Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 02.10.2023 – Au 8 E 23.10000
Titel:

Flexibilisierung der Zulassungszahlen für Studiengänge in der Aufbauphase

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1
Staatsvertrag Art. 6 Abs. 2 S. 2
Leitsatz:
Art. 6 Abs. 2 S. 2 des Staatsvertrags eröffnet in der Aufbauphase, insbesondere bei der Einführung neuer Studienmodelle oder bei strukturellen Umgestaltungen, die Möglichkeit, die Zulassungszahlen abweichend von den im Normalfall festen Kapazitäten flexibel festzusetzen (BeckRS 2007, 20689). Auf diese Weise lässt sich die Kapazität in verfassungskonformer Weise an die besonderen Erfordernisse solcher Ausnahmefälle anpassen oder beschränken, ohne dass eine präzise Berechnung der jährlichen Aufnahmekapazität erforderlich ist (BeckRS 2022, 6578). (Rn. 15) (Rn. 14 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eilrechtsschutz, Hochschulrecht, Zulassung zum Medizinstudium, Kapazitätsberechnung, Kapazitäten, Modellstudiengang, legislative Festlegung von Studienplätzen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 28702

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung ihre vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin bei der Universität A. nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2023/2024.
2
An der medizinischen Fakultät der Universität A. ist durch Gesetz vom 26. Juni 2018 (Einfügung Art. 11a Bayerisches Hochschulzulassungsgesetz (BayHZG) – jetzt Art. 9a BayHZG) ab dem Wintersemester 2019/2020 der Modellstudiengang Humanmedizin eingerichtet worden. Der Studiengang ist nicht in eine vorklinische Phase und eine nach dem Abschluss der Vorklinik folgende klinische Phase gegliedert. Vorklinische Grundlagen, wissenschaftliche und klinische Inhalte werden integriert unterrichtet (vgl. zur Entstehung BayVGH, B.v. 17.3.2022 – 7 CE 22.10005 – juris Rn. 2).
3
Die Antragstellerin ist im Besitz einer Hochschulzugangsberechtigung. Sie bewarb sich zum Wintersemester 2023/2024 erfolglos über die Stiftung für Hochschulzulassung um eine Zulassung zum Studium im ersten Fachsemester.
4
Mit anwaltlichem Schreiben vom 11. Mai 2023 hat die Antragstellerin bei der Universität A. die Zuweisung eines Studienplatzes im Fach Humanmedizin im 1. Fachsemester für das Wintersemester 2019/2020 außerhalb der festgesetzten Kapazität beantragen lassen. Über diesen Antrag ist bislang nicht entschieden worden.
5
Die Antragstellerin ließ am 31. August 2023 die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragen.
6
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die festgesetzte Höchstzahl an Studienplätzen nicht kapazitätserschöpfend sei.
7
Für die Antragstellerin ist beantragt,
8
dem Antragsgegner aufzugeben, die Antragstellerin nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2023/2024 vorläufig im 1. Fachsemester außerhalb der festgesetzten Kapazität zum Studium im Studiengang Humanmedizin – hilfsweise beschränkt auf den vorklinischen Studienabschnitt – zuzulassen, hilfsweise, die Antragstellerin an einem gerichtlich angeordneten Vergabeverfahren teilnehmen zu lassen, hilfsweise, dem Antragsgegner aufzugeben, eine Verlosung offener Studienplätze vorzunehmen und die Antragstellerin hieran zu beteiligen.
9
Der Antragsgegner beantragt,
10
den Antrag abzulehnen.
11
Für den Start des Modellstudiengangs sei von der Universität A. nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Staatsvertrag 2008 keine Zulassungszahl berechnet worden. Die Studienplatzzahl sei legislativ in § 11a BayHZG (jetzt Art. 9a BayHZG) festgesetzt worden. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Staatsvertrag 2008 ermögliche bei der Erprobung neuer Studiengänge und -methoden diese abweichende Festsetzung der Zulassungszahlen. Zum Start des Studiengangs Humanmedizin seien daher bei der Universität A. keine außerkapazitären Studienplätze vorhanden. Auch der Antrag, die Antragstellerin hilfsweise auf den vorklinischen Abschnitt zuzulassen, sei unbegründet. Der Modellstudiengang Humanmedizin sei bei der Universität A. nicht in zwei unterschiedliche Studienabschnitte aufgeteilt. Die vorklinischen und klinischen Studieninhalte würden integriert unterrichtet. Eine beschränkte Zulassung auf einen Teilabschnitt des Studiums sei bei der Universität A. daher nicht möglich.
12
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
13
Der zulässig erhobene Antrag ist weder im Haupt- noch im Hilfsantrag begründet. Die Antragstellerin kann keinen Anspruch darauf geltend machen, bei der Universität A. zum Studium im Studiengang Humanmedizin zugelassen zu werden.
14
1. Zur Frage der Berechnung der Kapazität im Studiengang im Fach Humanmedizin an der Universität A. bzw. zur legislativen Festsetzung dieser Kapazität gemäß Art. 11 a BayHZG (jetzt Art. 9 a BayHZG) hat die Kammer im Beschluss vom 10. Oktober 2019 ausgeführt:
15
1. „Die Zulassung zum Studiengang Medizin an der Universität A. während des Aufbaus der Medizinischen Fakultät ist in Art. 11a BayHZG geregelt. Danach erfolgt die Zulassung nur, soweit ein Studienangebot vorhanden ist. In Satz 2 der Vorschrift wird die Zahl der Zulassungen zu den ersten vier Wintersemestern ab Aufnahme des Studienbetriebs auf jeweils 84 festgesetzt [Nach Art. 9a BayHZG für die folgenden drei Wintersemester auf jeweils 168; Einfügung durch das Gericht]. Der insoweit eindeutige Wortlaut spricht für eine gesetzlich festgelegte Kapazitätsbeschränkung. Auch aus der Begründung zum Gesetzesentwurf (LT-Drs. 17/20989 S. 14) ergibt sich, dass diese Festsetzung abschließend ist. Dort heißt es, dass der Wissenschaftsrat die Kapazitätsplanung für das Projekt in seiner Stellungnahme gewürdigt und sie ausdrücklich als plausibel bewertet hat. Die gesetzliche Festlegung der Ausbildungskapazität während der Aufbauphase diene der Rechtssicherheit und schaffe klare Rahmenbedingungen für den Aufbau der Fakultät. Der Gesetzgeber hatte damit nachvollziehbare Gründe für die fragliche Festsetzung. Da es hier nicht um die Einschränkung bestehender Kapazitäten, sondern um die Schaffung neuer Kapazitäten ging, hatte er aus haushaltsrechtlicher Sicht Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Frage, in welchem Umfang er Haushaltsmittel für den neuen Studiengang widmen wollte. Der Antragsgegner hat im vorliegenden Verfahren in plausibler Weise dargelegt, dass erhebliche räumliche, personelle und organisatorische Engpässe bestehen. Die ersten Gebäude für die Medizinische Fakultät sollen frühestens 2023 fertiggestellt werden, die Besetzung der Lehrstühle ist noch nicht gesichert. Der damit verbundene Kapazitätsengpass ließ sich innerhalb des gewählten Studienmodells nicht durch eigene Anstrengungen des Antragsgegners beheben. Für die Kapazitätsfestsetzung blieben deshalb alle anderen Kapazitätserwägungen – jedenfalls in Richtung auf höhere Kapazität – notwendig folgenlos. Der Gesetzgeber konnte daher die Festsetzung ohne weiteres selbst treffen, ohne auf die sonst gebotenen Vorarbeiten für eine Kapazitätsermittlung angewiesen zu sein.
2. Nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 Staatsvertrag sind die Zulassungszahlen so festzusetzen, dass nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Vorgaben und unter Berücksichtigung der räumlichen und fachspezifischen Gegebenheiten eine erschöpfende Nutzung der Ausbildungskapazität erreicht wird; die Qualität in Forschung und Lehre, die geordnete Wahrnehmung der Aufgaben der Hochschule, insbesondere in Forschung, Lehre und Studium sowie in der Krankenversorgung, sind zu gewährleisten. Die Vorschrift gibt damit unter Beachtung des Kapazitätserschöpfungsgebots den Rahmen vor, dem eine Festsetzung der Zulassungszahl gem. Art. 6 Abs. 1 Staatsvertrag zu genügen hat. Die weiteren Regelungen des Art. 6 Abs. 1 und 3 Staatsvertrag führen diese grundsätzliche Vorgabe näher aus. Nach Art. 6 Abs. 1 S. 3 wird die Zulassungszahl auf der Grundlage der jährlichen Aufnahmekapazität festgesetzt, diese wird nach Art. 6 Abs. 3 auf der Grundlage des Lehrangebots, des Ausbildungsaufwands und weiterer kapazitätsbestimmender Kriterien ermittelt. Das in den Folgesätzen dieser Regelung vorgegebene Ermittlungsprogramm wird dann durch das Berechnungsverfahren nach der HZV konkretisiert.
Abweichend von Art. 6 Abs. 2 S. 1 Staatsvertrag, der auf die im „Normalfall“ eingerichteten Studiengänge zugeschnitten ist, erlaubt Art. 6 Abs. 2 S. 2 Staatsvertrag bei der Erprobung neuer Studiengänge und -methoden sowie bei der Neuordnung von Studiengängen und Fachbereichen eine abweichende Festsetzung der Zulassungszahlen. Die Regelung eröffnet damit im Hinblick auf gewichtige Besonderheiten, wie sie sich aus Strukturveränderungen, aber auch aus dem Aufbau neuer Ausbildungsgänge ergeben können, in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise die Möglichkeit, eine Ausbildungskapazität zu ermitteln, die diesen Ausnahmefällen Rechnung trägt (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 21.12.2006 – 2 NB 347/06 – juris, m.w.N.). Bei der Erprobung neuer Studiengänge soll die Regelung von dem Erfordernis freistellen, die jährliche Aufnahmekapazität nach den genannten und in Art. 6 Abs. 3 Staatsvertrag näher konkretisierten Kriterien exakt zu errechnen.
Bei Anwendung dieser verfassungsgemäßen Ausnahmeregelungen für Modellstudiengänge liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die mit 84 festgesetzte Zulassungszahl [jetzt 168; Einfügung durch das Gericht] unterhalb der tatsächlichen Aufnahmekapazität verbleibt, nicht vor.“
16
(VG Augsburg, B.v. 10.10.2019 – Au 8 E 19.10000 – juris Rn. 17 ff.)
17
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat diese Ausführungen in seiner Rechtsprechung bestätigt und (zuletzt) ausgeführt, „dass der bayerische Gesetzgeber während der Aufbauphase der Medizinischen Fakultät [an der Universität A.; Einfügung durch das Gericht] die Anzahl der zum Studiengang Medizin zuzulassenden Bewerberinnen und Bewerber in Art. 9 a BayHZG beschränken konnte“ (BayVGH, B.v. 17.3.2022 – 7 CE 22.10005 – juris Rn. 24).
18
Die Kammer hält an ihrer vorgenannten Rechtsprechung fest und folgt insoweit auch der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Der Vortrag der Antragstellerseite zur fehlenden Ausschöpfung der Kapazität und dem daraus erwachsenden Anspruch der Antragstellerin auf Zulassung außerhalb der Kapazität geht somit ins Leere.
19
2. Soweit im Antrag hilfsweise ein Anspruch auf die vorläufige Zulassung zum vorklinischen Abschnitt verfolgt wird, geht dieser Antrag mangels Aufteilung in vorklinischen und klinischen Abschnitt der Ausbildung im Modellstudiengang an der Universität A. ebenfalls in Leere. Auch insoweit kann zur weiteren Begründung auf die vorgenannte Rechtsprechung Bezug genommen werden.
20
3. Für den erfolglosen Antrag trägt die Antragstellerin nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens.
21
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Der Wert von 5.000 € war im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu halbieren.