Inhalt

VGH München, Beschluss v. 04.10.2023 – 1 ZB 23.549
Titel:

Nutzungsuntersagung für Lagerplatz

Normenketten:
BayBO Art. 57 Abs. 1 Nr. 13 lit. a, Nr. 15 lit. a, Art. 76 S. 2
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1, § 201
Leitsätze:
1. Für die Nutzungsuntersagung (Art. 76 S. 2 BayBO) reicht grundsätzlich die formelle Baurechtswidrigkeit der Nutzung aus; etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die nicht genehmigte Nutzung offensichtlich genehmigungsfähig ist. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Auslegung des Tatbestandsmerkmals des „Dienens“ (§ 35 Abs. 1 Nr. 1, § 201 BauGB) ist darauf abzustellen, dass die Gesamtheit des Betriebs das darauf bezogene Vorhaben prägen muss und dazu auch eine räumliche Nähe zu den Schwerpunkten der betrieblichen Abläufe gehört. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Begriff der Baustelleneinrichtung (Art. 57 Abs. 1 Nr. 13 lit. a BayBO) setzt nicht nur einen zeitlichen und räumlichen, sondern auch einen funktionellen Zusammenhang mit der Baustelle, d.h. der Bautätigkeit, voraus; die Errichtung muss daher die physische Vollendung des Bauvorhabens fördern. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nutzungsuntersagung für einen Lagerplatz, Offensichtliche Genehmigungsfähigkeit (verneint), land- oder fortswirtschaftlicher Betrieb, Dienen, vernünftiger Landwirt, Baustelleneinrichtung, Bestandsschutz
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 21.09.2022 – M 29 K 20.3469
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29861

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das erstinstanzliche Verfahren – in Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses – und für das Zulassungsverfahren auf jeweils 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich gegen die Untersagung der Nutzung seines Grundstücks als Lager- und Abstellplatz.
2
Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des am 19. Februar 2020 in Kraft getretenen Bebauungsplans „M. – Süd“ in der Fassung der 1. Änderung vom 28. Juli 2022, der für das zwischenzeitlich geteilte Grundstück als Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet festsetzt, in dem Ausnahmen nach § 4 Abs. 3 BauNVO ausdrücklich ausgeschlossen werden.
3
Bei Baukontrollen wurde festgestellt, dass auf dem Grundstück Fahrzeuge, Anhänger, Container und Gerätschaften abgestellt wurden. Mit Bescheid vom 15. Juli 2020 untersagte der Beklagte die Nutzung des streitgegenständlichen Grundstücks als Lager- und Abstellplatz. Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 21. September 2022 abgewiesen. Die verfügte Nutzungsuntersagung sei rechtmäßig. Die für die Nutzung des Grundstücks als Lagerplatz erforderliche Genehmigung liege nicht vor. Es handle sich nicht um eine verfahrensfreie Baustelleneinrichtung nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a BayBO, da es an dem zeitlichen Bezug zu einem Bauvorhaben fehle. Ob der Kläger die Voraussetzungen eines forstwirtschaftlichen Betriebes im Sinn des Art. 57 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a BayBO erfülle, sei zu bezweifeln, könne aber offen bleiben, weil das Vorhaben jedenfalls nicht einem solchen Betrieb diene. Das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig, da es den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspreche und auch zu keinem früheren Zeitpunkt bauplanungsrechtlich zulässig gewesen sei.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Lagerplatz diene seinem forstwirtschaftlichen Betrieb. Er trägt ergänzend vor, dass er am 28. Februar 2023 einen Bauantrag auf Errichtung einer Doppelgarage gestellt habe und damit ein zeitlicher Zusammenhang zu einem Bauvorhaben vorliege. Bei der Ermessensentscheidung sei nicht berücksichtigt worden, dass als milderes Mittel die Anordnung der Beseitigung von lediglich einzelnen Gegenständen möglich gewesen wäre.
5
Der Beklagte beantragt, den Antrag abzulehnen. Der Kläger habe keinen Nachweis für das Vorliegen eines forstwirtschaftlichen (Neben-)Betriebs vorgelegt. Jedenfalls diene der Lager- und Abstellplatz angesichts der Anzahl an forstwirtschaftsfremden Sachen wie beispielsweise Bauwagen, Schwimmbecken, LKW-Fahrschulanhänger, objektiv nicht forstwirtschaftlichen Zwecken. Nur ein Teil der gelagerten Sachen sei überhaupt geeignet, auf einer Baustelle Verwendung zu finden. Angesichts des überschaubaren Bauvorhabens sei auch nicht ersichtlich, weshalb dafür ein großer Bauwagen notwendig sein solle, zumal der Kläger auf dem unmittelbar nördlich benachbarten Grundstück wohne. Im Hinblick auf die mehrjährige Lagerung fehle es an dem in Art. 57 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a BayBO geforderten Zusammenhang.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor bzw. werden nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838).
9
Für die Nutzungsuntersagung reicht grundsätzlich die formelle Baurechtswidrigkeit der Nutzung aus; etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die nicht genehmigte Nutzung offensichtlich genehmigungsfähig ist (vgl. BayVGH, B.v. 30.11.2020 – 1 ZB 18.341 – juris Rn. 5). Das ist hier nicht der Fall, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit liegt nicht vor.
10
1.1 Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich eine Verfahrensfreiheit des Lager- und Abstellplatzes nicht aus Art. 57 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a BayBO ableiten. Danach sind u.a. Lager- und Abstellplätze verfahrensfrei, sofern sie einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb im Sinn von § 35 Abs. 1 Nr. 1, § 201 BauGB dienen. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Vorhaben – ohne dass es auf die Frage des Bestehens eines landwirtschaftlichen Betriebs ankommt – jedenfalls nicht einem forstwirtschaftlichen Betrieb dient. Es hat bei Auslegung des Tatbestandsmerkmals des „Dienens“ zu Recht darauf abgestellt, dass die Gesamtheit des Betriebs das darauf bezogene Vorhaben prägen muss und dazu auch eine räumliche Nähe zu den Schwerpunkten der betrieblichen Abläufe gehört. Weiter hat es zutreffend ausgeführt, dass – wenngleich die Frage des Standorts keine Frage des „Dienens“ ist – der beabsichtigte Standort in ca. 1,5 km Entfernung vom Waldgrundstück hier dem forstwirtschaftlichen Betrieb nicht funktional zugeordnet ist, da ein vernünftiger Land- bzw. Forstwirt die Arbeitspausen nicht in einem derart weit entfernt abgestellten Bauwagen verbringen würde (UA Rn. 21). Die angegriffene Entscheidung steht nicht in Widerspruch zu dem vom Kläger angeführten Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Januar 2019 (1 BV 16.232), das im Zusammenhang mit den Erfordernissen landwirtschaftlicher Betriebe mit verstreuten Betriebsflächen ergangen ist und ebenfalls die genaue Prüfung voraussetzt, ob ein vernünftiger Landwirt das Vorhaben an dem gewählten Standort verwirklichen würde. Die Ausführungen im Zulassungsvorbringen, die forstwirtschaftliche Fläche müsse nicht in unmittelbarer Nähe liegen, gehen daher ins Leere. Im Übrigen beschränkt das Zulassungsvorbringen sich darauf, die eigene – gegenteilige – Auffassung des Klägers wiederzugeben und die Auffassung des Verwaltungsgerichts als „lebensfern“ zu bezeichnen. Damit werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung nicht dargelegt. Es kommt daher nicht mehr entscheidend auf die im Zulassungsvorbringen geltend gemachte mildere Maßnahme der Beschränkung der Anordnung auf einzelne Gegenstände, Maschinen bzw. Fahrzeuge an.
11
Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht die im Zulassungsvorbringen thematisierte Frage, ob die Bewirtschaftung einer Fläche von 0,77 ha Wald überhaupt die Voraussetzungen eines forstwirtschaftlichen Betriebes im Sinn von Art. 57 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a BayBO erfüllt, offen gelassen, da sie nicht entscheidungserheblich ist. Es kann daher nicht die Rede davon sein, dass ein solcher (Nebenerwerbs-)Betrieb unterstellt werden müsste. Im Übrigen fehlt es dem Zulassungsvorbringen, das im Wesentlichen pauschal auf die Größe des Waldstücks von 0,77 ha und potentiell erzielbare Holzpreise verweist, an einer hinreichend substantiierten Darlegung eines auf Dauer eingerichteten und mit Gewinnerzielung angelegten Betriebes (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2021 – 4 C 9.11 – BayVBl 2012, 282 zu den Anforderungen an Art und Umfang eines solchen Betriebes; BayVGH, B.v. 12.12.2017 – 1 ZB 15.2594 – juris Rn. 9). Der Kläger trägt selbst vor, dass das Holz zum Eigenverbrauch der Familie des Klägers genutzt wird (vgl. Schriftsatz vom 14.9.2022, S. 3). Die Bestätigung einer fachkundigen Stelle wurde auch im Zulassungsverfahren nicht vorgelegt. Nachweise für Unfallversicherungsbeiträge und Betriebshaftpflichtversicherung sind zum Beweis der Nachhaltigkeit der Bewirtschaftung nicht geeignet.
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1.2 Soweit das Zulassungsvorbringen geltend macht, es lägen gegenüber dem Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts nunmehr neue Tatsachen in Form eines Bauantrags für die Errichtung von zwei unterkellerten Doppelgaragen vor, woraus sich eine Verfahrensfreiheit des Lager- und Abstellplatzes nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a BayBO ergebe, wird dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO nicht genügt. Der Begriff der Baustelleneinrichtung setzt nicht nur einen zeitlichen und räumlichen, sondern auch einen funktionellen Zusammenhang mit der Baustelle, d.h. der Bautätigkeit, voraus (vgl. Lechner/Busse in Busse/Kraus, BayBO, Stand Februar 2023, Art. 57 Rn. 326); die Errichtung muss daher die physische Vollendung des Bauvorhabens fördern. Ob bzw. welche Maschinen, Fahrzeuge oder sonstige Gegenstände für die geplanten Doppelgaragen tatsächlich benötigt werden, bleibt mangels substantiierter Darlegung ebenso offen wie die Frage, ob die Garagen in Eigenbau mithilfe der vorhandenen Gegenstände errichtet werden oder durch ein Bauunternehmen, das hierfür eigene Maschinen etc. verwendet. Hinzukommt, dass ein Großteil der gelagerten Sachen von vornherein nicht als Baustelleneinrichtung in Frage kommt. Es drängt sich daher die Annahme auf, dass auch weiterhin ein stationäres „Dauerlager“ für Fahrzeuge, Container und sonstige Gegenstände, die vielleicht für künftige Bauvorhaben des Klägers irgendwann einmal benötigt werden, auf den streitgegenständlichen Grundstücken eingerichtet ist. Es kommt daher nicht mehr entscheidend darauf an, ob die geltend gemachten Gründe für die Verzögerungen des geplanten Bauvorhabens (Erkrankungen des Klägers, benachbarte Großbaustelle) geeignet sind, den zeitlichen Zusammenhang zum Bauvorhaben zu begründen.
13
1.3 Schließlich ergeben sich auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung aus der Beanstandung, das Verwaltungsgericht habe den Gesichtspunkt des Bestandsschutzes der Nutzung der Grundstücke als Lager- und Abstellplatz nicht ausreichend berücksichtigt. Das Verwaltungsgericht hat sich ausführlich mit der Frage eines Bestandsschutzes auseinandergesetzt (UA Rn. 24). Der Lager- und Abstellplatz ist weder genehmigt noch konnte er ausweislich der vorstehenden Ausführungen vor In-Kraft-Treten des Bebauungsplans, der die Grundstücksflächen des Klägers als Wohnbaufläche darstellt, verfahrensfrei errichtet werden. Auch bei Annahme, dass der Lager- und Abstellplatz als nicht störender Gewerbebetrieb zu beurteilen wäre, ist eine ausnahmsweise Zulassung nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO hier nach Nr. 1.2 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans ausgeschlossen. Somit kommt ein Bestandschutz ohnehin nicht in Betracht. Im Übrigen vermag allein eine über einen längeren Zeitraum genehmigungspflichtige, aber nicht genehmigte Nutzung einen Bestandsschutz nicht zu begründen (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, Art. 76 Rn. 117).
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2. Der vom Kläger behauptete Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt nicht vor bzw. ist nicht dargelegt.
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Der Kläger sieht einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) darin, dass das Verwaltungsgericht die Beantwortung der Frage, zu welchem Zeitpunkt er seinen Herzinfarkt erlitten habe, unter Hinweis auf die bereits geschlossene mündliche Verhandlung abgelehnt habe.
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Mit diesen Ausführungen wird ein Verfahrensfehler, auf dem die Entscheidung beruhen kann, nicht dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat den Vortrag des Klägers zu seinen gesundheitlichen Problemen zur Kenntnis genommen und ausgeführt, dass sich dadurch auch die (verfahrensfreie) Möglichkeit der Errichtung einer Baustelle verzögere (UA Rn. 19). Weshalb dies bei Kenntnis des genauen Datums des Herzinfarkts anders zu beurteilen sein sollte, legt der Kläger nicht ansatzweise dar. Im Übrigen ist die Erkenntnis über den genauen Zeitpunkt des Herzinfarkts nach der maßgeblichen Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.4 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Abänderungsbefugnis hinsichtlich des Streitwerts für das erstinstanzliche Verfahren auf § 63 Abs. 3 GKG.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).