Inhalt

OLG München, Beschluss v. 26.09.2023 – 2 UF 356/21
Titel:

Überprüfung des ehevertraglichen Ausschlusses des Versorgungsausgleichs

Normenketten:
FGG § 53d S. 1
BGB § 1408 Abs. 2
VersAusglG § 27
Leitsätze:
1. Die Entscheidung des Familiengerichts, dass ein Versorgungsausgleich aufgrund einer ehevertraglichen Regelung nicht stattfindet, erwächst dann in Rechtskraft, wenn sie auf einer die Wirksamkeit der Vereinbarung umfassenden Rechtsprüfung beruht. (Rn. 13) (red. LS Axel Burghart)
2. Die lediglich deklaratorische Feststellung, eine Sachentscheidung über den Versorgungsausgleich sei nach § 1408 Abs. 2 BGB und § 53d S. 1 FGG entbehrlich, erwächst nicht in Rechtskraft. (Rn. 14) (red. LS Axel Burghart)
3. Die Härtefallregelung des § 27 VersAusglG verdrängt die allgemeinen Grundsätze zur Verwirkung wegen illoyal verspäteter Geltendmachung des Versorgungsausgleichs. Der Maßstab ist dabei strenger als iRd § 242 BGB. (Rn. 17) (red. LS Axel Burghart)
Schlagworte:
Versorgungsausgleich, Ehevertrag, Ausschluss des Versorgungsausgleichs, materielle Rechtskraft, Härtefall, Verwirkung
Vorinstanz:
AG München, Beschluss vom 14.01.2021 – 542 F 4821/13
Fundstelle:
BeckRS 2023, 28650

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts München vom 14.01.2021 aufgehoben.
Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragstellerin bei der D. Rentenversicherung ... (Versicherungsnummer …) zugunsten des verstorbenen geschiedenen Ehemanns H. S. ein Anrecht in Höhe von 0,9835 Entgeltpunkten auf das vorhandene Konto … bei der D. Rentenversicherung ..., bezogen auf den 31.03.1993, übertragen.
Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts des verstorbenen geschiedenen Ehemanns H. S. bei der D. Rentenversicherung ... (Versicherungsnummer …) zugunsten der Antragstellerin ein Anrecht in Höhe von 3,9026 Entgeltpunkten auf das vorhandene Konto … bei der D. Rentenversicherung ...., bezogen auf den 31.03.1993, übertragen.
2. Die Gerichtskosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz werden hälftig geteilt, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert für die Beschwerde wird auf 2.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin macht gegen die Witwe und Alleinerbin ihres geschiedenen Ehemanns die nachträgliche Durchführung des Versorgungsausgleichs geltend.
2
Die Antragstellerin und ihr früherer verstorbener Ehemann haben am ... 1982 die Ehe geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt war die Antragstellerin mit dem zweiten gemeinsamen Kind schwanger. Wenige Tage vor der Eheschließung, am ... 1982, schlossen die Antragstellerin und der verstorbene Ex-Ehemann vor dem Notar Dr. H. W. einen notariellen Ehevertrag, wonach Gütertrennung vereinbart wurde, der Versorgungsausgleich ausgeschlossen wurde und auf nachehelichen Unterhalt verzichtet wurde. Während der Ehe betreute die Antragstellerin die beiden gemeinsamen Kinder und war nur geringfügig beschäftigt.
3
Mit rechtskräftigem Endurteil des Amtsgerichts München vom 05.05.1994 wurde die Ehe aufgrund des am 28.04.1993 zugestellten Scheidungsantrags geschieden.
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Ziffer 3 des Tenors des Scheidungsurteils lautet: „Ein Versorgungsausgleich findet nicht statt“.
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In den Entscheidungsgründen ist dazu ausgeführt:
„Ein Versorgungsausgleich findet nicht statt, weil die Parteien diesen in einem notariellen Vertrag gemäß § 1408 Abs. 2 Satz 1 BGB ausgeschlossen haben und der Scheidungsantrag erst nach Ablauf eines Jahres gestellt wurde (§ 1408 Abs. 2 Satz 2 BGB).“
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In dem Scheidungsverfahren wurden Auskünfte zum Versorgungsausgleich nicht eingeholt. Ein Verfahrenswert für die Folgesache Versorgungsausgleich wurde nicht festgesetzt.
7
Mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 14.01.2021 wurde der Antrag der Antragstellerin auf Durchführung des Versorgungsausgleichs als unzulässig abgewiesen. Das Amtsgericht führt aus, bei der Scheidung sei rechtskräftig entschieden worden, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Bei der gerichtlichen Entscheidung vom 05.05.1994 handele es sich nicht um eine bloß deklaratorische Feststellung, dass der Versorgungsausgleich nicht stattfinde. Ein Ausschluss des Versorgungsausgleichs aufgrund eines Ehevertrags sei geprüft und bejaht worden. Damit liege eine auch materiell rechtskräftige Sachentscheidung vor. Auch der BGH habe in der Entscheidung vom 22.10.2008 (BGH NJW 2009, 677) ausdrücklich die materielle Rechtskraft einer Entscheidung über die Nichtdurchführung des Versorgungsausgleichs aufgrund eines nach geänderter Rechtsprechung als sittenwidrig zu beurteilenden Ehevertrags angenommen.
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Gegen den Beschluss, ihr zugestellt am 20.01.2021, legte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 19.02.2021, bei Gericht eingegangen am selben Tag, Beschwerde ein mit dem Antrag, den Versorgungsausgleich durchzuführen. Sie führt aus, eine inhaltliche Prüfung durch das Amtsgericht dahingehend, ob der Versorgungsausgleich wirksam ausgeschlossen wurde, sei nicht erfolgt. Daher sei die Feststellung, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet, nicht in Rechtskraft erwachsen. Der Ehevertrag vom 09.02.1982 sei sittenwidrig, weil er in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreife und die Lasten der Ehe evident einseitig verteile. Der frühere Ehemann habe die Notlage der von ihm schwangeren Antragstellerin ausgenutzt, einen ehelichen Vater für die Kinder haben zu wollen und eine Absicherung während der Ehe. Der Versorgungsausgleich sei daher durchzuführen. Eine Verwirkung liege nicht vor. Die Antragstellerin habe erst kurz vor dem Tod des früheren Ehemanns von der geänderten Rechtsprechung des BGH zur Sittenwidrigkeit von Eheverträgen erfahren. Allein der Zeitablauf führe nicht zur Verwirkung.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen. Der Durchführung des Versorgungsausgleichs stehe die materielle Rechtskraft des Scheidungsurteils vom 05.05.1994 entgegen. Die richterliche Prüfung habe die Wirksamkeitsvoraussetzung des § 1408 BGB umfasst, eine zusätzliche Inhalts- und Ausübungskontrolle sei nicht erforderlich gewesen. Der Anspruch auf Durchführung des Versorgungsausgleichs sei auch verwirkt, da er illoyal verspätet geltend gemacht wurde. Die Antragstellerin habe im gesamten Scheidungsverfahren nie zum Ausdruck gebracht, dass sie den Ausschluss des Versorgungsausgleichs nicht akzeptiere. Dass die Antragstellerin aufgrund der damaligen Rechtslage nicht die Möglichkeit gehabt hätte, gegen den Ehevertrag vorzugehen, sei unerheblich, ebenso sei unerheblich, wann sie von der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Sittenwidrigkeit von Eheverträgen erfahren habe.
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Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die gegenseitig gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
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Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Auf Antrag der Antragstellerin war der Versorgungsausgleich nach Scheidung durchzuführen.
12
1. Die materielle Rechtskraft des Scheidungsurteils vom 05.05.1994 steht der Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht entgegen.
13
Eine materiell rechtskräftige Sachentscheidung über den Versorgungsausgleich wurde in der Entscheidung nicht getroffen. Die Entscheidung des Familiengerichts, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet, erwächst dann in Rechtskraft, wenn sie auf einer die Wirksamkeit der Vereinbarung umfassenden Rechtsprüfung beruht (BGH NJW 2009, 677).
14
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Antragstellerin und ihr Ex-Ehemann hatten notariell vereinbart, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfinden solle. Daher wurde die Folgesache Versorgungsausgleich durch das damalige Familiengericht nicht eingeleitet. Auskünfte zum Versorgungsausgleich wurden nicht eingeholt. Auch wurde kein Verfahrenswert für die Folgesache Versorgungsausgleich festgesetzt. Der zum Zeitpunkt des Urteils am 05.05.1994 geltende § 53 d Satz 1 FGG lautet: „… findet eine Entscheidung über den Versorgungsausgleich nicht statt, wenn der Versorgungsausgleich nach § 1408 Abs. 2 BGB ausgeschlossen ist.“ Die damals geltende Fassung des § 1408 Abs. 2 BGB lautete: „In einem Ehevertrag können die Ehegatten durch eine ausdrückliche Vereinbarung auch den Versorgungsausgleich ausschließen. Der Ausschluss ist unwirksam, wenn innerhalb eines Jahres nach Vertragsschluss Antrag auf Scheidung der Ehe gestellt wird.“ Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Inhaltskontrolle und Sittenwidrigkeit von Eheverträgen stammt erst aus dem Jahr 2004. Erst zum 01.01.2009 wurde § 1408 Abs. 2 BGB dahingehend geändert, dass ein Verweis auf § 6 VersAusglG erfolgt, wonach die Vereinbarung über den Versorgungsausgleich einer Inhalts- und Ausübungskontrolle standhalten muss. Die Entscheidung des Familiengerichts aus dem Jahr 1994, wonach ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet, ist daher lediglich eine an sich nicht erforderliche deklaratorische Feststellung auf die kraft Gesetzes zur damaligen Gesetzeslage eintretende Rechtsfolge des § 53 d Satz 1 FGG, die eine Sachentscheidung über den Versorgungsausgleich entbehrlich macht, wenn der Versorgungsausgleich nach § 1408 Abs. 2 BGB ausgeschlossen ist. Diese lediglich deklaratorische Feststellung erwächst nicht in Rechtskraft (BGH FamRZ 2007, 536 m.w.N.). Eine materiell-rechtliche Prüfung des Ehevertrags hat im Rahmen des Scheidungsverfahrens nicht stattgefunden. Es wurde im Rahmen des § 1408 Abs. 2 BGB a.F. lediglich geprüft, ob der Ausschluss unwirksam ist, weil innerhalb eines Jahres nach Vertragsschluss Antrag auf Scheidung der Ehe gestellt wird.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Amtsgericht zitierten Entscheidung des BGH vom 22.10.2008, FamRZ 2009, 215 – 217. Diese Entscheidung betrifft einen Fall, wo aufgrund der geänderten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2001 zur Sittenwidrigkeit von Eheverträgen die Wirksamkeit des Ehevertrags durch das Familiengericht auch im Rahmen des § 1408 Abs. 2 BGB a.F. geprüft wurde.
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2. Der Ausschluss des Versorgungsausgleichs durch notariellen Ehevertrag vom 09.02.1982 ist sittenwidrig. Der Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts ist betroffen. Durch den Verzicht auf Versorgungsausgleich und Unterhalt erfolgte eine einseitige Lastenverteilung zum Nachteil der die zwei gemeinsamen Kinder betreuenden nicht erwerbstätigen Antragstellerin ohne Kompensation (BGH FamRZ 2004, 601). Nachdem die Antragstellerin zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses schwanger war, ist auch die subjektive Seite der Sittenwidrigkeit aufgrund ihrer unterlegenen Vertragsposition gegeben (BGH FamRZ 2009, 1041).
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3. Der Durchführung des Versorgungsausgleichs steht auch der Einwand der Verwirkung nicht entgegen. Allein eine illoyal verspätete Geltendmachung des Versorgungsausgleichs führt nicht zur Verwirkung. Die Härtefallregelung des § 27 VersAusglG verdrängt die allgemeinen Grundsätze zur Verwirkung (BGH Beschluss vom 17.01.2007, XII ZB 168/01). Demnach ist eine umfassende Abwägung sämtlicher Umstände vorzunehmen und zu prüfen, ob die Durchführung des Versorgungsausgleichs trotz des langen Zeitablaufs nicht als grob unbillig anzusehen ist. Der Maßstab ist dabei strenger als im Rahmen des § 242 BGB (Grüneberg-Siede 82. Aufl. 2023, § 27 VersAusglG Rz 12).
18
Dabei ist zu berücksichtigen, dass angesichts der relativ geringen Höhe der auszugleichenden Anwartschaft nicht ersichtlich ist, dass die Antragsgegnerin ihre Lebensumstände bei Kenntnis der Durchführung des Versorgungsausgleichs anders geordnet hätte und daher auf die ungeteilte Anwartschaft angewiesen wäre. Auch vor dem Hintergrund der jeweiligen Dauer der Ehe, nämlich 11 Jahre bei der Antragstellerin und ein Jahr bei der Antragsgegnerin, sowie der Tatsache, dass die Antragstellerin 2 Kinder mit ihrem früheren Ehemann hatte und ehebedingt in der Betreuungszeit keine eigenen Anwartschaften erwerben konnte, während die Ehe der Antragsgegnerin kinderlos blieb und diese eine Witwenrente erhält, kann nicht von einer groben Unbilligkeit bei Durchführung des Versorgungsausgleichs trotz des langen Zeitablaufs ausgegangen werden.
19
4. Die Durchführung des Versorgungsausgleichs hat auch zu Lasten des Anrechts der Antragstellerin bei der gesetzlichen Rentenversicherung zu erfolgen. Zwar haben gemäß § 31 Absatz 1 Satz 2 VersAusglG die Erben kein Recht auf Wertausgleich, nach § 31 Abs. 2 Satz 1 VersAusglG darf der überlebende Ehegatte durch den Wertausgleich jedoch nicht bessergestellt werden, als wenn der Versorgungsausgleich durchgeführt worden wäre.
20
Damit ergibt sich folgende Berechnung:
Anfang der Ehezeit: ... 1982
Ende der Ehezeit: ... 1993
21
In der Ehezeit haben die früheren Ehegatten folgende Anrechte erworben:
22
Bei der D. Rentenversicherung ... hat die Antragstellerin ein Anrecht mit einem Ehezeitanteil von 1,9670 Entgeltpunkten erlangt. Der Versorgungsträger hat gemäß § 5 Abs. 3 VersAusglG vorgeschlagen, den Ausgleichswert mit 0,9835 Entgeltpunkten zu bestimmen. Der korrespondierende Kapitalwert nach § 47 VersAusglG beträgt 8547,62 DM oder 4370,33 €.
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Bei der D. Rentenversicherung ... hat der geschiedene Ehemann ein Anrecht mit einem Ehezeitanteil von 7,8051 Entgeltpunkten erlangt. Der Versorgungsträger hat gemäß § 5 Abs. 3 VersAusglG vorgeschlagen, den Ausgleichswert mit 3,9026 Entgeltpunkten zu bestimmen. Der korrespondierende Kapitalwert nach § 47 VersAusglG beträgt 33.917,59 DM oder 17.341,79 €.
III.
24
Eine mündliche Verhandlung über die Beschwerde war auch unter Berücksichtigung von § 221 FamFG nicht geboten. Den Beteiligten wurde vor Entscheidung rechtliches Gehör gewährt. Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt.
25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.
26
Der Verfahrenswert war gemäß § 50 Abs. 3 FamGKG auf 2000 € festzusetzen. Zwar ist gemäß § 50 Abs. 1 FamGKG auf das Nettoeinkommen der Ehegatten abzustellen und daher für den zum Zeitpunkt der nach § 34 FamGKG relevanten Antragstellung bereits verstorbenen Ehemann kein Einkommen anzusetzen. Der sich dann aus § 50 Abs. 1 S.2 FamGKG ergebende Ansatz des Mindestwerts von 1000 € erscheint jedoch nach den besonderen Umständen des Einzelfalls hier unbillig, da der Mindestwert aus der Besonderheit des Vorversterbens des sonst beteiligten früheren Ehegatten resultiert und zum anderen vorliegend wesentlich vom Regelfall des Verfahrensgegenstands Versorgungsausgleich abweichende Rechtsfragen im Hinblick auf die Zulässigkeit der Durchführung des Versorgungsausgleichs zu klären waren und die zusätzliche Prüfung der Wirksamkeit des Ehevertrags zu erfolgen hatte. Es erscheint daher angemessen, den Verfahrenswert auf 2000 € festzusetzen.
27
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor, § 70 FamFG.
28
Die Entscheidung ergeht in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung.