Titel:
Erfolgloser Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung in einem aufenthaltsrechtlichen Verfahren (Ausweisung wegen Sexualstraftat)
Normenketten:
AEUV Art. 20, Art. 21 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1a lit. c, § 55 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 4
Leitsatz:
Ein Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV besteht für den drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers nur in ganz besonderen Sachverhalten, in denen zwischen ihm und dem Unionsbürger ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, das dazu führen würde, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, den betreffenden Drittstaatsangehörigen im Falle der Aufenthaltsbeendigung zu begleiten und das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen (Anschluss an EuGH BeckRS 2022, 9959). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung wegen Sexualstraftat, Gefahrenprognose, Verhältnismäßigkeit, Vater-Kind-Beziehung, Ausweisung, Sexualstraftat
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 23.03.2023 – M 12 K 21.40
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29877
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2020 weiter. Mit diesem Bescheid wurde er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, ein unter der Bedingung der Straffreiheit auf (zuletzt) fünf, andernfalls sieben Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen und ihm die Abschiebung aus der Haft nach Bosnien-Herzegowina angekündigt bzw. im Fall der Entlassung und nicht fristgerechten Ausreise angedroht.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet, weil sich aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen des Klägers im Zulassungsverfahren weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO oder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ergeben und auch der gerügte Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO nicht vorliegt.
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1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist jedoch nicht der Fall.
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Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass dem Kläger ein erhöhter Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3, 3a und 4 AufenthG nicht zustehe und von ihm im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine erhebliche Wiederholungsgefahr der Begehung weiterer Straftaten, insbesondere gegen die sexuelle Selbstbestimmung, ausgehe; sein persönliches Verhalten stelle daher gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (§ 53 Abs. 1 AufenthG) dar.
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Zur Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts wird von Klägerseite zunächst eingewandt, das Verwaltungsgericht sei zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass eine Wiederholungsgefahr beim Kläger nur verneint werden könne, wenn dieser eine Therapie erfolgreich abgeschlossen habe. Es habe jedoch die mehrfachen erfolglosen Versuche des Klägers, einen Therapieplatz für Sexual- und Gewaltstraftäter zu bekommen (zuletzt am 18.11.2022), und die deshalb unverschuldete Verhinderung an der Absolvierung dieser zur Reduzierung der Wiederholungsgefahr notwendigen Therapie verkannt.
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Richtig ist, dass nach ständiger Rechtsprechung des Senats von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden kann, solange der Betroffene eine indizierte Therapie nicht erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat, indem er sich insbesondere außerhalb des Straf- oder Maßregelvollzugs bewährt hat (z.B. BayVGH, B.v. 18.3.2022 – 10 CS 21.1570 – juris Rn. 9). Allerdings hat das Verwaltungsgericht seine Gefahrenprognose nicht allein auf die beim Kläger fehlende Therapiemaßnahme gestützt, sondern vielmehr eingehend aufgrund der konkreten Umstände der anlassgebenden Taten (zwei Fälle des sexuellen Übergriffs im Abstand von sechs Wochen), der dabei gezeigten hohen kriminellen Energie, des Nachtatverhaltens, der fehlenden Einsicht und der schwankenden Therapiemotivation des Klägers begründet. Im Übrigen ist die Rechtmäßigkeit der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr (mit der dabei anzustellenden Gefahrenprognose) allein daran zu messen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausweisung nach den §§ 53 ff. AufenthG vorliegen, aber nicht daran, aus welchen Gründen eine erforderliche Therapie nicht bewilligt oder nicht durchgeführt wurde (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 13.3.2017 – 10 ZB 17.226 – juris Rn. 10 m.w.N.; B.v. 12.6.2023 – 19 CS 23.708 – juris Rn. 21). Unabhängig davon verweist die Beklagte bezüglich der Therapiebemühungen und Therapiebereitschaft des Klägers zutreffend auch auf den Beschluss der zuständigen Strafvollstreckungskammer beim Amtsgericht L. vom 28. Oktober 2022 (Ablehnung der Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung), wonach der Kläger nicht mehr zu einer Therapie in der Haft bereit sei, sondern eine Therapie nach der Haft „anstrebe“, weshalb bei ihm als unbehandelten Sexualstraftäter mit unverändert hohem Rückfallrisiko eine ungünstige Legal- und Sozialprognose gegeben sei.
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Zu Recht verweist die Beklagte in ihrer Antragserwiderung auch darauf, dass die geltend gemachte Reue, Einsicht und kritische Auseinandersetzung mit seinem Fehlverhalten vom Kläger bisher lediglich behauptet wird. Auch das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass das nach der Tat vom Kläger gezeigte Verhalten nicht auf einen grundlegenden Einstellungswandel schließen lasse. Dieser sei weder im Strafverfahren geständig gewesen noch habe er während der anschließenden Haftzeit Reue und Schuldeinsicht gezeigt; im Gegenteil habe er im Rahmen der halbjährigen Überprüfung des Vollzugsplans am 15. April 2021 die Tat (noch) geleugnet. All dies zeige, dass der Kläger nach wie vor nicht in der Lage sei, sich kritisch mit seinem Verhalten auseinanderzusetzen, seine Fehler einzugestehen und Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. Vor diesem Hintergrund kann der klägerische Einwand einer „signifikant geminderten Wiederholungsgefahr“, „weitreichenden Resozialisierung“ und eines „positiven Nachtatverhaltens“ nicht nachvollzogen werden.
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Auch die vom Kläger gegen die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG vorgebrachten Einwendungen greifen nicht durch. Nach Auffassung des Klägers überwiegt sein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet das Ausweisungsinteresse, weil er faktischer Inländer (der sich seit Geburt rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte) mit einer gelungenen wirtschaftlichen Integration (Schulabschluss und Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, seit 2013 ununterbrochen beim aktuellen Arbeitgeber beschäftigt) sei und neben den sonstigen familiären Kontakten (zur Mutter seiner Kinder, seinen Eltern und Brüdern) vor allem eine durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Beziehung zu seinen beiden 2013 und 2018 geborenen Kindern, die auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, pflege. Er übe die elterliche Sorge verantwortungsvoll aus; auch während der Haft bestehe ein reger Briefkontakt zu den Kindern. Diesen familiären Bindungen zu seinen Kindern komme im Rahmen der Abwägung ein besonders hohes Gewicht zu, seinen Kindern sei ein Umzug nach Bosnien-Herzegowina nicht zumutbar und demgemäß wären die Folgen einer Aufenthaltsbeendigung für sie gravierend. Die Ausübung der elterlichen Sorge ausschließlich über Fernkommunikationsmittel genüge nicht dem Kindeswohl, insbesondere werde die erst fünfjährige Tochter, die noch als Kleinkind anzusehen sei, eine Trennung nicht begreifen. Die Kinder hätten bereits seit der Inhaftierung am 16. September 2020 keinen gewöhnlichen Umgang mit ihrem Vater praktizieren können. Beziehungen zu seinem Herkunftsstaat Bosnien-Herzegowina bestünden abgesehen von Urlauben nicht mehr, auch spreche er entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts die dortige Sprache nicht. Aufgrund dieser Umstände erweise sich die Ausweisung entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts als unverhältnismäßig.
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Damit werden jedoch Fehler des Verwaltungsgerichts weder bei der Gewichtung der betreffenden Belange noch beim Abwägungsergebnis aufgezeigt. Das Verwaltungsgericht hat die für den Kläger streitenden besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG nicht verkannt und gegenüber dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a Buchst. c) AufenthG auch nicht fehlgewichtet. Bezüglich der familiären Bindungen (Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) des Klägers zu seinen beiden Kindern weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass ausweislich des Scheidungsurteils vom 30. Dezember 2022 die häusliche Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger, seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen Kindern bereits am 1. Juli 2019 beendet worden ist und ein persönlicher Kontakt bis zur Inhaftierung des Klägers im September 2020 nur noch bezüglich der Kinder bestanden hat. Seit der Inhaftierung am 16. September 2020, also nunmehr seit ca. drei Jahren, besteht zwischen dem Kläger und seinen beiden Kindern nur noch telefonischer (ein- bis zweimal pro Monat) und brieflicher Kontakt. Auch haben die (inzwischen geschiedenen) Elternteile vereinbart, dass die Ausübung des Sorgerechts während der Inhaftierung des Klägers allein durch die Mutter ausgeübt wird. Vor diesem Hintergrund ist die Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Kontakt der Kinder zum Vater werde bereits jetzt ausschließlich über Fernkommunikationsmittel geführt und die Trennung vom Vater sei für die Kinder keine völlig neue Situation, sondern vielmehr bereits (seit drei Jahren) gelebte Realität, nicht zu beanstanden. Ausweislich der durch die Beklagte vorgelegten Stellungnahmen zum familiengerichtlichen Verfahren zur Regelung des Umgangs des Klägers mit seinen Kindern (Stellungnahme des Sozialreferats vom 17.4.2023 sowie des Verfahrensbeistands der Kinder vom 21.4.2023, Bl. 92 ff. der VGH-Akte) stellt sich der Umgang über Briefe, Telefon und Videotelefonie aktuell seitens der Kinder, die von der Inhaftierung ihres Vaters keine Kenntnis haben, als „völlig unbefangen“ dar und wird deshalb auch keine Veranlassung gesehen, den Umgang auf persönliche Treffen in der Haftanstalt zu erweitern. Dafür, dass die am ... 2018 geborene Tochter des Klägers, „als Kleinkind“ eine Trennung nicht begreifen könne, bestehen demgemäß keine hinreichenden Anhaltspunkte. Auch insoweit ist die Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden. Nach alledem greift die Rüge des Klägers, seinen minderjährigen Kindern und ihm selbst sei nicht zumutbar, die tatsächlichen familiären Bindungen durch die Ausreise oder Abschiebung kurzfristig zu unterbrechen, nicht durch. Im Übrigen hat die Beklagte in ihrer Antragserwiderung zu Recht auch darauf hingewiesen, dass nach ihrer ständigen Verwaltungspraxis bei Straftätern die Erteilung von Betretenserlaubnissen noch vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots (s. § 11 Abs. 8 AufenthG) in Betracht komme und zudem Besuchsreisen der Mutter zusammen mit den beiden Kindern in Bosnien realistisch seien. Die Berechtigung der zuletzt genannten Annahme ergibt sich auch daraus, dass nach der Stellungnahme des Sozialreferats der Beklagten vom 17. April 2023 die Mutter die Osterferien nach eigenen Angaben mit den beiden Kindern in Bosnien verbracht habe.
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Nach alledem geht die Rüge der Klägerseite, die Ausweisung sei (auch deshalb) rechtswidrig, weil der Kläger ein Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV besitze, ins Leere. Denn ein Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV besteht für den drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers (hier: der Kinder des Klägers, die beide neben ihrer bosnischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen) nur in ganz besonderen Sachverhalten, in denen zwischen ihm und dem Unionsbürger ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, das dazu führen würde, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, den betreffenden Drittstaatsangehörigen im Falle der Aufenthaltsbeendigung zu begleiten und das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen (stRspr des EuGH, U.v. 8.5.2018 – C-82/16, K.A. ua – juris Rn. 51 f.; U.v. 5.5.2022 – C-451/19 u. C-532/19, Subdelegación del Gobierno en Toledo – juris Rn. 45 f.). Dass zwischen dem Kläger und seinen minderjährigen Kindern ein entsprechendes Abhängigkeitsverhältnis besteht, wird von Klägerseite lediglich behauptet. Weder besteht nach dem oben dargelegten eine affektive Abhängigkeit der Kinder vom Kläger, noch erfordert nach den nachvollziehbaren und schlüssigen Darlegungen der Beklagten die finanzielle Lage der Familie die gemeinsame Ausreise der Kinder mit dem Kläger nach Bosnien.
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Soweit der Kläger daneben ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht unmittelbar aus Art. 21 Abs. 1 AEUV als Familienangehöriger eines Unionsbürgers (seiner Kinder) geltend macht, steht dem ungeachtet der Voraussetzung der Ausübung der tatsächlichen Sorge für die Kinder schon entgegen, dass die Kinder neben der deutschen lediglich die bosnische Staatsangehörigkeit besitzen und demgemäß von ihrem Recht, sich in einem anderen Mitgliedstaat frei zu bewegen und aufzuhalten, bisher keinen Gebrauch gemacht haben (vgl. dazu BVerwG, U.v. 21.9.2020 – 1 C 27.19 – juris Rn. 19 ff. m.w.N.).
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Der Einwand des Klägers, seine Ausweisung stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in sein Recht auf Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK dar, weil er entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts faktischer Inländer sei, dem jegliche Beziehungen zum Land seiner Staatsangehörigkeit (Bosnien) fehlten, der dieses Land nur von Urlauben kenne und die bosnische Sprache nicht spreche, ist ebenfalls nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu begründen. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass eine (nachhaltige) Entwurzelung von seinem Herkunftsstaat nicht anzunehmen sei, weil der Kläger entgegen seiner überdies widersprüchlichen Behauptungen die bosnische Sprache ausreichend beherrsche, seit der Eheschließung vor dem Standesamt B./Ba. Lu.(Bosnien) am ... 2011 bis zur Scheidung der Ehe im Dezember 2022 mit einer bosnischen Staatsangehörigen verheiratet gewesen sei, regelmäßig Urlaube und Verwandtenbesuche mit der Familie in Bosnien gemacht habe und dem Aufbau einer Existenz in Bosnien-Herzegowina daher keine unüberwindlichen sprachlichen oder kulturellen Hürden entgegenstünden. Auch die Beklagte hat in ihrer Antragserwiderung nachvollziehbar ausgeführt, die Behauptung einer Entwurzelung sei insgesamt unglaubwürdig.
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Schließlich greift auch die Rüge, die Befristungsregelung der Beklagten mit einer Sperrfrist von acht Jahren sei ermessensfehlerhaft erfolgt, weil auch insoweit „eine Vielzahl von Subsumtionsfehlern“ vorliege und insbesondere „die familiären Belange des Klägers nicht hinreichend berücksichtigt“ worden seien, nicht durch. Abgesehen davon, dass die Klägerseite ausblendet, dass die Sperrfrist in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 23. März 2023 zuletzt auf (fünf bzw.) sieben Jahre festgesetzt worden ist, sind die behaupteten Defizite der Ermessensausübung aus den bereits oben dargelegten Gründen nicht feststellbar.
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2. Der Zulassungsgrund der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt ebenfalls nicht vor bzw. ist schon nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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Zur Darlegung der besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sind die entscheidungserheblichen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen in fallbezogener Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts konkret zu benennen, die diese Schwierigkeiten aufwerfen, und es ist anzugeben, dass und aus welchen Gründen die Beantwortung dieser Fragen besondere Schwierigkeiten bereitet. Es ist eine Begründung dafür zu geben, weshalb die Rechtssache an den entscheidenden Richter (wesentlich) höhere Anforderungen stellt als im Normalfall (BayVGH, B.v. 17.10.2019 – 10 ZB 18.1883 – juris Rn. 10; B.v. 9.5.2019 – 10 ZB 19.317 – juris Rn. 9; B.v. 20.2.2019 – 10 ZB 18.2343 – juris Rn. 18).
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Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen, das im Wesentlichen auf die „sogenannte Kernbestandsrechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs“ und einen (angeblichen) „Rechtsanspruch auf ein Aufenthaltsrecht nach Art. 20, 21 AEUV in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU analog verweist, aus den bereits dargelegten Gründen nicht.
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3. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist schon nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Klärungsbedürftig sind solche Rechts- oder Tatsachenfragen, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend ober- oder höchstgerichtlich geklärt sind (vgl. BVerfG, B.v. 28.4.2011 – 1 BvR 3007/07 – juris Rn. 21; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 38). Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung mithilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann (stRspr, BVerwG, B.v. 9.4.2014 – 2 B 107.13 – juris Rn. 9 m.w.N.; BVerfG, B.v. 29.7.2010 – 1 BvR 1634/04 – juris Rn. 64). Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2020 – 10 ZB 19.2235 – Rn. 4; B.v. 14.2.2019 – 10 ZB 18.1967 – juris Rn. 10; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 72).
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Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen, dass schon keine entsprechende konkrete Frage formuliert, vorliegend nicht ansatzweise.
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4. Mit der Verfahrensrüge, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit vier in der Klageschrift gestellten Beweisanträgen auseinandergesetzt, den Sachverhalt bezüglich einer Beeinträchtigung des Kindeswohls nicht hinreichend aufgeklärt und insbesondere das zuständige Jugendamt bzw. einen Kinderpsychologen nicht zur Beurteilung mit herangezogen, wird der Sache nach ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend gemacht. Die Rüge greift aber schon deswegen nicht durch, weil eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht grundsätzlich nicht geltend gemacht werden kann, wenn der anwaltlich vertretene Kläger es – wie hier – unterlassen hat, in der mündlichen Verhandlung entsprechende Beweisanträge zu stellen (vgl. etwa BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 6). Mit der Aufklärungsrüge können Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten, vor allem unterbliebene Beweisanträge, nicht kompensiert werden (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 10 ZB 16.1049 – juris Rn. 8; zuletzt B.v. 17.2.2023 – 10 ZB 22.2670 – Rn. 4, nicht veröffentlicht).
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Das Verwaltungsgericht bestimmt den Umfang seiner Sachverhaltsaufklärung nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 86 Abs. 1 VwGO). Daher entscheidet auch nur das Gericht darüber, welche Tatsachen zur Entscheidung des konkreten Streitfalls nach seiner Rechtsauffassung aufklärungsbedürftig sind und unter Verwendung welcher Mittel die Aufklärung stattfinden soll. Es überschreitet die Grenzen dieses Ermessens nur dann, wenn es eine Ermittlung unterlässt, die sich nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Vorbringen der Beteiligten, von seinem Rechtsstandpunkt aus aufdrängen musste (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 11.11.2021 – 10 ZB 21.1151 – juris Rn. 17; Schübel-Pfister in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2022, § 86 Rn. 27 ff. jeweils m.w.N.). Dass das Verwaltungsgericht die beschriebenen Grenzen seines Ermessens bezüglich der Sachverhaltsaufklärung überschritten hat, in dem es zur Frage einer Beeinträchtigung des Kindeswohls nicht das zuständige Jugendamt bzw. einen Kinderpsychologen mit herangezogen hat, wird mit der Zulassungsbegründung weder schlüssig dargelegt noch ist dies sonst ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).