbeitung, Handhabung oder Lagerung von Lebensmitteln zum häuslichen privaten Verbrauch" iSd Art. 1 Abs. 3 S. 2 Lebensmittel-Basis-VO bzw. Art. 1 Abs. 2 lit. b Lebensmittelhygiene-VO vorliegt, lässt sich iRd einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht mit der erforderlichen Gewissheit beantworten. (Rn. 14 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Lebensmittelhygiene, Anzeigepflicht des Lebensmittelunternehmers, Lebensmittelunternehmen, häusliche Verarbeitung, Handhabung oder Lagerung von Lebensmitteln zum häuslichen privaten Verbrauch, ambulant betreute Wohngemeinschaft, Registrierung, Meldepflicht, Pflegedienst, ambulante Pflege- und Hauswirtschaftsleistungen, Interessenabwägung, Bereichsausnahme, VO (EG) Nr. 178/2002, VO (EG) Nr. 852/2004
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 25.07.2023 – AN 14 S 23.517
Fundstellen:
LSK 2023, 29891
BeckRS 2023, 29891
LMuR 2023, 617
LMuR 2024, 112
Tenor
I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Juli 2023 (AN 14 S 23.517) wird in Ziff. 1. und 2. geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (AN 14 K 23.518) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 8. Februar 2023 wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Mit ihrem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wendet sich die Antragstellerin gegen die sofortige Vollziehbarkeit einer behördlichen Anordnung, einen Betrieb als Lebensmittelunternehmen registrieren zu lassen.
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Die Antragstellerin betreibt einen Pflegedienst für ambulante Pflege- und Hauswirtschaftsleistungen. Unter anderem erbringt sie die pflegerische und hauswirtschaftliche Versorgung der Bewohner der ambulant betreuten Wohngemeinschaft „… …“ in …, die sich in den Räumlichkeiten des Vereins „… … e.V.“ befindet und in der bis zu elf pflegebedürftige und demente Menschen leben.
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Im Anschluss an eine routinemäßige lebensmittelrechtliche Kontrolle in der Wohngemeinschaft am 31. Oktober 2022, bei der der Antragsgegner mehrere lebensmittelrechtliche Verstöße (das Fehlen eines effizienten Kontrollverfahrens, Deklarationsmängel und das Fehlen von Bescheinigungen nach § 43 Abs. 5 IfSG) feststellte, wurde die Antragstellerin mit Schreiben des Landratsamts Erlangen-Höchstadt vom 22. November 2022 aufgefordert, die bislang fehlende Registrierung des ihrer Kontrolle unterliegenden Betriebs als Lebensmittelunternehmen nach Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 852/2004 nachzureichen. Nachdem die Antragstellerin dieser Aufforderung nicht nachkam und der Auffassung, sie betreibe ein Lebensmittelunternehmen, ausdrücklich entgegentrat, verpflichtete der Antragsgegner die Antragstellerin mit Bescheid des Landratsamts Erlangen-Höchstadt vom 8. Februar 2023 – zugestellt am 14. Februar 2023 – nach vorheriger Anhörung dazu, binnen zwei Wochen die Registrierung nach Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 852/2004 durch Vorlage eines ausgefüllten und unterschriebenen Registrierungsformulars vorzunehmen. Zugleich wurde die sofortige Vollziehung der Vorlageverpflichtung angeordnet.
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Am 10. März 2023 erhob die Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach (AN 14 K 23.518), über die noch nicht entschieden ist. Gleichzeitig stellte sie einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 25. Juli 2023 abgelehnt hat. Es hat die Ablehnung maßgeblich darauf gestützt, dass die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich erfolglos bleiben werde. Der auf Art. 138 Abs. 1 Buchst. b VO (EU) 2017/625 gestützte Bescheid sei formell und materiell rechtmäßig. Insbesondere handele es sich bei der Antragstellerin um ein Lebensmittelunternehmen i.S.d. Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 852/2004.
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Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Zu deren Begründung bringt sie vor, die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobene Klage seien zumindest als offen anzusehen. Der Geltungsbereich der VO (EG) Nr. 852/2004 sei hier nicht eröffnet, da es sich nur um eine „häusliche Verarbeitung, Handhabung oder Lagerung von Lebensmitteln zum häuslichen privaten Verbrauch“ i.S.d. Art. 1 Abs. 2 Buchst. b VO (EG) Nr. 852/2004 handele. Soweit die Antragstellerin in den Räumlichkeiten der Wohngemeinschaft tätig werde, habe sie keinerlei Einfluss auf die organisatorischen und lebensmittelrechtlichen Bedingungen. Die Wohngemeinschaft sei baulich, organisatorisch und wirtschaftlich vielmehr selbständig organisiert, die Antragstellerin habe lediglich einen Gaststatus inne und keinerlei Mitspracherechte. Sie habe weder Einfluss auf die Ausgestaltung der Küche noch auf die Speisenauswahl oder die Bestellung und Lagerung von Lebensmitteln. Die Wohnform einer „ambulant betreuten Wohngemeinschaft“ entspreche nach der gesetzlichen Intention gerade nicht einer Heimunterbringung, sondern einer häuslichen Betreuung. Auch in den Vollzugshinweisen des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 8. Januar 2019 (2125.0-U) werde die „Seniorenwohngruppe, die in ihrem gemeinsamen Privathaushalt durch Dritte (Koch, ambulanter Pflegedienst) bekocht wird“ ausdrücklich als Beispiel für den privaten, häuslichen Bereich angeführt, der vom Anwendungsbereich der Verordnungen (EG) Nr. 178/2002 und (EG) Nr. 852/2004 ausgenommen sei.
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Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen. Das Erstgericht gehe zutreffend davon aus, dass keine Ausnahme vom Anwendungsbericht der VO (EG) Nr. 852/2004 vorliege. Insbesondere liege weder eine Primärproduktion für den privaten häuslichen Gebrauch i.S.d. Art. 1 Abs. 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 852/2004 vor noch eine häusliche Verarbeitung, Handhabung oder Lagerung von Lebensmitteln zum privaten häuslichen Verbrauch i.S.d. Art. 1 Abs. 2 Buchst. b VO (EG) Nr. 852/2004. Die Verarbeitung von Lebensmitteln durch die Antragstellerin erfolge aufgrund von entgeltlichen Verträgen und für Personen, die nicht dem eigenen familiären Umfeld der verarbeitenden Personen angehörten. Diese Einschätzung entspreche auch der Vollzugspraxis. Das von der Antragstellerin zitierte Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 8. Januar 2019 beziehe sich auf die Wohngemeinschaft als solche, treffe aber keine Aussage zur Qualifizierung des ambulanten Pflegedienstes. Dieser sei vielmehr – wie das Staatsministerium bereits 2021 konkretisiert habe – regelmäßig Lebensmittelunternehmer und die bekochte Wohngruppe als dessen Betriebsstätte zu registrieren. Eine ambulant betreute Wohngemeinschaft entspreche schon nicht einem „häuslichen Bereich“, denn es handele sich dabei um eine eigene Wohnform im Anwendungsbereich des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes, dem eine private, häusliche Umgebung gerade nicht unterfalle.
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Mit Schreiben vom 12. September 2023 hat der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Entscheidung möglicherweise auf der Grundlage einer Folgenabwägung zu treffen sei. Während die Antragstellerin daraufhin vorgetragen hat, im Fall einer Registrierung die Vorgaben des PfleWoqG nicht mehr erfüllen zu können, vertritt der Antragsgegner die Auffassung, eine Ablehnung des Antrags habe nur geringe erwartbare tatsächliche und wirtschaftliche Folgen, die hinter den drohenden gesundheitlichen Folgen einer fehlenden effektiven behördlichen Lebensmittelüberwachung zurückstehen müssten. Ohne die mit der Registrierung erhobenen Daten wäre die Effektivität der behördlichen Lebensmittelüberwachung stark beeinträchtigt.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
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Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 8. Februar 2023 (AN 14 K 23.518) wiederherzustellen.
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1. Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die allgemein oder im Einzelfall ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage anordnen oder wiederherstellen. Dabei hat das Gericht – das Beschwerdegericht unter grundsätzlicher Beschränkung auf die fristgerecht geltend gemachten Gründe (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO) – seiner Entscheidung eine Abwägung der betroffenen Interessen auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Im Rahmen dieser Abwägung sind – soweit bei summarischer Prüfung bereits überschaubar – maßgeblich die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen, da das öffentliche Vollzugsinteresse bei einem rechtswidrigen Verwaltungsakt im Regelfall ebenso wenig schützenswert ist wie das Suspensivinteresse des Adressaten eines bereits absehbar rechtmäßigen Verwaltungsakts (stRspr, vgl. nur BVerwG, B.v. 9.6.2022 – 6 VR 2/21 – juris Rn. 11 m.w.N.; vgl. auch Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 89). Lassen sich dagegen die Erfolgsaussichten der Hauptsache bei summarischer Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht hinreichend abschätzen, ist die Entscheidung des Gerichts auf der Grundlage einer reinen Interessenabwägung zu treffen, wobei die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen an einer (Wieder-) Herstellung des Suspensiveffekts dem öffentlichen Interesse an einem Vollzug des Verwaltungsakts bereits vor seiner Bestandskraft gegenüber zu stellen sind (vgl. BayVGH, B.v. 25.10.2021 – 20 CS 20.3147 – juris Rn. 2; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 93 m.w.N.). Im Wege einer Doppelhypothese sind die Folgen eines etwaigen späteren Hauptsacheerfolgs nach Ablehnung des Eilantrags mit den Folgen eines Misserfolgs in der Hauptsache nach Erlass der beantragten Eilentscheidung zu vergleichen (vgl. nur BVerwG, B.v. 15.6.2021 – 4 VR 6/20 – juris Rn. 17; B.v. 30.8.1996 – 7 VR 2/96 – juris Rn. 35 ff.; Schoch in Schoch/Schneider, VerwR, Stand März 2023, § 80 VwGO Rn. 371, 373b m.w.N.).
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2. Gemessen daran ergibt die im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung, dass das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche einstweilige Vollzugsinteresse überwiegt.
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Nach Auffassung des Senats sind die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 8. Februar 2023 im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht hinreichend absehbar und damit als offen anzusehen (dazu nachfolgend a). Bei einer Gegenüberstellung der betroffenen Interessen – des Interesses der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache und des Interesses des Antragsgegners am Vollzug der verfügten Vorlageverpflichtung bereits vor Rechtskraft der Hauptsache – überwiegt das einstweilige Aussetzungsinteresse der Antragstellerin (dazu b).
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a) Die Erfolgsaussichten der Klage lassen sich im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht hinreichend absehen.
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Gegenstand der Klage ist die mit Bescheid vom 8. Februar 2023 begründete Verpflichtung der Antragstellerin, binnen zwei Wochen die Registrierung nach Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 852/2004 durch Vorlage eines ausgefüllten und unterschriebenen Registrierungsformulars vorzunehmen. Der im Tenor des Bescheids genannte Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 852/2004 verpflichtet Lebensmittelunternehmer, „der entsprechenden zuständigen Behörde in der von dieser verlangten Weise die einzelnen ihrer Kontrolle unterstehenden Betriebe, die auf einer der Stufen der Produktion, der Verarbeitung oder des Vertriebs von Lebensmitteln tätig sind, zwecks Registrierung zu melden“. Da sich die Meldepflicht als solche bereits unmittelbar aus der Verordnung ergibt, beschränkt sich die Regelungswirkung des angegriffenen Bescheids im engeren Sinn darin, Art und Umfang der Meldepflicht zu konkretisieren, hier durch den konkreten Bezug auf die Betriebsstätte in den Räumlichkeiten des Vereins „… … e.V.“ in …, durch Verweis auf das dem Bescheid beigefügte Formular und durch die Setzung einer zweiwöchigen Vorlagefrist. Bei den zwischen den Beteiligten im Kern strittigen Fragen, ob die Antragstellerin mit den hauswirtschaftlichen Dienstleistungen für die ambulant betreute Wohngemeinschaft ein „Lebensmittelunternehmen“ i.S.d. Art. 3 Nr. 2 VO (EG) Nr. 178/2002 betreibt und damit als „Lebensmittelunternehmer“ i.S.d. Art. 3 Nr. 3 VO (EG) Nr. 178/2002 anzusehen ist und/oder ob hier eine rein „häusliche Verarbeitung, Handhabung oder Lagerung von Lebensmitteln zum häuslichen privaten Verbrauch“ i.S.d. Art. 1 Abs. 3 Satz 2 VO (EG) Nr. 178/2002 bzw. Art. 1 Abs. 2 Buchst. b VO (EG) Nr. 852/2004 vorliegt, handelt es sich insofern nicht um den eigentlichen Regelungsgegenstand, sondern nur um – allerdings wesentliche – Vorfragen für die materielle Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids.
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Diese für das Entstehen der Meldepflicht konstitutiven Vorfragen lassen sich nach Auffassung des Senats im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht mit der erforderlichen Gewissheit beantworten, weshalb die Erfolgsaussichten der Hauptsache im Ergebnis als offen anzusehen sind.
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Nach der Begriffsbestimmung in Art. 3 Nr. 2 VO (EG) Nr. 178/2002, die über Art. 2 Abs. 2 VO (EG) Nr. 852/2004 auch der Meldepflicht aus Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 852/2004 zugrunde liegt, sind „Lebensmittelunternehmen“ im Grundsatz alle Unternehmen, die eine mit der Produktion, der Verarbeitung und dem Vertrieb von Lebensmitteln zusammenhängende Tätigkeit ausführen; „Lebensmittelunternehmer“ i.S.d. Art. 3 Nr. 3 VO (EG) Nr. 178/2002 sind die für die Kontrolle eines solchen Lebensmittelunternehmens zuständigen Personen bzw. Organe (vgl. Rathke in Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, Stand März 2023, Art. 3 BasisVO Rn. 18 ff.; Meisterernst in Streinz/Meisterernst, BasisVO/LFGB, 2021, Art. 3 BasisVO Rn. 12 f.). Sowohl die Basisverordnung (Art. 1 Abs. 3 Satz 2 VO (EG) Nr. 178/2002) als auch die Hygieneverordnung (Art. 1 Abs. 2 Buchst. b VO (EG) Nr. 852/2004) gelten aber in ihrer Gesamtheit ausdrücklich nicht „für die häusliche Verarbeitung, Handhabung oder Lagerung von Lebensmitteln zum häuslichen privaten Verbrauch“. Unabhängig davon, ob in solchen Fällen tatbestandlich kein Lebensmittelunternehmen vorliegt (so Meisterernst in Streinz/Meisterernst, BasisVO/LFGB, 2021, Art. 1 BasisVO Rn. 7 f.; Rathke/Frede/Zipfel in Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, Stand März 2023, Art. 1 HygieneVO Rn. 1, 19) oder nur die Geltung der einzelnen lebensmittelrechtlichen Vorgaben suspendiert wird, setzt die Anwendung der hier streitgegenständlichen Meldepflicht aus Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 852/2004 jedenfalls maßgeblich voraus, dass sich die Tätigkeit der Antragstellerin nicht in einer „häuslichen Verarbeitung, Handhabung oder Lagerung von Lebensmitteln zum häuslichen privaten Verbrauch“ erschöpft.
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Unter welchen Voraussetzungen eine „häusliche Verarbeitung, Handhabung oder Lagerung von Lebensmitteln zum häuslichen privaten Verbrauch“ vorliegt, lässt sich derzeit nicht abschließend beantworten. Soweit ersichtlich, existiert zur Reichweite des Ausnahmetatbestands bislang keine ober- und/oder höchstrichterliche Rechtsprechung. Nach den Erwägungsgründen zur VO (EG) Nr. 852/2004 wollte der unionale Verordnungsgeber trotz des erklärten Hauptziels eines „hohen Verbraucherschutzniveaus“ im Zusammenhang mit der Lebensmittelhygiene (vgl. Erwägungsgrund 7) eine mit den Begriffen „privat“ und „häuslich“ umschriebenen Sphäre von den lebensmittelhygienerechtlichen Vorgaben und dem entsprechenden Kontrollregime vollständig freihalten (vgl. Erwägungsgrund 9: „Die Gemeinschaftsvorschriften sollten weder für die Primärproduktion für den privaten häuslichen Gebrauch noch für die häusliche Verarbeitung, Handhabung oder Lagerung von Lebensmitteln zum häuslichen privaten Verbrauch gelten. Außerdem sollten sie nur für Unternehmen gelten, wodurch eine gewisse Kontinuität der Tätigkeiten und ein gewisser Organisationsgrad bedingt ist.“). Dabei liegt nahe, dass diese Freistellung maßgeblich auf den (unions-)verfassungsrechtlichen Schutz des Privat- und Familienlebens und der Wohnung (vgl. Art. 7 EU-GR-Charta) zurückgeht, der einer lebensmittelrechtlichen Überwachung umso engere Grenzen setzen dürfte, je mehr (nur) der Kernbereich der persönlich-individuellen Lebensführung betroffen ist und je weniger die schutzwürdigen Belange Dritter oder der Allgemeinheit berührt werden. Wie weit die Bereichsausnahme aber im Einzelnen reicht – was also in die „private“ und „häusliche“ Sphäre fällt –, hat der Verordnungsgeber nicht näher konkretisiert und wird auch in der einschlägigen Literatur allenfalls kursorisch behandelt (vgl. nur Rathke/Frede/Zipfel in Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, Stand März 2023, Art. 1 HygieneVO Rn. 1, 19; Meisterernst in Streinz/Meisterernst, BasisVO/LFGB, 2021, Art. 1 BasisVO Rn. 7 f.).
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Im Hinblick auf die hier einschlägige Wohn- und Betreuungsform der „selbstgesteuerten ambulant betreuten Wohngemeinschaft“ i.S.d. Art. 2 Abs. 4 Sätze 1 und 3 PfleWoqG dürfte einerseits das im Erwägungsgrund 7 der VO (EG) Nr. 852/2004 genannte Ziel eines hohen Verbraucherschutzniveaus zu berücksichtigen sein; der Antragsgegner weist zutreffend darauf hin, dass gerade die in ambulant betreuten Wohngemeinschaften lebenden Personen aufgrund ihres Alters und Gesundheitszustands durch (Lebensmittel-)Infektionen regelmäßig besonders gefährdet sind. Andererseits erscheint bei summarischer Betrachtung aber denkbar, dass die hauswirtschaftliche Versorgung der Mitglieder einer solchen Wohngemeinschaft mit Speisen und Getränken auch dann unter den Ausnahmetatbestand der „häuslichen Verarbeitung, Handhabung oder Lagerung von Lebensmitteln zum häuslichen privaten Verbrauch“ fällt, wenn sie von einem gewerblichen Unternehmen wie der Antragstellerin erbracht wird. Zum einen handelt es sich bei einer „selbstgesteuerten ambulant betreuten Wohngemeinschaft“ i.S.d. Art. 2 Abs. 4 Sätze 1 und 3 PfleWoqG um einen freiwilligen Zusammenschluss der jeweiligen Mitglieder in einem „gemeinsamen Haushalt“; im Unterschied zu einem Pflegeheim dürfte daher die ambulant betreute Wohngemeinschaft – wie andere private Wohngemeinschaften auch – insgesamt als ein „häuslicher“ Bereich anzusehen sein. Zum anderen dürfte eine „häusliche Verarbeitung, Handhabung oder Lagerung von Lebensmitteln“ vorliegen, solange die genannten Vorgänge räumlich innerhalb des jeweiligen Haushalts stattfinden, was hier nach Aktenlage der Fall ist. Dass die Verarbeitung und Handhabung der Lebensmittel nicht (nur) durch die Haushaltsmitglieder, sondern in erster Linie durch Mitarbeiter der Antragstellerin auf der Grundlage eines entgeltlichen (Dienst- und/oder Werks-)Vertrags erfolgt, dürfte weder nach dem Wortlaut noch dem Zweck von Art. 1 Abs. 2 Buchst. b VO (EG) Nr. 852/2004 der Annahme einer „häuslichen“ Verarbeitung entgegenstehen (vgl. auch Boch, LFGB, 9. Aufl. 2022, § 1 Rn. 8, der ausdrücklich das Beispiel anführt, dass Essen in einer Wohngemeinschaft von Dritten zubereitet wird). Und schließlich könnte auch ein „häuslicher privater Verbrauch“ von Lebensmitteln vorliegen, weil und soweit der Verbrauch auf die zum Haushalt der betreuten Wohngemeinschaft gehörenden Personen und deren Angehörige und private Gäste beschränkt ist.
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Auch das gesetzliche Konzept der hier vorliegenden „selbstgesteuerten ambulant betreuten Wohngemeinschaft“ i.S.d. Art. 2 Abs. 4 Sätze 1 und 4 PfleWoqG scheint bei summarischer Prüfung vorauszusetzen, dass die mit der Zubereitung von Speisen innerhalb einer Wohngemeinschaft beauftragten ambulanten Dienstleistungsbetriebe nicht den Vorgaben der VO (EG) Nr. 852/2004 unterliegen. Insbesondere erscheint zweifelhaft, ob sich die lebensmittelhygienerechtlichen Verpflichtungen der Art. 3 ff. i.V.m. Anh. II der VO (EG) Nr. 852/2004 überhaupt im Einklang mit den Vorgaben des PfleWoqG erfüllen lassen. Gerade die durch Art. 2 Abs. 4 Satz 3 PfleWoqG gewährleistete Selbstbestimmung der Mieterinnen und Mieter (Nr. 1), der reine Gaststatus der Betreuungsdienste (Nr. 3) und die bauliche, organisatorische und wirtschaftliche Selbständigkeit der Wohngemeinschaft (Nr. 4) dürften einer effektiven Sicherstellung der einschlägigen Hygienebestimmungen der VO (EG) Nr. 852/2004 durch einen ambulanten Betreuungsdienst weitgehend entgegenstehen: Solange die Mitglieder der Wohngemeinschaft bzw. deren rechtliche Betreuer das Letztentscheidungsrecht haben, welche Lebensmittel eingekauft, gelagert und verarbeitet werden, und solange die Betreuungsdienste aufgrund ihres reinen Gaststatus in den Räumlichkeiten der Wohngemeinschaft die lebensmittelhygienischen Bedingungen nicht alleinverantwortlich bestimmen können, ist nicht ersichtlich, wie die ambulanten Betreuungsdienste die allgemeinen Hygienevorschriften aus Anhang II – um bespielhaft nur das grundlegende Instandhaltungsgebot für Betriebsstätten aus Kap. 1 Nr. 1 zu nennen – erfüllen könnten. Da aber nicht anzunehmen ist, dass der Landesgesetzgeber eine aus Rechtsgründen jedenfalls teilweise gar nicht umsetzbare Wohn- und Betreuungsform einführen wollte, spricht aus Sicht des Senats einiges dafür, dass zumindest der Gesetzgeber des PfleWoqG insoweit von einem dem Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 852/2004 entzogenen „privaten häuslichen Bereich“ ausgegangen ist (vgl. auch die Begründung des Gesetzentwurfs, in der von einer „natürlichen, familiären Wohngemeinschaft“ und einer „häusliche(n), alltagsorientierte(n) Wohnform“ die Rede ist, LT-Drs. 15/10182 S. 20).
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Vor diesem Hintergrund wird im Rahmen des Hauptsacheverfahrens insbesondere aufzuklären sein, wie weit die Bereichsausnahmen für die „häusliche Verarbeitung, Handhabung oder Lagerung von Lebensmitteln zum häuslichen privaten Verbrauch“ nach Art. 1 Abs. 3 Satz 2 VO (EG) Nr. 178/2002 und Art. 1 Abs. 2 Buchst. b VO (EG) Nr. 852/2004 reichen, und ob in der hier vorliegenden Konstellation eine solche Ausnahme vorliegt.
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b) Die bei offenen Erfolgsaussichten der Hauptsache gebotene Folgenabwägung ergibt, dass sich das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin im Ergebnis durchsetzt.
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Würde die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt, sich die Klage aber letztlich als unbegründet erweisen, unterbliebe bis zur rechtskräftigen Entscheidung einstweilen die mit dem streitgegenständlichen Bescheid zu Recht geforderte Meldung nach Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 852/2004. Die absehbaren rechtlichen und tatsächlichen Folgen hiervon wiegen nach Einschätzung des Senats nicht schwer. Das ergibt sich schon daraus, dass die Meldepflicht nach Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 852/2004 im Wesentlichen bezweckt, den Lebensmittelüberwachungsbehörden die für die Erfüllung ihrer Aufgaben zwingend erforderlichen Daten zu verschaffen. Hier ist der Antragsgegner aber bereits im Besitz sämtlicher Informationen, die er zur Wahrnehmung etwaiger Kontrollbefugnisse benötigt und mit dem als Anlage zum streitgegenständlichen Bescheid übersandten Formular erfragt hat. Insbesondere sind dem Antragsgegner Art, Umfang und Standort des Betriebs sowie die Kontaktdaten der verantwortlichen Personen bekannt. Inwiefern die Effektivität der Lebensmittelüberwachung daher im konkreten Fall noch von einer Meldung nach Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 852/2004 abhängen sollte, ist nicht erkennbar. Die fehlende Meldung als solche stünde bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache jedenfalls nicht der Wahrnehmung lebensmittelrechtlicher Kontrollbefugnisse entgegen, soweit der Antragsgegner der Auffassung ist, dass deren Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind.
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Die möglichen Folgen einer Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO trotz eines späteren Erfolgs der Klage wiegen demgegenüber schwerer. So könnte der Antragsgegner die Meldung nach Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 852/2004 vorläufig zwangsweise durchsetzen, die Antragstellerin müsste also bis zur Entscheidung in der Hauptsache zumindest die unzutreffende vorläufige Annahme gegen sich gelten lassen, mit der Versorgung der ambulant betreuten Wohngemeinschaft „… …“ in … ein Lebensmittelunternehmen zu betreiben. Dabei ist auch die Entscheidung des Gesetzgebers zu berücksichtigen, dass Rechtsbehelfen gegen lebensmittelrechtliche Anordnungen im Regelfall aufschiebende Wirkung zukommt, solange die Anordnungen nicht dem Schutz vor – hier aber bisher nicht im Raum stehenden – konkreten Gesundheitsgefahren dienen (vgl. § 39 Abs. 7 LFGB). Insofern führt auch das gesetzliche Regel-Ausnahme-Verhältnis nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu einem Überwiegen des Aussetzungsinteresses der Antragstellerin (vgl. BayVGH, B.v. 13.1.2014 – 14 CS 13.1790 – juris Rn. 26).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte war der Streitwert der Hauptsache nach § 52 Abs. 2 GKG für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.
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Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.