Inhalt

LArbG München, Beschluss v. 23.10.2023 – 3 Ta 178/23
Titel:

Festsetzung eines höheren Gegenstandswertes in einem Beschwerdeverfahren 

Normenketten:
RVG § 33
HGB § 74 Abs. 2
Leitsätze:
Streiten die Parteien über die Wirksamkeit eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots, ist der Gegenstandswert bzw. Streitwert nach dem wirtschaftlichen Interesse der Klagepartei festzusetzen. Mangels anderer Anhaltspunkte bemisst sich dieses bei einem Arbeitnehmer nach der vom Arbeitgeber während der Laufzeit des Wettbewerbsverbots zu zahlenden Entschädigung bzw., wenn eine solche nicht vereinbart ist, in Höhe der gesetzlichen. (Rn. 19)
Bei einer negativen (leugnenden) Feststellungsklage ist, anders als bei der positiven Feststellungsklage grundsätzlich kein Abschlag vorzunehmen, es sei denn, die Durchsetzung der Karenzentschädigung, an die für die Wertbestimmung angeknüpft wird, wäre wirtschaftlich unsicher. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gegenstandswert, Nachvertragliches Wettbewerbsverbot, Feststellungsantrag, Beschwerde, Gegenstandswertfestsetzung, Beschwerdewert, Feststellungsklage, Karenzentschädigung
Vorinstanz:
ArbG München vom 27.06.2023 – 29 Ca 2321/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29846

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägervertreters wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 27.06.2023 – 29 Ca 2321/23 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Gegenstandswert für das Verfahren und für den Vergleich wird auf je 66.433,02 € festgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die angefallene Gebühr nach Nr. 8614 der Anlage 1 zum GKG wird auf die Hälfte ermäßigt.

Gründe

I.
1
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers begehrt im Beschwerdeverfahren die Festsetzung eines höheren Gegenstandswerts für das Verfahren und den Vergleich zur Berechnung seiner Anwaltsgebühren.
2
Mit seiner Klage hat sich der Kläger gegen eine Kündigung gewandt und mit Klageerweiterung vom 14.06.2023 die Verpflichtung der Beklagten, noch anteiliges Urlaubsgeld von 1.382,63 € und anteiliges Weihnachtsgeld von 2.765,25 € abzurechnen und die hieraus jeweils resultierenden Nettobeträge an den Kläger auszuzahlen (Ziff. 3), Zeugnisberichtigung (Ziff. 4), Zeugniserteilung in englischer Sprache (Ziff. 5), Erteilung einer Arbeitsbescheinigung (Ziff. 6) sowie die Feststellung, dass das vertraglich vereinbarte Wettbewerbsverbot für den Kläger nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses unverbindlich sei (Ziff. 7), begehrt.
3
Durch Beschluss vom 27.06.2023 hat das Arbeitsgericht München einen Vergleich gem. § 278 Abs. 6 ZPO festgestellt, für dessen Inhalt auf Bl. 71 ff. d. A. verwiesen wird.
4
Auf Antrag des Klägervertreters, den Gegenstandswert für das Verfahren und für den Vergleich auf je 76.719,83 € festzusetzen, hat das Arbeitsgericht München durch Beschluss vom 03.07.2023 – 29 Ca 2321/23 – den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren auf 26.878,50 € und für den Vergleich auf 40.235,88 € festgesetzt. Gegen den ihm am 04.07.2023 zugestellten Beschluss hat der Klägervertreter am selben Tage im eigenen Namen Beschwerde eingelegt.
5
Durch Beschluss vom 21.08.2023 hat das Arbeitsgericht München der Beschwerde des Klägervertreters teilweise abgeholfen, als es den Gegenstandswert für das Verfahren und für den Vergleich auf je 56.661,55 € festgesetzt hat, und die Beschwerde im Übrigen dem Landesarbeitsgericht München zur Entscheidung vorgelegt. Für den Kündigungsschutzantrag seien drei Bruttomonatsvergütungen mit insgesamt 26.878,50 €, für den Antrag zu 3 die jeweiligen Nennbeträge, für die Zeugnisberichtigung eine Bruttomonatsvergütung von 8.959,50 €, für die Zeugniserstellung in englischer Sprache 1/3 einer Bruttomonatsvergütung, 250,00 € für die Arbeitsbescheinigung und 13.439,25 € für die beanspruchte Feststellung der Unverbindlichkeit des vertraglich vereinbarten Wettbewerbsverbots zu berücksichtigen.
6
Durch Beschluss vom 13.09.2023 wurden dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Eine Stellungnahme des Klägers ist nicht erfolgt. Der Klägervertreter hat auf seine bisherige Begründung Bezug genommen. Danach ist auch für die englischsprachige Übersetzung eine ganze Bruttomonatsvergütung, für die Arbeitsbescheinigung 10% der Bruttomonatsvergütung und für die Feststellung der Unverbindlichkeit des vertraglich vereinbarten Wettbewerbsverbots sechs Monatsgehälter zu je 4.479,75 € anzusetzen.
7
Im Übrigen wird für das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers auf den Inhalt der Beschwerdeakte Bezug genommen.
II.
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Die Beschwerde ist zulässig und teilweise begründet.
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1. Die Beschwerde ist gem. § 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft. Die Gegenstandswertfestsetzung im Urteilsverfahren richtet sich im Fall des Vergleichsabschlusses nach § 33 RVG. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 33 Abs. 1 RVG, dem Willen des Gesetzgebers und dem Sinn und Zweck des in § 33 RVG geregelten Verfahrens der „Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren“ (vgl. LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 39 ff.).
10
2. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden, § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG. Der Beschwerdewert ist erreicht, § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG.
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3. Die Beschwerde ist teilweise begründet. Der Gegenstandswert für das Verfahren und für den Vergleich waren auf je 66.433,02 € festzusetzen.
12
a) Die seit dem 01.06.2023 für Gegenstands- und Streitwertbeschwerden zuständige Kammer gibt die von ihr bisher vertretene Auffassung ausdrücklich auf, dass die Entscheidung des Erstgerichts vom Beschwerdegericht nur auf Ermessensfehler zu überprüfen ist und das Beschwerdegericht keine eigene hiervon unabhängige Ermessensentscheidung zu treffen hat (vgl. LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 50 f.).
13
b) Die Beschwerdekammer folgt im Interesse der bundesweiten Vereinheitlichung der Rechtsprechung zur Wertfestsetzung und damit verbunden im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit bei bestimmten typischen Fallkonstellationen den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission, die im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichte niedergelegt sind, derzeit in der Fassung vom 09.02.2018 (im Folgenden: Streitwertkatalog 2018, abgedruckt in NZA 2018, 497 ff.; ebenso LAG Nürnberg, Beschluss vom 30.07.2014 – 4 Ta 83/14 – Rn. 18 und Beschluss vom 29.07.2021 – 2 Ta 72/21 – Rn. 9; LAG Hessen, Beschluss vom 04.12.2015 – 1 Ta 280/15 – Rn. 7 m.w.Nachw.; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 09.02.2016 – 5 Ta 264/15 – Rn. 4; LAG C-Stadt, Beschluss vom 20.5.2016 – 5 Ta 7/16 – Rn. 10; LAG Sachsen, Beschluss vom 28.10.2013 – 4 Ta 172/13 (2) unter II. 1 der Gründe¸ LAG Hamm Beschluss vom 26.10.2022 – 8 Ta 198/22 – Rn. 11; LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 52 f.). Dabei wird nicht verkannt, dass der Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichte nicht bindend ist.
14
c) Danach waren der Gegenstandswert für das Verfahren und für den Vergleich auf je 66.433,02 € festzusetzen.
15
aa) Der Wert des Antrags zu Ziff. 3 war nur mit der Hälfte der Nennbeträge, d. h. mit 2.073,94 € zu berücksichtigen. Der Kläger hat mit dem Antrag auf Verpflichtung der Beklagten, noch anteiliges Urlaubsgeld von 1.382,63 € und anteiliges Weihnachtsgeld von 2.765,25 € abzurechnen und die hieraus jeweils resultierenden Nettobeträge an den Kläger auszuzahlen, einen unbezifferten Leistungsantrag gestellt, der deutlich geringer zu bewerten ist, als bei gehöriger Antragstellung auf Zahlung geschuldeter Bruttobeträge von 1.382,63 € und 2.765,25 € (vgl. hierzu GK-ArbGG/Schleusener, Nov. 2020, § 12 Rn. 306). Die Reduzierung auf die Hälfte wird als angemessen angesehen.
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bb) Der Antrag auf Zeugniserstellung in englischer Sprache ist vom Arbeitsgericht zu Recht mit 1/3 einer Bruttomonatsvergütung bewertet worden. Seiner Erwägung, im Kern ginge es lediglich um die Übersetzung des bereits erteilten Zeugnisses, schließt sich die Beschwerdekammer an. Entgegenstehende Gründe hat der Klägervertreter auch nicht vorgebracht.
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cc) Es kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob die Erteilung der Arbeitsbescheinigung mit 10% einer Bruttomonatsvergütung zu bewerten ist, wie die Ziff. I. 7.1. Streitwertkatalog Arbeitsgerichtsbarkeit 2018 empfiehlt, oder pauschal mit 250,00 € anzusetzen ist. Hieraus ergibt sich kein Gebührensprung.
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dd) Der Gegenstandswert für die Feststellung der Unverbindlichkeit des vertraglich vereinbarten Wettbewerbsverbots ist in Höhe von 24.638,63 € festzusetzen.
19
(1) Bei diesem Feststellungsantrag handelt es sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit, die nach § 48 Abs. 1 GKG i. V.m. § 3 ZPO nach dem wirtschaftlichen Interesse des Klägers zu bemessen ist. Welche wirtschaftliche Bedeutung ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot für den betroffenen Arbeitnehmer hat, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. LAG Köln. Beschluss vom 12.11.2007 – 7 Ta 295/07 – Rn. 6 f.; LAG SchleswigHolstein, Beschluss vom 31.05.2012 – 6 Ta 86/12 – Rn. 10), die sich danach bestimmen, ob Angebote anderer Arbeitgeber vorliegen, der Arbeitnehmer die Absicht hat, sich im Geschäftsbereich seines alten Arbeitgebers selbständig zu machen oder er eine Vertragsstrafe, die für den Fall von Wettbewerbsverstößen vereinbart ist, nicht verwirken will (vgl. zu einem solchen Fall LAG München 17.09.2010 – 10 Ta 529/09 –). Gibt es derartige konkrete Anhaltspunkte für die Gegenstandswertberechnung, so sind sie maßgebend. Andernfalls verbleibt als Anhaltspunkt für die wirtschaftliche Bewertung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots die in §§ 74 ff. HGB enthaltene Regelung, da sie nach der Intention des Gesetzgebers dem Ziel dient, die für den Arbeitnehmer durch das Wettbewerbsverbot entstehenden wirtschaftlichen Nachteile angemessen auszugleichen. Streiten die Parteien über die Gültigkeit eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots, ist der Gegenstands- bzw. Streitwert deshalb in Höhe der vom Arbeitgeber zu zahlenden Entschädigung bezogen auf den maximal zulässigen Zeitraum von zwei Jahren festzusetzen (vgl. LAG Köln, Beschluss vom 08.09.2021 – 2 Ta 119/21 – Rn. 7; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.02.2020 – 26 Ta (Kost) 6112/19 – Rn. 5 ff.; GK-ArbGG/Schleusener, Nov. 2020, § 12 Rn. 329; Fleddermann in Tschöpe, ARHdb, 13. Aufl. 2023, 13. Nachvertragliches Wettbewerbsverbot). Ist in der vertraglichen Vereinbarung über das nachvertragliche Wettbewerbsverbot eine Karenzentschädigung nicht vorgesehen, ist der Gegenstands- bzw. Streitwert nach der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestentschädigung in Höhe der Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Leistungen des Arbeitnehmers zu bemessen (vgl. LAG Köln. Beschluss vom 12.11.2007 – 7 Ta 295/07 – Rn. 8.; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 31.05.2012 – 6 Ta 86/12 – Rn. 11). Bei einem unter zwei Jahren liegenden Anspruchszeitraum ist der Streitwert entsprechend zu kürzen (GK-ArbGG/Schleusener, Nov. 2020, § 12 Rn. 329).
20
Bei einer negativen (leugnenden) Feststellungsklage ist, anders als bei der positiven Feststellungsklage grundsätzlich kein Abschlag vorzunehmen (vgl. LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 31.05.2012 – 6 Ta 86/12 – Rn. 11 unter Bezugnahme auf BGH, Beschluss vom 20.04.2005 – XII ZR 248/04 – Rn. 4), es sei denn, die Durchsetzung der Karenzentschädigung, an die für die Wertbestimmung angeknüpft wird, wäre wirtschaftlich unsicher (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.02.2020 – 26 Ta (Kost) 6112/19 – Rn. 12 m.w.Nachw.).
21
(2) Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze ist der Gegenstandswert wie erfolgt zu bemessen.
22
Nach Ziff. VI. des Arbeitsvertrags betrug die Laufzeit des Wettbewerbsverbots lediglich sechs Monate, von denen zum Zeitpunkt der Erhebung der Klageerweiterung vom 14.06.2023, auf den für die Bewertung von Anträgen abzustellen ist, bereits 0,5 Monate abgelaufen waren.
23
Die Höhe der Karenzentschädigung, die im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich festgelegt war, ergab sich mittelbar durch die Verweisung auf §§ 74 ff. HGB, die ergänzend gelten sollten. Gem. § 74 Abs. 2 HGB beträgt die gesetzlich vorgeschriebene Mindestentschädigung die Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Leistungen des Arbeitnehmers, d. h. im Fall des Klägers 4.479,75 € monatlich. Umstände, die die Aussichten für die Durchsetzung der Karenzentschädigung wirtschaftlich in Frage stellen könnten, liegen nicht vor, so dass der Gegenstandswert mit 5,5 Monaten à 4.479,75 € bzw. mit insgesamt 24.638,63 € zu bemessen war.
24
ee) Unter Berücksichtigung der einzelnen Werte (26.878,50 € + 2.073,94 € + 8.959,50 € + 2.986,50 € + 895,95 € + 24.638,63 €) ergeben sich der für das Verfahren und für den Vergleich angegebene Gesamtwert von 66.433,02 €.
III.
25
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil Kosten nicht erstattet werden, § 33 Abs. 9 RVG. Aufgrund des teilweisen Erfolgs der Beschwerde wird die angefallene Gebühr nach Nr. 8614 der Anlage 1 zum GKG auf die Hälfte ermäßigt.
IV.
26
Diese Entscheidung, die gem. § 78 S. 3 ArbGG durch die Vorsitzende der Beschwerdekammer allein ergeht, ist unanfechtbar, § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG (vgl. zur Vorgängerbestimmung des § 10 Abs. 2 Satz 2 BRAGO BAG, Beschluss vom 17.03.2003 – 2 AZB 21/02 – NZA 2003, 682).