Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 11.10.2023 – 5 T 5670/23
Titel:

Pfändungsschutz bei Abfindungszahlungen - Bemessung des unpfändbaren Zeitraums

Normenkette:
ZPO § 850i
Leitsätze:
1. Von einer Abfindung ist dem Schuldner nach § 850i ZPO im Regelfall das Sechsfache des monatlichen Netto-Arbeitsentgelts, das er im beendeten Arbeitsverhältnis hatte, zu belassen. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass mehr als sechs Monate vergehen, bis er eine neue Arbeitsstelle findet, trägt der Schuldner, wobei sein Vortrag substanziiert sein muss und pauschale Behauptungen nicht genügen. (Rn. 10 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Von dem Sechsfachen des monatlichen Netto-Arbeitsentgelts ist das Arbeitslosengeld abzuziehen, das der Schuldner in den sechs Monaten erhält. Pfändungsfrei ist somit im Regelfall das Sechsfache des Netto-Arbeitsentgelts abzüglich des Sechsfachen des Arbeitslosengelds. (Rn. 10 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zur Frage der Bemessung des unpfändbaren Betrages einer Abfindungszahlung gem. § 850i ZPO unter Berücksichtigung eines angemessenen Zeitraums zur Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes im Fall eines erst 30 Jahre alten Schuldners, der nicht an einer chronischen, systemischen Krankheit leidet, die ihm die Wiederaufnahme eines Arbeitsverhältnisses im Vergleich zu einer gesunden Person gleichen Alters erschweren würde und bei äußerst günstiger Lage auf dem Arbeitsmarkt (hier: 6 Monate nicht beanstandet). (Rn. 10 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abfindungszahlung, Nettoeinkommen, chronische Krankheit, psychische Erkrankung, Arbeitsumfeld, angemessener Zeitraum, Arbeitsmarkt
Vorinstanz:
AG Erlangen, Beschluss vom 31.08.2023 – 651 M 3295/21
Fundstellen:
JurBüro 2024, 155
BeckRS 2023, 29052
LSK 2023, 29052
NZI 2024, 63

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hin wird der Beschluss des Amtsgerichtes Erlangen vom 31.08.2023 in Ziffer 1. wie folgt abgeändert:
Der als pfandfrei zu belassende Anteil der Abfindungszahlung des Dritschuldners AP… wird auf einen Betrag von 4.021,98 € festgesetzt.
2. Die weitergehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
3. Der Schukldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.635 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit Beschluss vom 31.08.2023 setzte das Amtsgericht Erlangen auf Antrag des Schuldners vom 15.06.2023 den pfandfrei zu belassenden Anteil an der Abfindungszahlungen des Drittschuldners APTIV Services Deutschland in Höhe von 14.160,58 € netto gemäß § 850 i ZPO auf 3.449,16 € fest.
2
Ausgehend von einem maßgeblichen Zeitraum von 6 Monaten zur fiktiven Aufteilung der Abfindungssumme und anhand der tatsächlichen Lohneingänge des Schuldners für den Zeitraum Januar bis Mai 2023 errechnete das Erstgericht das durchschnittliche Nettoeinkommen des Schuldners auf eine Höhe von 2.297,76 €. Seit Juni 2023 erhält der Schuldner Arbeitslosengeld in Höhe von 1.722,90 €, das zu berücksichtigen sei.
3
Der freizugebende Betrag errechne sich daher aus der Differenz zwischen 2.297,16 € und 1.722,90 € × 6, folglich auf 3.449,16 €.
4
Wegen der weiteren Begründung wird Bezug genommen auf den Beschluss.
5
Mit anwaltlichen Schriftsatz vom 15.09.2023, bei Gericht am selben Tage eingegangen, legte der Schuldner sofortige Beschwerde ein und beantragte, den Beschluss dahingehend abzuändern, dass der pfandfrei zu belassende Anteil auf einen Betrag von 8.084 € festgesetzt werde. Zum einen moniert die Beschwerde, dass der fiktive Abrechnungszeitraum statt 6 Monaten 10 Monate betragen müsse, da der Gesundheitszustand des Schuldners erheblich beeinträchtigt sei, was ihm die Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes erheblich erschweren werde.
6
Außerdem sei von einem durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen von 2.570 € auszugehen, sodass sich ein monatlicher Betrag von 848 € ergebe, multipliziert mit dem anzusetzenden Zehnmonatszeitraum errechne sich daher ein pfändungsfrei zu belassender Betrag von 8.480 €. Wegen der weiteren Begründung wird Bezug genommen auf den Beschwerdeschriftsatz.
7
Mit Beschluss vom 28.09.2023 half das Erstgericht der sofortigen Beschwerde nicht ab.
8
Auf die Begründung des Beschlusses wird Bezug genommen.
II.
9
Die statthafte, insbesondere fristgerecht eingelegte, sofortige Beschwerde war nur in geringem Ausmaße erfolgreich.
10
Soweit mit der Beschwerde angegriffen wird, dass das Erstgericht von einem Zeitraum von 6 Monaten zur Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes ausgegangen ist, und die Beschwerde einen solchen von 10 Monaten für sachgerecht erachtet, ist die Beschwerde jedenfalls nicht erfolgreich.
11
Wie das Erstgericht zu Recht ausführte, ist nicht ersichtlich, dass der erst 30 Jahre alte – und damit sehr junge Schuldner – an einer chronischen, systemischen Krankheit leide, die ihm die Wiederaufnahme eines Arbeitsverhältnisses im Vergleich zu einer gesunden Person gleichen Alters erschweren würde. Hinzu kommt, dass derzeit die Lage auf dem Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer bzw. Arbeitssuchende äußerst günstig ist, es ist allgemein bekannt, dass händeringend in sämtlichen Branchen nach Arbeitnehmern gesucht wird.
12
Es ist nicht ersichtlich, bzw. nicht ausreichend substantiiert vorgetragen, dass der Schuldner an einer Krankheit leide, die ihm die Arbeitsaufnahme grundsätzlich erschweren würde.
13
Aus der als Anlage 6 vorgelegten Klageerwiderung im Arbeitsgerichtsprozess ergibt sich vielmehr, dass der Schuldner über Jahre hinweg zunehmend krankheitsbedingte Fehlzeiten im Arbeitsverhältnis hatte. Der dort enthaltenen Tabelle ist zu entnehmen, dass es sich jeweils nur um kurze Fehlzeiten von wenigen Tagen handelte, die zudem nach dem Sachvortrag des Arbeitgebers jeweils aus unterschiedlichen Krankheiten resultierten.
14
Der Schuldner selbst ließ im Rahmen der Antragstellung mit Schriftsatz vom 15.06.2023 vortragen, er habe sich „bei Ausübung seiner Arbeitstätigkeit vermehrt einer psychischen Belastung ausgesetzt gefühlt, die zu unzähligen Kurzzeiterkrankungen geführt habe“.
15
Der Schuldner ließ mithin behaupten, aufgrund der konkreten Arbeitstätigkeit bzw. dem dortigen Arbeitsumfeld, habe er eine psychische Belastung entwickelt, die zu häufigen Kurzzeiterkrankungen geführt habe.
16
Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2023 ist damit die Ursache für die wiederkehrenden Kurzzeiterkrankungen des Schuldners weggefallen.
17
Sachvortrag dahingehend, dass der Schuldner auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiterhin ernsthaft erkrankt sei, fehlt.
18
Zudem wurden dem Gericht auch keine ärztlichen Atteste vorgelegt, die eine dauerhafte oder langwierige Krankheit des Schuldners bescheinigen würden. Auch fehlt es an Sachvortrag, inwieweit der Schuldner Therapiemaßnahmen ergriffen hat, um zu gesunden und alsbald wieder in ein reguläres Arbeitsverhältnis einzutreten.
19
Es fehlt mithin an greifbaren Indizien, die belegen würden, dass der Schuldner bei Vornahme gehöriger Anstrengungen nicht in der Lage sein sollte, binnen 6 Monaten ein neues Arbeitsverhältnis zu begründen.
20
Hinsichtlich der Berechnung des pfandfrei zu belassenden Anteiles gilt folgendes:
21
Aus der vom Schuldner vorgelegten elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2023 (01.01. – 30.04.) – Anlage 4 –, ergibt sich ein Nettoeinkommen des Schuldners von 9.572,92 €, mithin monatlich 2.393,23 €.
22
Vom letztgenannten Betrag ist das Einkommen in Form von Arbeitslosengeld in Höhe von monatlich 1.722,93 € abzusetzen.
23
Dies ergibt einen Differenzbetrag von 670,33 € monatlich, multipliziert mit dem Faktor 6 einen pfandfrei zu belassenden Betrag von 4.021,98 €.
24
Die weitergehende Beschwerde war indes erfolglos.