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VG München, Urteil v. 14.06.2023 – M 5 K 20.31620
Titel:

Schutz vor weiblicher Genitalverstümmelung in Uganda

Normenketten:
AsylG § 3, § 78
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Die weibliche Genitalverstümmelung ist in Uganda seit 2010 verboten und wird mit hohen Gefängnisstrafen geahndet. Auch ist der ugandische Staat grundsätzlich schutzbereit und -fähig. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylklage, Uganda, Nichtstaatliche Bedrohung, Polizei schutzbereit und –fähig, Drohende weibliche Beschneidung, Inländische Fluchtalternative, Drohende Opferung, nichtstaatliche Bedrohung, drohende weibliche Beschneidung, inländische Fluchtalternative, drohende Opferung, weibliche Genitalverstümmelung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29446

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die 1986 geborene Klägerin ist ugandische Staatsangehörige. Sie reiste am … November 2019 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am … Dezember 2019 einen Asylantrag.
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Bei ihrer Anhörung trug die Klägerin vor, dass sie im Januar 2018 bei einem Familientreffen aufgefordert worden sei, sich beschneiden zu lassen. Das habe die Klägerin abgelehnt. Die Schwester der Klägerin sei im Jahr 2014 an den Folgen der Beschneidung gestorben. Der Ehemann der Klägerin sei ebenfalls dagegen gewesen. Im April 2019 sei die Klägerin entführt worden. Sie glaube, dass sie im Dorf ihres Vaters gewesen sei. Es hätten traditionelle Feierlichkeiten stattgefunden. Ihr Vater habe ihr mitgeteilt, dass sie im Dezember 2019 beschnitten und danach geopfert werden sollte, da die Familiengötter Blut benötigten. Ihre Stiefmutter habe aber Mitleid mit der Klägerin gehabt und sie zu einem Freund gebracht. Dort habe sie sich einige Monate versteckt und ihre Ausreise vorbereitet. Da der Vater der Klägerin als Geschäftsmann arbeite, sei sie in ganz Uganda nicht sicher. Da man sie in K. … nicht gesehen habe, habe sogar eine Demonstration für die Klägerin stattgefunden.
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Mit Bescheid vom … April 2020 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte die Klagepartei auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde die Abschiebung nach Uganda oder in einen anderen Staat, in den eingereist werden darf oder der zur Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). In den vorgelegten Behördenakten befindet sich kein Zustellnachweis.
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Am 2. Juni 2020 hat die Klagepartei Klage erhoben und zuletzt beantragt,
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1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom … April 2020, zugestellte am … Mai 2020, wird aufgehoben.
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2. Hilfsweise:
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Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
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3. Weiter hilfsweise:
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Die Beklagte wird verpflichtet, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
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4. Weiter hilfsweise:
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Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) bestehen.
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Nach einem Attest einer Fachärztin für innere Medizin und Infektiologie vom … März 2020 leidet die Klägerin an einer latenten Tuberkolose, die eine prophylaktische medikamentöse Behandlung über 100 Tage erfordere.
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Die Beklagte hat die Akte vorgelegt und keinen Antrag gestellt.
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Am 14. Juni 2023 fand mündliche Verhandlung statt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren, die vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift vom 14. Juni 2023 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin hat kein Verfolgungs- oder Lebensschicksal geschildert, das die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 des Asylgesetzes/AsylG) rechtfertigen würde.
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a) Der von der Klägerin geschilderte Vortrag, sie solle beschnitten werden und später entführt worden, um „den Göttern geopfert zu werden“, ihre Stiefmutter habe ihr aber zur Flucht verholfen, ist unglaubhaft. Denn es ist völlig unplausibel, dass sich ihr leiblicher Vater über Jahre hinweg kaum um die Mutter der Klägerin, die Klägerin und deren Schwester kümmert, dann aber plötzlich auftaucht und von der Klägerin als erwachsene und verheiratete Frau mit einem Kind verlangt, sich beschneiden zu lassen. Später sei sie entführt worden, um vom Clan ihres Vaters den Göttern geopfert zu werden. Ihre Stiefmutter habe aber Mitleid mit ihr gehabt, ihr zur Flucht und sogar zur Ausreise aus Uganda verholfen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin als erwachsene und verheiratete Frau mit einem Kind der Beschneidung unterzogen werden sollte. Nach Berichten von T. des F. liegt die Beschneidungsrate in Uganda bei unter 10 Prozent. Ein Prozent der Mädchen (0-14 Jahre) sei genitalverstümmelt. In Uganda und Kamerun sei die Praktik unter allen afrikanischen Ländern am wenigsten verbreitet. Nur wenige Ethnien in Uganda würden Beschneidung praktizieren. Zu diesen gehörten die S. … in den Distrikten K. …, K. … und B. … wie auch die P. … in T. … und B. …, in A. …, N. … und M. … sowie der K. … Region (T. des F., zu weiblicher Genitalverstümmelung in Uganda, Stand 9/2016). Im Übrigen ist Beschneidung in Uganda seit 2010 verboten und wird mit hohen Gefängnisstrafen geahndet (T. des F., weibliche Genitalverstümmelung in Uganda, Stand 9/2016).
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Schließlich wirkt auch die plötzliche Befreiung durch die Frau ihres Vaters völlig unglaubhaft. Denn es ist unlogisch und nicht nachvollziehbar, dass sich die Frau ihres Vaters plötzlich durch die Befreiung der Klägerin gegen diesen wendet, auch mit Blick auf den Familienclan und die damit für sie möglicherweise verbundenen Konsequenzen. Es erscheint auch aufgesetzt, dass es der Frau ihres Vaters ohne weiteres gelungen sein soll, die Klägerin aus dem Dorf, in dem sie festgehalten worden sei, wegzubringen und zu verstecken, der Klägerin sogar bei der Ausreise behilflich gewesen sein will. Auf diese Ungereimtheiten mehrmals hingewiesen hat die Klägerin nur stereotyp angegeben, dass es sich so zugetragen habe und sie ansonsten keine Gründe gehabt hätte, ihr bisheriges Leben und ihre Familie aufzugeben. Das wirkt oberflächlich und platt und unterstreicht die Unglaubhaftigkeit des Vortrags.
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b) Ungeachtet der Unglaubhaftigkeit ihres Vortrags handelt es sich bei den von der Klägerin vorgetragenen Umständen um eine private – kriminelle – Verfolgung. Die weibliche Genitalverstümmelung ist in Uganda seit 2010 verboten und wird mit hohen Gefängnisstrafen geahndet (T. des F., weibliche Genitalverstümmelung in Uganda, Stand 9/2016). Das gilt erst recht für ihre angebliche Opferung. Die Klägerin kann sich daher ohne weiteres an die Polizei wenden und um Schutz nachsuchen. Der ugandische Staat ist grundsätzlich schutzbereit und -fähig (Länderinformationsblatt Uganda des Österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29. Juli 2017, S, 7 ff. – trotz Korruption). Der ugandische Staat duldet die von der Klägerin geschilderten Übergriffe des Clans ihres Vaters nicht und geht auch dagegen vor. Nach dem Länderinformationsblatt Uganda des Österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29. Juli 2017 (S. 6 f.) kann die politische Lage in Uganda als relativ stabil bezeichnet werden.
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c) Unabhängig davon besteht für die Klägerin eine inländische Fluchtalternative in Uganda. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin jedenfalls in einer größeren Stadt wie K. … (wo sie gewohnt habe) oder auch in anderen Landesteilen Ugandas eine genügende Ausweichmöglichkeit vorfinden wird. Es ist bereits weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, wie die Familie des Klägers von einer Rückkehr der Klägerin erfahren sollte bzw. wie sie dazu in der Lage sein sollte, die Klägerin in Uganda zu finden. Zumal Uganda eine Größe von gut 240 km² und eine Bevölkerungszahl von etwa 45 Millionen Menschen aufweist. Ein landesweites Verfolgungsinteresse ist nicht dargelegt und auch nicht anderweitig erkennbar. Hinzu kommt, dass die vorgetragenen – angeblichen – Maßnahmen des Clans ihres Vaters sich in den Jahren 2018 und 2019 zugetragen haben, mittlerweile fünf bzw. vier Jahre zurückliegen. Auch aus diesem Grund ist es nicht nachvollziehbar, dass der Clan ihres Vaters ohne weiteres eine Rückkehr der Klägerin bemerken würde. Aufgrund der guten beruflichen Ausbildung der Klägerin (Zertifikat für business administration) ist zu erwarten, dass sich die Klägerin ohne größere Schwierigkeiten an einem anderen Ort in Uganda eine wirtschaftliche Existenz aufbauen könnte.
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d) Auch soweit die Klägerin ein politisches Engagement in die Richtung angibt, dass sie sich nachdrücklich gegen die weibliche Genitalverstümmelung eingesetzt und eine entsprechende Petition an das Parlament gerichtet habe, folgt daraus nichts Anderes. Wie bereits oben dargelegt, ist die weibliche Genitalverstümmelung in Uganda verboten und wird nur in wenigen Gegenden praktiziert. Zwischen 2006 und 2011 ist die Menge der Befürworter von weiblicher Genitalverstümmelung in der Gesamtbevölkerung Ugandas von 0,6% auf 1,4% gestiegen. 2012 verkündeten 51 Gemeinschaften im Nordosten Ugandas, FGM fortan nicht mehr praktizieren zu wollen. Das zeigt, dass die überwältigende Mehrheit in Uganda die FGM nicht befürwortet. Die Unterstützung von Kampagnen gegen FGM steht zum einen im Einklang mit der Rechtslage und ist zum anderen von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung getragen. Irgendwelche Repressalien oder Verfolgungsmaßnahmen sind daher von einem solchen Engagement nicht zu erwarten.
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e) Das Bundesamt hat vor diesem Hintergrund im Übrigen auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) abgelehnt.
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f) Die Voraussetzungen für das Vorliegen von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes/AufenthG liegen nicht vor.
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Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erkrankungsbedingtes Abschiebungshindernis nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Gefahr muss zudem konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – BVerwGE 142, 179, juris Rn. 34 m.w.N.; U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – juris). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes liegt nicht schon dann vor, wenn von einer Heilung der Erkrankung im Zielland der Abschiebung wegen der dortigen Verhältnisse nicht auszugehen ist, die Erkrankung sich aber auch nicht gravierend zu verschlimmern droht. Das Abschiebungsverbot dient nämlich nicht dazu, dem ausreisepflichtigen erkrankten Ausländer die Heilung seiner Erkrankung im Rahmen des sozialen Systems der Bundesrepublik Deutschland zu eröffnen; vielmehr stellt es alleine den Schutz vor einer gravierenden Beeinträchtigung von Leib und Leben im Zielland einer Abschiebung oder Rückkehr sicher. Der Ausländer muss sich grundsätzlich auf den Behandlungsstandard, der in seinem Herkunftsland für die von ihm geltend gemachten Erkrankungen allgemein besteht, verweisen lassen, wenn damit keine grundlegende Gefährdung verbunden ist (OVG NRW, B.v. 15.9.2003 – 13 A 3253/03.A – juris). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat gleichwertig ist mit derjenigen in der Bundesrepublik Deutschland (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
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Aus dem Attest einer Fachärztin für innere Medizin und Infektiologie vom … März 2020 folgt keine entsprechende behandlungsbedürftige Erkrankung der Klägerin. Dort ist angegeben, dass die Klägerin an einer latenten Tuberkolose leide, die eine prophylaktische medikamentöse Behandlung über 100 Tage erfordere. Eine aktuell erforderliche medizinische Behandlung einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung folgt daraus nicht. Etwas Anderes ist weder ansatzweise vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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g) Auch gegen die Rechtmäßigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG bestehen keine Bedenken.
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Zur weiteren Begründung wird auf den Bescheid des Bundesamtes vom 30. April 2020 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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2. Die Klägerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Nach § 83 b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.