Titel:
Anfechtungsklage gegen einen Beschluss über die Erhebung einer Sonderumlage für die Kosten einer Fassadensanierung
Normenkette:
WEG § 19 Abs. 2, § 45
Leitsatz:
Ein Beschluss der Wohnungseigentümer ist wegen unzureichender Bestimmtheit nur nichtig, wenn er keinen sinnvollen Regelungsgehalt mehr entfaltet. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sonderumlage, Wohnungseigentum, Anfechtungsklage, Sanierung, ordnungsmäßige Verwaltung, Alternativangebote, Verwalter, fachmännische Beratung, Entscheidungsgrundlage, Bestimmtheit
Fundstellen:
ZMR 2023, 833
BeckRS 2023, 29122
LSK 2023, 29122
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 220.125,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Klägerin ist Eigentümerin einer Eigentumswohnung in der WEG M..
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In der Eigentümerversammlung vom 07.05.2019 wurde die Fassadensanierung sowie die Beauftragung des Ingenieurbüros mit der Planung, Ausschreibung und Einholung von Angeboten beschlossen.
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Die Sanierung wurde zunächst nicht durchgeführt.
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Im Vorfeld der ETV vom 12.08.2022 fragte das bei den Firmen, die ihre Angebote bereits im Jahre 2020 abgegeben hatten, die aktuellen Preise ab. Mit Schreiben vom 27.07.2022 wurden diese der Hausverwaltung mitgeteilt (Anlage B 2).
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In der Versammlung vom 12.08.2022 beriet Herr ... über die seit 2020 eingetretene Preissteigerung und erklärte, von welchen Preisen im Jahr 2023 auszugehen sei.
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In der Eigentümerversammlung vom 12.08.2022 wurde u.a. folgender Beschluss gefasst:
„TOP 2: Beschlussantrag über die Finanzierung der geplanten Fassadensanierung (voraussichtlich in 2023) in der ... . Für die Finanzierung wird eine Sonderumlage in Höhe von 500.000 € benötigt, die nach Miteigentumsanteilen aufgeteilt wird. Der Einzug dieser Sonderumlage soll zum 10.11.2022 erfolgen.
Danach ergeht folgender Beschluss:
Die Gemeinschaft beschließt eine Sonderumlage für die Fassadensanierung der Häuser in Höhe von 500.000 €, aufgeteilt nach Miteigentumsanteilen. Die Sonderumlage wird am 10.11.2022 per Lastschrift eingezogen und auf dem neu eingerichteten Festgeldkonto aufbewahrt. Die HV berechnet die Höhe der Sonderumlage für alle Eigentümer und versendet entsprechende Informationen zusammen mit dem Protokoll der Versammlung.“
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Der Beschluss ist bestandskräftig.
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In der Eigentümerversammlung vom 20.12.2022 beriet Herr ... über die seit 2020 eingetretene Preissteigerung und erklärte, von welchen Preisen im Jahr 2023 auszugehen sei.
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In der Eigentümerversammlung der Beklagten am 20.12.2022 (Protokoll vgl. Anlage K 1) wurden u.a. folgende Beschlüsse gefasst:
„TOP 2: Beschlussantrag über die Fassadensanierug am VH und RG des Anwesens. Das vorhandene gesamte WDVS mit einer EPS-Dämmung (WLG040) soll demontiert und durch ein WDVS mit Mineralwolldämmstoff (WLG035), beide Dämmstoffdicken 60 mm, ersetzt werden.
Es entsteht eine ausführliche Diskussion, in der Herr ... I. durch die Eigentümer gestellten Fragen beantwortet, u.a. zur Entscheidung für den Mineralwolldämmstoff, in Bezug auf die Entflammbarkeit und die Wärmeleitfähigkeit. Aktuell beträgt diese WLG 040 und wird sich durch die Erneuerung ca. auf WLG 035 verbessern. Die vorhandene Dicke des Dämmstoffes liegt bei 60 mm und wird in dem Fall bei der Sanierung nicht verändert. Eine Veränderung der Dicke des Dämmstoffes auf z.B. 100 mm würde zwingend zu weiteren zusätzlichen Änderungen an der Fassade (z.B. Balkongeländer) führen und damit auch zu weiteren Kosten.
Frau ... erscheint während der Diskussion, um 17.40 Uhr. Damit sind 10 von 14 stimmberechtigten Eigentümern vertreten.
Frau ... weist nochmal auf den oben vorgelesenen Text von Familie ...hin. Danach folgt noch eine kurze Diskussion über die zukünftigen Preisentwicklungen in der Baubranche aufgrund der aktuellen Inflation.
„Die Eigentümergemeinschaft beschließt, die Fassadensanierung am VH und RG des Anwesens durchzuführen. Das vorhandene gesamte WDVS mit einer EPS Dämmung (WLG040) soll demontiert und durch ein WDVS mit Mineralwolldämmstoff (WLG035), beide Dämmstoffdicken 60 mm, ersetzt werden.
Die Fa. wird darauf achten, dass die aktuellen gesetzlichen Auflagen betr. Dämmungsmaßnahmen bei der Ausführung der Fassadensanierung beachtet werden.“
„Die Eigentümergemeinschaft bevollmächtigt die Hausverwaltung, im Namen und auf Kosten der WEG die mit den folgenden Maßnahmen zu beauftragen:
- Durchführung von Vergabe und Vertragsverhandlungen mit den Fachfirmen,
- Anfertigung von entsprechenden Vertragsunterlagen,
- Überwachung der gesamten Maßnahmen, verbunden mit der unter TOP 2 geschlossenen Fassadensanierung am VH und RG des Anwesens.“
„Die Eigentümergemeinschaft bevollmächtigt die Hausverwaltung zur Vergabe der Aufträge an die Fachfirmen und Unterzeichnung der entsprechenden Verträge im Namen und auf Kosten der WEG und in Absprache mit den gewählten Vertretern der Eigentümergemeinschaft (Frau ... zusammen mit Herrn ... oder nur eine der beiden Personen).“
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Die Klägerin führt aus, dass die Beschlussfassung zu TOP 2 nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entspreche, weil sie unter Zugrundelegung der angebotenen Preise aus dem Jahre 2020 erfolgt sei. Es hätte ein aktualisiertes Angebot vorgelegt werden müssen, damit sich jeder Eigentümer im Klaren sein hätte können, in welchen Dimensionen sich die Fassadensanierung nun bewege. Die Vorlage neuer Angebote vor der Beschlussfassung sei auch zeitlich möglich gewesen, da die Probleme nicht akut gewesen seien. Auch der Beschluss zu TOP 4 widerspreche ordnungsgemäßer Verwaltung, da keine Übersicht der zu erwartenden Kosten für die Bauüberwachung vorgelegen habe, insbesondere auch keine anderen Angebote. Die Kosten für die Bauüberwachung richte sich nach HOAI auch nach den Kosten für die Gesamtmaßnahme, die gerade nicht absehbar gewesen seien. Der Beschluss zu TOP 6 entspreche nicht ordnungsgemäßer Verwaltung, weil die Hausverwaltung ohne Kostenrahmen zum Vertragsschluss und zur Verteilung von Aufträgen ermächtigt worden sei.
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Die Klägerin beantragt,
Der Beschluss der Eigentümerversammlung der WEG München vom 20.12.2022 zu TOP 2 wird für ungültig erklärt.
Der Beschluss der Eigentümerversammlung der WEG München vom 20.12.2022 zu TOP 4 wird für ungültig erklärt.
Der Beschluss der Eigentümerversammlung der WEG München vom 20.12.2022 zu TOP 6 wird für ungültig erklärt.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte führt aus, es habe vor dem Hintergrund der Beratung durch die und Herr ...n selbst und die durch diese eingeholten Informationen innerhalb des Ermessensspielraums der WEG gelegen, von einer erneuten Ausschreibung abzusehen. Es habe eine verlässliche und belastbare Auskunft zu den zu erwartenden Kosten vorgelegen. Im Übrigen sei der Klägerin bereits seit der Versammlung vom 12.08.2022 bekannt gewesen, welche Kosten auf sie zukommen würden. Aus dem Schreiben der vom 27.07.2022 ergäben sich auch ausdrücklich die zu erwartenden Kosten der Bauüberwachung. In dieser Höhe habe sie der beratend anwesende Herr ... auch in der streitgegenständlichen Eigentümerversammlung beziffert. Diese seien auch in der Sonderumlage enthalten. Nachdem die Fassadensanierung sowie die Beauftragung der bereits in der Eigentümerversammlung vom 07.05.2019 beschlossen worden war, handle es sich um einen Folgeauftrag, für den die Einholung anderer Angebote nicht erforderlich sei. Bei der Beauftragung der mit der Objektüberwachung handle es sich dabei um die Beauftragung der weiteren Leistungsphase 8 nach der HOAI. Die Beauftragung eines anderen Unternehmens mit der Ausführung hätte gerade ordnungsgemäßer Verwaltung widersprochen.
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Im Übrigen wird auf die jeweiligen Schriftsätze der Parteien mit Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Amtsgericht München als Wohnungseigentumsgericht gem. §§ 43 Abs. 2 Nr. 4 WEG, 23 Nr. 2c GVG örtlich und sachlich ausschließlich zuständig.
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2. Die Klage ist nicht begründet. Die Beschlüsse sind weder nichtig noch aus innerhalb der Fristen des § 45 WEG vorgetragenen Gründen wirksam angefochten.
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a) Die Beschlüsse widersprechen nicht aus den von der Klägerin vorgebrachten Gründen ordnungsgemäßer Verwaltung. Die angefochtenen Beschlüsse sind vom Ermessen der WEG gedeckt.
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Die Klägerin bringt gegen die angefochtenen Beschlüsse TOP 2, 4 und 6 insgesamt vor, dass bei Beschlussfassung die Kosten nicht abschätzbar gewesen seien.
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aa) Aus dem Sachvortrag der Parteien ergibt sich, dass unstreitig hier ursprünglich drei Alternativangebote für die Fassadensanierung vorlagen und bereits 2019 die mit der Beratung und Planung beauftragt worden war. Aus der Anlage B 1 ergibt sich, dass aktualisierte Angebote eingeholt wurden. Dies beruhte nach den dortigen Angaben auf einem Beschluss vom 08.06.2022.
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Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten erläuterte Herr ... in der Versammlung vom 12.08.2022 die – soweit vorhanden – aktualisierten Angebote aus dem vorgelegten Schreiben B 1 und den sich hieraus ergebenden Kostenrahmen. In diesem Kostenrahmen sind im Ergebnis auch die Kosten für die Bauüberwachung enthalten (vgl. TOP 5 vom 20.12.2022).
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Auf dieser Grundlage erfolgte die (bestandskräftige) Beschlussfassung über die Sonderumlage in Höhe von 500.000,00 EUR. Der Einwand der Klägerin, der finanzielle Aufwand sei nicht abschätzbar gewesen, ist insoweit nicht nachvollziehbar.
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bb) Hinsichtlich der Versammlung vom 20.12.2022 ergibt sich im Übrigen ausdrücklich aus dem Protokoll, dass Herr ... anwesend war, der die geplanten Maßnahmen erläuterte und Fragen beantwortete. Die Klägerin hat dies nicht bestritten – im Schriftsatz vom 16.05.2023 wird lediglich mit Nichtwissen bestritten, „welches Wissen Herr ... von der zum Zeitpunkt der Beschlussfassung“ hatte.
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Neben den zumindest zum Teil aktualisierten Angeboten wurde die WEG damit bei der Beschlussfassung auch von einem Fachmann beraten (vgl. hierzu auch Zschieschack, ZWE 2022, 346 Ziffer 2.).
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Insgesamt lag daher zum Zeitpunkt der Beschlussfassung sowohl hinsichtlich der Maßnahme an sich als auch hinsichtlich der damit verbundenen Kosten eine ausreichende Entscheidungsgrundlage für die Eigentümer vor.
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b) Die angefochtenen Beschlüsse sind auch nicht nichtig.
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Die Klagepartei hat keine Nichtigkeitsgründe vorgetragen.
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Es kann dabei offenbleiben, ob der Beschluss TOP 6 ausreichend bestimmt ist. Die Klagepartei hat innerhalb der Fristen des § 45 WEG diesbezüglich lediglich allgemein die Frage des Kostenrahmens gerügt (hierzu Nr. 2 a), nicht eine eventuelle Unbestimmtheit im Übrigen. Jedenfalls ist der Beschluss jedoch nicht nichtig. Ein Beschluss ist nur dann nichtig, wenn er keinen sinnvollen Regelungsgehalt mehr entfaltet. Dies ist hier offensichtlich nicht der Fall.
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Auch andere Nichtigkeitsgründe sind nicht ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
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Die Berechnung des Streitwerts erfolgt in Beschlussklagen nach § 44 Abs. 1 WEG n.F. nach der in § 49 GKG n.F. getroffenen Regelung.
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Danach wird der Streitwert auf das Interesse aller Wohnungseigentümer an der Entscheidung festgesetzt. Er darf den siebeneinhalbfachen Wert des Interesses des Klägers und der auf seiner Seite Beigetretenen sowie den Verkehrswert ihres Wohnungseigentums nicht überschreiten.
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Das Gesamtinteresse beträgt nach der Klageschrift 500.000,00 EUR (Höhe der für die Sanierung angesetzten Sonderumlage). Der Anteil der Klägerin an der Sonderumlage beträgt 29.350,00 EUR, ihr 7,5faches Interesse somit 220.125,00 EUR. Das Gericht geht davon aus, dass der Verkehrswert ihres Wohneigentums damit noch nicht überschritten ist.