Titel:
zum "Verbrauch" eines Ausweisungsinteresses
Normenketten:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 38a Abs. 1, § 54 Abs. 2 Nr. 9, § 58 Abs. 1b
Daueraufenthalts-RL Art. 9 Abs. 6
Leitsätze:
1. Eine Urkundenfälschung in Tateinheit mit dem Erschleichen eines Aufenthaltstitels begründen sowohl eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine erneute vergleichbare Straffälligkeit des Ausländers als auch für ein Nachahmen vergleichbarer Taten durch Ausländer in vergleichbarer Stellung. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hat die Ausländerbehörde auf die Geltendmachung eines Ausweisungsgrundes konkludent oder ausdrücklich verzichtet, kann das Ausweisungsinteresse aus Gründen des Vertrauensschutzes „verbraucht“ sein, wenn die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen hat, aufgrund dessen der Ausländer schützenswerterweise annehmen darf, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht mehr entgegengehalten. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausländerrecht, Aufenthaltserlaubnis eines in Griechenland langfristig Aufenthaltsberechtigten, Ausweisungsinteresse aufgrund eines gefälschten B1-Zertifkats, Ausländerrechtliche Verwarnung zeitgleich mit Ablehnungsbescheid, Kein Abschiebungsverbot für langfristig Aufenthaltsberechtigte ohne Zuerkennung eines internationalen Schutzes, Aufenthaltserlaubnis, Verfahrensduldung, "Verbrauch" des Ausweisungsinteresses, strafrechtliche Verurteilung, Vertrauensschutz, Ausweisungsschutz, langfristige Aufenthaltsberechtigung - EU
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29432
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller, pakistanischer Staatsangehöriger, begehrt einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich der Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis und Abschiebungsandrohung sowie eine (Verfahrens-)Duldung.
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Der 48-jährige, in … … geborene, Antragsteller hielt sich erstmals vom … … … … … … im Bundesgebiet auf. Am … … … reiste er von Griechenland kommend und in Besitz einer bis August 2020 gültigen, langfristigen Aufenthaltsberechtigung für Griechenland („long term resident ec“ nach „Art. 90 & 132.2.2 Law 4251/14“) erneut in das Bundesgebiet ein.
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Dem Antragsteller wurde am … … … eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG erteilt, die in der Folge bis zum … … … verlängert wurde. Der Antragsteller beantragte am … … … beim Landratsamt … (Landratsamt) förmlich die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Ihm wurden Fiktionsbescheinigungen ausgestellt.
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Am … … … legte der Antragsteller eine Kopie eines B1-Sprachzertifikats vom … … … über eine Prüfung … … … … vor. Am … … … räumte der Antragsteller ein, das unechte Zertifikat käuflich erworben zu haben. Als Beweggrund gab er an, nach Pakistan fliegen zu wollen, um dort seine kranke Mutter zu besuchen.
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Nach einer Strafanzeige durch das Landratsamt wurde der Antragsteller mit Strafbefehl des Amtsgerichts … vom … … … (2 Cs 15 Js 8416/23), rechtskräftig seit … … …, wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit dem Erschleichen eines Aufenthaltstitels zu einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen verurteilt.
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Der Antragsteller wurde mit Schreiben des Landratsamts vom … … … unter Verweis auf die Strafverurteilung zu einer beabsichtigten Ablehnung des Aufenthaltstitels sowie einer Ausweisung angehört.
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Der Antragsteller äußerte sich am … … … im Wesentlichen dahingehend, dass dies sein erster und letzter Fehler gewesen sei. Er sei der einzige Ernährer seiner Frau und drei Kinder in Pakistan. Die bereits außergerichtlich Bevollmächtigte des Antragstellers nahm am 17. Juli 2023 im Wesentlichen dahingehend Stellung, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis habe. Aufgrund des mehrjährigen rechtmäßigen Aufenthalts bestehe ein schwerwiegendes Bleibeinteresse. Der Antragsteller arbeite, was im Hinblick auf den Fachkräftemangel als bedeutend einzustufen sei. Eine Verwarnung stelle ein ausreichendes milderes Mittel dar. Der Antragsteller sei sich der Bedeutung seines Handelns bewusst, sodass ein weiteres Einwirken nicht erforderlich sei. Eine Ausweisung und Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erweise sich damit als unverhältnismäßig. Das Einfordern eines B1-Zertifikats sei fraglich. Ein solches sei für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG nicht erforderlich, lediglich für einen unbefristeten Aufenthaltstitel.
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Mit Bescheid vom 28. Juli 2023, dem Antragsteller persönlich zugestellt am 1. August 2023 und an die Bevollmächtigte mit einfacher Post versendet, wurde der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG und die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG abgelehnt (Nr. 1). Der Antragsteller habe die Bundesrepublik Deutschland bis zum … … … zu verlassen; ihm wurde die Abschiebung nach Pakistan oder in einen anderen Staat angedroht, in den er einreisen darf oder der zu seiner Aufnahme verpflichtet ist (Nr. 2). Es wurden Kosten in Höhe von 56,60 EUR festgesetzt (Nr. 3). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG nicht erteilt werden könne, da ein Ausweisungsinteresse bestehe und damit eine allgemeine Erteilungsvoraussetzung nicht vorliege. Ein überwiegendes Ausweisungsinteresse sei von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht gefordert. Eine Niederlassungserlaubnis könne mangels Deutsch-Kenntnissen, mangels Grundkenntnissen der Rechts- und Gesellschaftsordnung und Lebensverhältnisse und mangels fünfjähriger Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt werden.
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Mit Schreiben des Landratsamts vom 27. Juli 2023, der Bevollmächtigten nach einem Begleitschreiben gemeinsam mit dem Bescheid mit Schreiben vom 28. Juli 2023 zugesandt, wurde der Antragsteller unter Verweis auf die Verurteilung des Amtsgerichts … ausländerrechtlich verwarnt. Nach Prüfung des gesamten Sachverhalts unter Einbeziehung der einschlägigen Vorschriften werde vorerst von einer Ausweisung bzw. Einreisebedenken gegen den Antragsteller abgesehen. Er werde nachdrücklich darauf hingewiesen, dass er bei einer erneuten strafrechtlichen Verfehlung oder bei Vorliegen sonstiger Ausweisungsgründe damit zu rechnen habe, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet beendet werde.
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Gegen den Bescheid vom 28. Juli 2023 hat der Antragsteller am 28. August 2023 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht erheben (M 27 K 23.4277) und sinngemäß beantragen lassen, den Bescheid aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen bzw. diese zu verlängern. Zugleich wird beantragt,
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1. Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
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2. Dem Antragsgegner wird aufgetragen, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass die Grenzübertrittsbescheinigung bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verlängern, hilfsweise eine Duldung zu erteilen.
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3. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, die Ausreisefrist bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verlängern.
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4. Dem Antragsgegner wird aufgetragen, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass bis zur Entscheidung in der Hauptsache keine Abschiebung vorzunehmen ist.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass durch Verwarnung und Bescheiderlass eine „doppelte“ Bestrafung vorliege. Die Ausländerbehörde habe bei ihrer Entscheidung die Daueraufenthaltsberechtigung des Antragstellers in Griechenland außer Acht gelassen. Der Antragsteller habe damit Anspruch auf eine längere Ausreisefrist bzw. eine Duldung. Die Erteilungsvoraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis liege vor.
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Der Antragsgegner beantragt
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Zur Begründung wird im Wesentlichen weiter ausgeführt, dass die Ausnahmeregelung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht greife, da es sich bei dem begehrten Titel nicht um eine Aufenthaltserlaubnis zum Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen handele. Die ausländerrechtliche Verwarnung habe keinerlei Auswirkungen auf den Aufenthaltsstatus. Es sei lediglich darauf hingewiesen worden, dass bei einer erneuten strafrechtlichen Verfehlung eine Ausweisung erfolgen könne. Die Ausreiseaufforderung sei keine Folge der Verwarnung, sondern resultiere aus der Ausreisepflicht, der unmittelbaren Folge dessen, dass kein Aufenthaltstitel mehr vorliege.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie im Hauptsacheverfahren (M 27 K 23.4277) und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
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1. Der Antrag hat keinen Erfolg.
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a. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und der Klage gegen die Abschiebungsandrohung ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund der Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG (vgl. BayVGH, B.v. 12.10.2006 – 24 CS 06.2576 – juris Rn. 8) bzw. nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Satz 1 VwZVG statthaft und auch sonst zulässig, aber unbegründet.
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Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist bei einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Suspensivinteresse vorzunehmen. Dabei nimmt das Gericht eine eigene, originäre Interessensabwägung vor, für die in erster Linie die Erfolgsaussichten in der Hauptsache maßgeblich sind. Im Falle einer voraussichtlich aussichtslosen Klage besteht dabei kein überwiegendes Interesse an einer Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Wird dagegen der Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich erfolgreich sein, so wird regelmäßig nur die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Bei offenen Erfolgsaussichten ist eine Interessensabwägung vorzunehmen, etwa nach den durch § 80 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO getroffenen Grundsatzregeln, nach der Gewichtung und Beeinträchtigungsintensität der betroffenen Rechtsgüter sowie der Reversibilität im Falle von Fehlentscheidungen.
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Daran gemessen ist der Antrag unbegründet. Denn die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wird sich voraussichtlich als rechtmäßig und nicht rechtsverletzend erweisen, da der Antragsteller darauf nach summarischer Prüfung keinen Anspruch hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Denn es fehlt an der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 AufenthG, ohne dass ein atypischer Fall angenommen werden könnte.
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Für § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG genügt es grundsätzlich, dass ein Ausweisungsinteresse vorliegt; nicht erforderlich ist, dass der Ausländer auch rechtsfehlerfrei ausgewiesen werden könnte (stRspr. zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG a.F., vgl. etwa BVerwG, U.v. 28.9.2004 – 1 C 10.03 – juris Rn. 13). Damit kommt es auf das Vorliegen eines Bleibeinteresses nicht an (vgl. etwa BayVGH, B.v. 29.8.2016 – 10 AS 16.1602 – juris Rn. 21).
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Im Fall des Antragstellers besteht aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung zu einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG.
27
Es kann dahinstehen, ob neben dem Ausweisungsinteresse auch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist (vgl. BayVGH, a.a.O., Rn. 22). Denn eine solche ist anzunehmen.
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Dabei haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. etwa BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18; B.v. 21.2.2023 – 1 B 76.22 – juris Rn. 11). Bei der Prognose, ob die Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 12.10.2020 – 10 B 20.1795 – juris Rn. 28 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr, vgl. etwa BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 12.10.2020 – 10 B 20.1795 – juris Rn. 28 m.w.N.).
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Vom maßgeblichen weiteren „Aufenthalt“ eines Ausländers, der eine Straftat begangen hat, kann auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (vgl. BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – juris Rn. 17). Dabei bedarf es keiner Verurteilung wegen besonders schwerwiegender Delikte für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, wie etwa Drogendelikten oder Delikten im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität oder Terrorismus. Erforderlich ist lediglich, dass die Ausweisung an Straftaten oder Verhaltensweisen anknüpft, bei denen sie nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet erscheint, andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten, im Einzelfall so etwa bei Falschangaben zur Erlangung der Duldung, einer Identitätstäuschung gegenüber der Ausländerbehörde, Falschangaben im Visumsverfahren, Verletzung der Passpflicht oder Körperverletzung. Darüber hinaus sind Art und Schwere der jeweiligen Anlasstat lediglich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, U.v. 12.10.2020 – 10 B 20.1795 – juris Rn. 33 m.w.N.).
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Daran gemessen liegt aufgrund der Urkundenfälschung in Tateinheit mit dem Erschleichen eines Aufenthaltstitels sowohl eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine erneute vergleichbare Straffälligkeit des Antragstellers als auch für ein Nachahmen vergleichbarer Taten durch Ausländer in vergleichbarer Stellung vor.
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Das Ausweisungsinteresse ist durch die ausländerrechtliche Verwarnung auch nicht verbraucht worden. Denn beim Antragsteller ist jedenfalls kein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend entstanden, dass das Ausweisungsinteresse nicht zumindest im Rahmen der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis verwertet wird.
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Ein Ausweisungsinteresse kann aus Gründen des Vertrauensschutzes „verbraucht“ sein und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender grober Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung als Ausweisungsgrund konkludent oder ausdrücklich verzichtet hat; Voraussetzung ist allerdings, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen hat, aufgrund dessen der Ausländer schützenswerter Weise annehmen darf, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht mehr entgegengehalten (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 39).
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Es ist davon auszugehend, dass die ausländerrechtliche Verwarnung des Antragstellers ihm bzw. seiner Bevollmächtigten zusammen mit dem Ablehnungsbescheid zuging. Damit ist die Verwarnung nicht nur unter Berücksichtigung des Begleitschreibens, sondern auch des Bescheids auszulegen. Nach objektivem Empfängerhorizont wird damit durch die Verwarnung lediglich von einer Ausweisung abgesehen. Dies ist in sich auch nicht widersprüchlich. Denn die Ausweisung hat aufgrund des damit einhergehenden Einreise- und Aufenthaltsverbots und der Titelerteilungssperre nach § 11 Abs. 1 AufenthG weitergehende Folgen als die (einfache) Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und vor dem Hintergrund des Abwägungserfordernisses mit Bleibeinteressen auch höhere Anforderungen.
34
Tatbestand:lich liegt auch keine – gerichtlich voll überprüfbare (vgl. BVerwG, U.v. 22.5.2012 – 1 C 6.11 – juris Rn. 11) – Abweichung vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor.
35
Allgemein sind Härten und Schwierigkeiten, etwa Verlust des Lebensmittelpunkts, der Arbeitsstelle grundsätzlich nicht geeignet, um atypischen Fall zu begründen (vgl. Hailbronner in: Hailbronner, AuslR, Stand 05/2023, § 5 AufenthG Rn. 11). Im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG sind die Beurteilungskriterien die Gewichtigkeit des Ausweisungsinteresses, insbesondere die Schwere einer strafrechtlichen Verurteilung, das Fortbestehen einer Gefährdungslage, die Dauer des straffreien Aufenthalts, das Bestehen schutzwürdiger Bindungen zum Bundesgebiet, die Dauer des bisherigen rechtmäßigen Aufenthalts, der Grad der Entfremdung zum Heimatland sowie das Vorliegen eines besonderen Schicksals. Dabei rechtfertigt jedoch allein eine lange Aufenthaltsdauer mit einem durchschnittlichen Maß an gewöhnlich zu erwartender Integration einen atypischen Fall noch nicht, sondern erst bei einem (vergleichsweise) hohen Maß an Integration oder besonderen Integrationserschwernissen (vgl. Hailbronner, a.a.O., Rn. 31a, 31c m.w.N.).
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Im Fall des Antragstellers stellt die strafrechtliche Verurteilung innerhalb des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG nicht lediglich einen vergleichsweise unbedeutenden nicht nur geringfügigen Rechtsverstoß dar. Die Verurteilung zu 120 Tagessätzen Geldstrafe übersteigt die regelmäßig angenommene Geringfügigkeitsgrenze von 30 Tagessätzen nicht nur unerheblich. Eine Wiederholungsgefahr besteht auch nach wie vor fort. Aufgrund des geringen zeitlichen Abstands zwischen Tat und Entscheidungszeitpunkt ist das Ausweisungsinteresse noch aktuell. Da Frau und Kinder des Antragstellers noch in Pakistan leben, ist eine erhebliche Entfremdung zu seinem Heimatland noch nicht anzunehmen. Außergewöhnliche Integrationsleistungen sind nicht ersichtlich, insbesondere nicht hinsichtlich des (tatsächlichen) Spracherwerbs.
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Der Antrag ist auch hinsichtlich der Abschiebungsandrohung unbegründet, da sich auch diese voraussichtlich als rechtmäßig und nicht rechtsverletzend erweisen wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Rechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht. Anhaltspunkte für eine Rechtsfehlerhaftigkeit der Ausreisefrist wurden nicht geltend gemacht und sind auch sonst nicht ersichtlich. Dem Erlass der Abschiebungsandrohung stünden auch Duldungsgründe nicht entgegen (§ 59 Abs. 3 AufenthG).
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b. Auch die weiteren Anträge sind unbegründet.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauerhaften Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zur verhindern oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 1 und 2 ZPO sind dazu ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.
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Ein Anordnungsgrund liegt jedoch nicht vor. Ein Anspruch auf eine (Verfahrens-)
Duldung besteht – unabhängig von einer Umsetzbarkeit durch eine Verlängerung der Ausreisefrist – nicht.
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Es ist zwar – trotz Ablauf der Gültigkeitsdauer des vorliegenden griechischen Ausweisdokuments (BABl. 5 f.) – davon auszugehen, dass der Antragsteller nach wie vor die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten hat. Denn nach Art. 8 Abs. 1 der RL 2003/109/EG des Rates betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen vom 25. November 2003 (ABl. L 16 S. 44), geändert durch RL 2011/51/EU vom 11. Mai 2011 (ABl. L 132 S. 1) – Daueraufenthalts-RL – ist die Rechtsstellung eines langfristigen Aufenthaltsberechtigten vorbehaltlich Art. 9, der den Verlust und Entzug regelt, dauerhaft. Nach Abs. 2 Satz 2 dieser Regelung ist der Aufenthaltstitel mindestens fünf Jahre gültig und wird – erforderlichenfalls auf Antrag – ohne weiteres verlängert. Nach Art. 9 Abs. 6 Daueraufenthalts-RL hat das Ablaufen einer langfristen Aufenthaltsberechtigung auf keinen Fall den Entzug oder den Verlust der Rechtsstellung des Aufenthaltsberechtigten zur Folge. Allein aus dem Ablauf der Gültigkeitsdauer des Ausweises kann somit noch nicht auf ein Erlöschen der Rechtsstellung geschlossen werden.
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Dies hat jedoch kein Abschiebungsverbot hinsichtlich Pakistans zur Folge. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller auch international Schutzberechtigter ist.
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Gem. § 58 Abs. 1b Satz 1 AufenthG darf insbesondere ein Ausländer, der eine der Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU entsprechende Rechtstellung in einem anderen Mitgliedstaat der europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, außer in den Fällen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden.
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Ein derartiger Ausweisungsschutz besteht somit nur dann, wenn neben einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung auch ein internationaler Schutzstatus im Sinne von Art. 2 Buchst. a RL 2004/83/EG besteht. Dass dies beim Antragsteller der Fall ist, wurde nicht vorgetragen und ist auch aus dem vorgelegten griechischen Aufenthaltsdokument nicht ersichtlich. Insbesondere enthält der Ausweis nicht entsprechend Art. 12 Abs. 3a und 3b Daueraufenthalts-RL, deren Umsetzung § 58 Abs. 1b AufenthG bezweckt (vgl. BT-Drs. 17/13022, 22), einen Hinweis nach Art. 8 Abs. 4 Daueraufenthalts-RL darauf, dass, wann und durch wen dem Antragsteller internationaler Schutz gewährt wurde.
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Andere Duldungsgründe wurden nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Somit wurde weder ein Anspruch auf eine Duldung noch auf eine Verfahrensduldung glaubhaft gemacht.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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3. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nrn. 1.1.1, 1.5, 8.1 und 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.