Inhalt

VG München, Beschluss v. 22.05.2023 – M 5 E 23.1666
Titel:

Rechtsschutzinteresse bei einseitiger Erledigungserklärung im Eilverfahren

Normenketten:
VwGO § 123
BayBG Art. 65 Abs. 2
Leitsätze:
1. Erklärt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein der Antragsteller den Rechtsstreit für erledigt, dann ist das Verfahren als Streit über die Erledigung fortzusetzen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sind die Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung und die Bestimmung des Untersuchungstermins sprachlich und semantisch untrennbar miteinander verbunden, so gehen von der Anordnung mit Ablauf des festgesetzten Termins keine weiteren Rechtswirkungen aus. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. In diesem Fall besteht kein schutzwürdiges Interesse, ungeachtet der Erledigung der Hauptsache im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes feststellen zu lassen, dass der Antrag von vornherein unbegründet gewesen sei. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streit über die Erledigung, Amtsärztliche Untersuchung, Untersuchungsanordnung, Untersuchungstermin mit der Anordnung verbunden, Erledigung durch Verstreichen des Untersuchungstermins, Einseitig gebliebene Hauptsacheerledigungserklärung, Schutzwürdiges Interesse an der Feststellung, dass der Antrag vor Erledigung unbegründet war (hier: verneint), Beamter, amtsärztliche Untersuchung, Terminbestimmung, Verbindung, vorläufiger Rechtsschutz, einseitige Erledigungserklärung, Rechtsschutzinteresse
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29440

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass sich das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erledigt hat.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,-- festgesetzt.

Gründe

1
1. Nachdem die Antragstellerpartei das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit Schriftsatz vom 11. Mai 2023 für erledigt erklärt hat, die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 4. Mai 2023 den Rechtstreit nicht für erledigt erklärt hat, sondern eine streitige Entscheidung beantragt hat und sich das Verfahren tatsächlich erledigt hat, ist die Erledigung von der Kammer festzustellen.
2
Die Entscheidungszuständigkeit des Berichterstatters nach § 87a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), wonach „bei“ Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache im vorbereitenden Verfahren der Berichterstatter entscheidet, betrifft nur die Kostenentscheidung gem. § 161 Abs. 2 VwGO nach beidseitiger Erledigungserklärung und nicht die Entscheidung über die Erledigung, wie sie bei bloß einseitiger Erledigungserklärung zu treffen ist. Die Entscheidungskompetenz des Berichterstatters im vorbereitenden Verfahren bezieht sich nur auf Nebenentscheidungen, nicht auf Sachentscheidungen über den Streitgegenstand selbst (vgl. SächsOVG, B.v. 8.5.2015 – 5 B 12/15 – juris Rn. 1 m.w.N.).
3
a) Erklärt allein der Antragsteller den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, dann ist das Verfahren als Streit über die Erledigung fortzusetzen. Mit der einseitig gebliebenen Erledigungserklärung nimmt der Antragsteller von seinem bisherigen Begehren Abstand und begehrt stattdessen die gerichtliche Feststellung, dass die Hauptsache erledigt ist. An die Stelle des durch den ursprünglichen Antrag bestimmten Streitgegenstands tritt der Streit über die Behauptung der Antragstellerpartei, ihrem Begehren sei durch ein nachträgliches Ereignis die Grundlage entzogen worden. Dieser Austausch des Begehrens führt zu einer Änderung des Streitgegenstands und stellt damit der Sache nach eine zulässige Antragsänderung dar. Für den Erfolg des Feststellungsantrags kommt es nicht darauf an, ob der ursprünglich erhobene Antrag begründet war. Diese für Klageverfahren entwickelten Grundsätze über die Behandlung der einseitig gebliebenen Erledigungserklärung sind auch in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anwendbar (vgl. SächsOVG, a.a.O., juris Rn. 3).
4
b) Hier hat sich das von der Antragstellerpartei betriebene Eilverfahren erledigt.
5
Das Begehren des Antragstellers zielte nach seinem Antrag vom 5. April 2023 darauf ab, vorläufig von der Verpflichtung der Durchführung einer amtsärztlichen Untersuchung aufgrund der Untersuchungsanordnung der Antragsgegnerin vom … März 2023 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens über die Feststellung der Verpflichtung des Antragstellers, die Untersuchungsanordnung der Antragsgegnerin zu befolgen, freigestellt zu werden.
6
Die Untersuchungsanordnung vom … März 2023 selbst enthielt den – ursprünglichen – Untersuchungstermin … April 2023, 10:30 Uhr. In der Untersuchungsanordnung ist „Vollzug des Beamtenrechts; Anweisung zur amtsärztlichen Untersuchung“ als Betreff genannt. Die Untersuchungsanordnung ist dergestalt aufgebaut, dass zunächst in einem Fließtext die dienstliche Weisung erteilt wird, den mitgeteilten Untersuchungstermin warzunehmen. Danach werden der Grund der Untersuchung sowie die einzelnen Fragen aufgeführt, die im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung beantwortet werden sollen. Daran anschließend wird der Untersuchungstermin gefolgt von dem zu Grunde liegenden Sachverhalt mitgeteilt. Indem dieser Termin verstrich, ohne dass der Antragsteller ihn wahrnahm, trat Erledigung ein.
7
c) Den Ausführungen der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 4. Mai 2023, dass lediglich hinsichtlich der Terminbestimmung Erledigung eingetreten sei, die Grundanordnung davon jedoch abtrennbar sei und weiterbestünde, vermögen die Kammer nicht zu überzeugen. In den von der Antragsgegnerin zitierten Beschlüssen des Verwaltungsgerichts München (B.v. 8.12.2022 – M 5 E 22.5000 – juris; B.v. 9.6.2022 – M 5 E 22.2653 – juris) waren jeweils eigenständige Weisungen sowie eigenständige Terminbestimmungen gegenständlich, welche weder zeitlich noch inhaltlich in einem Schreiben verbunden waren.
8
Die Anweisung zur amtsärztlichen Untersuchung vom … März 2023 lässt sich nicht klar in eine Grundanordnung und eine hiervon abgetrennte Terminbestimmung trennen. Vielmehr sind beide sprachlich und semantisch untrennbar miteinander verbunden, sodass die Terminbestimmung zum wesentlichen Inhalt der Untersuchungsanordnung gehört.
9
Eine Trennung ist weder aus dem Betreff noch aus dem Text des Schreibens vom … März 2023 zu entnehmen. Im Gegenteil verbindet der erste Satz die Weisung als Grundanordnung mit dem Termin: „Sie werden aufgefordert, den mitgeteilten Untersuchungstermin wahrzunehmen…“.
10
Untersuchungsanordnung und Terminbestimmung sind sprachlich und semantisch untrennbar miteinander verbunden, sodass sich ihr Regelungsgehalt in der Anordnung des o.g. Termins erschöpft (VG München, B.v. 17.4.2019 – M 5 E 18.5690 – juris Rn. 12). Von der streitgegenständlichen Anordnung gehen daher – anders als im Fall einer Untersuchungsgrundanordnung mit einer getrennt davon ergehenden Terminfestsetzung (vgl. BayVGH, B.v. 28.1.2013 – 3 CE 12.1883 – juris Rn. 29) – mit Ablauf des festgesetzten Termins keine weiteren Rechtswirkungen aus, da nach Auffassung der Kammer die Zeitbestimmung zum wesentlichen Inhalt der Untersuchungsanordnung gehört (vgl. VG München, B.v. 5.10.2018 – M 5 E 18.2275 – juris Rn. 6).
11
c) Ein schutzwürdiges Interesse der Antragsgegnerin, hier ungeachtet der Erledigung der Hauptsache im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Sachentscheidung herbeizuführen, also feststellen zu lassen, dass der Antrag von vornherein unbegründet gewesen sei, ist zudem nicht ersichtlich. Hinsichtlich der von der Antragsgegnerin vorgebrachten Thematik, dass ein praktisches Interesse bestünde, die Rechtsfragen betreffend die Grundanordnung klären zu lassen, da bei Erlass einer neuen Grundanordnung und Terminbestimmung vermutlich erneut Eilrechtsschutz der Antragstellerseite geltend gemacht würde ist folgendes anzumerken:
12
Das Bundesverwaltungsgericht führt in seinem Urteil vom 14. April 1989 (4 C 22/88 – DVBl 1989, 87, juris Rn. 14) aus:
13
Hat nämlich der Beklagte ein schutzwürdiges Interesse daran, trotz der eingetretenen Erledigung ein klageabweisendes Urteil zu erstreiten, dann darf das Gericht sich in seinem Ausspruch nicht auf die Feststellung der Erledigung beschränken, sondern hat zu klären, ob die Klage bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses begründet war und dies gegebenenfalls – auf Antrag des Beklagten – festzustellen (BVerwG, st. Rspr.: Urteil vom 14. Januar 1965 – BVerwG 1 C 68.61 – a.a.O.; Urteil vom 27. Februar 1969 – BVerwG 8 C 37 u. 38.67 – a.a.O.; Urteil vom 20. März 1974 – BVerwG 4 C 48.71 – a.a.O.; Urteil vom 18. April 1986 – BVerwG 8 C 84.84 – Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 69). Besteht ein solches schutzwürdiges Interesse nicht, so hat der Beklagte es in der Hand, durch eine korrespondierende Erledigungserklärung die Kostenfolge des § 161 VwGO herbeizuführen. Die danach vom Gericht zu treffende Billigkeitsentscheidung kann im Falle einer verschleierten Klagerücknahme nicht anders ausfallen, als § 155 Abs. 2 VwGO für den Fall der echten Klagerücknahme vorsieht (BVerwG, Beschluss vom 27. September 1973 – BVerwG 2 C 12.70 – Buchholz 310 § 161 Abs. 2 VwGO Nr. 41; vgl. auch für den umgekehrten Fall, daß der Beklagte die angefochtene Verfügung aufhebt: BVerwG, Beschluss vom 31. März 1971 – BVerwG 6 C 74.65 – Buchholz 310 § 161 Abs. 2 VwGO Nr. 34).
14
Diese Entscheidung erging ersichtlich zu einem Klageverfahren, da von einem „Urteil“ die Rede ist. Eine vergleichbare Interessenlage ist für die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren einstweiligen Rechtschutzes nicht gegeben. Denn Gegenstand des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes ist eine vorläufige Regelung zur Sicherung des Hauptsacheanspruchs (Happ in: Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 123 Rn. 2). Die Klärung der Frage, ob eine Untersuchungsanordnung rechtmäßig ist, kann ohne weiteres in einem Hauptsacheverfahren erfolgen (vgl. auch den Wortlaut des Antrags vom 5.4.2023; VG München, B.v. 5.10.2018 – M 5 E 18.2275 – juris Rn. 10 f.). Zumal kann in der vorliegenden Konstellation die Erledigung durch verstreichen lassen eines Untersuchungstermins vermieden werden, wenn die Terminbestimmung nicht untrennbarer Teil der Untersuchungsanordnung selbst wäre, sondern separat erginge.
15
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, weil die Antragsgegnerin im Erledigungsstreit unterlegen ist. § 161 Abs. 2 VwGO, der eine Kostenverteilung nach Billigkeitsgesichtspunkten ermöglicht, bezieht sich nur auf die Beendigung des Verfahrens durch übereinstimmende Erledigungserklärungen und ist auf den vorliegenden Fall der einseitig gebliebenen Erledigungserklärung nicht anwendbar (BVerwG, U.v. 1.9.2011 – 5 C 21.10 – juris Rn. 18).
16
3. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG), wobei im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nur die Hälfte des Wertes eines Hauptsacheverfahrens festzusetzen ist.