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AG Fürth, Urteil v. 22.02.2023 – 421 Cs 466 Js 58626/22
Titel:

Verwaltungsgerichte, Kostenentscheidung, Hauptverhandlung, Bedingter Vorsatz, Potenzielle Gefährdungsdelikte, Notwendige Auslagen, Strafzumessung, Tagessatzhöhe, Schuldangemessenheit, Bundeszentralregisterauszug, Freiheitsstrafe, Ablehnungsbescheid, Gleichrangigkeit, Geldstrafe, Früheres Strafverfahren, Staatsangehörigkeit, Verlesung, E-Mail-Adresse, Kosten des Verfahrens, Bundesjustizministerium

Normenkette:
StGB § 130 Abs. 3
Schlagworte:
Volksverhetzung, Holocaust-Verharmlosung, Öffentlicher Frieden, Bedingter Vorsatz, Strafzumessung, Geldstrafe, Kostenentscheidung
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 02.08.2023 – 203 StRR 287/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 28656

Tenor

1. Die Angeklagte … wird wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,00 EUR verurteilt.
2. Die Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen zu tragen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Angeklagte ist verheiratet und arbeitete als Bürokauffrau. Mittlerweile ist sie Rentnerin und erhält eine tschechische Rente in Höhe von monatlich 200,00 EUR, eine deutsche Rente in Höhe von monatlich 10,00 EUR und einen Zuschuss vom Bezirk Mittelfränken in Höhe von monatlich 350,00 EUR. Die Miete wird vom Bezirk Mittelfranken übernommen. Die Rente des Ehemanns der Angeklagten ist ihren Angaben zufolge noch geringer als ihre eigene. Sie hat keine Schulden und ist nicht vorbestraft.
II.
2
Am 13.05.2022 um 09.11 Uhr schickte die Angeklagte von ihrer E-Mail-Adresse von ihrer Wohnanschrift in der …, aus eine E-Mail an folgende Empfänger: p..., FÜ NA. Die E-Mail beinhaltete wörtlich folgende Äußerungen:
„Es gibt es Staatsbedienstete, die seit über 36 Jahren unsere Existenzberechtigung und Gleichrangigkeit in Frage stellen, indem sie auf unsere persönliche Unterschiede verweisen und aufgrund dessen uns, DEUTSCH-DEUTSCHE, als NICHTDEUTSCHE sortieren und die Parallele dieser das Vorgehensweise erinnert an die Vorgehensweise mit der der Hitler und seine Compa- neros über 12 Jahre lang die Existenzberechtigung und Gleichrangigkeit der Deutsch-Juden in Frage stellten, indem sie auf ihre persönliche Unterschiede verwiesen haben und dafür sorgten, dass die DEUTSCH-JUDEN KEINE DEUTSCHEN WERDEN DURFTEN…
…. nur der Endprodukt war anders.
(…)
Ich frage, weil wie lange die o.g. Verfassungswidrige Urteile als RECHTSKRÄFTIG gelten, so lange ist kein freiheitlich-demokratischer Verfassungsstaat verwirklicht, sondern die Entwicklung der Demokratie untergraben, weil dafür zu sorgen, dass Ablehnungs-Bescheide und abweisende Urteile Bestand haben, deren einzige Grundlage der Appell an rassistische Vorurteile ist, ist gleichen Maßen ein Verstoß gegen die Verfassung und als solche ebenso abscheuliches und widerliches Verbrechen, wie das Verbrechen, das der Hitler an den Deutsch-Juden begangen hat, indem er sie als Deutsche abgeschafft und als genetischer Abfall behandelt hat…
… ,nur das Endprodukt ist anders.“
3
Hierdurch nahm die Angeklagte Bezug auf die unter der Herrschaft des Nationalsozialmus begangene massenhafte Ermordung von Menschen. Die Angeklagte nahm zumindest billigend in Kauf, dass durch das Schreiben der E-Mail die unter dem Nationalsozialismus begangene Massenvernichtung in einer Weise verharmlost wurde, welche geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
III.
4
Die Feststellungen zu I, beruhen auf den Angaben der Angeklagten und dem verlesenen Bundeszentralregisterauszug.
5
Die Angeklagte räumt ein, die E-Mail vom 13.05.2022 verfasst und verschickt zu haben. Sie versuche seit 38 Jahren über viele Wege, nach Artikel 114 Grundgesetz als Deutsche anerkannt zu werden. Sie Wolle nicht untätig da sitze, weil alle Wege bislang gescheitert seien. Mit diesem Appell habe sie versucht, auf den Missstand aufmerksam zu machen. Sie wolle nicht eingebürgert werden, sondern als Deutsche nach Artikel 116 GG anerkannt werden. Denn nur so erhalte sie eine Entschädigung dafür, dass sie in den 38 Jähren nie arbeiten dürfte und von Sozialhilfe leben musste. Sie habe bereits 3 mal Verfahren beim Verwaltungsgericht Ansbach, VGH München und Bundesverfassungsgericht durchlaufen. Seit 2016 laufe wieder ein Verfahren in Ansbach, das jetzt schon seit 2 Jahren in München liege. Sie habe in der letzten Hauptverhandlung im früheren Strafverfahren nur versprochen, an das Landratsamt keine solchen Schreiben mehr zu schicken. Das sei ein großer Unterschied, ob sie es den Beamten oder dem Gericht, schreibe. Auf die E-Mail vom 13.05.2022 hätten die Gerichte nicht geantwortet. Auch die Medien würden sich nicht melden, weil sie die Wahrheit kennen würden.
6
Sie habe keine Volksverhetzung begangen.
7
Die E-Mail der Angeklagten vom 13.05.2022 wurde ab dem Datum bis vor dem Absatz „Fakten Checking“ verlesen (Blatt 4 der Akte). Außerdem wurde der von … verfasste „Anlass der Ermittlungen“ (Blatt 45 der Akte) und die E-Mail der Angeklagten vom 10.11.2022 bezüglich des Abschnitts „Fazit“ (Blatt 9.7 bis 98 der Akte) verlesen.
8
Dass die Angeklagte die E-Mail vom 13.05.2022 verfasst und verschickt hat, hat sie glaubhaft dargelegt, zumal sie als Absender benannt ist.
IV.
9
Damit hat sich die Angeklagte der Volksverletzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB schuldig gemacht.
10
Die Angeklagte verharmlosten in ihrer E-Mail vom 13.06.2022 eine unter der Herrschaft des Nationalsozialmus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art – den Holocaust – in einer Weise, die geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören.
11
Da sie diese E-Mail mindestens an vier Pressestellen, das Bundesverfassungsgericht und das Bundesjustizministerium schickte, erreichte sie einen nicht mehr kontrollierbaren größeren Personenkreis und nicht nur eine kleine, in sich abgeschlossene Gruppe.
12
Die Angeklagte führte aus, dass ihr Einzelschicksal und wie sie in über 36 Jahren behandelt wurde, an die Vorgehensweise erinnere, mit der Hitler und seine Campaneros über 12 Jahre lang die Existenzberechtigung und Gleichrangigkeit der Deutsch-Juden in Frage stellte und dafür sorgte, dass die Deutsch-Juden keine Deutschen werden durften „… nur das Endprodukt sei anders gewesen. Damit stellte sie ihr Schicksal auf eine Stufe mit dem Holocaust und wertet damit qualitativ und quantitativ den Holocaust ab. Sie vergleicht ihr banales Schicksal mit den zur Vernichtung bestimmten Juden in der NS-Zeit und spielt damit die Gewalttaten des NS-Regimes herunter und bagatellisiert den Unrechtsgehalt.
13
Ihr Verhalten war auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Dabei ist der Gesamtzusammenhang ihres Schreibens zu würdigen. Bereits im Betreff schreibt sie: „Es war so und es wird immer so sein, unter jedem System machen Machthabende was sie wollen und dagegen kommt niemand an“. Sie schickte die E-Mail nicht etwa nur an mit ihrem Fall befasste Behörden oder Gerichte, sondern bewusst auch an mehrere Pressestellen. Ihr Schreiben war erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen angelegt. Es erfolgte auch eine Reaktion dahingehend, dass sogar die Staatsschutzabteilung der KPI F. eingeschaltet wurde, Die in Deutschland lebenden Nachfahren der Opfer des Völkermordes müssen sich erneut verunsichert fühlen, wenn das Schicksal der Angeklagten mit dem Holocaust auf eine Stufe gestellt wird. Die Äußerung wirkt auf die Betroffenen als Ausdruck unerträglicher Missachtung. Die Angeklagte emotionalisiert bereits im Betreff die Angesprochenen und kann damit unter Umständen eine Handlungsbereitschaft auslösen oder deren Hemmschwelle herabsetzen.
14
Die Angeklagte war sich der Tragweite ihrer Äußerung auch bewusst und der Inhalt war auch so gewollt. Sie bekräftigte dies in der Hauptvorhandlung, wenn sie ausführt, sie habe nicht untätig da sitzen wollen, weil alle anderen Wege bislang gescheitert seien.
15
Der bedingte Vorsatz der Angeklagten lag nach Auffassung des Gerichts unzweifelhaft vor, sowohl hinsichtlich des Verharmlosens im Sinne einer gänzlichen Unangemessenheit der geäußerten Wertung als auch der Eignung zur Friedensstörung.
16
Da es sich bei § 130 Abs. 3 StGB um ein potenzielles Gefährdungsdelikt handelt, bedurfte es auch keiner Reaktion etwa der Presse.
V.
17
Bei der Strafzumessung war vom Strafrahmen des § 130 Abs. 3 StGB auszugehen, der Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahre oder Geldstrafe vorsieht.
18
Zugunsten der Angeklagten konnte berücksichtigt werden, dass sie einräumte, die E-Mail verfasst und verschickt zu haben. Offensichtlich ist die Angeklagte sehr verbittert und versucht nun, nach einem bereits 38 Jahre andauernden Kampf gegen die Behörden und Gerichte, auf diesem Weg zur Anerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit zu gelangen. Außerdem ist die Angeklagte noch nicht vorbestraft.
19
Gegen die Angeklagte ist anzuführen, dass ihr bereits in der letzten Hauptverhandlung vom 02.07.2021 im Verfahren 421 Cs 954 Js 160944/21 vor Augen geführt worden war, dass sie auf diesem Weg nichts erreichen wird und sich nur der Gefahr aussetzt, sich erneut strafbar zu machen.
20
Nach Abwägung aller für und gegen die Angeklagte sprechenden Umstände hält das Gericht eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen für tat- und schuldangemessen.
21
Da die Angeklagte, wie unter l, dargelegt, nur über eine sehr geringe Rente verfügt, war die Tagessatzhöhe auf 15,00 EUR festzusetzen.
VI.
22
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 464, 465 StPO.