Inhalt

VGH München, Beschluss v. 09.10.2023 – 10 ZB 23.833
Titel:

rechtmäßige Ausweisung eines PKK-Aktivisten

Normenketten:
StGB § 129
AufenthG § 53
Leitsatz:
Dem Wortlaut des § 129b StGB in Verbindung mit §§ 129 und 129a StGB lässt sich eine Beschränkung der strafrechtlichen Verfolgung auf allein Gebiets- oder Regionalleiter (hier: der PKK) nicht entnehmen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Zulassung der Berufung, Anfechtungsklage, Ausweisung, Türkischer Staatsangehöriger, Mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, PKK, Türkei, Ausweisungsinteresse, Bleibeinteresse, familiäre Beziehungen
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 28.03.2023 – VG 1 K 22.2156
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29876

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung wendet sich der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. März 2023, soweit dieses seine Anfechtungsklage gegen die in Nr. 1. des Bescheides des Beklagten vom 11. Oktober 2022 angeordnete Ausweisung aus dem Bundesgebiet abgewiesen hat.
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1. Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem Zulassungsvorbringen, das allein der rechtlichen Überprüfung durch den Senat unterliegt, ergibt sich der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht.
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a) Ernstliche Zweifel im vorgenannten Sinne bestehen dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16).
4
Nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Das Darlegungsgebot verlangt, dass der Rechtsschutzsuchende die geltend gemachten Zulassungsgründe substantiiert erörtert und den Streitstoff sichtet und rechtlich durchdringt. Die Zulassungsbegründung muss sich mit dem angefochtenen Urteil und den tragenden Erwägungen konkret, fallbezogen und substantiiert auseinandersetzen (vgl. BayVGH, B.v. 27.4.2022 – 10 ZB 22.879 – juris Rn. 8 m.w.N.).
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bb) Gemessen daran zeigt das Zulassungsvorbringen keine derartigen Zweifel auf. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen entsprechend § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Gründe des angegriffenen Urteils. Ergänzend gilt lediglich Folgendes:
6
(1) Nicht durchdringen kann die Klägerseite mit dem Einwand, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht keine überwiegenden Bleibeinteressen angenommen, weil es als zumutbar angesehen habe, dass die Familie (erneut) in der Türkei leben würde. Dabei habe es nicht ausreichend berücksichtigt, dass die kleinen Kinder des Klägers als faktische Inländer zu gelten hätten, weil sie den größten Teil ihres Lebens im Bundesgebiet verbracht hätten und im Bundesgebiet zur Schule gingen.
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Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil eingangs festgestellt, dass die Ehefrau des Klägers am 18. Oktober 2013 zusammen mit den − damals drei − Kindern des Klägers in das Bundesgebiet eingereist ist und am 30. März 2015 das vierte Kind des Klägers geboren wurde (vgl. UA S. 3). Im Rahmen der Abwägung der Bleibeinteressen mit den Ausweisungsinteressen hat es sodann ausgeführt, dass die familiären Beziehungen des Klägers zu seiner Ehefrau und zu seinen minderjährigen Kindern nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung führten, weil angesichts der vom Kläger begangenen schweren Straftat und der von ihm ausgehenden Wiederholungsgefahr das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland sein eigenes Interesse und das Interesse der Familie am Verbleib ihres Ehemanns beziehungsweise Vaters im Gastland überwiege. Darüber hinaus könne die Familie des Klägers – sofern er im Falle eines negativen Abschlusses seines Verfahrens zum Widerruf der ihm zuerkannten Flüchtlingseigenschaft tatsächlich das Bundesgebiet verlassen müsse – ihn bei einer Rückkehr in die Türkei begleiten. Denn bereits in der Vergangenheit sei die Familie des Klägers ihm im Wege des Familiennachzugs in das Bundesgebiet gefolgt. Es seien keine gewichtigen Gründe vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, die es als unzumutbar erscheinen ließen, dass die Familie des Klägers ihm in die Türkei folge. Nach dem Vortrag des Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung seien alle Familienangehörigen des Klägers türkische Staatsangehörige und derzeit nur im Besitz von Fiktionsbescheinigungen. Das Verwaltungsgericht hat daraus gefolgert, dass ihnen zumutbar sei, (erneut) in der Türkei zu leben (vgl. UA S. 18 f.).
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Angesichts der getroffenen Feststellungen und angestellten Erwägungen des Verwaltungsgerichts ist schon nicht substantiiert dargelegt und auch nicht anderweitig ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht die mittlerweile im Bundesgebiet entwickelten Bindungen der minderjährigen (und schulpflichtigen) Kinder des Klägers (geb. am 1.8.2008, 15.3.2011 u. 30.3.2015; ein am 24.1.2005 geborenes Kind ist bereits volljährig; vgl. Behördenakte, Bl. 282) nicht hinreichend berücksichtigt haben könnte. Dass das Verwaltungsgericht den genannten Bindungen Rechnung getragen hat, ergibt sich zwanglos aus dem Zusammenhang des angegriffenen Urteils (s.o.). Weitere Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu waren nicht veranlasst. Mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts im Rahmen der Abwägung hat sich die Klägerseite nicht auseinandergesetzt.
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In rechtlicher Hinsicht geht der Einwand gegen die lediglich titelvernichtende Ausweisung ebenfalls an der Sache vorbei. Das Verwaltungsgericht hat angesichts der vom Kläger begangenen schweren Straftat und der von ihm ausgehenden Wiederholungsgefahr das öffentliche Interesse insoweit selbständig tragend die Zumutbarkeit auch einer Trennung des Klägers von den übrigen im Bundesgebiet verbleibenden Familienmitgliedern bejaht. Dies greift die Klägerseite auch nicht substantiiert an. Der Einwand der Klägerseite ist daher bereits nicht entscheidungserheblich.
10
Des Weiteren hat das Verwaltungsgericht die Zumutbarkeit einer freiwilligen Ausreise der übrigen Familienmitglieder des Klägers zur Vermeidung einer Trennung erörtert und ebenfalls bejaht. Die genannten Familienmitglieder sind nicht Adressaten der beziehungsweise einer Ausweisung. Der Status eines „faktischen Ausländers“ verleiht der ausgewiesenen Person im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, einen besonderen – wenngleich nicht absoluten – Ausweisungsschutz (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 19 m.w.N.). Die von der Klägerseite angeführte Kategorie eines „faktischen Ausländers“ fügt der Abwägung für den hier vorliegenden Kontext – über die bereits vorgenommene Berücksichtigung hinaus (s.o.) – nichts hinzu.
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Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht die vorgenannten Erwägungen unter dem Vorbehalt eines negativen Abschlusses des Verfahrens des Klägers zum Widerruf der ihm zuerkannten Flüchtlingseigenschaft angestellt (s.o.). Auch dazu verhält sich die Klägerseite nicht. Der Vorbehalt hat sich auch nicht verwirklicht. Nach Auskunft des Beklagten hat das Verwaltungsgericht mit Gerichtsbescheid vom 9. Mai 2023 (Au K 7 23.30370) das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: BAMF) verpflichtet, zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich der Türkei festzustellen, das BAMF hat dem mit Bescheid vom 16. Juni 2023 entsprochen (vgl. Senatsakte 10 AS 23.1614, Bl. 12).
12
(2) Nicht zum Erfolg führt auch der Einwand der Klägerseite, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht zu Lasten des Klägers verwertet, dass er die (erg. terroristische – Anm. d. Senats) Vereinigung „in ganz bedeutender Funktion“ unterstützt haben solle, weil nach § 129b StGB in der Regel lediglich Gebiets- oder Regionalleiter verfolgt würden und der Kläger als Frontarbeiter in der Hierarchie unter diesen gewesen sein solle. Im Gegensatz zu den übergeordneten Funktionsträgern, die regelmäßig unter falschen Personalien agierten und „Vollzeit-Aktivisten“ seien, habe der Kläger offen und nicht klandestin gehandelt.
13
Die von der Klägerseite geltend gemachte Beschränkung der strafrechtlichen Verfolgung auf allein Gebiets- oder Regionalleiter lässt sich dem Wortlaut des § 129b StGB in Verbindung mit §§ 129 und 129a StGB nicht entnehmen (vgl. § 129 Abs. 1 Satz 1 StGB: „Mitglied“). Die Klägerseite hat weder erläutert, an welchem Tatbestandsmerkmal sie die Rechtsposition festmacht, noch Argumente hierfür aufgezeigt noch hierfür Quellen benannt.
14
Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil verwertet, dass das Oberlandesgericht München den Kläger mit Urteil vom 11. Mai 2022 wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr acht Monaten verurteilt hat (vgl. UA S. 3). Dem Schuldspruch liegt dabei zu Grunde, dass der Kläger, welcher bereits im Jugendalter für die kurdische Minderheit politisch aktiv gewesen sei, jedenfalls seit dem Ende des Jahres 2017 bis zu seiner Festnahme am 10. September 2020 eine bedeutende Stellung innerhalb der PKK innegehabt habe, durch welche er die Organisation der PKK in der Region Bayern und den PKK-Gebieten Nürnberg, Ulm/Heidenheim und München/Südbayern durch zahlreiche Handlungen von innen heraus maßgeblich gefördert habe. Ausweislich der Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils sei der Kläger in der Hierarchie der PKK ein sogenannter „Frontarbeiter“, der dem jeweiligen Gebietsleiter der PKK unterstehe und diesen unterstütze. Gegenüber PKK-Aktivisten sei er weisungsbefugt gewesen. Im festgestellten Tatzeitraum sei er der einzig feste Bestandteil der regionalen Organisationsstruktur gewesen, habe Kadervakanzen ausgefüllt, neue Funktionäre in die örtlichen Strukturen und Gegebenheiten eingeführt, habe diese den Aktivisten in den jeweiligen Gebieten vorgestellt, habe sie unterstützt, indem er sie beherbergt habe, habe sie vom Zug oder der Straßenbahn abgeholt und habe auch sonst für sämtliche Fragen der Funktionäre zur Verfügung gestanden, habe Veranstaltungen organisiert, welche das Bestehen und die Interessen der PKK auch außenwirksam präsentierten, habe die alljährlichen Spendensammlungen unterstützt und sei auch sonst immerwährender Ansprechpartner für die PKK-Aktivisten in dem von ihm betreuten Gebiet gewesen. Der Kläger sei unentgeltlich tätig gewesen und habe hierfür einen Großteil seiner freien Zeit aufgewandt (vgl. UA S. 3 f.). Im Rahmen der Abwägung hat das Verwaltungsgericht sodann ausgeführt, dass massiv gegen den Kläger spreche, dass er über einen längeren Zeitraum eine terroristische Vereinigung durch seine mitgliedschaftliche Beteiligung in ganz bedeutender Funktion fortlaufend und in erheblichem Umfang unterstützt habe. Daher ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass die Abwägung zu Lasten des Klägers ausgeht (vgl. UA S. 17).
15
Die von dem Verwaltungsgericht vorgenommene Würdigung ist in der Sache nicht zu beanstanden. Mit ihr setzt sich die Klägerseite außerdem nicht auseinander und zieht sie dementsprechend auch nicht substantiell in Zweifel. Dass es in der Hierarchie über dem Kläger die Stufe der Gebiets- und Regionalleiter gibt, negiert nicht die festgestellte Funktion des Klägers innerhalb der PKK, insbesondere auch nicht die festgestellte Position gegenüber PKK-Aktivisten und neuen Funktionären, und die festgestellten Förderhandlungen (s.o.). Gleiches gilt für den Vergleich der Klägerseite mit der – im Übrigen lediglich behaupteten − Vorgehensweise von übergeordneten Funktionsträgern. Dass dem Kläger im vorliegenden Kontext maßgeblich zugutekommen soll, dass er − wie von Klägerseite ebenfalls lediglich behauptet, ohne dies indes näher zu erläutern − offen und nicht klandestin gehandelt habe, erschließt sich dem Senat nicht.
16
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO,
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit Nr. 8.2 des Katalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
18
4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.