Inhalt

VG München, Beschluss v. 02.10.2023 – M 5 S 23.2546
Titel:

Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf – Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
BeamtStG § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
FachV-Pol/VS § 26 Abs. 3 S. 1
Leitsätze:
1. Das dem Dienstherrn bei einem Beamtenverhältnis auf Widerruf allgemein eingeräumte weite Entlassungsermessen ist durch § 23 Abs. 4 S. 2 BeamtStG dahingehend eingeschränkt, dass Beamten auf Widerruf im Vorbereitungsdienst Gelegenheit gegeben werden soll, den Vorbereitungsdienst abzuleisten und die Prüfung abzulegen. Die Vorschrift schränkt die Möglichkeit der Entlassung auch dort ein, wo ein Vorbereitungsdienst für eine Beamtenlaufbahn abgeleistet wird, dessen Abschluss nicht den Zugang zu einer Beschäftigung außerhalb des Beamtenverhältnisses ermöglicht. Die Sollvorschrift erlaubt jedoch Ausnahmen im Einzelfall. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Dienstherr verfügt insoweit über einen Beurteilungsspielraum, als die Einschätzung auch der fachlichen Eignung ein personenbezogenes Werturteil voraussetzt. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle ist darauf beschränkt, ob der Dienstherr seine Annahme, es lägen Eignungszweifel vor, auf einen zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt gestützt, er den Rechtsbegriff der Eignung nicht verkannt, bei der von ihm zu treffenden Prognoseentscheidung allgemeingültige Wertmaßstäbe beachtet und auch sonst keine sachwidrigen Erwägungen angestellt hat. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Entscheidung, ob der Beamten auf Widerruf das Ausbildungsziel künftig erreichen wird, stellt eine Prognoseentscheidung dar, für die dieselben Grundsätze wie für die Überprüfung des Bewährungsurteils im Rahmen einer Entlassungsentscheidung heranzuziehen sind. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt, Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf, Ausbildungswiederholung, Prognoseentscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29444

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom … Mai 2023 gegen Nr. 1 des Entlassungsbescheids des Präsidiums der Bayerischen Bereitschaftspolizei vom … Mai 2023 wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 4.633,65 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf.
2
Der 1995 geborene Antragsteller wurde mit Wirkung zum ... März 2022 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf als Polizeimeisteranwärter ernannt. Der Antragsteller durchlief den ersten Ausbildungsabschnitt des auf zweieinhalb Jahre ausgelegten Vorbereitungsdienstes für Polizeivollzugsbeamte in der zweiten Qualifikationsebene bei der Bayerischen Bereitschaftspolizei. Zum … Mai 2022 wechselte der Antragsteller das Ausbildungsseminar.
3
Mit Schreiben vom … Mai 2022 leitete das Präsidium der Bayerischen Bereitschaftspolizei ein Verfahren zur Entlassung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis ein und setzte dieses wegen eines gegen den Antragsteller laufenden Strafverfahrens aus. Als Grund für die Einleitung des Entlassungsverfahrens wird angegeben, dass erhebliche Zweifel an der charakterlichen Eignung des Beamten für den Polizeivollzugsdienst sowie der Verdacht der Begehung eines schwerwiegenden Dienstvergehens bestünden. Es werden Sachverhalte im Zeitraum von März bis Mai 2022 beschrieben, auf deren Grundlage ein Ermittlungsverfahren wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung eingeleitet wurde.
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Nachdem der Antragsteller darüber informiert worden war, dass er das Ausbildungsziel des 1. Ausbildungsabschnitts nicht erreicht hat, stellte er am ... August 2022 einen Antrag auf Wiederholung dieses Ausbildungsabschnitts.
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In einer ersten Stellungnahme, vorgelegt an die Abteilung Personal des Bayerischen Bereitschaftspolizeipräsidiums mit E-Mail vom ... August 2022, befürwortete der Ausbildungsseminarleiter eine Wiederholung des Ausbildungsabschnitts nicht. Unter der Überschrift „Subsumtion/Prognoseentscheid“ heißt es, es sei nicht auszuschließen, dass der Antragsteller bei entsprechendem Lernaufwand seine Noten verbessern und somit den ersten sowie alle weiteren Ausbildungsabschnitte bestehen könne. Aufgrund der gegen ihn erhobenen straf- und disziplinarrechtlichen Vorwürfe bestünden jedoch starke Zweifel an seiner charakterlichen Eignung. Diese Stellungnahme wurde dem Präsidium der Bayerischen Bereitschaftspolizei nicht zur Kenntnis gebracht.
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Die Abteilung Personal des Präsidiums der Bayerischen Bereitschaftspolizei wies das Ausbildungsseminar darauf hin, dass die straf- und disziplinarrechtlichen Vorwürfe nicht berücksichtigt werden dürften und forderte es auf, ausschließlich hinsichtlich der fachlichen Eignung eine Entscheidung zu treffen.
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In einem weiteren (nicht genau datierten Schreiben) des Ausbildungsseminars (Bl. 14 ff. des Behördenakts) der Bereitschaftspolizeiabteilung befürwortete der Seminarleiter die Wiederholung des Ausbildungsabschnitts (erneut) nicht. Die Stellungnahme wurde dahingehend abgeändert, dass die straf- und disziplinarrechtlichen Vorwürfe gestrichen wurden und stattdessen auf die fehlende fachliche Eignung abgestellt wird. Zudem heißt es unter der Überschrift „Subsumtion/Prognoseentscheid“, dass nicht anzunehmen sei, dass der Beamte seine Noten verbessern und die Ausbildung in theoretischer und praktischer Hinsicht bestehen werde. Er habe in der Vergangenheit Hilfsangebote nicht angenommen und zeige keinerlei ändernde Bemühungen oder Anstrengungen zur Leistungsverbesserung.
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Diese zweite Stellungnahme wurde mit E-Mail vom … August 2022 an das Präsidium der Bayerischen Bereitschaftspolizei weitergeleitet.
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Das Präsidium der Bayerischen Bereitschaftspolizei lehnte sodann den Antrag auf Ausbildungswiederholung des Antragstellers ab und teilte dies mit E-Mail vom … August 2022 dem Ausbildungsseminar mit.
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Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entlassung gab der Antragsteller an, er habe den ersten Ausbildungsabschnitt nur knapp nicht bestanden. Im Regelfall würde in einem solchen Fall eine Wiederholungsmöglichkeit gewährt. Von dieser Praxis sei das Präsidium der Bereitschaftspolizei ohne sachlichen Grund abgewichen. Vor diesem Hintergrund liege es nahe, dass der ausschlaggebende Grund für die Ablehnung der Ausbildungswiederholung das gegen den Antragsteller laufende Strafverfahren gewesen sei.
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Nach Information des Bezirkspersonalrats von der beabsichtigten Entlassung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf mit Schreiben vom … April 2023 stimmte dieser am ... Mai 2023 der Entlassung des Antragstellers zu.
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Mit Bescheid vom … Mai 2023, zugestellt am … Mai 2023, verfügte das Präsidium der Bayerischen Bereitschaftspolizei die Entlassung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf mit Ablauf des … Juni 2023 wegen fachlicher Nichteignung (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete die sofortige Vollziehung der Nr. 1 des Bescheids an (Nr. 2 des Bescheids). Die Entlassung des Antragstellers sei gemäß § 23 Abs. 4 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz/BeamtStG) geboten, da nach einer Gesamtschau erhebliche Zweifel an der persönlichen, insbesondere fachlichen Eignung für den Polizeidienst bestünden. Das Ausbildungsseminar habe eine Ausbildungswiederholung nicht befürwortet, da eine Steigerung der fachlichen Leistungen des Beamten nicht zu erwarten sei. Dementsprechend sei der Antrag auf Ausbildungswiederholung abgelehnt worden. Daneben beruhe die negative Erfolgsprognose auf den deutlich unterdurchschnittlichen schriftlichen und mündlichen Leistungen, die im Gesamtergebnis nur bei 5,60 Punkten lägen und auf dem fehlenden Willen des Beamten zur Verbesserung.
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Mit Schreiben vom … Mai 2023 legte der Antragstellerbevollmächtigte Widerspruch gegen den Entlassungsbescheid ein, über den soweit ersichtlich noch nicht entschieden ist.
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Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2023 hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers beantragt,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Entlassungsverfügung vom … Mai 2023 wiederherzustellen.
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Das Ausbildungsseminar habe die Prognoseentscheidung auf sachfremde Erwägungen gestützt. Denn in einer ersten Stellungnahme sei das Ausbildungsseminar noch davon ausgegangen, dass der Antragsteller den Ausbildungsabschnitt erfolgreich bewältigen könne. In einer zweiten Stellungnahme seien nicht nur die Ausführungen zur charakterlichen Nichteignung entfernt worden, sondern es sei zudem, ohne dass hierfür Gründe ersichtlich sind, der Prognoseentscheid in Richtung einer negativen Prognose verändert worden. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Ausbildungsseminar auch das laufende Strafverfahren in die Prognoseentscheidung einbezogen habe. Die Personalstelle des Bereitschaftspolizeipräsidiums habe es versäumt, das Präsidium von der Erstfassung der Stellungnahme des Ausbildungsseminars zu informieren. Nur bei einer Information über die Erstfassung der Stellungnahme könne die zweite Stellungnahme ordnungsgemäß bewertet werden. Das Präsidium hätte erkennen können, dass das Ausbildungsseminar die Prognoseentscheidung auf sachfremde Erwägungen gestützt habe. Der Entlassungsbescheid sei rechtswidrig, da der Antragsgegner eine unvollständige Behördenakte vorgelegt und gegen die Pflicht verstoßen habe, in einem Entlassungsverfahren den Sachverhalt umfassend und sorgfältig zu ermitteln.
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Das Präsidium der Bayerischen Bereitschaftspolizei hat für den Antragsgegner mit Schriftsatz vom 31. Mai 2023 beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Entlassungsverfügung vom … Mai 2023 sei rechtmäßig. Dass das laufende Strafverfahren nicht in die Prognoseentscheidung eingeflossen sei, zeige bereits die Tatsache, dass in der Entlassungsverfügung auf die fehlende fachliche Eignung abgestellt werde. Das Ausbildungsseminar habe eine negative Prognose über den weiteren Ausbildungsverlauf abgegeben. Beide Stellungnahmen, insbesondere auch die frühere Stellungnahme des Ausbildungsseminars, enthielten keine positive fachliche Leistungsprognose. Das Präsidium habe keinen Anlass gesehen, die negative Prognose des Ausbildungsseminars abzuändern.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verweisen.
II.
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Der zulässige Antrag ist begründet.
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1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für das Begehren des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung des eingelegten Widerspruchs wiederherzustellen.
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Zwar hat der Bescheid vom … Mai 2023 unabhängig von dem Umstand seiner Anfechtung mit der Klage mit Ablauf des … Juni 2023 seine Gestaltungswirkung (innere Wirksamkeit) entfaltet. Die Rechtsschutzmöglichkeiten des Antragstellers bleiben hiervon jedoch unberührt. Im Falle einer Aufhebung der Entlassungsverfügung würde diese Gestaltungswirkung rückwirkend entfallen, so dass das Beamtenverhältnis als durchgehend nicht berührt zu behandeln wäre (vgl. Baßlsperger in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Juni 2022, Art. 56 BayBG, Rn. 60 mit Rechtsprechungsnachweisen).
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2. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO weist keine formellen Fehler auf. Sie enthält eine schriftliche Begründung, die nicht nur formelhaft ist und den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entspricht. Die Begründung lässt in ausreichendem Maße erkennen, dass das Präsidium eine Einzelfallprüfung vorgenommen und die unterschiedlichen, einander widerstreitenden Interessen der Beteiligten gegeneinander abgewogen hat. Insbesondere hat das Präsidium nicht nur einseitig auf die Interessenlage der öffentlichen Hand abgestellt, sondern auch die Interessen des Antragstellers berücksichtigt.
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3. Hinsichtlich der in Nr. 2 des Bescheids vom … Mai 2023 angeordneten sofortigen Vollziehung war jedoch die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bezüglich der Nr. 1 des Bescheids wiederherzustellen.
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a) Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO hat der Widerspruch grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch, wenn die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet hat. Gegen die behördlich angeordnete sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts kann der Betroffene gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO beim Gericht der Hauptsache die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragen.
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Das Gericht trifft eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat dabei abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessensabwägung (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 80 Rn. 92 ff.; vgl. BayVGH, B.v. 4.10.1982 – 19 AS 82 A.2049 – BayVBl 1983, 23).
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b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze war antragsgemäß zu entscheiden, weil sich die in Nr. 1 des Bescheids vom … Mai 2023 enthaltene Entlassung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtswidrig darstellt und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt, so dass der hiergegen eingelegte Widerspruch voraussichtlich Erfolg haben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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aa) Der Antragsgegner stützt die Entlassung des Antragstellers auf § 23 Abs. 4 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG). Nach dieser Vorschrift können Beamtinnen und Beamte auf Widerruf jederzeit entlassen werden. Die Gelegenheit zur Beendigung des Vorbereitungsdienstes und zur Ablegung der Prüfung soll gegeben werden.
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Der gesetzliche Begriff „jederzeit“ besitzt nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine sachliche Komponente. Zur Rechtfertigung der Entlassung genügt jeder sachliche, das heißt nicht willkürliche Grund (BayVGH, B.v. 12.12.2011 – 3 CS 11.2397 – juris Rn. 34). Insbesondere bedarf es im Entlassungsverfahren eines Beamten auf Widerruf keiner besonderen oder weitergehenden Sachverhaltsaufklärung nach disziplinarrechtlichen Vorschriften (BayVGH, B.v. 2.5.2019 – 6 CS 19.481 – juris Rn. 17).
31
Das dem Dienstherrn bei einem Beamtenverhältnis auf Widerruf allgemein eingeräumte weite Entlassungsermessen ist durch § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG dahingehend eingeschränkt, dass Beamten auf Widerruf im Vorbereitungsdienst Gelegenheit gegeben werden soll, den Vorbereitungsdienst abzuleisten und die Prüfung abzulegen. Diese Vorschrift schränkt die Möglichkeit der Entlassung nicht nur dort ein, wo der Vorbereitungsdienst als allgemeine Ausbildungsstätte im Sinn von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland / Grundgesetz – GG zu qualifizieren ist (etwa OVG RhPf, B.v. 30.7.2004 – 2 B 11152/04 – NVwZ-RR 2005, 253 zur Entlassung eines Studienreferendars aus dem Vorbereitungsdienst), sondern auch dort, wo ein Vorbereitungsdienst für eine Beamtenlaufbahn abgeleistet wird, dessen Abschluss nicht den Zugang zu einer Beschäftigung außerhalb des Beamtenverhältnisses ermöglicht (z.B. OVG NW, B.v. 18.2.2019 – 6 B 1551/18 – juris Rn. 17 f. m.w.N. zur Entlassung eines Kommissaranwärters; BayVGH, B.v. 2.5.2019 – 6 CS 19.481 – juris Rn. 13). Die Sollvorschrift des § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG erlaubt allerdings Ausnahmen im Einzelfall. Voraussetzung hierfür ist, dass die Entlassungsgründe mit dem Sinn und Zweck des Vorbereitungsdienstes im Einklang stehen (zu gesundheitlichen Gründen BVerwG, B.v. 26.1.2010 – 2 B 47.09 – juris Rn. 6; Zängl in Weiß/Niedermeier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Juni 2022, BeamtStG § 23 Rn. 187 ff.).
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Die Entlassung ist mit dem Sinn und Zweck des Vorbereitungsdienstes vereinbar, wenn der Beamte aufgrund mangelnder Eignung, Befähigung oder fachlicher Leistung den Anforderungen der angestrebten Laufbahn – hier eines Polizeivollzugsbeamten der zweiten Qualifikationsebene – nicht gerecht wird. Insoweit genügen bereits berechtigte Zweifel der Entlassungsbehörde, ob der Beamte die persönliche oder fachliche Eignung (i.S.v. § 9 BeamtStG) für ein Amt in der angestrebten Laufbahn besitzt (BayVGH, B.v. 30.3.2022 – 3 CS 22.281 – juris Rn. 11; BVerwG, U.v. 9.6.1981 – 2 C 48.78 – juris Rn. 20 f.; BayVGH, B.v. 13.11.2014 – 3 CS 14.1864 – juris Rn. 22; OVG Bremen, B.v. 13.7.2018 – 2 B 174/18 – juris Rn. 9; OVG NW, B.v. 18.2.2019 – 6 B 1551/18 – juris Rn. 20).
33
Der Dienstherr verfügt insoweit über einen Beurteilungsspielraum, als die Einschätzung auch der fachlichen Eignung ein personenbezogenes Werturteil voraussetzt (BayVGH, B.v. 30.3.2022 – 3 CS 22.281 – juris Rn. 8; VG München, U.v. 24.9.2019 – M 5 K 18.3333 – juris Rn. 16; Baßlperger in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, a.a.O., BeamtStG § 23 Rn. 217 ff.). Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle ist darauf beschränkt, ob der Dienstherr seine Annahme, es lägen Eignungszweifel vor, auf einen zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt gestützt, er den Rechtsbegriff der Eignung nicht verkannt, bei der von ihm zu treffenden Prognoseentscheidung allgemeingültige Wertmaßstäbe beachtet und auch sonst keine sachwidrigen Erwägungen angestellt hat (OVG NW, B.v. 27.9.2017 – 6 B 977/17 – juris Rn. 4 f.; VG München, B.v. 25.3.2020 – M 5 S 20.1173 – juris Rn. 25 ff.; B.v. 30.9.2019 – M 5 S 19.1393 – juris Rn. 38; vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 30.8.2019 – 3 ZB 18.508 – juris Rn. 7 ff.).
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bb) Der Entlassungsbescheid ist nach summarischer Prüfung materiell rechtswidrig. Denn das Präsidium der Bereitschaftspolizei ist bei der Entscheidung, die Wiederholung des 1. Ausbildungsabschnitts nicht zu genehmigen, von einer unzureichend ermittelten Tatsachenbasis ausgegangen. Das Gericht kann hierbei allein die vom Dienstherrn im Bescheid vom … Mai 2023 als Grund für die Entlassung angegebene fachliche Nichteignung und die im Bescheid hierzu angegebenen Gründe zur Grundlage der rechtlichen Prüfung machen.
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(1) In § 26 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung über die Fachlaufbahn Polizei und Verfassungsschutz – FachV-Pol/VS ist geregelt, dass die Einstellungsbehörde die Wiederholung eines Ausbildungsabschnitts bei fehlenden geforderten Leistungsnachweisen oder keiner ordnungsgemäßen Teilnahme an den Ausbildungsveranstaltungen genehmigen kann. Der Entscheidung über die Zulassung oder Nichtzulassung der Wiederholung eines Ausbildungsabschnitts nach FachV-Pol/VS kommt keine eigenständige Regelungswirkung zu (VGH BW, B.v. 12.7.1996 – 4 S 1860/96 – IÖD 1997, 27, juris Rn. 6; ebenso: BayVGH, B.v. 2.7.2012 – 3 CE 12.1032, juris).
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Über die Frage der Ausbildungswiederholung war zu entscheiden. Denn der Antragsteller hat die in den „Allgemeinen Regelungen des Vorbereitungsdienstes für den fachlichen Schwerpunkt Polizeivollzugsdienst“ im 1. Ausbildungsabschnitt zu erbringenden Leistungsnachweise in den Bereichen Strafrecht und Beamtenrecht mit einem unzureichenden Einzelergebnis abgeschlossen und damit das Ausbildungsziel des 1. Ausbildungsabschnitts nicht erreicht (vgl. Ziffern 6.1, 6.2 des Ausbildungsplans – „Allgemeine Regelungen des Vorbereitungsdienstes für den fachlichen Schwerpunkt Polizeivollzugsdienst“ – im Folgenden Ausbildungsplan i.V.m. §§ 23 Satz 3, 26 Abs. 1 FachV-Pol/VS).
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In Nr. 9.2 Abs. 1 des Ausbildungsplans ist geregelt, dass die Wiederholung eines Ausbildungsabschnitts genehmigt wird, wenn die Eignung, Befähigung und fachliche Leistung eines auszubildenden Beamten erwarten lassen, dass er das Ziel der Ausbildung künftig erreichen wird. Das Ermessen in § 26 Abs. 3 Satz 1 FachV-Pol/VS wird mit dieser Vorgabe sachgerecht ausgefüllt. Die Fortsetzung der Ausbildung ist dann sinnvoll, wenn eine günstige Prognose dahingehend gestellt werden kann, dass mit Hilfe der Wiederholung die Ausbildung letztlich erfolgreich abgeschlossen werden wird (BayVGH, B.v. 2.7.2012 – 3 CE 12.1032 – juris Rn. 19; B.v. 24.1.2022 – 3 CS 21.2824 – juris Rn. 8).
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Zentraler Gesichtspunkt im Rahmen dieser Entscheidung ist damit die Einschätzung, ob der Beamte das Ausbildungsziel im Falle einer unterstellten Wiederholung des Ausbildungsabschnittes künftig erreichen wird. In diese von der Einstellungsbehörde anzustellende bewertende Prognose, die letztlich auch ein Bewährungsurteil darstellt, sind Art und Gewicht der unzulänglichen Leistungen, der Verlauf der bisherigen Ausbildung sowie persönlichkeitsbezogene Gründe des Versagens auch im Hinblick auf die angestrebte Laufbahn im Polizeivollzugsdienst einzustellen (VG München, B.v. 28.10.2021 – M 5 S 21.5165 – juris Rn. 38; B.v. 19.4.2012 – M 5 E 12.1221). Dabei genügen für eine solche Prognoseentscheidung begründete Zweifel; diese müssen jedoch auf tatsächlichen Erkenntnissen beruhen und dürfen sich nicht im Bereich bloßer Mutmaßungen bewegen (BayVGH, B.v. 2.7.2012 – 3 CE 12.1032 – juris Rn. 23).
39
Die Entscheidung, ob der Antragsteller das Ausbildungsziel künftig erreichen wird, stellt eine Prognoseentscheidung dar, für die dieselben Grundsätze wie für die Überprüfung des Bewährungsurteils im Rahmen einer Entlassungsentscheidung heranzuziehen sind (vgl. BayVGH, B.v. 2.7.2012 – 3 CE 12.1032 – juris Rn. 23). Mithin hat das Verwaltungsgericht zu prüfen, ob der Dienstherr die Prognoseentscheidung auf einen zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt gestützt, allgemeingültige Wertmaßstäbe beachtet, keine sachwidrigen Erwägungen angestellt und den Rechtsbegriff der Eignung nicht verkannt hat (vgl. zum Maßstab für die Überprüfung der Prognose im Rahmen der Einstellungsverfügung OVG NW, B.v. 27.9.2017 – 6 B 977/17 – juris Rn. 4, 5; VG München, B.v. 25.3.2020 – M 5 S 20.1173 – juris Rn. 25 ff.; B.v. 30.9.2019 – M 5 S 19.1393 – juris Rn. 38; vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 30.8.2019 – 3 ZB 18.508 – juris Rn. 7 ff.).
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(2) Im vorliegenden Falle erweist sich die Prognoseentscheidung des Präsidiums der Bereitschaftspolizei zur Ausbildungswiederholung nach summarischer Prüfung als rechtswidrig. Denn aus den Akten geht hervor, dass das Präsidium bei der Prognoseentscheidung über die Ausbildungswiederholung einen unvollständig ermittelten Sachverhalt zugrunde gelegt hat und dem Präsidium für die Prognoseentscheidung erhebliche Tatsachen nicht bekannt waren (vgl. BayVGH, B.v. 30.8.2019 – 3 ZB 18.508 – juris Rn. 7 ff.).
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In die Prognoseentscheidung einzubeziehen sind Art und Gewicht der unzulänglichen Leistungen, der Verlauf der bisherigen Ausbildung sowie persönlichkeitsbezogene Gründe des Versagens des Beamten (VG München, B.v. 28.10.2021 – M 5 S 21.5165 – juris Rn. 38; B.v. 19.4.2012 – M 5 E 12.1221). Das Präsidium hat die Prognoseentscheidung mit den objektiv unzureichenden fachlichen Leistungen begründet und sich maßgeblich auf die ihm vorgelegte Stellungnahme des Ausbildungsseminars gestützt. Dies geht bereits aus dem Entlassungsbescheid unter Ziff.
II. hervor. Dort heißt es: „Diese [die Ausbildungswiederholung] wurde von Seiten des […] AS [Ausbildungsseminars] nicht befürwortet, da eine Steigerung hinsichtlich Ihrer fachlichen Leistungen künftig nicht zu erwarten ist. Dementsprechend wurde der Antrag seitens des BPP [Präsidiums der Bayerischen Bereitschaftspolizei] abgelehnt.“
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Die Stellungnahme des Ausbildungsseminarleiters bescheinigt im Abschnitt persönliche/soziale Kompetenz, dass das zwischenmenschliche Verhalten des Antragstellers nicht zu beanstanden sei, seine schriftlichen und praktisch-mündlichen Leistungen ebenso wie dessen Leistungsbereitschaft unterdurchschnittlich seien. In der Subsumtion bzw. dem Prognoseentscheid wird festgehalten, dass nicht anzunehmen sei, dass der Antragsteller seine Noten verbessern und den ersten Ausbildungsabschnitt sowie die weitere Ausbildung bestehen werde. Das Präsidium der Bereitschaftspolizei hat keinen Anlass gesehen, von dieser Einschätzung abzuweichen.
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Das für den Entlassungsbescheid zuständige Sachgebiet P3 im Präsidium hatte jedoch keine Kenntnis davon, dass es sich bei dieser Stellungnahme des Ausbildungsseminars um eine geänderte (Zweit-)Fassung handelte. In einer ersten Fassung verneinte der Ausbildungsseminarleiter die Ausbildungswiederholung noch aus Gründen der charakterlichen Nichteignung und begründete dies mit den gegen den Beamten erhobenen straf- und disziplinarrechtlichen Vorwürfen. Auf Anraten des Sachgebiets Personal des Bereitschaftspolizeipräsidiums (Sachgebiet P1), charakterliche Mängel unberücksichtigt zu lassen und lediglich die fachliche Nichteignung in den Blick zu nehmen, ist diese erste Stellungnahme zurückgezogen worden. Inhaltlich sind die Ausführungen zu den persönlichen und sozialen Kompetenzen in beiden Stellungnahmen nahezu wortgleich. Allerdings ist im ersten Prognoseentscheid festgehalten, dass nicht auszuschließen sei, dass der Antragsteller bei entsprechendem Lernaufwand seine Noten verbessern könne und den ersten Ausbildungsabschnitt sowie die weitere Ausbildung bestehen werde. Damit wird eine positive Prognose bei einem gesteigerten Lernaufwand gestellt. Auch wenn die Antragsgegnerseite angibt, dass mit dieser Formulierung eine positive fachliche Leistungsprognose nicht beabsichtigt gewesen sei, so ist die (fachliche) Eignung des Antragstellers bzw. das künftige Bestehen der Ausbildung im Prognoseentscheid jedenfalls nicht (endgültig) in Zweifel gezogen worden. Die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zueinander ergangenen Prognoseentscheide desselben Ausbildungsseminars sind mithin nicht kongruent. Der Widerspruch beider Prognoseentscheidungen kann aufgrund der Aktenlage nicht aufgelöst werden.
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Die Beurteilung der fachlichen Nichteignung ist auf dieser Grundlage nicht rechtsfehlerfrei erfolgt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Prognoseentscheidung des Präsidiums in Kenntnis dieser abweichenden Prognoseentscheide des Ausbildungsseminarleiters positiv ausgefallen wäre. Die Stellungnahme des Ausbildungsseminars ist für die Prognoseentscheidung des Präsidiums erkennbar von besonderer Bedeutung, da das Präsidium die Prognoseentscheidung maßgeblich auf diese gestützt hat. Dies ist auch nachvollziehbar, da die Ausbilder im Ausbildungsseminar eng mit den Beamten zusammenarbeiten und sich ein eigenes Bild von deren Leistungen und Verhaltensweisen machen können. Beide Prognoseentscheide des Ausbildungsseminars sind in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zueinander ergangen, erhalten jedoch voneinander abweichende Prognosen im Hinblick auf das künftige Bestehen des Ausbildungsabschnitts bzw. der Ausbildung. Es ist weder vorgetragen, noch sonst aus den Akten ersichtlich, dass sich die Tatsachengrundlage der Prognoseentscheidungen in der Kürze der Zeit (entscheidend) verändert hätte. Die Prognoseentscheide sind mithin nicht hinreichend plausibel. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Präsidium in Kenntnis der voneinander abweichenden, nicht kongruenten Prognoseentscheide eine andere Ermessensentscheidung im Hinblick auf die Wiederholung des Ausbildungsabschnitts getroffen hätte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der (nur) geringfügigen Unterpunktung im Straf- und im Beamtenrecht (4 anstelle von 5 Punkten).
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4. Der Antragsgegner hat nach § 154 Abs. 1 VwGO als unterlegener Beteiligter die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, im Ergebnis ein Viertel der Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen (nach Angaben des Antragsgegners 18.534,63 EUR, hiervon ein Viertel).