Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.10.2023 – 1 ZB 22.1368
Titel:

Erfolglose Nachbarklage gegen Anbau eines Gartengeräteraumes mit Wintergarten

Normenketten:
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
BayBO Art. 6 Abs. 5
Leitsätze:
1. Eine Rechtsverletzung des Nachbarn kommt bei fehlender Bestimmtheit (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) der Baugenehmigung in Betracht, wenn die Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Merkmale nicht hinreichend bestimmt sind und damit nicht geprüft werden kann, ob das Vorhaben nachbarschützenden Vorschriften entspricht. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob eine angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten verletzt, beurteilt sich grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung. Spätere Änderungen zu Lasten des Bauherrn haben außer Betracht zu bleiben. Nachträgliche Änderungen zu seinen Gunsten sind dagegen zu berücksichtigen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bestimmtheit der Baugenehmigung, Nachträgliche Änderung der Rechtslage zugunsten der Bauherrn, Nachbar, Abstandsfläche
Vorinstanz:
VG München vom 29.03.2022 – M 1 K 20.654
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29860

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Kläger wenden sich gegen die den Beigeladenen am 17. Januar 2020 erteilte Baugenehmigung für das Vorhaben „Anbau eines Gartengeräteraums mit Wintergarten im EG und Balkon im DG, Einhausung der bestehenden Kellertreppe und Neubau eines Carports“ auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung D. Sie sind Nießbrauchsberechtigte am südlich angrenzenden Grundstück FlNr. …1.
2
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Der allein streitgegenständliche Anbau eines Gartengeräteraums mit Wintergarten im EG und Balkon im DG halte die nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO 2018 erforderlichen Abstandsflächen ein. Maßgeblich für die Wandhöhe sei hier als unterer Bezugspunkt die natürliche Geländeoberfläche und als oberer Bezugspunkt der Abschluss des Geländers auf der Dachterrasse des Anbaus. Danach ergebe sich eine Wandhöhe von 6,10 m. Zwar sei eine konkrete Bemaßung der Geländeoberfläche an dieser Stelle in den Plänen in der Südansicht unterblieben. Die konkrete Bemaßung der Geländeoberfläche sei aber im Rahmen des Verfahrens in Form eines Deckblatts nachgereicht und das Gelände dort mit -2,13 m angegeben worden. Dass eine Abstandsfläche von 6,10 m zum Grundstück des Klägers eingehalten werde, sei unstreitig.
3
Mit dem Zulassungsantrag verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzziel weiter. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung sei die Baugenehmigung zu ihren Lasten nicht hinreichend bestimmt gewesen. Es sei nicht beurteilbar gewesen, ob tatsächlich die Abstandsflächen zu ihrem Grundstück eingehalten würden. Zudem sei nicht ersichtlich, dass die Abstandsfläche von 6,10 m eingehalten werde.
4
Der Beklagte tritt dem Zulassungsantrag entgegen. Das angegriffene Urteil sei jedenfalls im Ergebnis richtig, weil sich auf Grund der Änderung des Abstandsflächenrechts zum 1. Februar 2021 das Maß der Tiefe der einzuhaltenden Abstandsfläche von 1 H auf 0,4 H reduziert habe und damit bei jeglicher Betrachtungsweise die Abstandsflächen zum Grundstück der Kläger eingehalten würden. Für das Vorhabengrundstück bestehe kein Bebauungsplan; eine Satzung nach Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO habe die Gemeinde nicht erlassen. Die Rechtsänderung stelle sich als nachträgliche Änderung zugunsten der Bauherrn dar, die bei der Nachbaranfechtungsklage zu berücksichtigen sei.
5
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
6
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
7
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
8
Eine Rechtsverletzung des Nachbarn kommt bei einer fehlenden Bestimmtheit (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) der Baugenehmigung in Betracht, wenn die Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Merkmale nicht hinreichend bestimmt sind und damit nicht geprüft werden kann, ob das Vorhaben nachbarschützenden Vorschriften entspricht (vgl. BayVGH, B.v. 8.5.2023 – 1 ZB 21.684 – juris Rn. 6).
9
Dass in den genehmigten Planunterlagen der untere Höhenbezugspunkt des Geländes im Bereich der Dachterrasse nicht vermasst ist, vermag die hinreichende Bestimmtheit der Genehmigung in Bezug auf die Überprüfbarkeit nachbarschützender Vorschriften nicht in Zweifel zu ziehen, da eine Verletzung der Abstandsflächen zu Lasten der Kläger bei jeder denkbaren Betrachtungsweise ausgeschlossen werden kann. Ob eine angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten verletzt, beurteilt sich grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung. Spätere Änderungen zu Lasten des Bauherrn haben außer Betracht zu bleiben. Nachträgliche Änderungen zu seinen Gunsten sind dagegen zu berücksichtigten (BVerwG, B.v. 8.11.2010 – 4 B 43.10 – BauR 2011, 499). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass es mit der nach Maßgabe des einschlägigen Rechts gewährleisteten Baufreiheit nicht vereinbar wäre, eine zur Zeit des Erlasses rechtswidrige Baugenehmigung aufzuheben, die sogleich nach der Aufhebung wieder erteilt werden müsste (BVerwG, B.v. 23.4.1998 – 4 B 40.98 – NVwZ 1998, 1179). Da sich die Rechtslage im Hinblick auf die einzuhaltenden Abstandsflächen hier zugunsten der Bauherrn zum 1. Februar 2021 geändert hat, ist auf diese abzustellen. Das Vorhabengrundstück liegt weder in einem Bebauungsplangebiet noch wurde – nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Landesanwaltschaft – eine Satzung nach Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO erlassen. Die einzuhaltende Tiefe der Abstandsfläche beträgt daher nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO 0,4 H, mindestens aber 3 m. Damit sind die Abstandsflächen zum Grundstück der Kläger eingehalten, da sich selbst bei einer unterstellten Wandhöhe von 6,325 m eine Abstandsfläche von 2,53 m ergeben würde, die zu einer Mindestabstandsfläche von 3 m führt. Eine nachbarrechtsrelevante fehlende Bestimmtheit der Baugenehmigung liegt daher nicht vor.
10
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, da sie sich im Zulassungsverfahren inhaltlich nicht geäußert haben (§ 162 Abs. 3 VwGO).
11
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
12
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig.