Titel:
Verlust des Rechtes auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet für italienischen Staatsbürger wegen Unterbringung im Maßregelvollzug
Normenketten:
FreizügG/EU § 6
Freizügigkeits-RL Art. 28 Abs. 3 lit. a
StGB § 51 Abs. 1 S. 1, § 64, § 67 Abs. 4
Leitsätze:
1. Maßgeblich für das Abreißen der Integrationsbande im Wege der Gesamtbetrachtung ist nach Sinn und Zweck des Art. 28 Abs. 3 lit. a Freizügigkeits-RL und damit auch § 6 Abs. 5 S. 1 FreizügG/EU, ob das Strafgericht in dem strafrechtlichen Urteil als Rechtsfolge eine freiheitsentziehende Maßnahme bestimmt hat oder nicht. Es ist der Freiheitsentzug, welcher zu einer Trennung von der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats führt. Ebenso wie die Untersuchungshaft ist auch die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB eine freiheitsentziehende Maßnahme. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anrechnung nach § 51 Abs. 1 S. 1 StGB bewirkt, dass die Untersuchungshaft der Freiheitsstrafe gleichgeachtet wird und damit alle Wirkungen der Strafverbüßung erfüllt. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird nach § 67 Abs. 4 StGB die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind. Die Anrechnung spricht – ebenso wie bei der Untersuchungshaft – dafür, die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einer Freiheitsstrafe gleich zu erachten. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Zulassung der Berufung, Verlustfeststellung, Recht auf Einreise und Aufenthalt, Italienischer Staatsbürger, Drogenhandel, Untersuchungshaft, Maßregel, Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, Zehnjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet, Unterbrechung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 11.05.2023 – M 12 K 21.5987
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29869
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger, ein italienischer Staatsbürger, im Wesentlichen seine vor dem Verwaltungsgericht erfolglose Klage gegen die mit Bescheid des Beklagten vom 14. Oktober 2021 verfügte Feststellung weiter, dass er sein Recht auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet verloren hat.
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1. Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Der von dem Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor beziehungsweise ist nicht im Sinne von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt.
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a) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16).
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b) Das Zulassungsvorbringen zeigt keine derartigen Zweifel auf. Nicht durchdringen kann die Klägerseite mit den Einwänden, die sich gegen das von dem Verwaltungsgericht angenommene Abreißen der Integrationsbande des Klägers im Bundesgebiet im Rahmen der Prüfung der Kontinuität des Aufenthalts im Sinne von § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU und Art. 28 Abs. 3 Buchst. a) der RL 2004/38/EG richten.
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aa) Dies gilt insbesondere für den Einwand, das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass der Kläger vor seiner Inhaftierung über einen festen Wohnsitz verfügt habe, weil er zur Langzeitmiete in Höhe von 800,- Euro, die er auch bezahlt habe, in einem Hotel gewohnt habe. Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil verwertet, dass der Kläger im Sommer 2019, nachdem er zunächst bei seinem ehemaligen Partner untergekommen war, in das zuletzt bewohnte Hotel gezogen ist (vgl. UA S. 3). Nach den Feststellungen des Landgerichts München I, die sich das Verwaltungsgericht ebenfalls zu eigen gemacht hat, betrieb er von seiner Unterkunft im Hotel aus, wo er als Langzeitmieter ein Zimmer bewohnte, einen regen Handel mit Betäubungsmitteln (vgl. UA S. 4). Im Rahmen der Gesamtbetrachtung der Integrationsbande des Klägers hat das Verwaltungsgericht sodann – unter anderem − berücksichtigt, dass der Kläger über keine eigene Wohnung mehr verfügt, sondern seit dem Sommer 2019 in einem Hotel gelebt habe (vgl. UA S. 13). Es kann also keine Rede davon sein, dass das Verwaltungsgericht die genannte Unterkunft des Klägers im Hotel übersehen hat. Dabei hat das Verwaltungsgericht erkennbar auch berücksichtigt, dass es sich hierbei um einen (ständigen) Aufenthalt im Sinne des Freizügigkeitsgesetzes gehandelt hat. Vergleicht man die − auch längerfristige − Reservierung eines einzelnen möblierten Hotelzimmers üblicherweise aufgrund eines gemischten Beherbergungsvertrags mit herabgesetzten Bindungspflichten, was die Beendigung angeht, mit dem Anmieten einer eigenen Wohnung aufgrund eines ordentlichen Mietvertrags, und berücksichtigt zudem, dass der Hotelgast von dort einen Drogenhandel organisiert, mit dem er auch seinen Lebensunterhalt finanziert, ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht dies als Indiz für in Auflösung begriffene Integrationsbande gewertet hat, zumal der Kläger sich unter der Hoteladresse auch nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Beklagten nicht angemeldet hat (vgl. Senatsakte, Bl. 34 Rückseite). Insgesamt hat die Klägerseite ihren Einwand nicht hinreichend substantiiert.
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bb) Ins Leere geht der Einwand, das Verwaltungsgericht habe in seine Würdigung nicht eingestellt, dass der Kläger weder in Italien noch in Deutschland vorbestraft sei. Nach den Erwägungen des Landgerichts München I, die das Verwaltungsgericht sich zu eigen gemacht hat, fand auch Berücksichtigung, dass der Kläger nicht vorbestraft ist (vgl. UA S. 4).
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cc) Nicht zum Erfolg verhilft der Klägerseite des Weiteren der Einwand, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass sich der Kläger zu keinem Zeitpunkt im Vollzug einer Freiheitsstrafe befunden habe, weil er nach der Rechtskraft des Urteiles des Landgerichts München I vom 26. April 2021 in den Maßregelvollzug verlegt worden sei. Ziel des Maßregelvollzuges sei die Behandlung einer Abhängigkeitserkrankung und Reintegration des Untergebrachten in die Gesellschaft, was das Verwaltungsgericht verkannt habe.
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Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil verwertet, dass das Landgericht München I den Kläger mit Urteil vom 26. April 2021, rechtskräftig seit jenem Tag, zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln (Marihuana u. Kokain) in nicht geringer Menge verurteilt hat. Dabei wurde die Unterbringung in einer Entziehungseinrichtung angeordnet, da der Kläger einen Hang zum Konsum von Rauschmitteln hat und in diesem Zusammenhang bei fortdauerndem Konsum mit der weiteren Begehung von Straftaten – insbesondere im Rahmen der Beschaffungskriminalität – zu rechnen ist (vgl. UA S. 3 f.). Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts befand sich der Kläger aufgrund dieser Straftat ab dem 6. Juli 2020 in Untersuchungshaft und Strafhaft. Seit dem 12. Juli 2021 befindet sich der Kläger nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Maßregelvollzug im I.-A.-Klinikum (vgl. UA S. 5). Das Verwaltungsgericht hat ferner im Rahmen der Prüfung der Wiederholungsgefahr – unter anderem − berücksichtigt, dass die Straftat des Klägers im Zusammenhang mit einer Betäubungsmittelproblematik steht, weshalb auch die Unterbringung in einer Entziehungseinrichtung angeordnet wurde (vgl. UA S. 16). Wie die vorgenannten Ausführungen zeigen, hat das Verwaltungsgericht erkannt, dass der Kläger derzeit keine Haftstrafe verbüßt, sondern in einer Entziehungseinrichtung untergebracht ist.
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Mit den genannten Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die im Übrigen im Einklang mit der Behördenakte stehen (vgl. Behördenakte, Bl. 182: „am 12.07.2021 zur Unterbringung gem. § 64 StGB in das I.-A.-Klinikum M.-O., … verlegt.“), setzt sich die Klägerseite in der Zulassungsschrift nicht auseinander und ihnen dementsprechend nichts an Substanz entgegen. Es ist weder dargelegt noch angesichts der getroffenen Feststellungen anderweitig ersichtlich, dass von entscheidungserheblicher Bedeutung sein könnte, dass der Zeitraum, den der Betroffene von dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils an bis zu dem tatsächlichen Beginn der Unterbringung – zumeist wegen Platzmangels in der Maßregeleinrichtung – in der Haft, also in der Haftanstalt, verbringt, „Organisationshaft“ genannt wird (vgl. Maier in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2020, § 67 Rn. 130 ff.).
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dd) Unsubstantiiert im Sinne von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ist in diesem Zusammenhang auch die Rüge der Klägerseite, die Inhaftierung des Klägers (erg. aufgrund d. Untersuchungshaft – Anm. d. Senats) und der anschließende Vollzug der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt könnten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) nicht zu einem Abreißen der Integrationsbande führen (unter Verweis auf: EuGH, U.v. 17.4.2018 - C-316/16 <B.> u. C-424/16 <Secretary of State for the Home Department v. Franco Vomero – juris Rn. 70 f.), weil diese kein Vollzug einer Freiheitsstrafe seien.
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Der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist zu entnehmen, dass Anlass für die im Wege einer Gesamtbetrachtung vorzunehmende Prüfung der Kontinuität des Aufenthalts im Sinne von Art. 28 Abs. 3 Buchst. a) der RL 2004/38/EG der Freiheitsentzug ist (vgl. EuGH, U.v. 16.1.2014 – C-400/12 <Secretary of State for the Home Department v. M.G.> – juris Rn. 38: „dass sich diese Person vor dem Freiheitsentzug zehn Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat“ – Unterstreichung d. Senats). Diese Auffassung kommt auch in der von der Klägerseite angeführten Entscheidung in den verbundenen Rechtssachen B. und Secretary of State for the Home Department v. Franco Vomero zum Ausdruck, die der Gerichtshof unter Verweis auf die Vorgängerentscheidung getroffen hat. Dabei hat der Gerichtshof die Bedeutung der Gesamtbetrachtung für das Entfallen der Integrationsbande betont und – zusammengefasst − ausgeführt, dass ohne diese Gesamtbetrachtung Art. 28 Abs. 3 Buchst. a) der Richtlinie 2004/38/EG weitgehend die praktische Wirksamkeit genommen würde, da eine Ausweisung zumeist gerade wegen des Verhaltens des Betroffenen verfügt werden wird, das zu seiner Verurteilung und zum Freiheitsentzug geführt habe (Unterstreichung d. Senats). Dabei hat der Gerichtshof − im Einklang mit den Vorlagefragen und den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts in jenem Vorabentscheidungsverfahren − auch auf den freiheitsentziehenden Charakter der Maßnahme, namentlich die „freiheitsentziehende Maßnahme“, abgestellt (vgl. EuGH, U.v. 17.4.2018 − C-316/16 u. C-424/16, C-316/16, C-424/16 – juris Rn. 70 f., 78: u. Rn. 37: „durch eine Zeit der Abwesenheit vom Hoheitsgebiet oder des Freiheitsentzugs unterbrochen“ u. Rn. 39: „Zeiträume der Abwesenheit oder des Freiheitsentzugs“ − Unterstreichung d. Senats).
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Maßgeblich für das Abreißen der Integrationsbande im Wege der Gesamtbetrachtung ist nach Sinn und Zweck des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a) der RL 2004/38/EG und damit auch § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU, so wie sie in der von der Klägerseite selbst angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Ausdruck gelangen, ob das Strafgericht in dem strafrechtlichen Urteil als Rechtsfolge eine freiheitsentziehende Maßnahme bestimmt hat oder nicht. Es ist der Freiheitsentzug, welcher zu einer Trennung von der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats führt. Ebenso wie die Untersuchungshaft ist auch die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB eine freiheitsentziehende Maßnahme (vgl. BVerfG, B.v. 16.3.1994 – 2 BvL 3/90 u.a. – juris Rn. 78 f.). Mit all dem setzt sich die Klägerseite nicht auseinander. Der Vortrag der Klägerseite beschränkt sich auf die, wenngleich wiederholte, Aussage, dass sich der Kläger nicht im Vollzug der Freiheitsstrafe befinde und befunden habe. Dies genügt den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht.
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Die Klägerseite geht im Übrigen auch nicht darauf ein, dass nach der Rechtsprechung des Senats die vollzogene Untersuchungshaft der vollstreckten Freiheitsstrafe gleichsteht und folglich die Integrationsbande entfallen lassen kann. Der Senat hat sich hierbei davon leiten lassen, dass, hat der Verurteilte aus Anlass einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, diese nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB auf die zeitige Freiheitsstrafe angerechnet wird. Die genannte Anrechnung bewirkt nach Auffassung des Senats, dass die Untersuchungshaft der Freiheitsstrafe gleichgeachtet wird und damit alle Wirkungen der Strafverbüßung erfüllt (vgl. BayVGH, B.v. 12.12.2019 – 10 ZB 19.2195 – juris Rn. 8 m.w.N.). Der Kläger ist Adressat einer strafrechtlichen Verurteilung im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. auch § 6 Abs. 2 FreizügG/EU und Art. 27 Abs. 2 Satz 2 der RL 2004/38/EG) und war aus Anlass der Straftaten, derentwegen er letztendlich verurteilt worden ist, ab dem 6. Juli 2020 in der Untersuchungshaft untergebracht (s.o.). Es wäre daher angesichts dieser Rechtslage an der Klägerseite gewesen, die Gründe darzulegen und zu erläutern, die aus seiner Sicht dagegen sprechen, die vollzogene Untersuchungshaft als der vollstreckten Freiheitstrafe gleichstehend anzusehen.
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Gleiches gilt für den Vollzug der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB. Es gilt ein zweispuriges System, das als Rechtsfolge neben der Verhängung einer Strafe die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung vorsieht. Dabei wird die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB, die, wie erörtert, eine freiheitsentziehende Maßnahme ist (s.o.), regelmäßig neben der verhängten Strafe angeordnet (vgl. Ziegler in v. Heintschel-Heinegg, StGB, 58. Aufl., Stand: 1.8.2023, § 64 Rn. 20 m.w.N.). Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird nach § 67 Abs. 4 StGB die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind. Die Anrechnung spricht – ebenso wie bei der Untersuchungshaft (s.o.) – dafür, die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einer Freiheitsstrafe gleich zu erachten. Die Klägerseite hätte daher in Anbetracht dieser Rechtslage auch die Gründe darlegen und erläutern müssen, aus denen ihrer Auffassung nach der Vollzug einer Maßregel dem Vollzug einer Freiheitsstrafe nicht gleichsteht. Daran hat sie es indes ebenfalls fehlen lassen (s.o.).
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Die von der Klägerseite vertretene, wenngleich nicht dargelegte Sichtweise hätte zur Folge, dass gerade in einem Bereich besonders schwerer Kriminalität, wie hier des illegalen Drogenhandels (vgl. Art. 83 Abs. 2 AEUV), die Integrationsbande regelmäßig nicht als abgerissen angesehen werden könnten, weil, wie bereits erörtert, die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt regelmäßig neben der Strafe angeordnet wird (s.o.), obwohl die von dem Strafgericht ausgesprochenen Rechtsfolgen, Strafe und Maßregel, freiheitsentziehende Maßnahmen sind, die dazu angetan sind, deutlich zu machen, dass der Betroffene die von der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaates in dessen Strafrecht zum Ausdruck gebrachten Werte nicht beachtet hat.
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ee) Soweit die Klägerseite darauf verweist, der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung am 11. Mai 2023 erklärt, seit gut einem Jahr einen – namentlich nicht genannten und auch nicht anderweitig konkretisierten − Lebensgefährten im Bundesgebiet zu haben, ohne mit diesem allerdings verheiratet zu sein, so entbehrt dies zum einen einer Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts, wonach es sich um eine nicht nach Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK zu berücksichtigende familiäre Beziehung handelt und der etwaigen Beziehung auch kein entscheidendes Gewicht zukommt, da diese in Kenntnis der Verlustfeststellung eingegangen wurde (vgl. UA S. 20 u. VG München, Gerichtsakte, Protokoll v. 11.5.2023, S. 2), zum anderen ist es unsubstantiiert.
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ff) Unverständlich ist der Einwand der Klägerseite, das Verwaltungsgericht habe die Feststellungen in dem Therapiebericht des I.-A.-Klinikums vom 9. Februar 2023 unberücksichtigt gelassen. Das Verwaltungsgericht hat diesen herangezogen und hierbei verwertet, dass bei dem Kläger am 15. September 2021 eine manipulierte Speichelprobe festgestellt worden war und am 28. November 2022 sowie am 16. Januar 2023 sogar Speichelbefunde auf Kokainkonsum positiv gewesen waren, was der Kläger jeweils erst nach anfänglichem Leugnen eingeräumt hatte (vgl. UA S. 9 i.V.m. UA S. 16). Nicht nachvollziehen kann der Senat in Anbetracht dessen auch den Einwand, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass das I.-A.-Klinikum die Erfolgsaussichten der Behandlung als ausreichend wahrscheinlich angesehen habe (vgl. VG München, Gerichtsakte, Bl. 17 ff., insbes. Bl. 23: „Rückfallrisiko im oberen Durchschnitt“). Daneben hat das Verwaltungsgericht auch den Therapiebericht vom 29. September 2021 berücksichtigt, wonach der Kläger in Konflikte auf der Station verwickelt gewesen war und mit anderen in der Nacht Lebensmittel in den Hof geworfen hatte (vgl. UA S. 6). Angesichts all dessen ist nicht aufgezeigt, dass und inwieweit Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu dem erkennbar nicht nachhaltigen Wohlverhalten des Klägers in der Untersuchungshaft, darunter den freiwilligen Drogenberatungsgesprächen, veranlasst gewesen sein sollten und entscheidungserheblich ins Gewicht hätten fallen können.
18
gg) Gleiches gilt für den Einwand, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass das Landgericht München I im Rahmen der Strafzumessung von einem minder schweren Fall im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ausgegangen ist. Damit dürfte wohl die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 BtMG angesprochen sein (vgl. Behördenakte, Bl. 172 ff.). Was die Klägerseite mit ihrem Einwand letztendlich meint, hat sie jedoch nicht erläutert. Er ändert jedenfalls nichts daran, dass das Landgericht München I den Kläger im Ergebnis wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen und ihn deswegen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren sechs Monaten verurteilt hat, was das Verwaltungsgericht verwertet hat (s.o.).
19
hh) Soweit die Klägerseite schließlich vorbringt, der Kläger habe sich im Zeitpunkt der Verlustfeststellung bereits seit siebzehn Jahren im Bundesgebiet aufgehalten, wobei er davon vierzehn Jahre lang berufstätig gewesen sei, eine langjährige Partnerschaft sowie eine eigene Wohnung gehabt habe, hat das Verwaltungsgericht diese Umstände sämtlich zu Gunsten des Klägers in seine Erwägungen eingestellt (vgl. UA S. 2, 3, 6 f., 12, 13 u. 19), ist jedoch dann – mit differenzierter Begründung − zu dem Schluss gekommen, dass die Integrationsbande, welche bei dem Kläger zunächst unzweifelhaft bestanden hätten, bereits einen geraumen Zeitraum vor der Inhaftierung in Auflösung begriffen gewesen seien, nachdem sich der Kläger immer weiter von der Gesellschaft entfernt hätte (vgl. UA S. 13). Mit all dem setzt sich die Klägerseite nicht auseinander und zeigt dementsprechend nicht auf, dass die genannten Umstände in der Gesamtbetrachtung zwangsläufig überwiegen würden.
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Gleiches gilt für den Einwand der Klägerseite, der Kläger sei vor seiner Inhaftierung Hausmeistertätigkeiten nachgegangen, habe als Langzeitmieter im Hotel über einen festen Wohnsitz verfügt und sei sozial integriert gewesen und habe außerdem nunmehr einen neuen Lebenspartner. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Kläger für einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren vor der Inhaftierung zwischen Februar 2018 und April 2020 keiner angemeldeten Berufstätigkeit mehr nachgegangen sei, sondern den Lebensunterhalt nach seinen eigenen Angaben mit einer unangemeldeten Hausmeistertätigkeit sowie ausweislich des Strafurteils des Landgerichts München I mit dem Handeltreiben von Betäubungsmitteln (s.o.) bestritten habe, mit der Folge, dass die vorherige Integration in den Arbeitsmarkt bereits deutlich vor der Inhaftierung geendet habe. Hieran ändere sich auch durch die Tatsache nichts, dass der Kläger etwa zwei Monate vor der Inhaftierung wieder kurzfristig einer regulären Beschäftigung nachgegangen sei (vgl. UA S. 13 i.V.m. UA S. 3). Auch damit setzt sich die Klägerseite nicht auseinander. In Bezug auf die Unterkunft im Hotel und den behaupteten neuen Lebenspartner verweist der Senat auf seine vorstehenden Erwägungen (s.o.). Der Vortrag der Klägerseite zur sozialen Integration beschränkt sich auf ein Schlagwort. Insgesamt zeigt die Klägerseite auch hier nicht auf, dass die von ihr angeführten Umstände in der Gesamtbetrachtung zwangsläufig überwiegen würden.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit Nr. 8.1 des Katalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit entsprechend.
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4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.