Inhalt

VGH München, Beschluss v. 12.10.2023 – 10 ZB 23.1471 , 10 C 23.1473
Titel:

Missbräuchliches Ablehnungsgesuch und unbegründete Wiederaufnahmeanträge

Normenketten:
VwGO § 54 Abs. 1, § 93 S. 1, § 153 Abs. 1
ZPO § 41, § 579 Abs. 1 Nr. 1
Leitsatz:
Der Nichtigkeitsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegt nicht vor, wenn ein Ablehnungsgesuch zu Recht als rechtsmissbräuchlich abgelehnt wurde. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erneutes Ablehnungsgesuch, Wiederaufnahmeantrag, Nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts, Ablehnungsgesuch, missbräuchlich, nicht vorschriftsmäßige Besetzung
Vorinstanz:
VGH München, Beschluss vom 01.08.2023 – 10 ZB 23.855, 10 C 23.856
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29864

Tenor

I. Das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 16. August 2023 wird verworfen.
II. Die Verfahren 10 ZB 23.1471 und 10 C 23.1473 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
III. Die Wiederaufnahmeanträge werden zurückgewiesen.
IV. Der Kläger hat die Kosten der Wiederaufnahmeverfahren zu tragen.
IV. Der Streitwert für das Wiederaufnahmeverfahren 10 ZB 23.1471 wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
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Mit seinen auf § 153 Abs. 1 VwGO und § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gestützten Wiederaufnahmeanträgen wendet sich der Kläger gegen den Beschluss des Senats vom 1. August 2023 in den verbundenen Verfahren 10 ZB 23.855 und 10 C 23.856, in dem dieser das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 17. Juni 2023 verworfen, dessen Prozesskostenhilfebeschwerde zurückgewiesen (10 C 23.856), dessen Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt (10 ZB 23.855) sowie den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das genannte Zulassungsverfahren – unter Beiordnung der Bevollmächtigten – abgelehnt hat.
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Dazu lehnt der Kläger mit erneutem Ablehnungsgesuch vom 16. August 2023 die Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab, die an dem vorgenannten Beschluss des Senats vom 1. August 2023 beteiligt waren.
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All dem liegt – abgesehen von Gegenvorstellungen im Zusammenhang mit Eilentscheidungen bezüglich der bereits vollzogenen Abschiebung des Klägers − das Begehren zugrunde, ein Verfahren durchzuführen gerichtet auf Fortsetzung des seit dem Jahr 2010 eingestellten Klageverfahrens M 23 K 09.1219 bezüglich einer mittlerweile aufgehobenen Ausweisung sowie gerichtet auf Erlass eines Anerkenntnisurteils dahingehend, dass sich das vorgenannte Klageverfahren nicht erledigt hat.
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Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen, darunter die Entscheidungen des Senats in den Verfahren 10 ZB 23.855, 10 C 23.856, 10 AE 23.1010, 10 AE 23.1020 und 10 AE 23.1029 sowie die dort zitierten vorangegangenen Entscheidungen des Senats.
II.
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1. Das erneute Ablehnungsgesuch des Klägers vom 16. August 2023 ist nach § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 41 ff. ZPO unzulässig, weil es rechtsmissbräuchlich ist, und daher − in der für den vorliegenden Beschluss nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und der senatsinternen Geschäftsverteilung maßgeblichen Besetzung unter Mitwirkung abgelehnter Richter − zu verwerfen.
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a) Ein Ablehnungsgesuch kann ausnahmsweise − unter Mitwirkung abgelehnter Richter und ohne deren dienstliche Äußerungen − als unzulässig verworfen werden, wenn es sich als offensichtlich missbräuchlich darstellt. Indizien hierfür können − unter anderem − sein, dass die Begründung des Gesuchs nicht hinreichend konkret auf den beziehungsweise die abgelehnten Richter bezogen ist, dass der Inhalt der Begründung von vornherein ersichtlich ungeeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen, oder dass verfahrensfremde Zwecke, wie etwa das Ziel, den Prozess zu verschleppen, verfolgt werden. Solche Indizien ermöglichen die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs, wenn zur Begründung des Rechtsmissbrauchs nicht auf den Verfahrensgegenstand selbst eingegangen werden muss (vgl. BVerwG, B.v. 2.5.2018 – 6 B 118.18 – juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 29.11.2017 – 10 B 5.17 – juris Rn. 1 f.). Rechtsfehler in vorangegangenen Entscheidungen und in der Verfahrensweise ergeben, selbst wenn sie vorliegen sollten, grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund. Die Grenze bilden nur willkürliche oder offensichtlich unhaltbare Entscheidungen (vgl. BVerwG, B.v. 26.3.2015 – 4 BN 10.15 – juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 7.4. 2011 – 3 B 13.11 – juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 1.12.2009 – 4 BN 58.09 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 8.2.2022 – 6 CE 21.3272 – juris Rn. 10).
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b) Die Klägerseite trägt hierzu vor, die aufgrund des Befangenheitsantrags vom 17. Juni 2023 abgelehnten Richter hätten hierüber in dem Beschluss des Senats vom 1. August 2023 nicht selbst entscheiden dürfen, weil darin auf die Vorgeschichte des Befangenheitsantrags eingegangen werde (vgl. Senatsakte, Bl. 1: „vgl. die Seite 5, letzter Absatz, Ihres o.g. Beschlusses“) und daher keine Formalentscheidung vorliege.
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c) Gemessen an den geschilderten Anforderungen stellt sich das erneute Ablehnungsgesuch des Klägers vom 16. August 2023 ebenfalls als rechtsmissbräuchlich dar.
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Die Begründung der Klägerseite, die erneut die gesamte Spruchgruppe des beschließenden Senats abgelehnt hat (vgl. Senatsakte 10 ZB 23.1471, Bl. 2: „Ihr Beschluss vom 01.08.2023“ sowie „lehne ich alle an Ihrem o.g. Beschluss beteiligten Richter ab“), kann eine Besorgnis der Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen.
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Der Senat hat in dem Beschluss vom 1. August 2023 das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 17. Juni 2023 − unter anderem − selbständig tragend als rechtsmissbräuchlich qualifiziert, weil die Klägerseite sich damit allein gegen eine ihrer Auffassung unzutreffende richterliche Rechtsmeinung gewandt hat, ohne nachvollziehbar aufzuzeigen, dass diese auf einer unsachlichen Einstellung der abgelehnten Richter oder auf Willkür beruht. Daran hält der Senat fest. Ein Ablehnungsgesuch ist grundsätzlich kein geeignetes Mittel, sich gegen für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2022 – 6 CE 21.3272 – juris Rn. 10). Dies greift die Klägerseite in dem erneuten Ablehnungsgesuch vom 16. August 2023 auch nicht an.
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Außerdem hat der Senat das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 17. Juni 2023 jeweils selbständig tragend mangels Beschwerde und wegen Haltlosigkeit als rechtsmissbräuchlich qualifiziert, wozu sich das erneute Ablehnungsgesuch der Klägerseite vom 16. August 2023 nicht verhält.
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Dass der Senat in dem Beschluss vom 1. August 2023 zusätzlich auf klägerischen Vortrag hin das noch frühere Ablehnungsgesuch vom 8. Juni 2023 und den Inhalt des Beschlusses des Senats vom 14. Juni 2023 erwähnt hat (vgl. BA S. 5), ist kein inhaltliches Eingehen auf den Verfahrensgegenstand. Abgesehen davon kommt es darauf − angesichts der selbständig tragenden Unzulässigkeitsgründe, welche die Klägerseite nicht angreift (s.o.) – nicht an.
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2. Die Verfahren 10 ZB 23.1471 und 10 C 23.1473 werden gemäß § 93 Satz 1 VwGO aus Gründen der Zweckmäßigkeit zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
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3. Die Wiederaufnahmeanträge des Klägers sind unbegründet.
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a) Der Nichtigkeitsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO deckt sich mit dem absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 1 ZPO. Der Nichtigkeitsgrund liegt vor, wenn eine offensichtlich schwere Gesetzesverletzung vorliegt, die im Ergebnis auf Willkür beruht (vgl. Fleck in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, Stand: 1.9.2023, § 579 Rn. 3 m.w.N.; Musielak in Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 579 Rn. 2 m.w.N.).
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b) Das Vorbringen der Klägerseite zu § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, das mit dem zu dem erneuten Ablehnungsgesuch identisch ist (s.o.), vermag den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts nicht zu tragen, weil es an den vorgenannten Voraussetzungen hierfür mangelt. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die vorstehenden Erwägungen sowie entsprechend § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die eingangs zitierten vorangehenden Entscheidungen (s.o.).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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5. Die Streitwertfestsetzung im Wiederaufnahmeverfahren folgt kostenrechtlich dem Verfahren, dessen Wiederaufnahme begehrt wird (vgl. BVerwG, B.v. 17.3.2015 – A 1.15, 5 PKH 15.15 – juris Rn. 16 m.w.N.). Der Streitwert für das Wiederaufnahmeverfahren 10 ZB 23.1471 beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit Nr. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit entsprechend. Einer Streitwertfestsetzung für das Wiederaufnahmeverfahren 10 C 23.1473 bedarf es nicht, da hierfür eine streitwertunabhängige Gebühr nach § 3 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 5502 KV anfällt.
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6. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.