Inhalt

VGH München, Beschluss v. 09.10.2023 – 1 CS 23.1480
Titel:

Anordnung der Beseitigung eines Erdwalls

Normenketten:
BayBO Art. 76 S. 1
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 5
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4
Leitsätze:
1. Nicht jedes Vorhaben, das – wenn überhaupt – sinnvoll nur im Außenbereich errichtet werden kann, ist schon deshalb nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB im Außenbereich bevorzugt zuzulassen. Nur solche Vorhaben sind privilegiert, die über eine individuelle und die Allgemeinheit ausschließende Nutzung des Außenbereichs hinausgehen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Schutzgut des öffentlichen Belangs der natürlichen Eigenart der Landschaft iSv § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB ist die naturgegebene Bodennutzung. Das Naturschutzrecht konkretisiert die öffentlichen Belange iSd § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Bekämpfung einer negativen Vorbildwirkung ist grundsätzlich geeignet, ein besonderes Interesse am Vollzug einer Beseitigungsanordnung zu begründen (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung, Errichtung eines Erdwalls entlang der Bundesstraße, Außenbereich, Beeinträchtigung öffentlicher Belange, Sofortvollzug, Privilegierung, natürliche Eigenart der Landschaft, Vorbildwirkung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 26.07.2023 – M 11 S 23.2879
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29857

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren – in Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses – und das Beschwerdeverfahren werden auf je 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Beseitigungsanordnung für den errichteten Erdwall entlang der Bundesstraße.
2
Mit Bauantrag vom 6. März 2022 begehrte die Antragstellerin für ihr Grundstück, das mit einem Wohnanwesen bebaut ist, die Genehmigung für die Errichtung eines Lärmschutzwalles (begrünte Lärmschutzwand) von 4 m sowie die Erhöhung der Säulen und des Hoftors auf 3 m. Diesen Antrag lehnte das Landratsamt mit Bescheid vom 14. Juni 2022 ab. Die dagegen erhobene Klage ist noch beim Verwaltungsgericht anhängig.
3
Bei einer Baukontrolle stellte das Landratsamt fest, dass die Antragstellerin mit der Errichtung des Erdwalls bereits begonnen hatte. Bäume entlang der Straße wurden gerodet und das Gelände in unterschiedlicher Höhe (bis zu ca. 3,30 m) entlang der Straße aufgefüllt. Mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 28. März 2023 ordnete das Landratsamt die vollständige Beseitigung des errichteten Erdwalls entlang der östlichen Grundstücksgrenze an der Bundesstraße B 11 innerhalb von 2 Monaten ab Zustellung bzw. Bestandskraft des Bescheides an. Auch hiergegen erhob die Antragstellerin Klage und stellte zusätzlich einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO.
4
Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 26. Juli 2023 ab. Die Beseitigungsanordnung sei nach summarischer Prüfung formell und materiell rechtmäßig. Die genehmigungspflichtige Anlage befinde sich im Außenbereich, da die verstreut gelegene und lediglich sehr vereinzelt vorhandene Bebauung keinen Ortsteil darstelle. Die Errichtung eines Erdwalls zum Lärmschutz für eine Wohnbebauung sei nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert. Der Erdwall sei auch nicht als sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB bauplanungsrechtlich zulässig, weil er aller Voraussicht nach jedenfalls die natürliche Eigenart der Landschaft und Belange des Naturschutzes beeinträchtige. Die Beseitigungsanordnung sei ermessensfehlerfrei ergangen; das für die Anordnung des Sofortvollzugs erforderliche besondere Vollzugsinteresse liege vor.
5
Mit der Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, dass sich ihr Grundstück im Innenbereich befinde. Der Umgriff um ihr Anwesen, insbesondere der zur K. …straße hingewandte Bereich, sei dem Innenbereich zuzuordnen und das Vorhaben füge sich nach § 34 Abs. 1 BauGB ein. Selbst wenn man eine Außenbereichslage annehme, sei das Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 BauGB genehmigungsfähig. Es sei Sinn und Zweck einer Lärmschutzwand, den lärmempfindlichen Innenbereich vom Lärm erzeugenden Außenbereich zu schützen. Durch den Erdwall seien keine nachteiligen Wirkungen für die Umwelt begründet; stattdessen würde die Beseitigung des mit Pflanzen und Sträuchern eingewachsenen Schutzwalls einen erheblichen Eingriff in die geschützte Umgebungsnatur darstellen. Die Fristsetzung sei unangemessen und ihr Schutzbedürfnis vor der erheblichen und unstreitigen Lärmbelastung sei weder im Rahmen des Ermessens noch im Hinblick auf den Sofortvollzug angemessen berücksichtigt worden.
6
Der Antragsgegner tritt dem Beschwerdevorbringen entgegen.
7
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
8
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
9
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung wird die Klage gegen die Beseitigungsanordnung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben (1.). Das für die Anordnung des Sofortvollzugs erforderliche besondere Vollzugsinteresse hat die Antragsgegnerin in der Beseitigungsanordnung begründet und die angeführten Gesichtspunkte genügen den Anforderungen in der Rechtsprechung (2.).
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1. Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung baulicher Anlagen anordnen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet werden und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich der errichtete Erdwall im Außenbereich befindet und nach § 35 BauGB nicht genehmigungsfähig ist.
11
1.1. Die Anwendung des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB setzt einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil voraus. Die Tatbestandsmerkmale „im Zusammenhang bebaut“ und „Ortsteil“ gehen nicht ineinander auf, sondern sind kumulative Natur. „Ortsteil“ im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 -BVerwGE 152, 275). Die zutreffende Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei der vorhandenen Bebauung nicht um einen Ortsteil handelt, sondern um einen Siedlungssplitter im Außenbereich, wird mit der Beschwerde bereits nicht angegriffen (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Das Beschwerdevorbringen setzt sich nur mit dem Tatbestandsmerkmal „im Zusammenhang bebaut“ auseinander, auf das es hier aber nicht mehr entscheidungserheblich ankommt.
12
Die Voraussetzungen für eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist ein Vorhaben im Außenbereich u.a. privilegiert zulässig, wenn es wegen seiner „besonderen Zweckbestimmung“ nur im Außenbereich ausgeführt werden soll. Nicht jedes Vorhaben, das – wenn überhaupt – sinnvoll nur im Außenbereich errichtet werden kann, ist aber schon deshalb nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB im Außenbereich bevorzugt zuzulassen. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass nur solche Vorhaben privilegiert sind, die über eine individuelle und die Allgemeinheit ausschließende Nutzung des Außenbereichs hinausgehen (vgl. BVerwG, B.v. 9.5.2012 – 4 B 10.12 – BauR 2012, 1360; B.v. 12.4.2011 – 4 B 6.11 – BauR 2011, 1299). Damit ist unabhängig von der Tatsache, dass Lärmschutzwände zur Erreichung des mit ihnen verfolgten Zwecks nicht auf einen Standort außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile angewiesen sind, sondern diese vor allem auch in innerörtlichen Lagen errichtet werden, eine Privilegierung des Erdwalls zum Schutz des nicht privilegierten Wohnanwesens der Antragstellerin vor Lärm nicht gegeben. Der Lärmschutzwall schützt auch nicht die umliegende Natur, wie die Antragstellerin meint, sondern beeinträchtigt gerade Belange des Naturschutzes sowie die natürliche Eigenart der Landschaft.
13
Schutzgut des öffentlichen Belangs der natürlichen Eigenart der Landschaft im Sinn von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB ist die naturgegebene Bodennutzung (vgl. BVerwG, B.v. 21.2.1994 – 4 B 33.94 – ZfBR 1994, 193). Dass mit der Rodung von Bäumen des auf dem Grundstück der Antragstellerin bestehenden Waldes und großflächiger Aufkiesung und Auffüllung des Streifens entlang der Bundesstraße eine erhebliche Beeinträchtigung dieses Belangs vorliegt, wird mit der Beschwerdebegründung ebenso wenig substantiiert angegriffen wie die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Aufschüttung auch Belange des Naturschutzes beeinträchtigt. Es hat hierzu auf die ausführliche Begründung im Bescheid der Behörde verwiesen, in der dargestellt wird, dass wegen der Unterbrechung der ökologischen Durchgängigkeit, der Beseitigung der Waldvegetation und Störung des natürlichen Bodenaufbaus mit der Errichtung des Erdwalls ein Eingriff im Sinn von § 14 Abs. 1 BNatSchG vorliege. Das Naturschutzrecht konkretisiert die öffentlichen Belange im Sinn des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB (vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 4 C 1.12 – BVerwGE 147, 118). Soweit ein gesteigertes Tötungsrisiko für Amphibien durch den Erdwall bezweifelt wird, handelt es sich nur um eine von mehreren genannten Beeinträchtigungen, zu denen es durch die Veränderung des Lebensraums Waldmeister-Buchenwald kommt. Dem Vortrag, dass der Erdwall mittlerweile Teil des umliegenden Ökosystems geworden sei und seine Beseitigung nachteilige Folgen für die Umwelt habe, ist der Antragsgegner nachvollziehbar entgegengetreten. Er hat ausgeführt, dass der Südteil des begonnenen Bauwerks nahezu keinen Bewuchs aufweise und der vorhandene Bewuchs keinen Lebensraum für anspruchsvolle Tierarten biete. Die Beseitigung des Walles würde Natur und Landschaft in keiner Weise beeinträchtigen, vielmehr sei die Wiederherstellung des ursprünglichen – naturschutzfachlich weitaus hochwertigeren – Zustandes erforderlich.
14
Auch im Hinblick auf die von der Antragstellerin vorgetragene Lärmbelästigung besteht kein Genehmigungsanspruch für den Erdwall. Eine Abwägung der privaten Interessen der Antragstellerin mit den beeinträchtigten öffentlichen Belangen findet im Rahmen des § 35 Abs. 2 BauGB nicht statt. Soweit behauptet wird, dass die Außenlärmpegel ohne den gegenständlichen Lärmschutzwall jedenfalls mit mehr als 66 dB(A) weit über dem verträglichen Maß für ein Wohngebiet lägen, handelt es sich im Übrigen um einen lediglich gegriffenen Lärmpegelwert – der geringste Abstand des Wohnhauses zum Straßenrand beträgt ca. 45 m – und die Immissionsgrenzwerte der 16. BImSchV, auf die Bezug genommen wird, sind nur bei dem Bau oder der wesentlichen Änderung einer Straße anwendbar. Weiter gelten nach § 2 Abs. 2 16. BImSchV für bauliche Anlagen im Außenbereich nicht die Werte für Wohngebiete.
15
1.2. Die Einwände der Antragstellerin gegen die Ermessensausübung der Behörde sind wörtlich aus dem erstinstanzlichen Vortrag übernommen, lediglich formelhaft und genügen daher nicht ansatzweise dem Darlegungserfordernis. Dies gilt auch, soweit die Antragstellerin die Frist für die Beseitigung der Anlage als nicht angemessen erachtet.
16
2. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist für die Anordnung des Sofortvollzugs ein besonderes Vollzugsinteresse erforderlich. Die Vollziehung des Verwaltungsakts muss wegen öffentlicher oder überwiegender privater Interessen besonders dringlich sein und keinen Aufschub bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens dulden. Bei Beseitigungsanordnungen ist ein strenger Maßstab anzulegen, weil dadurch die Entscheidung in der Hauptsache im Kern vorweggenommen wird (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – BayVBl 2019, 391). Die Bekämpfung einer negativen Vorbildwirkung ist grundsätzlich geeignet, ein besonderes Interesse am Vollzug einer Beseitigungsanordnung zu begründen. Die Gefahr der Nachahmung des mit einer Beseitigungsanordnung zu korrigierenden Verstoßes gegen baurechtliche Vorschriften rechtfertigt die sofortige Vollziehung, wenn die Gefahr hinreichend konkret ist und die zu befürchtenden Verstöße ausreichend gewichtig sind (vgl. OVG Hamburg, B.v. 2.12.2020 – 2 Bs 207/20 – juris Rn. 15 ff. m.w.N.). Weiter kann ein besonderes öffentliches Interesse an dem Sofortvollzug der Beseitigungsverfügung darin liegen, dass es für den Fall der Durchführung des über einen längeren Zeitraum andauernden Hauptsacheverfahrens zu einer andauernden Beeinträchtigung der Natur kommt (vgl. HessVGH, B.v. 28.1.1992 – 4 TH 2283/91 – NVwZ-RR 1993, 13).
17
Nach diesen Maßstäben wurde die Anordnung des Sofortvollzugs zu Recht mit Gründen des Naturschutzes und der Vorbildfunktion der baulichen Anlage und der daraus resultierenden Nachahmungsgefahr begründet (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2012 – 1 CS 12.282 – BayVBl 2012,470). Soweit die Antragstellerin sich auch hier darauf bezieht, dass das Entfernen des Erdwalls einen negativen Einfluss auf Flora und Fauna habe, kann auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen werden. Entgegen ihrem Vortrag ist sie auch nicht die einzige direkte Anliegerin an der K. …straße, sondern die bebauten Grundstücke FlNr. ... und … liegen ebenfalls direkt an der K. …straße und weisen dazu noch einen geringeren Abstand zur Straße auf. Der Antragsgegner hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es für die Bezugsfallwirkung nicht entscheidend darauf ankommt, ob die genannten Grundstücke in der Nähe des Grundstücks der Antragstellerin liegen und dort schon entsprechende Planungsabsichten bestehen, sondern darauf, dass sie ebenfalls unmittelbar an der K. …straße liegen und denselben Lärmeinwirkungen ausgesetzt sind. Die Zweifel des Verwaltungsgerichts an der negativen Vorbildwirkung der baulichen Anlage der Antragstellerin sind daher nicht begründet. Im Übrigen konnte die Behörde bei der Anordnung des Sofortvollzugs auch berücksichtigen, dass mit dem Vollzug der Beseitigungsanordnung kein großer Substanzverlust verbunden ist.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. 1.5 und 9.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Befugnis zur Abänderung des erstinstanzlichen Streitwertbeschlusses beruht auf § 63 Abs. 3 GKG. Im Hinblick auf den Umfang der Baumaßnahme hält der Senat jedenfalls einen Streitwert von 10.000 Euro für angemessen, der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu halbieren ist.
19
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).