Titel:
Zeitpunkt des Haftungswechsels für Gewerbesteuerschulden vom gesetzlichen Vertreter einer KG auf den Insolvenzverwalter
Normenketten:
AO § 34 Abs. 1, Abs. 3, § 38, § 69, § 191 Abs. 1 S. 1, § 227, § 355
GewStG § 18
InsO § 80 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die vorläufige Eröffnung des Verfahrens mit Beschränkung des "schwachen" Insolvenzverwalters schränken die Verfügungsbefugnisse des gesetzlichen Vertreters einer KG und damit auch die entsprechenden Pflichten aus § 34 Abs. 1 AO ohne eine entsprechende Anordnung des Insolvenzgerichts noch nicht ein. (Rn. 36 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verfügungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO vollständig auf den Insolvenzverwalter über, sodass von diesem Zeitpunkt an der Insolvenzverwalter als Vermögensverwalter iSd § 34 Abs. 3 AO die steuerlichen Pflichten der Insolvenzschuldnerin - hier die Pflicht zur Zahlung der Gewerbesteuer und der entsprechenden Vorauszahlungen – zu erfüllen hat. (Rn. 38 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Drittwirkung des § 166 AO tritt nicht ein, wenn der als Haftungsschuldner in Anspruch genommene Geschäftsführer nicht während der gesamten Dauer der Rechtsmittelfrist nach § 355 AO berechtigt gewesen ist, als Vertreter der KG zu handeln, weil währenddessen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten ist. (Rn. 42 – 48) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass eines Haftungsbescheids hat grds. der Steuergläubiger zu belegen. (Rn. 50 – 56) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Nichtentrichtung der Steuerforderung bei Fälligkeit stellt eine Pflichtverletzung des Steuerschuldners dar. (Rn. 68) (redaktioneller Leitsatz)
6. Die Haftung des gesetzlichen Vertreters setzt die Feststellung voraus, dass die Gesellschaft ungeachtet sonstiger Verbindlichkeiten bei Fälligkeit der Steuerschulden oder später über hinreichende Mittel zu deren Begleichung verfügte; dies wird grds. bis zu einer Insolvenzantragstellung vermutet. (Rn. 74) (redaktioneller Leitsatz)
7. Besteht die Möglichkeit, Abgaben, die ein Steuerschuldner nicht entrichtet hat, vom Haftungsschuldner zu erhalten, ist die Gemeinde gehalten, die Abgaben einzutreiben, wenn nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen etwa für einen Erlass nach § 227 AO vorliegen. (Rn. 82 – 85) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Haftung des gesetzlichen Vertreters einer KG für Gewerbesteuerschulden, Nichterfüllung der Steuerverbindlichkeiten, Verfügungsberechtigung des Geschäftsführers bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, Grundsatz der anteiligen Tilgung, Mitwirkungspflicht des Haftungsschuldners, Feststellungslast, Steuerschulden, Gewerbesteuer, Haftungsschuldner, Steuerverbindlichkeiten, Verfügungsberechtigung des Geschäftsführers, Insolvenzverwalter, Mitwirkungspflicht
Fundstelle:
BeckRS 2023, 28672
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2018 wird aufgehoben, soweit die Haftungsinanspruchnahme und Zahlungsaufforderung einen Betrag von 30.379,80 Euro übersteigen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens haben der Kläger 2/5 und die Beklagte 3/5 zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen einen Haftungsbescheid der Beklagten, durch den er für Steuerverbindlichkeiten der H. … … GmbH & Co … … … (Primärschuldnerin) in Anspruch genommen wird.
2
Der Kläger und sein Bruder, … …, waren seit 17. Februar 2014 Geschäftsführer der H. … … Verwaltungsgesellschaft mbH. Diese wiederum war Komplementärin der H. … … GmbH & Co … … …
3
Ab dem Jahr 2015 ergingen seitens des Finanzamtes Eichstätt zahlreiche Mitteilungen an die Beklagte, in denen sie über Festsetzungen bzw. Anpassungen des Gewerbesteuermessbetrages gegenüber der Primärschuldnerin für die Veranlagungszeiträume 2015 bis 2017 informiert wurde. In der Folge setzte die Beklagte gegenüber der Primärschuldnerin Gewerbesteuer bzw. Gewerbesteuervorauszahlungen für die betreffenden Jahre fest. Für die Veranlagung 2015 berichtigte die Beklagte die Festsetzung zuletzt mit Bescheid vom 16. Januar 2018 auf 38.276,70 Euro, erhöhte die Festsetzung also um 924,00 Euro, und setzte für 2015 Nachzahlungszinsen in Höhe von 40,00 Euro fest. Nachdem die Vorauszahlungen für 2016 mit Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 2016 zwischenzeitlich auf 0,00 Euro reduziert wurde, erfolgte mit Bescheid der Beklagten vom 22. August 2017 eine Festsetzung auf 37.344,00 Euro. Umgekehrt wurde die für 2017 ursprünglich festgesetzte Gewerbesteuervorauszahlung in Höhe von 37.344,00 Euro mit Bescheid vom 27. Oktober 2017 auf 0,00 Euro reduziert.
4
Da die Primärschuldnerin zwischenzeitlich in Verzug mit der Abführung von Sozialabgaben geraten war, stellte die AOK Bayern am 20. Oktober 2017 beim Amtsgericht Ingolstadt Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Zur Sicherung des Schuldnervermögens vor nachteiligen Veränderungen ordnete das Insolvenzgericht am 13. Dezember 2017 die vorläufige Insolvenzverwaltung an.
5
Am 8. Januar 2018 beantragte auch der Kläger selbst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Primärschuldnerin.
6
Mit Beschluss vom 1. Februar 2018 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Primärschuldnerin wegen Zahlungsunfähigkeit.
7
Mit Schreiben vom 13. März 2018 teilte die Beklagte dem Insolvenzverwalter mit, in welcher Höhe nunmehr Gewerbesteuer für 2016 veranlagt und inwieweit die Gewerbesteuervorauszahlungen für 2017 angepasst werden sollen.
8
Mit Schreiben vom 2. Mai 2018 wurde der Kläger zur beabsichtigten Haftungsinanspruchnahme durch die Beklagte angehört.
9
Mit Bescheid vom 18. Juli 2018 nahm die Beklagte den Kläger in Höhe von insgesamt 72.751,30 Euro für offene Steuerverbindlichkeiten der Primärschuldnerin in Anspruch und forderte ihn auf, den Gesamtbetrag bis zum 24. August 2018 zu entrichten. Die Haftungssumme setzte sich wie folgt zusammen:
Gewerbesteuer 2015
Gewerbesteuer Zinsen 2015
Gewerbesteuer 2016
Gewerbesteuer 2017
|
924,00 €
40,00 €
30.379,80 €
37.584,00 €
|
Insgesamt:
|
68.927,80 €
|
Kassennebenforderungen (Mahngebühren, Säumniszuschläge, Vollstreckungsgebühren)
|
3.823,50 €
|
Gesamtrückstand
|
72.751,30 €
|
10
Der Kläger erhob gegen den Bescheid mit Schriftsatz vom 25. Juli 2018 Widerspruch.
11
Der Widerspruch wurde mit Bescheid des Landratsamtes Eichstätt vom 17. Januar 2020, zugestellt am 22. Januar 2020, zurückgewiesen, da die Beklagte die Haftungsinanspruchnahme zutreffend auf § 191 AO gestützt habe.
12
Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2020 hat der Kläger Klage erhoben.
13
Zur Begründung seiner Klage führt der Kläger im Wesentlichen aus, dass die Gewerbesteuerforderungen nicht bestünden, da weder in 2016 noch in 2017 entsprechende Gewinne erwirtschaftet worden seien. Hilfsweise werde die Fälligkeit dieser Forderungen bestritten. Zudem sei der Kläger zwar Geschäftsführer gewesen, hätte aufgrund der Bestellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aber keine rechtliche Möglichkeit gehabt, die Steuerforderungen zu begleichen. Im Übrigen habe die Beklagte den Grundsatz der anteiligen Tilgung nicht hinreichend berücksichtigt, da die Primärschuldnerin keine ausreichenden Mittel zur Begleichung aller Verbindlichkeiten gehabt habe und es demzufolge nicht zu einer Benachteiligung der Steuergläubigerin gekommen sei. Dies ergebe sich aus dem vorgelegten Entwurf eines Jahresabschlusses für 2016, aus betriebswirtschaftlichen Auswertungen für 2016 und 2017 sowie aus dem Umstand, dass der Insolvenzverwalter eine Zahlung der Primärschuldnerin auf Lohn- und Kirchensteuer angefochten habe.
15
den Haftungsbescheid der Stadt Beilngries vom 18. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts Eichstätt vom 17. Januar 2020, Az. …; …, letzterer zugestellt am 22. Januar 2020, aufzuheben.
16
Die Beklagte beantragt,
18
Die Gewerbesteuerbescheide für die streitgegenständlichen Jahre seien bestandskräftig, sodass es auf den Vortrag des Klägers zur wirtschaftlichen Situation der Primärschuldnerin nicht ankomme. Zudem werde der Vortrag mit Nichtwissen bestritten, da die Beklagte keine Möglichkeit habe, die Angaben zu prüfen. Die Gewerbesteuer sei auf Grundlage der Mitteilungen des Finanzamtes festgesetzt worden. Der Kläger hafte für die Gewerbesteuerforderungen nach § 69 Abgabenordnung (AO).
19
Die Bevollmächtigte der Beklagten erklärte in der mündlichen Verhandlung mit Blick auf insoweit bestehende rechtliche Unsicherheiten, dass die Positionen „Gewerbesteuer-Zinsen 2015“ und „Kassennebenforderungen“ aus dem streitgegenständlichen Bescheid gestrichen werden und die Gesamtsumme der Haftungsinanspruchnahme entsprechend reduziert wird.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
21
In der Verwaltungsstreitsache konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17. Mai 2023 entschieden werden, obwohl für den Kläger in diesem Termin niemand erschienen ist, nachdem in der ihm ordnungsgemäß zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
22
Soweit die Klage zulässig ist, ist sie nur im tenorierten Umfang begründet. Im Übrigen war sie abzuweisen.
23
A. Soweit die Klage die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 18. Juli 2018 in den Positionen „Gewerbesteuer Zinsen 2015“ und „Kassennebenforderungen“ zum Ziel hat, ist sie bereits unzulässig.
24
Durch die Erklärung der Bevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 17. Mai 2023 wurde der streitgegenständliche Bescheid in diesen beiden Punkten aufgehoben, sodass die diesbezügliche Beschwer des Klägers entfiel und ihm insoweit die nach § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis fehlt.
25
B. Die im Übrigen zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
26
Soweit die Haftungsinanspruchnahme des Klägers und die Zahlungsaufforderung einen Betrag von 30.379,80 Euro übersteigen, ist der Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2018 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
27
Die Inanspruchnahme des Klägers für ausstehende Gewerbesteuer der Primärschuldnerin aus den Kalenderjahren 2015 und 2017 in Höhe von insgesamt 38.508,00 Euro ist rechtswidrig. Die Inanspruchnahme des Klägers für Steuerverbindlichkeiten aus dem Jahr 2016 in Höhe von 30.379,80 Euro erfolgte hingegen rechtmäßig.
28
Rechtsgrundlage des angefochtenen Haftungsbescheids ist § 191 Abs. 1 Satz 1 i.V. m. §§ 69, 34 AO. Nach §§ 1 Abs. 2 Nr. 2 und 4 i.V. m. § 3 Abs. 2 AO finden die §§ 191, 69, 34 AO für die Gewerbesteuer als Realsteuer, deren Verwaltung den Gemeinden übertragen ist, vgl. § 1 Gewerbesteuergesetz (GewStG), direkte Anwendung.
29
Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Gemäß § 69 AO haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden.
30
Der Kläger haftet als ehemaliger Geschäftsführer für bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht erfüllte, fällige Steuerforderungen der Primärschuldnerin (I.). Für die Veranlagungszeiträume 2015 und 2017 liegt jedoch kein Haftungsschaden vor, da die Kammer nicht davon ausgeht, dass die Steuerverbindlichkeiten in den betreffenden Jahren in der geltend gemachten Höhe entstanden sind (II.). Für das Jahr 2016 ist indes von einem Haftungsschaden auszugehen, da sich der Kläger die bestandskräftige Festsetzung der Gewerbesteuervorauszahlung nach § 166 AO entgegenhalten lassen muss (III.). Der Haftungsschaden trat insoweit auch infolge der schuldhaften Pflichtverletzung des Klägers ein (IV.), sodass der Kläger für die Steuerforderung aus 2016 ermessensfehlerfrei (V.) in Anspruch genommen und zur Zahlung aufgefordert (VI.) werden konnte.
31
I. Der Kläger unterfällt dem von § 69 AO erfassten Personenkreis (1.) und war bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht verfügungsbeschränkt (2.).
32
1. § 69 AO erstreckt die Haftung auf die in den §§ 34, 35 AO bezeichneten Personen.
33
Der Kläger war seit 17. Februar 2014 Geschäftsführer der H. … … Verwaltungsgesellschaft mbH. Diese wiederum war Komplementärin der H. … … GmbH & Co … … …
34
Eine Kommanditgesellschaft ist eine nicht rechtsfähige Personenvereinigung i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 AO. Wenn bei einer GmbH & Co. KG die Geschäftsführungsbefugnis bei der Komplementär-GmbH liegt, ist der Geschäftsführer der GmbH, § 35 Abs. 1 GmbHG, der mittelbare Geschäftsführer der Kommanditgesellschaft und damit für die Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AO verantwortlich, §§ 161, 114, 125, 164, 170 HGB (BFH, U.v. 26.1.2016 – VII R 3/15 – juris Rn. 11). Zu den steuerlichen Pflichten gehört insbesondere, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten, § 34 Abs. 1 Satz 2 AO.
35
2. Der Kläger war bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht verfügungsbeschränkt und hätte bis dahin die entstandenen und fälligen Steuern entrichten können.
36
Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens allein schränkt die Verfügungsbefugnisse des Geschäftsführers ohne eine entsprechende Anordnung des Insolvenzgerichts noch nicht ein, arg. ex § 21 Insolvenzordnung (InsO).
37
Auch die vorläufige Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Bestellung des „schwachen“ Insolvenzverwalters, d.h. die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO, führt nicht zur Verdrängung des Geschäftsführers aus seiner Pflichtenstellung (zuletzt BFH, Urteil v. 14.12.21 – VII R 32/20 – juris Rn. 37 ff.). Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt also weiter nach § 34 AO verantwortlich.
38
Erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. Februar 2018 ging die Verfügungsbefugnis vollständig auf den Insolvenzverwalter über, § 80 InsO, sodass von diesem Zeitpunkt an der Insolvenzverwalter als Vermögensverwalter i.S.d. § 34 Abs. 3 AO die steuerlichen Pflichten der Insolvenzschuldnerin zu erfüllen hatte. Auch wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zivilrechtlich zur Auflösung der Gesellschaft führt, § 728 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 131 Abs. 1 Nr. 3, § 161 Abs. 2 Handelsgesetzbuch (HGB), bleibt der Gewerbebetrieb Steuergegenstand. Die Gewerbesteuerpflicht wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers nicht berührt, § 4 Abs. 2 Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung.
39
Der für die Haftung maßgebliche Zeitraum erstreckt sich daher vom 17. Februar 2014 bis zum 31. Januar 2018.
40
II. Bei den Gewerbesteuerforderungen sowie den festgesetzten Vorauszahlungen handelt es sich um Steueransprüche, für die der Kläger dem Grunde nach haftet (1.). Für die Veranlagungszeiträume 2015 und 2017 kann die Beklagte dem Kläger die Bestandskraft ihrer Festsetzungen nicht entgegenhalten (2.) Auch gelingt ihr der Nachweis, dass die geltend gemachten Steuerforderungen entstanden sind, nicht, sodass es insoweit an einem Haftungsschaden fehlt (3.).
41
1. Der Kläger wurde durch die Beklagte für offene Steueransprüche, § 37 AO, aus den Jahren 2015 bis 2017 in Anspruch genommen. Steueranspruch ist der Anspruch des Steuergläubigers gegen den Steuerschuldner auf die Steuer, vgl. §§ 43, 155 AO (Brühlin Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, Stand 1.7.2023, § 37 Rn. 54). Gläubiger der Gewerbesteuer sind die Gemeinden, § 1 GewStG; hier also die Beklagte. Steuerschuldnerin ist die H. … … GmbH & Co … … …, § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG. Die Gewerbesteuer entsteht mit Ablauf der jeweiligen Erhebungszeiträume, vgl. § 38 AO i.V.m. § 18 GewStG. Zu den Steueransprüchen gehören auch die Ansprüche auf Vorauszahlungen (Ratschow in Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 37 Rn. 4). Die Vorauszahlungen auf die Gewerbesteuer entstehen nach § 21 GewStG mit Beginn des Kalendervierteljahres in dem die Vorauszahlungen zu entrichten sind, oder, wenn die Steuerpflicht erst im Laufe des Kalendervierteljahrs begründet wird, mit Begründung der Steuerpflicht. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 GewStG hat der Steuerschuldner am 15. Februar, 15. Mai, 15. August und 15. November Vorauszahlungen zu entrichten. Der Haftungsschuldner kann auch für rückständige Steuervorauszahlungen in Anspruch genommen werden, sofern insoweit die Haftungsvoraussetzungen vorliegen. Abzustellen ist insoweit auf die Fälligkeit der Vorauszahlungen (VG Weimar, U.v. 22.6.21, 6 K 1426/19 We Rn. 39 mit Verweis auf FG Thüringen, U.v. 25.10.18, Az. 1 K 632/15).
42
2. Der Kläger muss sich die Festsetzungen der Beklagten gegenüber der Primärschuldnerin für die Veranlagungszeiträume 2015 (a) und 2017 (b) nicht entgegenhalten lassen.
43
a) Für das Kalenderjahr 2015 wurde seitens der Beklagten mit Bescheid vom 16. Januar 2018 38.276,70 Euro Gewerbesteuer festgesetzt, sodass sich insoweit ein Fehlbetrag von 924,00 Euro ergab, für den der Kläger nunmehr herangezogen wird.
44
Die Steuerfestsetzung der Beklagten muss der Kläger nach § 166 AO jedoch nur dann gegen sich gelten lassen, wenn diese gegenüber der Primärschuldnerin unanfechtbar festgesetzt wurde und er in der Lage gewesen wäre, die Bescheide als Vertreter der Primärschuldnerin anzufechten.
45
Dies ist hier jedoch nicht der Fall, da ihm nicht die gesamte Anfechtungsfrist zur Verfügung stand.
46
Nach Aktenlage wurde der Bescheid für das Jahr 2015 vom 16. Januar 2018 per einfachem Brief zugestellt und galt damit frühestens am 19. Januar 2018 als bekanntgegeben, § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO. Zwar wäre der Kläger trotz der vorläufigen Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Lage gewesen – jedenfalls mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters – den Festsetzungsbescheid anzufechten, allerdings verlor er die Vertretungsbefugnis mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. Februar 2018, sodass ihm nicht die gesamte Rechtsbehelfsfrist von einem Monat, § 355 AO, zur Verfügung stand. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes tritt die Drittwirkung des § 166 AO nicht ein, wenn der als Haftungsschuldner in Anspruch genommene Geschäftsführer einer GmbH nicht während der gesamten Dauer der Rechtsmittelfrist berechtigt gewesen ist, als Vertreter der GmbH zu handeln (BFH, U.v. 16.5.2017 – VII R 25/16 – juris Rn. 8, 11 ff.). Danach müsste der Kläger die Nichtanfechtung lediglich dann gegen sich gelten lassen, wenn er im Rahmen des anschließenden Insolvenzverfahren trotz entsprechender Möglichkeit keinen Gebrauch von seinem Widerspruchsrecht gemacht hätte und die Forderung infolgedessen festgestellt worden wäre. Vorliegend bestand aber schon die Möglichkeit nicht, weil die von der Beklagten im Insolvenzverfahren angemeldeten Steuerforderungen sämtlich durch den Insolvenzverwalter bestritten wurden.
47
b) Gleiches gilt für das Jahr 2017.
48
Mit Blick auf den Erhebungszeitraum 2017 wurde die Gewerbesteuervorauszahlung durch die Beklagte zuletzt (und bestandskräftig) mit Bescheid vom 27. Oktober 2017 auf 0,00 Euro festgesetzt, sodass insoweit schon keine Veranlassung zur Anfechtung bestand. Erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde dem Insolvenzverwalter formlos eine nachträgliche Anpassung auf 37.584,00 Euro mitgeteilt. Diese diente jedoch lediglich der Anmeldung von Insolvenzforderungen und entfaltet mangels Abrechnungsbescheid, vgl. § 251 Abs. 3 AO, keine Rechtswirkungen. Zudem war der Kläger in diesem Zeitpunkt auch nicht mehr zur Anfechtung berechtigt.
49
3. Dass die Steueransprüche für die Jahre 2015 und 2017 entstanden sind, steht nicht zur Überzeugung der Kammer fest.
50
Da sich der Kläger die Bestandskraft der diesbezüglichen Festsetzungsbescheide der Beklagte nicht nach § 166 AO entgegenhalten lassen muss, oblag es der Beklagten nachzuweisen, dass die Primärschuldnerin in diesen Zeiträumen tatsächlich steuerbare Erträge erwirtschaftet hat, § 38 AO i.V.m. §§ 6 ff. GewStG.
51
Aus den von der Beklagten vorgelegten Akten ergibt sich weder, ob die Grundlagenbescheide des Finanzamtes Eichstätt für die betreffenden Jahre bestandskräftig wurden, noch, ob eigene Ermittlungen der Beklagten zu den Erträgen der Primärschuldnerin angestellt wurden. Daher war nach dem Vortrag des Klägers im Klageverfahren davon auszugehen, dass dies in den streitgegenständlichen Zeiträumen nicht oder jedenfalls nicht in der beanspruchten Höhe der Fall war.
52
Das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass eines Haftungsbescheids hat grundsätzlich der Steuergläubiger zu belegen (Rüsken in Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 69 Rn. 159; Kratzsch in Koenig, AO, 4. Aufl. 2021, § 69 Rn. 148). Dem potentiellen Haftungsschuldner kommt zwar nach §§ 90 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AO eine Mitwirkungs- und Auskunftspflicht zu, deren Verletzung zu einer Beweismaßverringerung führen kann (BayVGH, B.v. 22.3.2016 – 4 CS 15.2488 – juris; VG München, B.v. 23.11.2017 – M 10 S 17.4897 – juris Rn. 70). Umgekehrt trifft die Beklagte eine generelle Amtsermittlungspflicht aus § 88 AO, welche insbesondere auch Auskunftsersuchen an die Finanzbehörden, vgl. § 31 AO, sowie die Möglichkeit zur Beiziehung der Insolvenzakten und die Kontaktaufnahme mit dem Insolvenzverwalter, vgl. § 93 AO, umfasst.
53
Im Rahmen der Klagebegründung wurden umfangreiche, noch im Besitz des Klägers befindliche Unterlagen eingereicht, insbesondere die Insolvenztabelle, der Entwurf des Jahresabschluss 2016 sowie betriebswirtschaftliche Auswertungen für 2016 und 2017.
54
Aus der Gesamtschau dieser Unterlagen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Primärschuldnerin bereits deutlich vor der Stellung des Insolvenzantrages durch die AOK Bayern am 20. Oktober 2017 in eine wirtschaftliche Schieflage geraten war. So wurden etwa Forderungen in beträchtlicher Höhe zur Insolvenztabelle angemeldet, deren Rechtsgrund bis in das Jahr 2015 zurückreicht, vgl. etwa laufende Nummern 1, 39, 63, 118, 123. Insbesondere ist die Primärschuldnerin ihren sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen über Jahre hinweg nicht nachgekommen. Beispielsweise wurde seitens der deutschen Rentenversicherung unter der laufenden Nummer 28 Forderungen für Sozialversicherungsbeiträge für Beschäftigte im Zeitraum vom 1. April 2003 bis 31. Januar 2018 angemeldet. Unter der laufenden Nummer 137 meldete die Audi BKK eine Forderung aus Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für den Zeitraum von 1. August 2015 bis 31. Januar 2018 an. Aus dem Insolvenzantrag der AOK Bayern ergibt sich zudem, dass für das Jahr 2015 Säumniszuschläge erhoben wurden und auch in 2017 offene Sozialversicherungsforderungen bestanden.
55
Wenn auch der klägerische Vortrag dem Gericht keine abschließende Beurteilung hinsichtlich der tatsächlich erwirtschafteten Erträge und der konkreten Mittelverwendung bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. hierzu IV.2.) ermöglicht, so begründet er dennoch erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der im Haftungsbescheid aufgestellten Behauptung der Beklagten, dass die Steueransprüche entstanden seien. Dies führt insoweit zu einer Verschiebung der Feststellungslast, sodass die Nichterweislichkeit des Entstehens der betreffenden Steuerforderungen zu Lasten der Beklagten geht.
56
Dementsprechend wäre es an der Beklagten gewesen, dem Vortrag des Klägers aufgrund eigener Erkenntnisse substantiiert entgegenzutreten. Sowohl die Bescheidsbegründung, die vorgelegten Behördenakten als auch die Ausführungen in der Klageerwiderung vom 6. November 2020 lassen jedoch erkennen, dass sich die Bemühungen der Beklagten darin erschöpften, auf die Bestandskraft der Gewerbesteuerbescheide zu verweisen, ohne die Entstehung der Steueransprüche in den Jahren 2015 und 2017 für die Haftungsinanspruchnahme des Klägers einer eigenständigen Prüfung zu unterziehen. Dass dies angezeigt gewesen ist, hätte der Beklagten spätestens seit dem Zeitpunkt bewusst sein müssen, in dem sie selbst die Gewerbesteuer für das Jahr 2017 mit Bescheid vom 27. Oktober 2017 auf 0,00 Euro festsetzte.
57
III. Bezüglich des Veranlagungszeitraums 2016 muss sich der Kläger die bestandskräftige Festsetzung der Beklagten hingegen gemäß § 166 AO entgegenhalten lassen, sodass es auf die tatsächliche Entstehung der Steuerforderung nicht ankommt (1.). Zugunsten des Klägers geht die Kammer davon aus, dass die Inanspruchnahme für Forderungen aus 2016 lediglich in Höhe von 30.379,80 Euro erfolgte, weil die Forderung im Übrigen erloschen war bzw. aufgrund des Insolvenzverfahrens bislang nicht durch Festsetzungsbescheid korrigiert werden konnte (2.). In dieser Höhe wurde die Forderung auch fällig (3.).
58
1. Für das Jahr 2016 wurden durch die Beklagte zuletzt mit bestandskräftigem Bescheid vom 22. August 2017 Gewerbesteuervorauszahlungen in Höhe von 37.344,00 Euro festgesetzt. Demnach stand dem Kläger die gesamte Einspruchsfrist zur Verfügung, sodass er mit Einwendungen gegen das Entstehen der Steuerforderung nach § 166 AO ausgeschlossen ist.
59
Auf die formlose Mitteilung der Beklagten an den Insolvenzverwalter vom 13. März 2018 kommt es aus den zuvor genannten Gründen nicht an.
60
2. Anhand der seitens der Beklagten vorgelegten Unterlagen, insbesondere des Kassenkontoauszuges vom 8. April 2017, lässt sich nicht zweifelfrei erkennen, auf welche Forderungen die Primärschuldnerin vor Erlass des Haftungsbescheides bereits Leistungen erbracht hat. Da dies weder von der Beklagten berichtigt noch vom Kläger gerügt wurde, geht das Gericht zugunsten des Klägers davon aus, dass die offene Steuerforderung für das Jahr 2016 einen Betrag von 30.379,80 Euro nicht übersteigt und die ursprünglich festgesetzte Forderung in Höhe von 6.964,20 Euro entweder durch Zahlung erloschen ist, § 47 AO, oder bislang aufgrund des offenen Insolvenzverfahrens nicht korrigiert werden konnte und daher seitens der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid nur in dieser Höhe für die Haftungsinanspruchnahme in Ansatz gebracht wurde.
61
3. Die Steuerforderung für das Jahr 2016 wurde entgegen der Ansicht des Klägers auch im maßgeblichen Haftungszeitraum und damit vor Erlass des Haftungsbescheides fällig.
62
Der Kläger bestreitet die Fälligkeit der im Haftungsbescheid geltend gemachten Forderungen mit Hinweis auf die durch die obersten Finanzbehörden der Länder verlängerten Abgabefristen für Steuererklärungen in den Jahren 2015 bis 2017, sodass die Gewerbesteuer für die Jahre 2016 nicht mehr vor der (vorläufigen) Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig geworden sei.
63
Zunächst ist festzuhalten, dass die Prüfung von Haftungsschaden und Pflichtverletzung insoweit zu trennen ist. Denn für den Haftungsschaden kommt es nicht darauf an, dass die Nichterfüllung bei Fälligkeit in den Haftungszeitraum der Kläger fällt. Dies ist nur im Rahmen der Prüfung der entsprechenden Pflichtverletzungen relevant. Der durch den Steuerausfall verursachte Schaden muss allerdings im Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides vorliegen.
64
Gemäß § 220 Abs. 1 AO richtet sich die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerverhältnis nach den Vorschriften der Steuergesetze.
65
Die Fälligkeit der Vorauszahlungen richtet sich nach § 19 Abs. Satz 1 GewStG. Danach hat der Steuerschuldner „am 15. Februar, 15. Mai, 15. August und 15. November Vorauszahlungen zu entrichten“. Bei einer nachträglichen Erhöhung der Vorauszahlungen ist der Erhöhungsbetrag innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Vorauszahlungsbescheids zu entrichten, § 19 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 GewStG. Die Fristenberechnung richtet sich nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO.
66
Die mit Bescheid vom 22. August 2017 bestandskräftig angepassten Gewerbesteuervorauszahlungen für 2016 waren daher am 25. September 2017 in voller Höhe zur Zahlung fällig.
67
IV. Mit Blick auf die Steuerforderung für 2016 hat der Kläger seine Verpflichtung aus § 34 AO schuldhaft verletzt (1.) und hierdurch den Haftungsschaden kausal verursacht (2.).
68
1. Die Nichtentrichtung der Steuerforderung bei Fälligkeit stellt eine Pflichtverletzung des Klägers dar (BayVGH, B.v. 16.7.2018 – 4 ZB 16.1972 – juris Rn. 22).
69
Der objektive Pflichtverstoß indiziert darüber hinaus bereits das Verschulden (Rüsken in Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 69 Rn.157). Umstände, die ein Verschulden ausschließen würden, wurden durch den Kläger nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.
70
2. Der Haftungsschaden trat in Höhe von 30.379,80 Euro infolge der Pflichtverletzung des Klägers ein.
71
Wegen ihres Schadensersatzcharakters setzt die Haftung nach § 69 AO voraus, dass zwischen der Pflichtverletzung und dem mit dem Haftungsanspruch geltend gemachten Schaden eine adäquate Kausalität besteht (Specker in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, Stand 1.7.2023, § 69 Rn. 210). Die Pflichtverletzung ist kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Haftungsschaden entfiele.
72
Mit Blick auf die Nichterfüllung der Steuerschulden trägt der Kläger vor, dass im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steueransprüche jedenfalls keine ausreichenden finanziellen Mittel zu deren Begleichung bereitgestanden hätten. Der Kläger kann sich jedoch nicht mit Erfolg auf den sog. „Grundsatz der anteiligen Tilgung“ berufen, da dessen Voraussetzungen nicht zur Überzeugung der Kammer feststehen.
73
Nach ständiger Rechtsprechung kommt eine Haftungsinanspruchnahme nicht in Betracht, wenn der Primärschuldnerin im Haftungszeitpunkt keine Mittel mehr zur Verfügung standen, um die fälligen Gewerbesteuerschulden zu begleichen (BayVGH, B.v. 25.5.2002 – 4 CS 03.152 – juris Rn. 14). Der Haftungsschaden entsteht dann nicht durch eine vom Vertreter zu verantwortende Pflichtverletzung und das Hinwegdenken der Pflichtverletzung würde nicht zur Vermeidung des Haftungsschadens führen, sodass der Kausalzusammenhang unterbrochen ist (Specker in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, Stand 1.7.2023, § 69 Rn. 225). Reichen die finanziellen Mittel nur zur teilweisen Befriedigung der Gläubiger, sind fällige Steuern in ungefähr dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie andere Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern; anderenfalls liegt in der Benachteiligung des Steuergläubigers eine schuldhafte Pflichtverletzung im Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden Differenzbetrags vor (Specker in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, Stand 1.7.2023, § 69 Rn. 225 m.w.N.).
74
Die Haftung des gesetzlichen Vertreters setzt die Feststellung voraus, dass die Gesellschaft ungeachtet sonstiger Verbindlichkeiten bei Fälligkeit der Steuerschulden oder später über hinreichende Mittel zu deren Begleichung verfügte; dies wird grundsätzlich bis zu einer Insolvenzantragstellung vermutet (vgl. BayVGH, B.v. 26.6.2000 – 4 CS 00.379 – juris Rn. 13; VG München, U.v. 5.5.2011 – M 10 K 10.1412 – juris Rn. 34).
75
Grundsätzlich kann hier also davon ausgegangen werden, dass bis zur Stellung des Insolvenzantrags Zahlungsfähigkeit bestand. Der Insolvenzantrag wurde erst am 20. Oktober 2017 durch die AOK Bayern bzw. durch den Kläger selbst am 8. Januar 2018 gestellt, sodass im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerforderung für das Jahr 2016, am 25. September 2017, Zahlungsfähigkeit der Primärschuldnerin unterstellt werden kann.
76
Für die Liquidität der Primärschuldnerin im September 2017 spricht zudem, dass der Kläger den Eigeninsolvenzantrag erst im Januar 2018 für die Primärschuldnerin gestellt hat. Da der Geschäftsführer als gesetzlicher Vertreter der GmbH gemäß § 15a InsO – unter Strafandrohung – verpflichtet ist, im Falle der Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzeröffnungsantrag zu stellen und pflichtgemäßes Verhalten eines Geschäftsführers unterstellt werden muss, kann jedenfalls ohne entgegenstehenden schlüssigen Sachvortrag davon ausgegangen werden, dass ausreichende Mittel zur Verfügung standen (BayVGH, B.v. 28.7.2000 – 4 ZB 00.1416 – juris Rn. 4.)77 Zwar ist es wiederum an der Beklagten, die Feststellung zu treffen, das hinreichende Mittel für die Steuerzahlung zur Verfügung standen. Sie kann in diesem Zusammenhang jedoch vom Haftungsschuldner verlangen, dass er die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte erteilt und die nötige Mitwirkung leistet, damit die Haftungsquote ermittelt werden kann (Rüsken in Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 69 Rn. 160; BFH, U.v. 11.7.1989 – VII R 81/87 – juris). Ein eben solches Auskunftsverlangen wurde seitens der Beklagten mit Schreiben vom 2. Mai 2018 an den Kläger gerichtet, vgl. dort insbesondere Nr. 3, blieb jedoch bis zuletzt unbeantwortet.
77
Erst im Rahmen der Klagebegründung trug der Kläger vor, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerforderung keine ausreichenden Mittel zu deren Begleichung vorgelegen hätten. Diese Behauptung wurde jedoch weder in der Klagebegründung noch im weiteren Verlauf des gerichtlichen Verfahrens hinreichend substantiiert.
78
Zwar war der klägerische Vortrag vor dem Hintergrund des später eröffneten Insolvenzverfahrens geeignet, das Entstehen von Gewerbesteuerforderungen für die Jahre 2015 und 2017 in Zweifel zu ziehen, mit Blick auf die konkreten Liquiditätsverhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt ist der Vortrag indes nicht schlüssig.
79
Der Verweis des Klägers auf die sich aus dem Entwurf des Jahresabschluss 2016 ergebenden Verbindlichkeiten in Höhe von 5.092.785,72 Euro sowie eines Kassenbestandes von 11.990,41 Euro verfängt bereits nicht, da dort gleichzeitig ein Jahresüberschuss ausgewiesen wird und der Kläger nichts zur möglichen Verwertung von Vermögenspositionen der Primärschuldnerin ausgeführt hat.
80
Auch der Verweis auf die spätere Anfechtung einer – durch die Primärschuldnerin geleisteten – Steuerzahlung für Verbindlichkeiten aus Lohn- und Kirchensteuer durch den Insolvenzverwalter allein ist kein ausreichender Anhaltspunkt dafür, dass es hinsichtlich der übrigen Zahlungsvorgänge nicht zu einer Benachteiligung der Steuergläubigerin, also der Beklagten, gekommen ist. Ganz im Gegenteil ist hierin gerade ein Indiz für die selektive Befriedigung unterschiedlicher Gläubiger durch die Primärschuldnerin zu sehen.
81
Zuletzt sind auch die klägerseits angestellten Berechnungen zur Ermittlung der Tilgungsquote für das Gericht ohne weiteren Sachvortrag schlichtweg nicht nachvollziehbar. Dies vor allem deshalb, weil der Berechnung zahlreiche, nicht näher belegte Annahmen wie z.B. zu den Betriebsausgaben, die aus neuen und getilgten Verbindlichkeiten bestehen sollen, einem fiktiven, durchschnittlichen Lohnsteuersatz von 20% oder auch zu Verrechnungen von Vorsteuererstattungsansprüchen zugrunde liegen.
82
V. Da die Voraussetzungen des § 69 AO jedenfalls für das Jahr 2016 vorlagen, stand die Inanspruchnahme des Klägers im Ermessen der Beklagten. Bei Zugrundelegung des nach § 114 Satz 1 VwGO eingeschränkten Prüfungsmaßstabes stellt sich die Heranziehung des Klägers als ermessensfehlerfrei dar.
83
Das Entschließungsermessen hinsichtlich des „Ob“ der Inanspruchnahme ist durch die kommunalrechtlichen Vorschriften jedenfalls im Regelfall auf Null reduziert (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2008 – 4 CS 07.2718 – juris Rn. 16). Durch Art. 62 Abs. 1 und 2 Gemeindeordnung sind Gemeinden verpflichtet, Abgaben nach den gesetzlichen Vorschriften zu erheben. Besteht die Möglichkeit, Abgaben, die ein Steuerschuldner nicht entrichtet hat, vom Haftungsschuldner zu erhalten, ist die Gemeinde gehalten, die Abgaben einzutreiben, wenn nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen etwa für einen Erlass (§ 227 AO) vorliegen (VG München, U.v. 21.4.16 – M 10 K 15.5005 – juris Rn. 57). Für einen Erlass sprechende Gesichtspunkte sind vorliegend nicht ersichtlich.
84
Die Uneinbringlichkeit der Steuern bzw. die Unmöglichkeit der Einziehung der rückständigen Steuern gegenüber dem Steuerschuldner ist regelmäßig bereits eine hinreichende Begründung des Entschließungsermessens. Dies führt zu einer Vorprägung der Ermessensentscheidung dahingehend, dass eine besondere Ermessensabwägung entbehrlich ist und die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ermessensfehlerhaft ist (BFH, U.v. 13.6.1997 – VII R 96/96 – juris Rn. 13; OVG NW, B.v. 21.8.2017 – 14 A 1009/15 – juris Rn. 25 f.).
85
Hinsichtlich des Auswahlermessens sind abgesehen von dem Kläger und seinem Bruder auch keine weiteren Haftungsschuldner ersichtlich, die herangezogen werden hätten können. Auch wurden die beiden ehemaligen Geschäftsführer zeitgleich in Anspruch genommen, sodass die Inanspruchnahme durch die Beklagte sich im Ergebnis als ermessensgerecht erweist (so auch BFH, U.v. 11.3.2004 – VII R 52/02 – juris Rn. 19.)
86
VI. Auch die Zahlungsaufforderung ist im tenorierten Umfang rechtmäßig. Nach § 219 AO darf ein Haftungsschuldner nur auf Zahlung in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Dies ist hier der Fall, da über das Vermögen der Primärschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet wurde und eine Vollstreckung damit nicht mehr möglich ist.
87
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.
88
D. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 ZPO.
89
E. Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).