Inhalt

VGH München, Urteil v. 06.09.2023 – 16b D 22.686
Titel:

Disziplinarklage - Entfernung aus dem Beamtenverhältnis

Normenketten:
BDG § 10, § 13, § 56, § 57 Abs. 1, § 65 Abs. 1 S. 1
BBG § 60 Abs. 1, § 61 Abs. 1, § 62 Abs. 1 S. 2, § 77, § 96 Abs. 1 S. 1
AO § 369 Abs. 1, § 370 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2
StGB § 223 Abs. 1, § 263 Abs. 1
Leitsätze:
1. Das Schweigen des Dienstvorgesetzten auf einen schriftlich gestellten Urlaubsantrag berechtigt den Beamten nicht zum Fernbleiben vom Dienst. Der Beamte ist erst dann von der Dienstleistungspflicht befreit, wenn tatsächlich Urlaub bewilligt wird. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verstöße eines Beamten gegen strafgesetzliche Vorschriften begründen einen Verstoß gegen die Pflicht zu gesetzmäßigem Verhalten. Durch Schlechtleistungen wird die Pflicht zu ordnungsgemäßer Aufgabenerfüllung aus § 61 Abs. 1 , S. 1, 2 BBG verletzt. Die Verstöße gegen Arbeitszeitvorschriften – sowohl in Form von Arbeitszeitverstößen als auch in Form des vorsätzlichen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst (§ 96 Abs. 1 S. 1 BBG) – führen zu einer Verletzung der Pflicht zu vollem persönlichem Einsatz im Beruf aus § 60 Abs. 1 S. 1 BBG. Weisungsverstöße  verletzen die Gehorsamspflicht aus § 62 Abs. 1 S. 2 BBG. Dieses Gesamtverhalten verletzt zudem die Pflicht zu achtungs- und vertrauensgemäßem Verhalten aus § 61 Abs. 1 S. 2 BBG. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
3. Fallen einem Beamten mehrere Dienstpflichtverletzungen zur Last, die in ihrer Gesamtheit das einheitliche Dienstvergehen ergeben, so bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (hier: dreifache Steuerhinterziehung und vierfacher Betrug). (redaktioneller Leitsatz)
4. Leistet ein lediger Beamter an Oster- und Weihnachtstagen Dienst, damit seine Kollegen Urlaub nehmen können, stellt dies ein gewöhnliches Verhalten zur Erfüllung der Dienstpflichten dar, das nicht geeignet ist, die Schwere eines Dienstvergehens derart abzumildern, dass bei einem Beamten, der das in ihn gesetzte Vertrauen von Grund auf erschüttert hat, von einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abgesehen werden könnte. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)
5. Der Tatsache, dass der Beamte disziplinarrechtlich nicht vorbelastet ist, kommt im Regelfall keine nennenswerte entlastende Bedeutung zu, da es für einen Beamten selbstverständlich sein sollte, nicht gegen Strafgesetze oder seine dienstlichen Pflichten zu verstoßen. (Rn. 66) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Disziplinarklage, Mitarbeiter der Bundeswehrverwaltung (Regierungsamtmann a.D.), Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, Aberkennung des Ruhegehalts, Steuerhinterziehung in drei tatmehrheitlichen Fällen (6.694, 58 Euro), Betrug in vier tatmehrheitlichen Fällen zu Lasten des Dienstherrn (198, 60 Euro), zu Unrecht beantragte Reisebeihilfen für tatsächlich nicht stattgefundene Fahrten, Körperverletzung gegenüber einem achtjährigen Kind, unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst (acht Tage) sowie Arbeitszeit- (189 Fälle) und Weisungsverstöße
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 26.01.2022 – M 19B DK 21.64
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29890

Tenor

I.    Die Berufung wird zurückgewiesen.
II.    Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Der 1957 geborene, ledige Beklagte wendet sich im Berufungsverfahren gegen die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
2
Nach dem Vorbereitungsdienst für den gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst und einem Studium an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung in Stuttgart trat er im Dezember 1983 in den Dienst der Bundeswehrverwaltung ein. Mit Wirkung vom 19. August 1987 erfolgte die Ernennung zum Regierungsinspektor unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Zum 18. September 1992 wurde er zum Regierungsoberinspektor und zum 19. Juli 2004 zum Regierungsamtmann (Besoldungsgruppe A 11) ernannt. In der Regelbeurteilung für den Zeitraum vom 1. Februar 2009 bis zum 30. November 2011 erhielt der Beklagte die Note „D“, in der Regelbeurteilung für den Zeitraum vom 1. Dezember 2011 bis 31. Januar 2015 die Note „mangelhaft“ und in der Regelbeurteilung für den Zeitraum vom 1. Februar 2015 bis 31. Januar 2018 die Note „5“. Mit Wirkung vom 1. März 2023 wurde der Beklagte wegen Erreichens der Altersgrenze in den Ruhestand versetzt.
3
Nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft M. I vom 1. Juli 2013 über ein Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten wegen Steuerhinterziehung und Betrugs leitete das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr (BAIUDBw) mit Schreiben vom 13. Mai 2014 ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein und setzte dieses gleichzeitig bis zum Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen aus.
4
Das Amtsgericht München verurteilte den Beklagten mit Urteil vom 5. September 2014 wegen Steuerhinterziehung in drei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Betrug in vier tatmehrheitlichen Fällen (§§ 369 Abs. 1, 370 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Abgabenordnung – AO, §§ 263 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2, 53 Strafgesetzbuch – StGB) zu einer Gesamtgeldstrafe von 210 Tagessätzen zu je 75 Euro. Im Übrigen sprach es ihn frei. Der Beklagte habe 2008 Lohnsteuer in Höhe von 1.281 Euro zzgl. 70,46 Euro Solidaritätszuschlag und in 2009 Lohnsteuer in Höhe von 4.928 Euro zzgl. 271,04 Euro Solidaritätszuschlag hinterzogen, indem er in seinen Steuererklärungen wahrheitswidrig angegeben habe, in 2008 an 230 Tagen jeweils einfach 252 km und in 2009 an 220 Tagen jeweils einfach 234 km von Stuttgart zur Arbeitsstätte nach München zurückgelegt zu haben. In vier Fällen habe der Beklagte Reisebeihilfen in Höhe von insgesamt 198,60 Euro für Fahrten beantragt, die tatsächlich so nicht stattfanden. Indem der Beklagte einen Pkw mit tschechischen Kennzeichen benutzt habe, habe er zudem Kfz-Steuer in Höhe von 144,08 Euro hinterzogen. Das Landgericht München I korrigierte mit Urteil vom 18. Februar 2016 die Höhe der Gesamtgeldstrafe auf 180 Tagessätzen zu je 59 Euro. Dabei stellte es fest, dass der Schuldausspruch aus dem Urteil des Amtsgerichts München rechtskräftig geworden ist.
5
Durch dieses Strafverfahren erhielt die Disziplinarbehörde auch Kenntnis darüber, dass der Beklagte vom Amtsgericht Wertheim mit Strafbefehl vom 15. Februar 2013 zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 60 Euro wegen Körperverletzung verurteilt worden war. In dem Strafbefehl war dem Beklagten vorgeworfen worden, am 19. Oktober 2012 gegen 17:00 Uhr einen damals Achtjährigen ohne rechtfertigenden Grund verletzt zu haben, indem er ihm zunächst eine heftige Ohrfeige versetzt habe, sodass dieser zu Boden gefallen sei. Als dieser auf dem Boden lag, habe der Beklagte dem Kind einen Tritt ins Gesäß versetzt. Der Geschädigte habe eine Prellung an der linken Gesichtshälfte erlitten.
6
Das Disziplinarverfahren wurde auch wegen weiterer Vorwürfe zu Arbeitszeitverstößen, unerlaubtem Fernbleiben vom Dienst, unzureichender Dienstverrichtung, ungebührlichem Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Weisungsverstößen ausgedehnt. Mit Verfügung vom 2. Oktober 2019 wurde der Beklagte vorläufig des Dienstes enthoben und 30% seiner Dienstbezüge einbehalten.
7
Am 7. Januar 2021 erhob die Klägerin beim Verwaltungsgericht Disziplinarklage mit dem Ziel, den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Zur Begründung führte sie aus, dem Beklagten seien insgesamt 17 unterschiedliche Sachverhalte vorzuwerfen, wobei im Folgenden die Gliederung der Disziplinarklage übernommen wird:
8
(1-3) Die Vorwürfe 1 (zweifache Steuerhinterziehung durch unrichtige Anträge auf Lohnsteuerermäßigung an das Finanzamt St.), 2 (vierfacher Betrug) und 3 (Steuerhinterziehung durch Nutzung eines nicht zugelassenen und versteuerten Kfz) ergäben sich aus den Urteilen des Amtsgerichts München vom 5. September 2014 und des Landgerichts München I vom 18. Februar 2016 und umfassten Steuerhinterziehung in drei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Betrug in vier tatmehrheitlichen Fällen. Den Urteilen komme nach § 23 Abs. 1 Bundesdisziplinargesetz (BDG) Bindungswirkung zu.
9
(4) Dieser Vorwurf sei dem Strafbefehl des Amtsgerichts Wertheim vom 15. Februar 2013 zu entnehmen und beinhalte eine Körperverletzung gegen einen damals achtjährigen Jungen.
10
(5) Der Beklagte habe zudem in der Zeit vom 1. April bis 26. Juli 2017 in 63 Fällen die Kernarbeitszeit verletzt. Die einzelnen Verstöße werden in einer Tabelle dargestellt; hierauf wird verwiesen.
11
(6) Trotz mehrfacher Aufforderungen sei der Beklagte den Anordnungen seines Vorgesetzten nicht nachgekommen und habe die im Rahmen seiner Tätigkeit erforderlichen Umbuchungen – Geschäftsvorfälle im Verpflegungswesen für 2016 – nicht vorgenommen.
12
(7) Der Beklagte habe zwischen den dienstlichen Unterlagen in seinem Dienstzimmer diverse Lebensmittel aufbewahrt und das Büro trotz entsprechender Weisung nicht gereinigt.
13
(8) Er sei in der Zeit vom 11. bis 18. Dezember 2017 und am 7. Februar 2018 ohne Genehmigung dem Dienst ferngeblieben.
14
(9) In der Zeit vom 6. bis 9. Februar 2018 habe er sich nicht an die mit Schreiben vom 1. Dezember 2017 festgesetzte Arbeitszeit gehalten.
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(10) In der Zeit vom 1. Mai 2018 bis 31. Januar 2019 habe er den Dienst in 122 Fällen außerhalb der Kernarbeitszeit angetreten. Die einzelnen Arbeitszeitverstöße werden in einer Tabelle dargestellt, auf die ebenfalls verwiesen wird.
16
(11) Spätestens am 22. Januar 2019 habe er eine Türbeschilderung mit den Worten „Kein Zutritt für Warmduscher und Trittbrettfahrer“ sowie Schriftzeichen aus dem Sanskrit an seiner Bürotür angebracht.
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(12) Den Weisungen vom 22. und 29. Januar 2019, diese Türbeschilderung zu entfernen, sei er nicht nachgekommen.
18
(13) Am 30. Januar 2019 habe er seinen Vorgesetzten angeschrien, er solle sein Büro verlassen, ihn hinausgedrängt und das Büro anschließend verriegelt.
19
(14) Der Weisung seines Vorgesetzten vom selben Tag, die Bürotür wieder zu entriegeln, sei er nicht nachgekommen.
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(15) Am 11. und 12. Februar 2019 sei er dem Dienst ohne Genehmigung ferngeblieben.
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(16) Er habe ferner die Weisung missachtet, am 14. Februar 2019 an einer Besprechung teilzunehmen.
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(17) Am 14. Februar 2019 sei er seinem Vorgesetzten anlässlich eines Gesprächs über seinen künftigen geänderten Aufgabenbereich bedrohlich nahegekommen.
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Mit Urteil vom 26. Januar 2022 erkannte das Verwaltungsgericht auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
24
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht sei dem (dort nicht erschienenen) Beklagten kein rechtliches Gehör gewährt worden. Dem Erstgericht sei es somit nicht möglich gewesen, sich ein eigenes Bild von der Persönlichkeit des Beklagten zu machen. Zur Verurteilung wegen Steuerhinterziehung sei es lediglich deshalb gekommen, weil der Beklagte auf die Mitteilung seines damaligen Steuerberaters vertraut habe, dass die Steuererklärungen noch nicht abgeschlossen und korrigierbar seien. Die Verurteilung wegen Betrugs sei zu Unrecht erfolgt. Der Beklagte habe eine Zeugin dafür benannt, dass damals sein Lebensmittelpunkt in Stuttgart gelegen habe. „Die Erlasslage BMVg Wahlrecht ob UKV oder TG“ sei nicht beachtet und „ein Vorwurf“ wegen Kraftfahrzeugsteuerhinterziehung fallen gelassen worden. Der Dienstherr habe zu keinem Zeitpunkt Atteste wegen des verspäteten Dienstantritts verlangt, obwohl ihm sein Krankheitszustand bekannt gewesen sei. Daher habe der Beklagte davon ausgehen dürfen, dass der Dienstherr die Verspätungen akzeptiere. Am 8. November 2018 habe der Beklagte eine amtsärztliche Begutachtung wegen Dienstunfähigkeit beantragt und am 14. Oktober 2018 seinen Dienstherrn über seine Herzerkrankung informiert. Am 13. August 2006 sei der Beklagte Opfer eines Raubüberfalls geworden, wodurch er gesundheitliche Beeinträchtigungen und als Spätfolgen Schlafstörungen durch Traumata und Angstzustände erlitten habe. Trotz beruflicher Wiedereingliederung seien diese Spätfolgen wieder zurückgekehrt. Die Personalräte K. und A. hätten von den gesundheitlichen Beeinträchtigungen gewusst. Zum Persönlichkeitsbild des Beklagten, der über Jahre nicht abgemahnt worden sei, gehöre eine Dienst- und Leistungsbereitschaft. Der Dienst habe aus genannten Gründen nur verspätet angetreten werden können. Im Gegenzug habe er bis zum Dienstende gearbeitet. In 2018 seien über 100 Überstunden (trotz angeblich täglich verspäteten Dienstantritts) entstanden, die jedoch aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht im PC-System erfasst seien. Hiergegen habe der Beklagte Beschwerde beim BMVg eingelegt. Durch den Ausschluss aus der Krankenkasse habe er keine adäquate ärztliche Behandlung mehr in Anspruch nehmen können. Durch Pfändungsmaßnahmen (Wegfall von Kfz und Fahrrad) habe er nach Wegeunfällen die Dienststelle nur noch zu Fuß erreichen können (einfache Entfernung 12 km). Der Beklagte habe sich im Dienst immer angemessen, kollegial, höflich, freundlich ohne irgendwelche Aggressionen, stets leistungsbereit und engagiert verhalten. Er habe jährlich von sich aus an den Oster- und Weihnachtstagen Dienst geleistet, um den Kolleginnen und Kollegen den Urlaub zu ermöglichen. Wichtige vom Beklagten benannte Zeugen seien nicht geladen worden. Der Beklagte sei nur ein einziges Mal gegenüber seinem Vorgesetzten laut geworden, um den Diebstahl seiner Kaffeemühle zu verhindern. Im Urteil fehlten alle entlastenden Argumente, die für den Beklagten sprächen. Ihm vorgeworfene Pflichtverletzungen seien nicht konkretisiert, geschweige denn zeitnah mitgeteilt worden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zuzulassen und das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und den Beklagten weiter im Beamtenverhältnis zu belassen.
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7. Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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8. Der Senat hat am 6. September 2023 mündlich zur Sache verhandelt und die Vorwürfe 11 bis 14 und 17 der Disziplinarklage aus dem Disziplinarverfahren ausgeschieden, da sie für die Art und Höhe der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme voraussichtlich nicht ins Gewicht fallen. Hierzu wird auf das Protokoll Bezug genommen.
30
Zur Ergänzung wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen. Dem Senat haben die Disziplinar- und Personalakten des Beklagten vorgelegen.

Entscheidungsgründe

31
Die zulässige Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 BDG) erkannt. Da der Beklagte in den Ruhestand getreten ist, bevor die Entscheidung über die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis unanfechtbar geworden ist, gilt die Entscheidung als Aberkennung des Ruhegehalts (§ 10 Abs. 2 Satz 2 BDG).
32
Entscheidungserhebliche Mängel des erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahrens bestehen nicht.
33
Soweit der Beklagte Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens in Form einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör oder des Unterlassens einer Beweiserhebung im Hinblick auf seine Beweisanregungen geltend macht, kommt dem insgesamt für das Berufungsverfahren keine Bedeutung zu; denn das Berufungsverfahren ist eine eigenständige weitere Tatsacheninstanz, in der der streitige Anspruch der Klägerin auf disziplinarrechtliche Ahndung der insoweit geltend gemachten Sachverhalte ohnehin nochmals umfassend in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu prüfen ist und das Gericht von Amts wegen (§ 3 BDG i.V.m. § 86 VwGO) die erforderlichen Beweise zu erheben hat (§ 58 Abs. 1 BDG; BVerwG, U.v. 29.7.2010 – 2 A 4.09 – juris Rn. 133; HessVGH U.v. 28.9.2015 – 28 A 809/14.D – juris Rn. 175).
34
Die bloßen erstinstanzlichen Beweisangebote des Beklagten (Schr. v. 11.3.2021 – VG-Akte S. 21), aus denen überwiegend schon nicht bestimmt genug hervorgeht, welche konkrete Beweistatsache mit welchem bestimmten Beweismittel unter Beweis gestellt werden soll, wurden im Berufungsverfahren nicht aufgegriffen; insbesondere wurden in der mündlichen Verhandlung des Berufungsverfahrens keine Beweisanträge gestellt. Eine entsprechende Beweiserhebung musste sich für den Senat auch nicht aufdrängen, da die Beweisangebote entweder nicht entscheidungserheblich oder ungeeignet waren.
35
In der Sache kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Beklagte inner- und außerdienstliche Dienstvergehen begangen hat (1.), die bei Abwägung aller disziplinarrechtlich relevanten Gesichtspunkte mit der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis/Aberkennung des Ruhegehalts zu ahnden sind (2.). Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
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1. Mit Ausnahme der ausgeschiedenen Vorwürfe 11 bis 14 und 17 legt der Senat seiner Entscheidung den Sachverhalt zugrunde, den das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil (2., S. 10 bis 13) festgestellt hat. Auch der Senat ist überzeugt, dass die Vorwürfe der Disziplinarklage zutreffen.
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1.1 Der Sachverhalt zu den Vorwürfen 1 bis 3 (Steuerhinterziehung und Betrug), der dem rechtskräftigen Strafurteil des zuständigen Amtsgerichts vom 5. September 2014 und Landgerichts vom 18. Februar 2016 zugrunde liegt, steht nach § 65 Abs. 1 Satz 1, § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG für den Senat bindend fest. Danach sind tatsächliche Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren, das denselben Sachverhalt wie das Disziplinarverfahren betrifft, auch im Berufungsverfahren bindend. Aus dem Vortrag des Beklagten ergibt sich nicht, dass die strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen offenkundig unrichtig (§ 57 Abs. 1 Satz 2 BDG) wären. Mit Blick auf die umfangreiche Beweisaufnahme im strafgerichtlichen Verfahren (acht Verhandlungstermine; Vernehmung von zwölf Zeugen) bestehen keine Anhaltspunkte für den pauschalen Einwand (Schr. v. 30.8.2019 – Disziplinarakte S. 381), dem Beklagten seien Verteidigungsmöglichkeiten im Strafverfahren abgeschnitten worden. Welche Unterlagen er aus welchem Grund bis heute wegen der Finanzbehörden angeblich nicht habe vorlegen können, bleibt offen. Sein Vortrag, er habe seinem damaligen Steuerberater hinsichtlich der Korrigierbarkeit seiner Steuererklärungen vertraut, ist im Hinblick auf den strafrechtlichen Vorwurf weder nachvollziehbar noch relevant. Denn der Beklagte wurde verurteilt, weil er „am 02.01.2008 für 2008 und am 20.02.2009 für 2009 beim Finanzamt St. II Anträge auf Lohnsteuerermäßigung“ eingereicht und hierbei jeweils wahrheitswidrig erklärt hat, dass er seinen Wohnsitz in der …str. … in Stuttgart habe und in 2008 an 230 Tagen jeweils einfach 252 km und in 2009 an 220 Tagen jeweils einfach 234 km zur Arbeitsstätte zurücklegen müsse.
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Der Einwand des Beklagten, er habe eine Zeugin dafür benannt, dass damals sein Lebensmittelpunkt in Stuttgart gelegen habe, begründet ebenfalls keine offensichtliche Unrichtigkeit des strafgerichtlichen Urteils, da zur Überzeugung des Amtsgerichts (UA S. 16) nicht habe festgestellt werden können, dass der Beklagte im Tatzeitraum keinen Wohnsitz mehr in Stuttgart gehabt hätte. Inwiefern die vom Beklagten sichtwortartig geltend gemachte „Erlasslage des BMVg Wahlrecht ob UKV oder TG“ eine offensichtliche Unrichtigkeit der strafrechtlichen Verurteilungen begründen können sollte, erschließt sich dem Senat nicht.
39
Die Betrugsvorwürfe hat der Beklagte im Strafverfahren glaubhaft eingeräumt (vgl. Amtsgericht München, U.v. 5.9.2014 S. 8).
40
Für die im Zusammenhang mit dem Vorwurf 3 (Kraftfahrzeugsteuerhinterziehung) erhobene Behauptung im erstinstanzlichen Verfahren, dass das Fahrzeug in Tschechien angemeldet gewesen sei, bestehen keine Anhaltspunkte. Vielmehr steht sie im Widerspruch zu der Auskunft der tschechischen Steuerverwaltung (Amtsgericht München, U.v. 5.9.2014 S. 10 unter Verweis auf die Ermittlungsakte I S. 70, 75). Das im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte angebliche Eigentumsdokument (VG-Akte S. 26, 50) stellt den strafrechtlichen Vorwurf, dass der Beklagte am 7. Mai 2009 einen Pkw mit einem tschechischen Kennzeichen gefahren habe, obwohl das Fahrzeug, wie er gewusst habe, im Inland nicht zugelassen und versteuert worden war und er seinen ständigen Aufenthalt in München gehabt habe, nicht in Abrede. Unzutreffend ist der Berufungsvortrag, wonach der Vorwurf wegen Kraftfahrzeugsteuerhinterziehung fallen gelassen worden sei. Für die Hinterziehung der Kraftfahrzeugsteuer 2009 verhängte die Strafkammer des Landgerichts eine Einzelgeldstrafe von 20 Tagessätzen (vgl. LG München I, U.v. 18.2.2016, S. 10).
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1.2 Die tatsächlichen Feststellungen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Wertheim vom 15. Februar 2013 (Körperverletzung gegenüber Achtjährigen), die dem Vorwurf 4 der Disziplinarklage zugrunde liegen, sind zwar nicht bindend, das Gericht kann sie dem Urteil jedoch nach § 57 Abs. 2 BDG ohne nochmalige Prüfung zugrunde legen. Der Beklagte hat die Indizwirkung des von ihm schließlich akzeptierten Strafbefehls nicht entkräftet. Dies gilt selbst dann, wenn man den vom Beklagten geschilderten Sachverhalt zugrunde legt (Stellungnahme gegenüber dem Landgericht Mosbach zur Schadensersatzklage – VG-Akte S. 37), wonach der Beamte „mit Reflex auf einen Angriff mittels einer geworfenen Steinplatte reagiert“ haben will. Die vom Beklagten a.a.O. eingeräumte Körperverletzung war nicht wegen Notwehr nach § 32 StGB gerechtfertigt. Unabhängig davon, dass die Ohrfeige und der zusätzliche Fußtritt keine geeignete Verteidigungshandlung und der Angriff im Moment des Vorbeilaufens des Jungen bereits beendet war, wären die körperverletzenden Handlungen des Beklagten gegenüber einem achtjährigen Kind nicht geboten gewesen.
42
1.3 Die übrigen Vorwürfe 5 bis 10, 15 und 16 der Disziplinarklage im Hinblick auf Arbeitszeit- und Weisungsverstöße, unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst, unzureichende Dienstverrichtung und unangemessenes Verhalten durch den Beklagten ergeben sich aus einer Vielzahl von Schreiben seiner Vorgesetzten, insbesondere vom 22. April 2016, 30. August 2017, 4., 19. und 20. Februar 2019, die der Disziplinarakte beiliegen.
43
Der Beklagte gesteht die ihm vorgeworfenen Sachverhalte im Wesentlichen auch ein (vgl. Schr. RA v. 30.8.2019 – Disziplinarakte S. 382), auch wenn er sie rechtlich anders bewertet.
44
Das Verwaltungsgericht (UA Rn. 50) führte insoweit bereits zu Recht aus, dass sich der Beklagte zur Rechtfertigung seiner verspäteten Dienstantritte nicht auf seine Schlafapnoe-Erkrankung, den Pflegeaufwand für seine Hautveränderungen und das Fehlen eines Kraftfahrzeugs berufen kann. Denn die Einhaltung der Arbeitszeit liegt in seinem Verantwortungsbereich. Er hat seinen Alltag so zu organisieren, dass sich keine Arbeitszeitverstöße ereignen. Der Beklagte legte keine aussagekräftigen ärztlichen Atteste vor, die eine (nur morgens) eingeschränkte Dienstfähigkeit belegen würden (vgl. BVerwG, U.v. 28.3.2023 – 2 C 20.21 – juris Rn. 25). Hiergegen spräche im Übrigen auch der Umstand, dass der Beklagte an etlichen Tagen ohne Weiteres in der Lage war, vor Beginn der Kernarbeitszeit (9.00 Uhr) seinen Dienst anzutreten (vgl. Disziplinarakte Sonderakt S. 90 ff.).
45
Auch sein Vortrag, er sei finanziell nicht in der Lage gewesen, sich das Fahrgeld für den ÖPNV oder die Reparaturkosten für sein Klapprad zu leisten, erweist sich angesichts seiner eigenen Angaben vor dem Amtsgericht München, ihm seien 1.500 Euro ausbezahlt (abzgl. Lohnpfändung) worden, als widersprüchlich. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund seines angeblichen Lebensmittelpunktes in Stuttgart, wohin ihm also Fahrten regelmäßig möglich gewesen sein dürften (VG-Akte S. 46: „16 Jahre Stuttgart am Wochenende“; VG-Akte S. 25 Rückseite: „Hauptwohnsitz in … Stuttgart bestand seit 1980 somit auch in den Jahren 2008 und 2009 und auch heute [11.3.2021]).
46
Angesicht der wiederholten Ermahnungen durch Vorgesetzte und der aktenkundig geführten Mitarbeitergespräche (vgl. u.a. Disziplinarakte S. 169 ff.) ist es zudem abwegig anzunehmen, der Dienstherr hätte die Arbeitszeitverstöße „akzeptiert“. Auch sein Antrag (v. 8.11.2018) auf amtsärztliche Begutachtung und die Unterrichtung seines Dienstherrn über seine Herzerkrankung befreit ihn nicht von seiner Pflicht, innerhalb der vorgeschriebenen Zeiten zum Dienst zu erscheinen. Weder Überstunden noch ein Bleiben bis zum Dienstende vermögen die Kernzeitpflichtverletzung zu heilen.
47
Der Vorwurf 6 (Weisungsverstoß – Umbuchung nicht vorgenommen) wird von dem Beklagten nicht bestritten. Sein Einwand (Schr. v. 11.3.2021), er habe die ihm übertragenen Arbeiten mangels „Aktenübergabeverhandlung“ nicht übernommen, rechtfertigt die unterlassene Aufgabenerledigung nicht. Denn die Pflicht zur Erfüllung der dienstlich übertragenen Aufgaben setzt schon keine „Aktenübergabeverhandlung“ voraus. Schriftlich wies der Dienstvorgesetzte den Beklagten auf die mangelhafte Aufgabenerledigung hin (vgl. Schr. v. 30.8.2017 – Disziplinarakte S. 299). Der erst zwei Jahre später von seinem Bevollmächtigten erteilte vage Hinweis (Schr. v. 30.8.2019) auf eine damals angeblich bestehende Arbeitsüberlastung, bleibt vor dem Hintergrund der Stellungnahme des Vorgesetzten L. (Schr. v. 12.9.2019, Disziplinarakte S. 395), ohne tragfähige Substanz.
48
Darüber hinaus steht auch der unbestrittene Vorwurf 7 (Weisungsverstoß – Lebensmittel/Büro nicht gereinigt) zur Überzeugung des Senats fest (vgl. Schr. v. 30.8.2017 Disziplinarakte S. 228 ff.). Dass sein Büro aussah „wie bei anderen Kollegen auch“ (Schr. v. 11.3.2021) erscheint angesichts der in der Disziplinarakte befindlichen Fotos (S. 228 ff.) nicht überzeugend. Soweit eine „Überprüfung der zuständigen Gebäudeaufsicht“ ergeben haben mag, dass „alles in Ordnung“ sei, vermag auch diese schlichte Behauptung den Vorwurf eines Weisungsverstoßes nicht zu entkräften.
49
Zur Überzeugung des Senats steht auch der Vorwurf 8 (Fernbleiben vom Dienst 11. bis 18.12.2017 und 7.2.2018) fest. Nach unwidersprochener Schilderung seiner Vorgesetzten (E-Mail vom 12.12.2017 und 16.2.2018 – Disziplinarakte S. 301 f., 305 f.) legte der Beklagte seinen Urlaubsantrag für die Tage vom 11. bis 18. Dezember 2017 am Freitag den 8. Dezember 2017 ins Fach der Geschäftszimmerkraft, die freitags und montags nicht arbeitet. Ohne genehmigten Urlaubsantrag blieb der Beklagte sodann für den Zeitraum des beantragten Urlaubs dem Dienst fern. Auch am Mittwoch, den 7. Februar 2018 erschien der Beklagte unentschuldigt nicht zum Dienst. An diesem Tag hat sich der Beklagte bei einer Mitarbeiterin im Geschäftszimmer „abgemeldet“ (Disziplinarakte S. 306), weil er seine PIN Karte in Stuttgart vergessen hatte. Der Mitarbeiterin teilte er lediglich mit, dass er „den heutigen Tag“ tausche und dafür am Freitag in den Dienst komme. Eine entsprechende Abmeldung entpflichtet den Beamten jedoch genauso wenig wie die Stellung eines Urlaubsantrags von seiner Dienstleistungspflicht. Selbst die nachträgliche Genehmigung eines Urlaubsantrags ändert nichts an einem disziplinarrechtlich relevanten eigenmächtigen Fernbleiben vom Dienst (BVerwG, U.v. 29.10.2003 – 2 WD 9.03 – juris). Der Dienstherr rügte bereits zuvor – bis hin zur Androhung einer Gehaltskürzung für die betreffenden Tage – die verspätete Vorlage von Urlaubsanträgen und das anschließend eigenmächtige Fernbleiben vom Dienst (vgl. Disziplinarakte S. 171, 173 ff., 178).
50
Mit seinen allgemeinen Behauptungen (Schr. v. 30.8.2019), der Vorgesetzte sei (zur Genehmigung des Urlaubsantrags) nicht erreichbar und es sei unklar gewesen, wer für die Urlaubsgenehmigung zuständig gewesen sei (Schr. v. 11.3.2021, VG-Akte S. 25), dringt der Beklagte nicht durch. Die rechtzeitige Stellung von Urlaubsanträgen liegt – wie ausgeführt – in seinem Verantwortungsbereich. Er hat vor Antritt seines Urlaubs sicherzustellen, dass sein Urlaubsantrag genehmigt ist. Das Schweigen des Dienstvorgesetzten auf einen schriftlich gestellten Urlaubsantrag berechtigt den Beamten nicht zum Fernbleiben vom Dienst. Der Beamte ist erst dann von der Dienstleistungspflicht befreit, wenn tatsächlich Urlaub bewilligt wird (BVerwG, B.v. 11.2.1997 – 1 DB 12.96 – juris Rn. 13).
51
Des Weiteren sind auch die Vorwürfe 9 (Arbeitszeitverstöße vom 6. bis 9.2.2018) und 10 (122 Kernarbeitszeitverstöße vom 1.5.2018 bis 31.1.2019) nach Überzeugung des Senats erwiesen (vgl. Buchungsjournal – Disziplinarakte Sonderakt S. 90). Ab 1. April 2018 galt für den Beklagten wieder die Kernarbeitszeit von Montag bis Donnerstag 9 bis 15 Uhr, Freitag 7 bis 12.30 Uhr (Schr. v. 3.5.2018, Disziplinarakte Sonderakt S. 87).
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Der Vorwurf 15 (Fernbleiben vom Dienst am 11./12.2.2019) steht zur Überzeugung des Senats fest, soweit dem Beklagten am 12. Februar 2019 ein unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst zur Last gelegt wird. Hinsichtlich des 11. Februar 2019 ist jedoch davon auszugehen, dass der Vorgesetzte Herr R. an diesem Tage um 8.45 Uhr – und damit noch vor Beginn der Kernzeit (9.00 Uhr) – den mündlichen Urlaubsantrag des Beklagten (telefonisch) genehmigte (Disziplinarakte Sonderakte S. 102).
53
Der Vorwurf 16 (Verstoß gegen die Weisung an der Besprechung am 14.2.2019 teilzunehmen – Disziplinarakte Sonderakte S. 102) wurde mit Schreiben des Bevollmächtigten des Beklagten vom 30. August 2019 (Disziplinarakte S. 385: „sodass er den Termin um 10 Uhr nicht wahrnehmen konnte“) eingeräumt. Hinsichtlich der Behauptung, der Beklagte sei aus gesundheitlichen Gründen verhindert gewesen, liegen keine (ärztlichen) Nachweise vor.
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1.4 Damit sind dem Beklagten dreifache Steuerhinterziehung (Vorwürfe 1 und 3), vierfacher Betrug (Vorwurf 2), Körperverletzung (Vorwurf 4), 189 Arbeitszeitverstöße (Vorwürfe 5, 9 und 10), acht Tage unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst (Vorwürfe 8 und 15), Schlechtleistung (Vorwurf 6), mehrfache Weisungsverstöße (Vorwürfe 6, 7 und 16) und unangemessenes Verhalten im Dienst (Vorwürfe 7) vorzuwerfen.
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2. Durch sein Verhalten hat der Beklagte mehrere beamtenrechtliche Pflichten verletzt. Die Verstöße gegen strafgesetzliche Vorschriften (Vorwürfe 1 bis 4) begründen einen Verstoß gegen die Pflicht zu gesetzmäßigem Verhalten. Mit der Schlechtleistung (Vorwurf 6) hat er die Pflicht zu ordnungsgemäßer Aufgabenerfüllung aus § 61 Abs. 1 Satz 1 und 2 BBG verletzt. Die Verstöße gegen Arbeitszeitvorschriften (Vorwürfe 5, 8, 9, 10, 15) – sowohl in Form von Arbeitszeitverstößen als auch in Form des vorsätzlichen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst (§ 96 Abs. 1 Satz 1 BBG) – führen zu einer Verletzung der Pflicht zu vollem persönlichem Einsatz im Beruf aus § 60 Abs. 1 Satz 1 BBG. Die Weisungsverstöße (Vorwürfe 6, 7 und 16) verletzen die Gehorsamspflicht aus § 62 Abs. 1 Satz 2 BBG. Das gesamte dem Beklagten vorgeworfene Verhalten verletzt zudem die Pflicht zu achtungs- und vertrauensgemäßem Verhalten aus § 61 Abs. 1 Satz 2 BBG.
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3. Die Verstöße gegen die beamtenrechtlichen Pflichten begründen eine inner- (Vorwürfe 2, 5 bis 10, 15 und 16) und außerdienstliche Dienstpflichtverletzung (Vorwürfe 1, 3 und 4). Die Vorwürfe 2 sowie 5 bis 17 sind als innerdienstliches Dienstvergehen nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG zu qualifizieren, weil das pflichtwidrige Verhalten in das Amt des Beklagten und in seine dienstlichen Pflichten eingebunden waren (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 11). Für die Betrugshandlungen (Vorwurf 2) gilt dies, weil sie gegenüber einer Behörde der Bundeswehr und damit gegenüber der Dienstherrin begangen wurden. Die Vorwürfe 1, 3 und 4 wurden außerhalb des Dienstes begangen. Im Hinblick auf den Strafrahmen der Steuerhinterziehung und der Körperverletzung, der nach § 370 Abs. 1 AO und § 223 Abs. 1 StGB jeweils Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren beträgt, ist hier auch dieses Verhalten des Beklagten nach § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG disziplinarrechtlich relevant. Das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 16.6.2020 – 2 C 12.19 – juris Rn. 16) – sieht die disziplinarrechtliche Relevanz außerdienstlichen Verhaltens bei einer Strafandrohung von Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren als gegeben an.
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4. Welche Disziplinarmaßnahme angemessen und erforderlich ist, richtet sich nach § 13 BDG. Die Disziplinarmaßnahme ist insbesondere nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu bemessen (§ 13 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 BDG). Beamte, die durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren haben, sind gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Aus § 13 Abs. 1 BDG folgt die Verpflichtung des Gerichts, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme anhand einer prognostischen Würdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 23.2.2012 – 2 C 38.10 – juris Rn. 11; BayVGH, U.v. 12.3.2014 – 16a D 11.2657 – juris).
58
Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist nur zulässig, wenn der Beamte wegen der schuldhaften Verletzung einer ihm obliegenden Pflicht das für die Ausübung seines Amts erforderliche Vertrauen endgültig verloren hat (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG). Nur so können die Integrität des Berufsbeamtentums und das Vertrauen in die ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung der Beamten aufrechterhalten werden. Ist die Weiterverwendung eines Beamten wegen eines von ihm begangenen schweren Dienstvergehens nicht mehr denkbar, muss er durch eine Disziplinarmaßnahme aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden. Schwerwiegende Vorsatzstraftaten bewirken generell einen Vertrauensverlust, der unabhängig vom jeweiligen Amt zu einer Untragbarkeit der Weiterverwendung als Beamter führt (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 14).
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Fallen einem Beamten – wie hier – mehrere Dienstpflichtverletzungen zur Last, die in ihrer Gesamtheit das einheitliche Dienstvergehen ergeben, so bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, U.v. 8.9.2004 – 1 D 18.03 – juris Rn. 47). Diese liegt hier in dem strafrechtlich relevanten Verhalten der dreifachen Steuerhinterziehung und des vierfachen Betrugs.
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4.1 Da die Schwere des Dienstvergehens nach § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist, muss das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 Abs. 1 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zugeordnet werden. Bei der Auslegung des Begriffs „Schwere des Dienstvergehens“ ist maßgebend auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Hierfür können bestimmend sein objektive Handlungsmerkmale (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, z.B. Kern- oder Nebenpflichtverletzungen, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, z.B. Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 a.a.O. Rn. 16).
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4.2 Gemessen daran ist die volle Ausschöpfung des in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens geboten, weil der Beamte durch sein Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und auch der Allgemeinheit wegen der konkreten Umstände des Dienstvergehens endgültig verloren hat (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG).
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Zu Recht hat das Verwaltungsgericht (UA Rn. 66) berücksichtigt, dass der Beklagte über einen langen Zeitraum (vierfacher Betrug über einen Zeitraum vom 18.3.2009 – 31.8.2010) zum einen die Dienstherrin, zum anderen die Staatskasse auf raffinierte Art und Weise nach genauer Planung und Überlegung mit hoher krimineller Energie betrogen hat (so Landgericht München I, U.v. 18.2.2016 – UA S. 9, Disziplinarakte S. 127). Im Hinblick auf die Betrugshandlungen wirkt erschwerend, dass der Beklagte als Teamleiter eine dienstliche Vertrauensstellung innehatte und im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit mit gleichartigen Abrechnungen befasst war (vgl. Landgericht München I, U.v. 18.2.2016 – a.a.O.). Vor diesem Hintergrund liegt eine Kernbereichsverletzung vor (vgl. BVerwG, U.v. 21.1.2016 – 2 WD 6.15 – juris Rn. 40 m.w.N.).
63
Die dreifache Steuerhinterziehung und der vierfache Betrug sind aber nicht die einzigen Pflichtverletzungen, die dem Beamten zur Last gelegt werden. Hinzu treten vielmehr die weiteren inner- und außerdienstlichen Verfehlungen des Beamten. Erheblich zu seinen Lasten sprechen die von ihm außerdienstlich begangene Körperverletzung und seine zahlreichen Arbeitszeit- und Weisungsverstöße. Dabei kommt insbesondere den 189 Verstößen gegen die Kernarbeitszeit über einen Zeitraum von insgesamt 21 Monaten und dem vorsätzlichen unerlaubten Fernbleiben vom Dienst für die Dauer von acht Tagen schweres Gewicht zu.
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Zu Recht hat das Verwaltungsgericht zu Lasten des Beklagten auch sein gesamtes innerdienstliches Verhalten berücksichtigt, darunter seine schlechten dienstlichen Leistungen, die sich in seinen Beurteilungen widerspiegeln, sein kontinuierliches und offen dargetanes Desinteresse an der Arbeit und sein untragbares Verhalten insbesondere gegenüber Vorgesetzten. Aufgrund dieses Verhaltens und seiner kontinuierlichen Dienstpflichtverletzungen während des laufenden Disziplinarverfahrens teilt auch der Senat die Ansicht, dass eine Besserung seines Benehmens ausgeschlossen erscheint, zumal er sich auch im Disziplinarverfahren unbelehrbar gezeigt und keine Anzeichen von Einsicht und Reue hat anklingen lassen. Das Verhalten des Beklagten innerhalb des Dienstes zeigt, dass seine Eingliederung in eine öffentliche Verwaltung mit vorgegebenen Dienstzeiten, strukturierten Abläufen, verlässlicher und planbarer Aufgabenerfüllung nicht möglich und auch für die Zukunft nicht zu erwarten ist. Die pauschal im Berufungsverfahren aufgestellte Behauptung, zum Persönlichkeitsbild des Beklagten gehöre eine Dienst- und Leistungsbereitschaft, bleibt vor dem Hintergrund seiner dienstlichen Beurteilungen und der Aktenvermerke seiner Vorgesetzten ohne belastbare Substanz. Dies gilt auch für den Vortrag, der Beklagte habe sich im Dienst immer angemessen, kollegial, höflich, freundlich ohne irgendwelche Aggressionen, stets leistungsbereit und engagiert verhalten. Diese Selbsteinschätzung ist für den Senat bereits vor dem Hintergrund seiner Strafanzeige gegen seinen Vorgesetzten und seiner eigenen Einlassung in der Berufungsbegründung, er sei (wenn auch nur ein einziges Mal) gegenüber seinem Vorgesetzten „laut“ geworden, um Kollegen auf den Diebstahlsversuch seines Vorgesetzten aufmerksam zu machen, nicht nachvollziehbar. Soweit der Beklagte darauf verweist, dass er als Lediger an Oster- und Weihnachtstagen Dienst geleistet habe, damit seine Kolleginnen und Kollegen Urlaub haben nehmen können, stellt dies ein gewöhnliches Verhalten zur Erfüllung der Dienstpflichten dar, das nicht geeignet ist, die Schwere des Dienstvergehens derart abzumildern, dass bei einem Beamten, der das in ihn gesetzte Vertrauen von Grund auf erschüttert hat, von einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abgesehen werden könnte.
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4.3 Mildernde Umstände von solchem Gewicht, die trotz der Schwere des Dienstvergehens die Verhängung der Höchstmaßnahme als unangemessen erscheinen lassen, liegen nicht vor.
66
Der Tatsache, dass der Beklagte disziplinarrechtlich nicht vorbelastet ist, kommt im Regelfall – so auch hier – keine nennenswerte entlastende Bedeutung zu, da es für einen Beamten selbstverständlich sein sollte, nicht gegen Strafgesetze oder seine dienstlichen Pflichten zu verstoßen (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 50.13 – juris Rn. 41; Gansen in: Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand November 2022, § 13 BDG, 4.3.3 Vorbelastungen des Beamten).
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Der Einwand, im verwaltungsgerichtlichem Urteil fehlten „alle“ entlastenden Argumente, die für den Beklagten sprächen, trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil sowohl die Dauer des Disziplinarverfahrens (UA Rn. 71 unter 6.4.1) als auch den vom Beklagten vorgetragenen Vorwurf des Mobbings (UA Rn. 72 unter 6.4.2) berücksichtigt, diese Gesichtspunkte aber zu Recht nicht als durchgreifend angesehen, um von der Höchstmaßnahme abzusehen. Hierzu kann auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil verwiesen werden. Für seinen Einwand, die ihm vorgeworfenen Pflichtverletzungen seien nicht konkretisiert, geschweige denn zeitnah mitgeteilt worden, bestehen keine Anhaltspunkte. Insbesondere die Arbeitszeitverletzungen waren ständiges Thema von Mitarbeitergesprächen (vgl. Disziplinarakte S. 169 ff.).
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Zu berücksichtigen sind zudem die vom Beklagten im Tatzeitraum bestehenden gesundheitlichen Probleme, soweit diese durch ärztliche Atteste nachgewiesen sind (vgl. hochgradiges Schlafapnoesyndrom – Schlaflaboruntersuchung v. 18.9.2009 Disziplinarakte S. 387). Jedoch fallen diese Erkrankungen nicht entscheidend ins Gewicht, weil sie für die Begehung des Dienstvergehens nicht ursächlich gewesen sind (s.o.). Die in der Berufungsverhandlung von seiner Prozessbevollmächtigten angestellte Vermutung, der (nicht erschienene) Beklagte sei gesundheitlich schwer beeinträchtigt, kommt über eine reine Mutmaßung nicht hinaus.
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5. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. Aberkennung des Ruhegehalts ist unter Abwägung des Gewichts des Dienstvergehens sowie des dadurch eingetretenen Vertrauensschadens und der mit der Verhängung der Höchstmaßnahme einhergehenden Belastung auch nicht unverhältnismäßig. Als disziplinarische Höchstmaßnahme verfolgt sie neben der Wahrung des Vertrauens in die pflichtgemäße Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Verwaltung die Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes. Ist durch das Gewicht des Dienstvergehens und mangels durchgreifender Milderungsgründe das Vertrauen zerstört und kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, der Beamte werde seine Dienstaufgaben künftig pflichtgemäß erfüllen, ist die Entfernung aus dem Dienst bzw. Aberkennung des Ruhegehalts die angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen. Sie beruht dann auf einer schuldhaften schwerwiegenden Pflichtverletzung durch den Beamten und ist diesem als für alle öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnisse vorhersehbare Rechtsfolge bei derartigen Pflichtverletzungen zuzurechnen (BayVGH, U.v. 3.5.2017 – 16a D 15.2087 – juris Rn. 66; U.v. 9.12.2015 – 16b D 14.642 – juris Rn. 58). Die in der Entfernung vom Dienst liegende Härte für den Beamten – insbesondere hinsichtlich des Verlustes seiner Dienstbezüge bzw. Ruhegehalts – ist nicht unverhältnismäßig oder unvereinbar mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise. Sie beruht auf dem vorangegangenen Fehlverhalten des für sein Handeln verantwortlichen Beklagten, der sich bewusst gewesen sein muss, dass er hiermit seine berufliche Existenz aufs Spiel setzt (BayVGH, U.v. 24.5.2017 – 16a D 15.2267 – juris Rn. 193).
70
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
71
7. Die Revision wird nicht zugelassen, da kein Zulassungsgrund vorliegt (§ 69 BDG, § 132 Abs. 2 VwGO, § 191 Abs. 2 VwGO, § 127 BRRG).