Titel:
kein Chancen-Aufenthaltsrecht für Kind
Normenketten:
AufenthG § 25a, § 25b, § 104c Abs. 1, Abs. 2 S. 1
VwGO § 114
Leitsatz:
Zwar erfasst der Anwendungsbereich des § 104c AufenthG auch minderjährige Ausländer, liegt indes aufgrund des jungen Alters des Ausländers ein atypischer Fall vor, kommt die Anwendbarkeit der Norm nicht in Betracht, wenn nach Ablauf einer für 18 Monate gewährten Aufenthaltserlaubnis der von dem Normzweck verfolgte Übergang in ein gesichertes Aufenthaltsrecht nach § 25a oder § 25b AufenthG ausgeschlossen ist. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Chancen-Aufenthalt, Kleinkind, Atypischer Fall, Aufenthaltserlaubnis, Chancen-Aufenthaltsrecht, atypischer Fall, Ermessen, Titelerteilungssperre
Fundstellen:
InfAuslR 2024, 15
BeckRS 2023, 28657
LSK 2023, 28657
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
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Der am … 2017 im ... geborene Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger. Die Mutter des Klägers reiste erstmals am 2. Januar 2017 ins Bundesgebiet ein. Ihr am 23. Januar 2017 gestellter Asylantrag wurde bestandskräftig abgelehnt.
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Der Kläger stellte am 11. August 2017 einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 25. Oktober 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf subsidiären Schutz ab (Ziffern 1 bis 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4) und forderte den Kläger auf, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle einer Klageerhebung 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss zu verlassen; andernfalls wurde die Abschiebung zuvorderst nach Nigeria angedroht (Ziffer 5). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6). Die hiergegen gerichtete Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 15 K 17.49073) wurde mit Urteil vom 13. August 2020 abgewiesen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (7 ZB 20.32079) wurde mit Beschluss vom 3. Februar 2022 abgelehnt. Der Kläger ist vollziehbar ausreisepflichtig.
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Dem Kläger wurden wegen fehlender Passpapiere ab dem 31. März 2022 befristete Duldungen erteilt, welche fortlaufend verlängert wurden.
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Mit Bescheid vom 2. November 2022 wurde die Mutter des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Anlassgebend war eine Verurteilung vom 2. Mai 2022 zu 150 Tagessätzen wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass. Die Ausweisung ist bestandskräftig.
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Mit Formblattantrag vom 19. Januar 2023 beantragte der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG.
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Mit Schreiben vom 8. Februar 2023 wurde der Kläger zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags angehört. Aufgrund des jungen Alters des Klägers könne dieser nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gem. § 104c AufenthG nicht in einen weiterführenden Aufenthaltstitel nach §§ 25a und 25b AufenthG hineinwachsen, weshalb ein atypischer Fall vorliege. Hierzu nahm die Bevollmächtigte des Klägers am … Februar 2023 Stellung. Es sei nicht ausgeschlossen, dass innerhalb der Geltungszeit der Aufenthaltserlaubnis von 18 Monaten eine Härtefallregelung geschaffen werde, um die bisher nicht vorgesehene Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen in ähnlich gelagerten Fällen zu ermöglichen. Ferner könne bei der Mutter des Klägers im Ermessenswege vom Formerfordernis des § 104c Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 6. März 2023 wurde festgestellt, dass das Asyl(folge) verfahren des Klägers eingestellt ist (Ziffer 1) und der Antrag auf Abänderung des Bescheids hinsichtlich des Vorliegens von Abschiebungsverboten abgelehnt wird (Ziffer 2). Das hiergegen gerichtete Klageverfahren zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 26b K 23.30971) wurde mit Beschluss vom 25. Mai 2023 eingestellt.
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Mit Bescheid vom 23. März 2023, zugestellt am 28. März 2023, wurden die Anträge des Klägers, seiner Schwester sowie seiner Mutter auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 104c Abs. 2 AufenthG sei für den Kläger ausgeschlossen, da er nicht mit einer nach § 104c Abs. 1 AufenthG begünstigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebe. Die Mutter erfülle aufgrund ihrer Strafbarkeit nicht die entsprechenden Anforderungen. Der Kläger könne auch von keinem anderen Familienmitglied ein solches Aufenthaltsrecht ableiten. Auch die Erteilung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts nach § 104c AufenthG erfolge nicht. Dies widerspreche im vorliegenden Fall dem mit der Regelung verfolgten Zweck der Aufenthaltserlaubnis. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG sei nicht als dauerhaftes Bleiberecht ausgestaltet, sondern solle einen vorübergehenden Aufenthalt ermöglichen, um die Voraussetzung für die Erteilung eines Anschlusstitels nach den §§ 25a und 25b AufenthG zu schaffen.
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Aufgrund des jungen Alters des Klägers sei die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG jedoch ausgeschlossen. Der Bescheid ist gegenüber der Mutter des Klägers bestandskräftig.
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Der Kläger hat gegen den Ablehnungsbescheid am … April 2023 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt,
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1. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 23. März 2023 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104c AufenthG zu erteilen.
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2. Hilfsweise wird beantragt, die Beklagte zu verpflichten, den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104c AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts München zu bescheiden.
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Die Bevollmächtigte des Klägers führte mit Schriftsatz vom ... Juni 2023 klagebegründend aus, dass der Wohnort des Vaters derzeit unbekannt sei. Er halte sich vermutlich in Italien auf. Der Kläger lebe mit seiner Mutter und 2 Geschwistern in Deutschland. Ein weiterer Bruder sei als Säugling am ... 2022 verstorben. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Erteilung der angestrebten Aufenthaltserlaubnis zu. Der Anwendungsbereich der maßgeblichen Norm sei nicht auf Volljährige beschränkt. Die Norm diene dazu, die Erfüllung der Voraussetzungen für eine weitergehende Aufenthaltserlaubnis zu erreichen und damit einen dauerhaften rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen. Zwar sei richtig, dass nach derzeitigem Wortlaut des § 25a AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den Kläger nach Ablauf einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG aufgrund des jungen Alters nicht infrage komme. Allerdings erscheine die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG möglich. Dessen Anwendungsbereich sei nach dem Wortlaut ebenfalls nicht auf Volljährige beschränkt. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hinsichtlich des Ausweisungsverfahrens der Mutter ein deutlich höheres Bleibeinteresse zur Folge habe. Zwar sei für diese derzeit die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG nicht möglich, jedoch stünde grundsätzlich der Anwendungsbereich des § 25b AufenthG offen, sofern sich deren Ausweisung als rechtswidrig erweise. In diesem Fall bestehe für den Kläger die Möglichkeit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 4 AufenthG. Mit weiterem Schriftsatz vom … Juli 2023 wurde ergänzend ausgeführt, dass die Ausländerbehörde nicht befugt sei, den Anwendungsbereich des § 104c AufenthG einzugrenzen. Es handele sich um eine „Soll-Vorschrift“, bei der Abweichungen nur zu Gunsten der Betroffenen möglich seien.
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Mit Schriftsatz vom 12. Juli 2023 hat die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung wurde auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen. Ergänzend wurde ausgeführt, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG für den Kläger ausscheide, da die dort vorausgesetzten außerordentlichen Integrationsleistungen aufgrund seines kindlichen Alters noch nicht erbracht worden seien. Ferner sei festzustellen, dass die Eltern des Klägers keinerlei Integrationsleistungen erbracht hätten. Dies müsse sich der minderjährige Kläger zurechnen lassen. Die Mutter erfülle zudem unabhängig vom laufenden Ausweisungsverfahren die Voraussetzungen des § 25b Abs. 1 AufenthG nicht. Unabhängig von mangelnden Sprachkenntnissen sei der Lebensunterhalt nicht gesichert und es bestünden Ausweisungsinteressen.
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Der Kläger hat mit Schriftsatz vom ... August 2023 auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Ferner vertiefte die Bevollmächtigte ihre bisherigen Ausführungen insbesondere dahingehend, dass die Vorschrift des § 104c AufenthG auch Minderjährige umfasse und die Regelung des § 25b AufenthG nicht auf Volljährige beschränkt sei. Der Kläger müsse sich eine mangelnde Integration seiner Eltern nicht zurechnen lassen. Ferner sei die Mutter des Klägers ernsthaft erkrankt. Für eine Integration von Kindern reiche es aus, dass diese den Kindergarten oder die Schule besuchen.
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Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 31. August 2023 ebenfalls auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass auch nach Auffassung der Beklagten § 104c AufenthG auch Minderjährige umfasse. Es läge vorliegend jedoch ein atypischer Sachverhalt vor, da aufgrund des geringen Alters des Klägers die Erteilung einer anschließenden Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen sei und mithin der Gesetzeszweck des Übergangs in ein dauerhaftes Bleiberecht offensichtlich nicht erreicht werden könne.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorgelegte Behördenakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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I. Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten auf deren Durchführung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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II. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf den begehrten Aufenthaltstitel. Der streitgegenständliche Bescheid ist vielmehr rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Ein solcher Anspruch besteht nicht auf Grundlage des § 104c Abs. 1 AufenthG. Nach § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll einem geduldeten Ausländer abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1, 1a und 4 sowie Abs. 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich am 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten hat und er sich zum einen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt und zum anderen nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei Geldstrafen in einem bestimmten Umfang außer Betracht bleiben.
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Zwar erfüllt der Kläger nach dem Wortlaut der Norm alle Tatbestandsvoraussetzungen, allerdings liegt aufgrund des jungen Alters des Klägers von nur 6 Jahren ein atypischer Fall vor, der im vorliegenden Fall der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis im Ergebnis entgegensteht.
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1.1 Der Gesetzgeber hat § 104c Abs. 1 AufenthG als Soll-Regelung ausgestaltet, was bedeutet, dass die Aufenthaltserlaubnis bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen in der Regel zu erteilen ist und eine andere Entscheidung nur bei Vorliegen atypischer Umstände möglich ist. Die Frage, ob im Rahmen von Soll-Vorschriften ein atypischer Ausnahmefall vorliegt, bei dem der Verwaltung ein Rechtsfolgenermessen eröffnet ist, unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 1 C 31/14 – juris Rn. 21). Wann von einer atypischen Fallgestaltung auszugehen ist, bestimmt sich nach dem Regelungszweck. Das befristete sog. Chancen-Aufenthaltsrecht nach § 104c AufenthG soll den berechtigten Ausländern die Gelegenheit zum Übergang in ein Bleiberecht auf rechtssicherer Grundlage ermöglichen, indem während des Erteilungszeitraums von 18 Monaten die Möglichkeit zur Erfüllung der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a oder § 25b AufenthG gegeben wird (BT-Drs. 20/3717 S. 2, 17; BVerwG, B.v. 29.8.2023 – 1 B 16/23 – juris Rn. 4).
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Atypische Umstände, welche eine abweichende Entscheidung ermöglichen, kommen im Rahmen von § 104c AufenthG damit dann in Betracht, wenn zwar formal die Erteilungsvoraussetzungen für ein Chancen-Aufenthaltsrecht erfüllt sind, aber der gesetzliche Zweck, den Übergang in ein Bleiberecht auf rechtssicherer Grundlage zu ermöglichen, durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erkennbar nicht erreicht werden kann, da in der Gesamtschau die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 25a, 25b AufenthG augenscheinlich – beispielsweise wegen Fehlens der Integrationsvoraussetzungen – ausgeschlossen ist (OVG LSA, B.v. 1.6.2023 – 2 M 49/23 – juris Rn. 16; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Juni 2023, AufenthG § 104c Ziff. 1.6). Gleiches gilt, wenn ein minderjähriger Ausländer im Anschluss an das Chancen-Aufenthaltsrecht die Voraussetzungen der §§ 25a und 25b AufenthG bereits altersbedingt nicht erfüllen kann (vgl. StMI Anwendungs- und Vollzugshinweise, F4-2081-3-88-218, aktualisierte Fassung vom 27.1.2023, S. 19).
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Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte vorliegend zu Recht einen atypischen Fall angenommen. Entgegen der Auffassung der Bevollmächtigten verneint die Beklagte nicht die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 104c AufenthG bei minderjährigen Ausländern. Sie geht vielmehr – insoweit in Übereinstimmung mit der Bevollmächtigten – richtig davon aus, dass der Anwendungsbereich auch minderjährige Ausländer erfasst. Allerdings nimmt die Beklagte ebenfalls rechtmäßig an, dass im vorliegenden Fall aufgrund des jungen Alters des Klägers ein atypischer Fall vorliegt, da nach Ablauf einer für 18 Monate gewährten Aufenthaltserlaubnis der von dem Normzweck verfolgte Übergang in ein gesichertes Aufenthaltsrecht nach §§ 25a oder 25b AufenthG ausgeschlossen ist.
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1.1.1 Ein anschließendes Aufenthaltsrecht nach § 25a AufenthG ist bereits deswegen ausgeschlossen, da dieses nur Jugendlichen oder jungen volljährigen Ausländern erteilt werden kann (§ 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Jugendliche sind dabei Personen, welche das 14. Lebensjahr vollendet haben und noch nicht älter als 18 Jahre sind (vgl. Röder in BeckOK MigR, Stand: 15.7.2023, AufenthG § 25a Rn. 4). Der Kläger ist zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Gerichts jedoch erst 6 Jahre alt und wäre mit Ablauf einer auf 18 Monate erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 AufenthG noch nicht einmal 8 Jahre alt. Mithin wäre zu diesem Zeitpunkt der persönliche Anwendungsbereich des § 25a AufenthG nicht eröffnet und die anschließende Erteilung einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen.
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1.1.2 Ferner ist aufgrund des Alters des Klägers die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG ausgeschlossen. Dies gilt hinsichtlich der Erteilung nach § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG unabhängig davon, ob dessen Anwendungsbereich für minderjährige Ausländer überhaupt eröffnet ist (vgl. zum Streitstand OVG LSA, U.v. 8.3.2023 – 2 L 102/20 – juris Rn. 90. m.w.N.). Jedenfalls lägen bei dem dann erst etwa 8 Jahre alten Kläger die besonderen Erteilungsvoraussetzungen nicht vor. Zum einen ist angesichts des jungen Alters ausgeschlossen, dass der Kläger dann einen Nachweis über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet (§ 25b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) etwa durch Abschluss des bundeseinheitlichen Tests zum Orientierungskurs „Leben in Deutschland“ (vgl. Röder in BeckOK MigR, Stand: 15.7.2023, AufenthG § 25b Rn. 37) erbringen kann. Außerdem ist bei einem 8-Jährigen weder eine eigenständige Lebensunterhaltssicherung durch Erwerbstätigkeit noch eine entsprechende positive Prognose einer künftigen Lebensunterhaltssicherung (§ 25b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) möglich.
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Im vorliegenden Fall ist überdies eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 4 AufenthG ausgeschlossen, da bei beiden Elternteilen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG – als notwendige Voraussetzung für eine Titelerteilung nach Absatz 4 – ausgeschlossen ist. Einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis der Mutter des Klägers steht deren bestandskräftige Ausweisung vom 2. November 2022 und die hieraus folgende Titelerteilungssperre entgegen. Der Vater des Klägers hält sich derzeit vermutlich in Italien auf, jedenfalls ist er unbekannten Aufenthalts und ist damit weder aktuell im Besitz einer Duldung noch könnte er im Falle einer Rückkehr die notwendigen Zeiten eines ununterbrochenen Voraufenthalts nach § 25b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vorweisen.
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1.1.3 Mithin hat die Beklagte rechtmäßig einen atypischen Fall angenommen, da der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck, den Übergang in ein Bleiberecht auf rechtssicherer Grundlage zu ermöglichen, vorliegend nicht erreicht werden kann. Soweit die Bevollmächtigte des Klägers darauf hinweist, dass innerhalb der 18 Monate dauernden Geltungsphase nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Gesetzgeber eine weitere Härtefallregelung schaffe, welche einen solchen Übergang ermöglichen könne, handelt es sich um reine Spekulation, welche weder durch politische Absichtserklärungen noch in sonstiger Weise belegt sind und somit keine abweichende Beurteilung begründen kann.
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1.2 Die Beklagte hat das ihr in der Folge zustehende Ermessen bei der Entscheidung über den Antrag des Klägers in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt.
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Das Verwaltungsgericht hat hierbei innerhalb der Grenzen des § 114 VwGO nur zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde.
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Danach begegnet die Ablehnung des Antrags durch die Beklagte keinen rechtlichen Bedenken. Sie hat deutlich gemacht, dass die Entscheidung bewusst abweichend vom Regelermessen getroffen wird, da der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck vorliegend nicht erreichbar ist (vgl.o.). Es sind überdies keine Aspekte ersichtlich, welche zugunsten des Klägers in die Ermessensentscheidung einzustellen gewesen wären. Insbesondere besteht für die gesamte Familie des Klägers kein gesichertes Bleiberecht in der Bundesrepublik.
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2. Schließlich besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
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Nach dieser Vorschrift soll einem ledigen und minderjährigen Kind, welches in häuslicher Gemeinschaft mit einem nach § 104c Abs. 1 AufenthG Begünstigten lebt, ebenfalls eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Im vorliegenden Fall ist die Mutter des Klägers jedoch keine Begünstigte nach § 104c Abs. 1 AufenthG. Vielmehr wurde ihr Antrag mit Bescheid vom 23. März 2023 bestandskräftig abgelehnt und die Titelerteilungssperre (§ 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) sowie die Verurteilung zu 150 Tagessätzen (§ 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) stehen einer solchen Erteilung entgegen. Der Vater des Klägers ist ebenfalls nicht im Besitz eines solchen Titels. Zudem lebt er jedenfalls nicht in häuslicher Gemeinschaft mit dem Kläger.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).