Inhalt

VerfGH München, Entscheidung v. 27.09.2023 – Vf. 62-VII-20
Titel:

Erfolglose Popularklage gegen die Maskenpflicht in der 4. BayIfSMV

Normenketten:
4. BayIfSMV § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 8, § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
BV Art. 3 Abs. 1 S. 1, Art. 98 S. 4, Art. 100, Art. 101, Art. 107
BayVfGHG Art. 55 Abs. 1 S. 1
InfSG § 28 Abs. 1, § 32
Leitsätze:
1. Teilweise Unzulässigkeit einer Popularklage, soweit eine der angegriffenen Vorschriften im Verfahrensverlauf außer Kraft getreten ist und kein objektives öffentliches Interesse an der Feststellung besteht, ob sie mit der Bayerischen Verfassung vereinbar war. (Rn. 36 – 37)
2. Die in der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 11. bis 29. Mai 2020 angeordnete allgemeine und landesweite Maskenpflicht im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr und bei der Schülerbeförderung. (§ 8) sowie in Betrieben des Groß- und Einzelhandels mit Kundenverkehr (§ 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3) war mit dem Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung vereinbar und hat Grundrechte nicht in verfassungswidriger Weise eingeschränkt. (Rn. 42)
Schlagworte:
Corona, Pandemie, Maskenpflicht, Mund-Nasen-Bedeckung, Popularklage, außer Kraft getreten, ÖPNV, Einzelhandel, Bestimmtheitsgebot
Fundstellen:
BayVBl 2024, 78
LSK 2023, 28483
BeckRS 2023, 28483

Tenor

Der Antrag wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich gegen § 6 Satz 1 Nr. 2, §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 5. Mai 2020 (BayMBl Nr. 240, ber. Nr. 245, BayRS 2126-1-8-G) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 14. Mai 2020 (BayMBl Nr. 269), die mit Ablauf des 29. Mai 2020 außer Kraft getreten ist.
2
1. Die angegriffenen und mit ihnen zusammenhängenden Vorschriften ordneten zur Eindämmung der Corona-Pandemie eine Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht) für bestimmte öffentliche oder vergleichbare Orte an und hatten folgenden Wortlaut:
§ 1
Allgemeines Abstandsgebot, Mund-Nasen-Bedeckung …
(2) Soweit in dieser Verordnung die Verpflichtung vorgesehen ist, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen (Maskenpflicht), gilt:
1. Kinder sind bis zum sechsten Geburtstag von der Tragepflicht befreit.
2. Personen, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund einer Behinderung, aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist, sind von der Trageverpflichtung befreit.
3. Das Abnehmen der Mund-Nasen-Bedeckung ist zulässig, solange es zu Identifikationszwecken oder zur Kommunikation mit Menschen mit Hörbehinderung erforderlich ist.
§ 5
Veranstaltungs-, Versammlungs- und Ansammlungsverbot … 2Ausnahmegenehmigungen können auf Antrag von der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde erteilt werden, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist.
§ 6
Gottesdienste, Zusammenkünfte von Glaubensgemeinschaften
1Öffentlich zugängliche Gottesdienste in Kirchen, Synagogen und Moscheen sowie die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften sind zulässig:
2. Für alle Teilnehmer besteht Maskenpflicht; ausgenommen hiervon ist das liturgische Sprechen und Predigen.
2§ 5 Satz 2 gilt entsprechend.
§ 8
Öffentliche Verkehrsmittel, Schülerbeförderung
1Im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr und den hierzu gehörenden Einrichtungen besteht für Fahr- und Fluggäste sowie für das Kontroll- und Servicepersonal, soweit es in Kontakt mit Fahr- und Fluggästen kommt, Maskenpflicht. 2Satz 1 gilt entsprechend für die Schülerbeförderung im freigestellten Schülerverkehr.
§ 12
Handels- und Dienstleistungsbetriebe
(1) 1Für Betriebe des Groß- und Einzelhandels mit Kundenverkehr gilt:
3. Für das Personal, die Kunden und ihre Begleitpersonen gilt Maskenpflicht.
§ 21
Ordnungswidrigkeiten Ordnungswidrig im Sinne des § 73 Abs. 1 a Nr. 24 IfSG handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig …
8. entgegen § 8 der Maskenpflicht nicht nachkommt, …
11. entgegen § 12 Abs. 1 a) als Betreiber eines Ladengeschäfts
… cc) nicht sicherstellt, dass das Personal eine Mund-Nasen-Bedeckung trägt, oder …
14. entgegen § 12 als Kunde oder Begleitperson eines der dort genannten Geschäfte, Verkaufsstellen, Dienstleistungsbetriebe oder Praxen der Maskenpflicht nicht nachkommt, …
3
Die Vierte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 5. Mai 2020 (BayMBl Nrn. 240, 245) ist – in ihrer ursprünglichen Fassung gemäß der Änderungsverordnung vom 7. Mai 2020 (BayMBl Nr. 247) – am 11. Mai 2020 in Kraft und mit Ablauf des 29. Mai 2020 außer Kraft getreten. Sie wurde durch die Fünfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 29. Mai 2020 (BayMBl Nr. 304) ersetzt, mit der die Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der CoronaPandemie, darunter auch die Maskenpflicht, fortgeführt wurden.
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2. Gestützt war die Vierte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung auf § 32 Satz 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl I S. 1045), das zuletzt durch Art. 1, 2 und 3 des Gesetzes vom 27. März 2020 (BGBl I S. 587) geändert worden war (IfSG a. F.), in Verbindung mit § 9 Nr. 5 der Delegationsverordnung (DelV) vom 28. Januar 2014 (GVBl S. 22, BayRS 103-2-V), die zuletzt durch Verordnung vom 13. Januar 2020 (GVBl S. 11) geändert worden war.
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§§ 28 und 32 IfSG in der damals gültigen Fassung lauteten auszugsweise:
§ 28
Schutzmaßnahmen
(1) 1Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. 2Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. 3Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden. 4Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) werden insoweit eingeschränkt.
§ 32
Erlass von Rechtsverordnungen
1Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. 2Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. 3Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) und des Brief- und Postgeheimnisses (Artikel 10 Grundgesetz) können insoweit eingeschränkt werden.
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§ 9 DelV regelte:
§ 9
Staatsministerium für Gesundheit und Pflege
Die Ermächtigungen nach …
5. § 15 Abs. 3 Satz 1, § 17 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1, § 20 Abs. 7 Satz 1, § 23 Abs. 5 Satz 2 und Abs. 8 Satz 1, § 32 Satz 1 und § 36 Abs. 6 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes werden auf das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege übertragen.
II.
7
Die Antragsteller haben am 12. Mai 2020 Popularklage erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. In der Hauptsache beantragen sie mit ergänzendem Schriftsatz vom 19. Mai 2020, § 6 Satz 1 Nr. 2, §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV in der Fassung der Änderungsverordnung vom 14. Mai 2020 für nichtig zu erklären.
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Die Antragsteller machen geltend, die Maskenpflicht verletze die Menschenwürde (Art. 100 BV), das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 100, 101 BV), hilfsweise die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 101 BV), und – hinsichtlich der Regelung für Gottesdienste in § 6 Satz 1 Nr. 2 4. BayIfSMV – die Religionsfreiheit (Art. 107 BV). Sie greife in die Schutzbereiche der genannten Grundrechte ein, ohne verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein. Die Maskenpflicht verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wobei es zuvorderst an der Geeignetheit der Maßnahme mangle. Hierzu tragen die Antragsteller unter Vorlage umfangreicher Unterlagen zusammengefasst vor:
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1. Die Maskenpflicht berühre, ähnlich wie das Aufnötigen einer Burka, den Schutz der Menschenwürde. Das Gesicht sei wesentliches Merkmal der subjektbezogenen Erkennbarkeit des Menschen. Werde einem Menschen aufgegeben, eine Maske zu tragen und sein Gesicht zu verhüllen, werde ihm zwangsläufig das wichtigste Merkmal seiner Subjektivität genommen. Die Rechtspflicht, eine Maske zu tragen, nehme dem Menschen seine Subjektqualität und degradiere ihn zum bloßen Objekt staatlichen Handelns. Die Rechtspflicht unterwerfe alle Normadressaten der Vorstellung, sie seien eine Gefahr für Dritte und das Gesundheitswesen, obwohl die Zahl der potenziellen Virenüberträger im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung äußerst gering sei und nach den Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) für den 12. Mai 2020 nur bei etwa 0,03% liege.
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2. Die Maskenpflicht verstoße gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Der Eingriff könne verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden, weil er unverhältnismäßig sei.
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Es mangle schon an der Geeignetheit der Maßnahme. Maßgeblich bei der fachlichen Beurteilung der Corona-Problematik seien insbesondere die Einschätzungen des RKI. Ob dessen Handlungsempfehlungen zur Maskenpflicht vom Verordnungsgeber bei Ausfüllung seines Beurteilungsspielraums einbezogen worden seien, könne mangels amtlicher Begründung nicht nachvollzogen werden. Zudem könne sich der Verordnungsgeber auf die Empfehlung des RKI zur Maskenpflicht nicht wirksam im Sinn einer korrekten Ausübung des Beurteilungsspielraums berufen. Denn die Empfehlung sei weder ihrem historischen Werdegang noch ihrem Inhalt nach als solche zu charakterisieren und könne nur in deutlich restriktiverer Form in das Abwägungsmaterial des Normgebers eingestellt werden. Das RKI habe seine Ansicht über die verpflichtende Verwendung von Masken in der Öffentlichkeit erst sehr spät geändert, was allein schon Vorsicht gebiete. Die Empfehlung basiere lediglich auf einer Vermutung, die durch wissenschaftliche Erkenntnisse nicht gestützt sei und die nicht von Überzeugung getragen erscheine. Weder zur Geeignetheit des Mittels noch zur Gefährlichkeit des Krankheitserregers hätten bei Normerlass einigermaßen sichere Erkenntnisse bestanden. Bei der Anwendung von Empfehlungen des RKI im Rahmen des Beurteilungsspielraums sei auch deshalb Vorsicht geboten, weil wesentliche Handlungsempfehlungen und Vorgehensweisen in der Corona-Problematik von einer gewissen (näher erläuterten) Inkonsistenz geprägt seien. Von anderer fachkundiger Seite werde die Maskenpflicht aus verschiedenen Gründen kritisch hinterfragt, zumal das längere Tragen von Masken zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führe.
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Die Maskenpflicht sei zudem nicht erforderlich. Ein milderes Mittel liege in der strikten Einhaltung der Abstände, wie auch das RKI betone. Die Maskenpflicht nehme im Vergleich dazu einen deutlich geminderten Stellenwert ein.
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Vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Erkenntnisse aus aller Welt bestünden inzwischen Zweifel, dass die Corona-Pandemie tatsächlich eine Gefährlichkeit aufweise, die eine Maskenpflicht in dem angeordneten Umfang rechtfertige. So sei zum einen die Zahl der infizierten Menschen stark rückläufig. Zum anderen wiesen erste (näher dargelegte) wissenschaftliche Forschungen auf ein deutlich relativiertes Bild der Gefährlichkeit der Erkrankung hin. Zudem bestehe mittlerweile eine nicht unbedeutende Anzahl (im Einzelnen angeführter) kritischer Einzelstimmen aus Wissenschaft und medizinischer Praxis zu den Coronabeschränkungen. Die Frage nach der Gefährlichkeit der Pandemie werde in gewisser Weise auch dadurch relativiert, dass der den Informationen zu Grunde liegende Test zur Offenlegung einer Infektion nicht amtlich validiert sei.
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In der Gesamtschau der Abwägung sei zunächst festzuhalten, dass dem Grundrecht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine überragende Bedeutung im Gefüge der Grundrechtsdogmatik zukomme. Der Eingriff in dieses Grundrecht durch die Pflicht zum Tragen einer Maske wiege durchaus schwer. Er beziehe sich zwar auf die Sozialsphäre und damit auf jenen Bereich, in dem die verfassungsmäßige Ordnung dem Gesetzgeber relativ weitreichende Eingriffsmöglichkeiten in dieses Grundrecht einräume. Auch handle es sich nicht um eine allgemeine Maskenpflicht, sondern um eine örtlich beschränkte. Trotzdem fehle es an einer ausreichenden verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Die Maskenpflicht betreffe weite Teile des gesellschaftlichen Lebens, umso mehr, wenn man dabei die Gebrauchs- und Hygieneregeln des RKI beachten wolle. Es bestehe kein signifikanter Nutzen der Maßnahme. Bei unsachgemäßer Handhabung der Maske bestehe sogar die Gefahr einer Infektion. Bei fortgesetzter Benutzung seien zudem gesundheitliche Nachteile zu befürchten, etwa durch die Erhöhung des CO2-Anteils in der Atemluft. Schließlich bestehe die Gefahr, dass die Einhaltung des Abstands als wesentliches Mittel zur Einschränkung von Infektionen vernachlässigt werde.
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Nach alledem habe der Verordnungsgeber den ihm eröffneten Beurteilungsspielraum bei Risikobewertungen auf Basis von Wissensdefiziten fehlerhaft ausgeübt.
Die der unmittelbaren Gefahrenabwehr dienenden Vorschriften zum Tragen einer Maske seien lediglich auf der Basis eines nicht näher definierten Besorgnispotenzials erlassen worden, ohne dass es zur Wirksamkeit hinsichtlich des Fremdschutzes wissenschaftliche Erkenntnisse gebe.
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Hinzu komme, dass sich der Grundrechtseingriff dadurch verschärfe, dass er lediglich durch eine untergesetzliche Verordnung erfolge, nicht durch ein Parlamentsgesetz. Das verstoße gegen den Parlamentsvorbehalt, der aus dem Rechtsstaatsgebot folge. Der parlamentarische Gesetzgeber habe alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. Dazu zähle auch die einen großen Adressatenkreis treffende und grundrechtsrelevante Maskenpflicht.
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3. Sollte entgegen der Ansicht der Antragsteller der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht betroffen sein, so sei aus den dargelegten Gründen jedenfalls das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt.
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4. Die Anordnung der Maskenpflicht für Teilnehmer an öffentlich zugänglichen Gottesdiensten greife in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise in die Religionsfreiheit ein. Diese sei dadurch unverhältnismäßig eingeschränkt, dass für den Besucher wesentliche kultische Handlungen nicht möglich seien und das Zusammenkommen der Gemeinde im Gottesdienst konterkariert werde.
III.
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1. Der Bayerische Landtag hat sich nicht am Verfahren beteiligt.
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2. Die Bayerische Staatsregierung hält die Popularklage für unzulässig, jedenfalls für unbegründet.
21
Die Popularklage sei bereits unzulässig, weil die angegriffenen Rechtsvorschriften inzwischen außer Kraft getreten seien. Solche Vorschriften unterlägen der Popularklage nur dann, wenn ein objektives Interesse an der verfassungsgerichtlichen Überprüfung bestehe. Dafür hätten die Antragsteller nichts dargelegt. Jedenfalls aber sei die Popularklage unbegründet. Die angegriffenen Vorschriften schränkten Grundrechte der Bayerischen Verfassung nicht verfassungswidrig ein.
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a) Die Maskenpflicht beruhe entsprechend der Anforderung des Art. 55 Abs. 2 Nr. 3 BV auf einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung, nämlich § 32 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG a. F. Diese bundesrechtliche Ermächtigung durch den parlamentarischen Gesetzgeber genüge den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts, der Wesentlichkeitstheorie und der Bestimmtheit. Insbesondere lasse sie ihrem Wortlaut nach eine Maskenpflicht als bestimmte Bedingung für das Betreten bestimmter oder öffentlicher Orte zu und sei im Wesentlichen gegenständlich („soweit“) und zeitlich („solange“) durch die infektionsschutzrechtliche Notwendigkeit hinreichend begrenzt.
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b) Die angegriffenen Verordnungsbestimmungen schränkten keine Grundrechte in verfassungswidriger Weise ein.
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Die Menschenwürde sei schon nicht berührt, weil die Maskenpflicht weder eine schwerwiegende Beeinträchtigung darstelle noch den Kern der menschlichen Persönlichkeit berühre.
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Die Anordnung der Maskenpflicht für Gottesdienste greife zwar in die Religionsfreiheit ein. Dieser Eingriff sei aber durch den Zweck gerechtfertigt, Ansteckungen mit dem neuartigen Coronavirus zu vermeiden und dadurch Leben und Gesundheit zu schützen sowie eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Die Maskenpflicht sei zum Schutz vor der weiteren Ausbreitung des Virus in Gottesdiensten und der hierdurch verursachten Krankheit geeignet. Sie sei ein vergleichsweise einfach verfügbares und zugleich wirksames Mittel des Fremdschutzes, in dem sie andere Personen vor feinen Tröpfchen schütze, die der Träger insbesondere beim Husten oder Niesen, aber auch beim Ausatmen, Sprechen oder Singen freisetze.
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Die Maskenpflicht in Gottesdiensten sei erforderlich. Der Verordnungsgeber habe im Rahmen seines Beurteilungs- und Prognosespielraums davon ausgehen dürfen, dass kein gleich wirksames, die betroffenen Grundrechte aber weniger beeinträchtigendes Mittel zur Verfügung stehe.
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Die Maßnahme sei schließlich verhältnismäßig. Sie diene dem Schutz des verfassungsrechtlichen Höchstwerts Leben in einer Vielzahl von Fällen. Dahinter müsse die Religionsfreiheit grundsätzlich zurücktreten. Entgegen der Ansicht der Antragsteller sei der Verordnungsgeber nicht gehalten gewesen, die maßgebenden Beurteilungs- und Prognoseerwägungen zu veröffentlichen. Denn Rechtsnormen seien im Gegensatz zu Verwaltungsakten nicht zu begründen. Der Verordnungsgeber sei um einen bestmöglichen Ausgleich der betroffenen Interessen bemüht gewesen. Die Maskenpflicht sei Ausdruck dieser Ausgleichsbemühungen, indem sie ermögliche, auf belastendere Maßnahmen, namentlich ein Verbot öffentlicher Gottesdienste, zu verzichten. Die Maske hindere den Träger nicht, am Gottesdienst persönlich teilzunehmen und die nach der jeweiligen Liturgie geforderten Körperhaltungen einzunehmen. Sprechen und Singen seien zwar erschwert, aber grundsätzlich möglich. Sollte in besonders gelagerten Einzelfällen ein unverhältnismäßiger Eingriff zu befürchten gewesen sein, hätte dem verfassungskonform durch eine Ausnahmegenehmigung nach § 6 Satz 2 i. V. m. § 5 Satz 2 4. BayIfSMV Rechnung getragen werden können.
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Aus diesen Gründen sei auch die Berufsfreiheit als spezielle Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit nicht verletzt. Zwar greife die Maskenpflicht für Personal im Handel mit Kundenverkehr sowie für Kontroll- und Servicepersonal mit Fahrgastkontakt in öffentlichen Verkehrsmitteln in die Berufsfreiheit ein. Sie lasse allerdings den Handelsbetrieb und die Personenbeförderung als solche unberührt und sei daher als Berufsausübungsregelung zulässig, wenn sie durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sei, wenn die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich seien sowie wenn die durch sie bewirkte Beschränkung der Berufsausübung den Betroffenen zumutbar sei. Diese Voraussetzungen hätten während der Geltungsdauer der Verordnung vorgelegen. Insbesondere habe der Zumutbarkeit nicht entgegengestanden, dass das Personal die Maske typischerweise während der gesamten Arbeitszeit, nur unterbrochen durch Pausen, hätte tragen müssen. Das Tragen der Maske möge vielfach als störend und unkomfortabel empfunden worden sein, wesentliche Beeinträchtigungen der Gesundheit oder des Arbeitsergebnisses seien aber typischerweise nicht zu erwarten gewesen.
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Die durch die Maskenpflicht bewirkten Einschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit bei Kunden und ihren Begleitpersonen im Handel sowie bei Fahrgästen in öffentlichen Verkehrsmitteln und bei Schülern im freigestellten Schülerverkehr seien aus diesen Gründen erst recht verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil sie sich typischerweise deutlich kürzer an den entsprechenden Orten aufhielten.
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Die Ausgestaltung der Maskenpflicht sei schließlich auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 118 Abs. 1 BV) vereinbar. Insbesondere habe die unterschiedliche Handhabung der Maskenpflicht bei Gottesdiensten und Versammlungen, für die keine Maskenpflicht gelte, den Wertungen des Versammlungsrechts entsprochen. Die Maskenpflicht im Wirtschaftsleben habe bei typisierender Betrachtung alle Wirtschaftszweige mit Publikumsverkehr erfasst, was mit Blick auf das jeweilige Infektionsrisiko ein sachgerechtes Abgrenzungskriterium gewesen sei.
IV.
31
Die Popularklage ist zum Teil unzulässig geworden, weil die angegriffenen Vorschriften im Verfahrensverlauf – nach kurzer Geltungsdauer – außer Kraft getreten sind.
32
Zulässiger Prüfungsgegenstand sind nur noch §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV (Maskenpflicht im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr und bei der Schülerbeförderung sowie in Betrieben des Groß- und Einzelhandels mit Kundenverkehr), nicht aber § 6 Satz 1 Nr. 2 4. BayIfSMV (Maskenpflicht bei Gottesdiensten und Zusammenkünften von Glaubensgemeinschaften).
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1. Bei den Bestimmungen der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 5. Mai 2020 handelte es sich um Rechtsvorschriften des bayerischen Landesrechts, deren Verfassungswidrigkeit jedermann durch Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof (Popularklage) geltend machen kann (Art. 98 Satz 4 BV und Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).
34
Der Einordnung als Landesrecht steht nicht entgegen, dass sie auf § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl I S. 1045) in der damals geltenden Fassung des Änderungsgesetzes vom 27. März 2020 (BGBl I S. 587) beruht haben. Der bayerische Normgeber, der aufgrund einer bundesrechtlichen Ermächtigung tätig wird, setzt Landesrecht und bleibt in den Bereichen, in denen das Bundesrecht ihm Entscheidungsfreiheit belässt, an die Bayerische Verfassung gebunden (vgl. VerfGH vom 25.1.2006 VerfGHE 59, 1/10; vom 19.3.2018 VerfGHE 71, 46 Rn. 35).
35
Die angegriffenen Bestimmungen sind jedoch nur noch zum Teil zulässiger Prüfungsgegenstand nach Art. 98 Satz 4 BV, weil die Vierte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung am 29. Mai 2020 außer Kraft getreten ist.
36
Der Verfassungsgerichtshof hat bei der Prüfung, ob eine Rechtsvorschrift verfassungswidrig ist, seiner Beurteilung grundsätzlich den Rechtszustand im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Außer Kraft getretene Rechtsvorschriften unterliegen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle nur dann, wenn noch ein objektives Interesse an der Feststellung besteht, ob sie mit der Bayerischen Verfassung vereinbar waren. Der Verfassungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein solches Interesse insbesondere dann bestehen kann, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Rechtsnorm noch rechtliche Wirkungen entfalten kann, weil sie für künftige (z. B. gerichtliche) Entscheidungen noch rechtlich relevant ist (vgl. VerfGH vom 30.8.2017 VerfGHE 70, 162 Rn. 75; vom 20.8.2019 BayVBl 2020, 306 Rn. 18; vom 7.12.2021 BayVBl 2022, 152 Rn. 41; vom 14.6.2023 – Vf. 15-VII-18 – juris Rn. 51). Ein objektives Interesse wird hingegen nicht allein dadurch begründet, dass die außer Kraft getretenen Vorschriften schwerwiegende Grundrechtseingriffe bewirkt haben oder ihre Geltungsdauer zu kurz war, um ein Popularklageverfahren in der Hauptsache durchzuführen. Denn die Popularklage nach Art. 98 Satz 4 BV, die an die Antragsberechtigung geringe Anforderungen stellt (Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG: „jedermann“) und die an keine Frist gebunden ist, dient nicht in erster Linie dem Schutz der verfassungsmäßigen Rechte des Einzelnen, der unter Umständen auch bei überholten Grundrechtseingriffen nachträglichen – subjektiven – gerichtlichen Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren beanspruchen kann (vgl. BVerfG vom 3.3.2004 BVerfGE 110, 77/85 ff.; BVerwG vom 22.11.2022 NVwZ 2023, 1000 Rn. 12 ff. zur nachträglichen gerichtlichen Klärung in einem Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO). Die verfassungsgerichtliche Popularklage ist vielmehr – anders als die Verfassungsbeschwerde nach Art. 120 BV zum Schutz der eigenen Grundrechte – ein objektives Verfahren (vgl. VerfGH BayVBl 2022, 152 Rn. 42; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 98 Rn. 8). Daher ist die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nicht in dem Sinn zu verstehen, dass jede mögliche noch andauernde Rechtswirkung zum Nachteil Einzelner automatisch ein objektives Interesse an der Kontrolle von außer Kraft getretenem Recht im Rahmen einer Popularklage begründet. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Grundrechte als Institution betroffen sind, etwa weil es um eine Vielzahl von Fällen und nicht nur um einzelne Verfahren geht, in denen die Betroffenen auf Individualrechtsschutz zu verweisen sind (vgl. VerfGH vom 14.6.2023 – Vf. 15-VII-18 – juris Rn. 58).
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Danach besteht ein objektives (und nicht nur theoretisches) Interesse lediglich im Hinblick auf die in §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV (im Zeitraum vom 11. bis 29.5.2020) angeordnete Maskenpflicht. Denn diese Vorschriften waren bußgeldbewehrt (§ 21 Nrn. 8, 11 und 14 4. BayIfSMV). Sie entfalten als sanktioniertes Handlungsgebot weiterhin Rechtswirkungen für eine Vielzahl von noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Ordnungswidrigkeitenverfahren. Etwas anderes gilt mit Blick auf § 6 Satz 1 Nr. 2 4. BayIfSMV. Denn für Zuwiderhandlungen gegen die dort angeordnete Maskenpflicht bei Gottesdiensten und Zusammenkünften von Glaubensgemeinschaften hat die Vierte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung keinen Bußgeldtatbestand vorgesehen, weshalb insoweit keine Ordnungswidrigkeitenverfahren anhängig sein können. Für – sonstige – andauernde rechtliche Wirkungen nach dem Außerkrafttreten oder ein öffentliches Interesse aus anderen Gründen ist nichts ersichtlich. Dass § 6 Satz 1 Nr. 2 4. BayIfSMV möglicherweise den Gegenstand einer noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen fachgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. Art. 4 Satz 1 AGVwGO bildet, begründet bereits wegen der unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe kein objektives Interesse an einer Entscheidung im Popularklageverfahren nach Art. 98 Satz 4 BV, Art. 55 VfGHG.
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2. Die Antragsteller haben hinreichend dargelegt, dass sowohl § 8 als auch § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV ihrer Meinung nach ein durch die Bayerische Verfassung gewährleistetes Grundrecht verfassungswidrig einschränken (Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG).
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Ihr Vorbringen lässt es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der bayerische Verordnungsgeber bei Ausübung des ihm eingeräumten Entscheidungsspielraums durch Anordnung der – bundesrechtlich damals nicht ausdrücklich als Schutzmaßnahme genannten – Maskenpflicht im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr und bei der Schülerbeförderung sowie in Betrieben des Groß- und Einzelhandels mit Kundenverkehr das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder jedenfalls die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) verletzt hat. Unzureichend ist allerdings die Rüge, diese Verordnungsbestimmungen hätten das Grundrecht der Menschenwürde (Art. 100 BV) verletzt. Denn es kann schon im Ansatz nicht nachvollzogen werden, inwiefern die zur Verhinderung der Verbreitung einer ansteckenden Krankheit angeordnete Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung an bestimmten Orten eine schwerwiegende, an den Kern der menschlichen Persönlichkeit greifende Beeinträchtigung darstellen soll (vgl. VerfGH vom 25.6.2010 VerfGHE 63, 83/110). Die Maskenpflicht diente weder der Herabwürdigung noch sonstigen rechtlich zu missbilligenden Zwecken, sondern dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung und damit wichtigen Belangen des Gemeinwohls. Auch wenn die Maske einen Teil der Gesichtsmimik verbirgt, verhindert sie weder verbale noch nonverbale Kommunikation, etwa durch Blickkontakte. Die Intensität der Einwirkung auf das Erscheinungsbild ist im Übrigen geringer als etwa eine auf § 81 a StPO gestützte zwangsweise Veränderung der Haar- und Barttracht zum Zweck der Gegenüberstellung, die keinen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellt (BVerfG vom 14.2.1978 BVerfGE 47, 239/247 f.).
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3. Soweit die Popularklage zulässig ist, erstreckt der Verfassungsgerichtshof die Überprüfung der angefochtenen Vorschriften auf alle in Betracht kommenden Normen der Bayerischen Verfassung, selbst wenn insofern keine Rügen geltend gemacht worden sind oder wenn sie, wie etwa das Rechtsstaatsgebot des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV, keine Grundrechte verbürgen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 13.9.2011 VerfGHE 64, 159/169; vom 10.6.2021 BayVBl 2021, 548 Rn. 32; vom 26.4.2022 – Vf. 5-VII-19 – juris Rn. 47 – in BayVBl 2022, 475 insoweit nicht abgedruckt).
V.
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Die Popularklage ist, soweit zulässig, unbegründet.
42
Die in §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV angeordnete allgemeine und landesweite Maskenpflicht im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr und bei der Schülerbeförderung sowie in Betrieben des Groß- und Einzelhandels mit Kundenverkehr war mit dem Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) vereinbar (1.) und hat Grundrechte der Bayerischen Verfassung nicht in verfassungswidriger Weise eingeschränkt (2.).
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1. Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) wurde durch die Verordnungsbestimmungen nicht verletzt.
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a) Ein das Rechtsstaatsgebot verletzender Widerspruch zur bundesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage lässt sich nicht feststellen.
45
aa) Prüfungsmaßstab im Popularklageverfahren sind allein die Vorschriften der Bayerischen Verfassung, nicht aber die Normen des Bundesrechts. Der Verfassungsgerichtshof hat daher eine auf einer bundesrechtlichen Ermächtigung beruhende Vorschrift des Landesrechts am Maßstab des Rechtsstaatsgebots der Bayerischen Verfassung (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) nicht umfassend daraufhin zu überprüfen, ob der bayerische Normgeber die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen der bundesgesetzlichen Ermächtigung zutreffend ermittelt und beurteilt oder ob er andere bundesrechtliche Vorschriften in ihrer Bedeutung für den Inhalt seiner Regelung richtig eingeschätzt hat (ständige Rechtsprechung seit VerfGH vom 28.6.1988 VerfGHE 41, 59/64 f. und vom 13.7.1988 VerfGHE 41, 69/73 f.; vgl. BayVBl 2022, 475 Rn. 60; zur „strengeren“ Prüfungsintensität bei einer auf landesgesetzlicher Ermächtigung beruhenden Vorschrift etwa VerfGH vom 12.5.2004 VerfGHE 57, 48/52 f.; vom 27.6.2011 VerfGHE 64, 96/104; vom 19.2.2018 VerfGHE 71, 28 Rn. 38 ff.).
46
Verstößt eine abgeleitete Rechtsvorschrift des Landesrechts gegen Bundesrecht, so kann das im Popularklageverfahren nur insoweit entscheidungserheblich sein, als darin zugleich ein Verstoß gegen bayerisches Verfassungsrecht liegt. Das Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung erstreckt seine Schutzwirkung nicht in den Bereich des Bundesrechts mit der Folge, dass jeder formelle oder inhaltliche Verstoß einer abgeleiteten landesrechtlichen Vorschrift gegen Bundesrecht zugleich als Verletzung der Bayerischen Verfassung anzusehen wäre. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV ist vielmehr erst verletzt, wenn ein bayerischer Normgeber offensichtlich den Bereich der Rechtsordnung des Bundes verlässt und Landesrecht eindeutig ohne Rechtsetzungsbefugnis schafft. Ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip kann erst dann angenommen werden, wenn der Widerspruch zum Bundesrecht nicht nur offensichtlich zutage tritt, sondern auch inhaltlich nach seinem Gewicht als schwerwiegender Eingriff in die Rechtsordnung zu werten ist (vgl. VerfGH vom 16.6.2015 VerfGHE 68, 139 Rn. 43; vom 4.4.2017 VerfGHE 70, 51 Rn. 26; vom 17.7.2020 BayVBl 2020, 737 Rn. 37; 2022, 475 Rn. 60).
47
Ein solcher Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV läge auch vor, wenn die bundesrechtliche Ermächtigung mit dem Grundgesetz unvereinbar wäre und daher der angegriffenen landesrechtlichen Norm eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage fehlte. Über die Frage der Grundgesetzmäßigkeit der bundesrechtlichen Ermächtigung könnte der Verfassungsgerichtshof allerdings nicht selbst entscheiden. Käme er zu der Überzeugung, dass die Ermächtigungsgrundlage gegen das Grundgesetz verstößt, müsste er gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen, weil die Gültigkeit der gesetzlichen Ermächtigung entscheidungserhebliche Vorfrage bei der Überprüfung der darauf beruhenden Verordnung ist (VerfGHE 68, 139 Rn. 35).
48
Der Verfassungsgerichtshof hält an dieser Rechtsprechung zum eingeschränkten Prüfungsmaßstab auch mit Blick auf den Beschluss des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 19. Mai 2021 – 110/20 – (LVerfGE 32, 525) fest, mit dem dieser dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 3 GG u. a. die Frage zur Entscheidung vorgelegt hat, ob es die „Grundsätze des Rechtsstaates“ (Art. 28 Abs. 1 GG) erlauben, eine Verletzung des landesverfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzips im Fall eines Widerspruchs zwischen einfachem Landesrecht und Bundesrecht erst dann anzunehmen, wenn dieser Widerspruch offen zutage tritt und als schwerwiegender, besonders krasser Eingriff in die Rechtsordnung zu werten ist. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, ein Landesverfassungsgericht müsse, um sich selbst nicht in Widerspruch zu Art. 28 Abs. 1 GG zu setzen, eine Landesrechtsverordnung „ähnlich den Fachgerichten“ umfassend daraufhin überprüfen, ob der Landesverordnungsgeber die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der bundesrechtlichen Ermächtigungsnorm zutreffend beurteilt hat.
49
Der Verfassungsgerichtshof schließt sich dieser Ansicht, zu der sich das Bundesverfassungsgericht nicht geäußert hat (BVerfG vom 19.10.2022 – BVerfGE 163, 239 Rn. 36 ff.), nicht an. Weder das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG noch andere Vorschriften des Grundgesetzes enthalten eine solche zwingende, in die Landesverfassung hineinwirkende (oder hineinzulesende) Vorgabe für den landesverfassungsgerichtlichen Kontrollmaßstab bei der – unmittelbaren oder mittelbaren – Prüfung, ob abgeleitetes Landesrecht mit der bundesrechtlichen Ermächtigung vereinbar ist.
50
Eine solche bundesverfassungsrechtliche Vorgabe widerspräche dem Trennungsprinzip, welches das betont föderativ gestaltete Staatswesen der Bundesrepublik Deutschland prägt. Art. 28 Abs. 1 GG will dasjenige Maß an struktureller Homogenität zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten gewährleisten, das für das Funktionieren eines Bundesstaats unerlässlich ist; er will aber nicht für Uniformität sorgen (BVerfG vom 22.2.1994 BVerfGE 90, 60/84). Die Verfassungsbereiche und ebenso die Verfassungsgerichtsbarkeiten des Bundes und der Länder stehen grundsätzlich nebeneinander (dazu und zu den Ausnahmen: BVerfG vom 7.5.2001 BVerfGE 103, 332/350 ff.). Soweit das Grundgesetz für die Verfassungen der Länder nichts bestimmt, können die Länder ihr Verfassungsrecht und ihre Verfassungsgerichtsbarkeit selbst ordnen. Dabei beschränken sie durch ihre Landesverfassung den Kompetenzbereich der Landesverfassungsgerichtsbarkeit ebenso wie das Grundgesetz den Kompetenzbereich der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit begrenzt. In ihrer Autonomie haben die Landesverfassungsgeber in der jeweiligen Landesverfassung den Kontrollmaßstab festgelegt, der in den landesverfassungsgerichtlichen Verfahren heranzuziehen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat – in seiner damaligen Funktion als Landesverfassungsgericht für das Land Schleswig-Holstein – deshalb ausdrücklich hervorgehoben, dass etwa die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, aber auch die grundgesetzlichen Regeln zur Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen in Art. 70 ff. GG nicht kraft Bundesverfassungsrechts in die Landesverfassungen hineinwirken und demnach auch keinen Kontrollmaßstab für die Landesverfassungsgerichte bilden, es sei denn, die jeweilige Landesverfassung sieht eine solche Öffnung vor (BVerfGE 103, 332/347 f. und 356 ff.). Entsprechendes gilt – erst recht – für die hier in Rede stehende Bindung des Landesverordnungsgebers an die bundesgesetzliche Ermächtigung in § 32 Satz 1 IfSG a. F.
51
Zu den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaats, die gemäß Art. 28 Abs. 1 GG auch von den Ländern beachtet werden müssen, zählt allerdings, dass belastende Staatsakte einer gesetzlichen Grundlage bedürfen und dass dabei die wesentlichen Entscheidungen vom Parlament selbst zu treffen sind (BVerfGE 90, 60/85). Ermächtigt der parlamentarische Gesetzgeber die Exekutive zum Erlass von Rechtsverordnungen, die über den Inhalt reiner Ausführungsverordnungen hinaus eigenständigen Regelungsgehalt mit Außenwirkung entfalten, verlangen diese – in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG niedergelegten – Grundsätze nicht nur vom Bundesgesetzgeber, sondern ebenso vom Landesgesetzgeber (vgl. Art. 55 Nr. 2 Sätze 2 und 3 BV), dass die gesetzliche Ermächtigung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmt und begrenzt sein muss (VerfGH vom 5.5.2003 VerfGHE 56, 75/88; BVerfG vom 20.10.1981 BVerfGE 58, 257/277; vom 19.11.2002 BVerfGE 107, 1/15). Die Exekutive ist beim Verordnungserlass an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 55 Nr. 1 BV).
52
Diesen Vorgaben des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG genügt ein landesverfassungsgerichtlicher Prüfungsmaßstab, der sich auf offensichtliche und schwerwiegende Widersprüche zum Bundesrecht beschränkt. Denn die aus dem rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungssystem folgenden, die Länder bindenden Grundsätze sind nicht immer schon dann verletzt, wenn im Einzelfall ein Landesverordnungsgeber gegen eine bundesgesetzliche Ermächtigung verstößt. Die Reichweite der einzelnen Ermächtigung und die damit einhergehende Gesetzesbindung des Verordnungsgebers ergeben sich allein und abschließend aus dem jeweiligen Bundesgesetz, über dessen Auslegung und Anwendung letztverbindlich auf der Ebene des Bundes zu entscheiden ist. Für eine zusätzliche, notwendigerweise inhaltsgleiche Festschreibung dieser „einfachen“ Gesetzesbindung auf der Ebene der Landesverfassungen und ihrer vollen (tatsächlichen und rechtlichen) Kontrolle durch die Landesverfassungsgerichte besteht weder eine Verpflichtung noch ein Bedürfnis. Im Gegenteil bestünde im Fall einer doppelten Prüfung auf Bundes- und Landesebene am selben Maßstab des einfachen Bundesrechts die Gefahr divergierender Gerichtsentscheidungen außerhalb des – wiederum bundesrechtlich geregelten – fachgerichtlichen Instanzenzugs. Daher ist es nach der Bayerischen Verfassung nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, im Rahmen eines Popularklageverfahrens nach Art. 98 Satz 4 BV bei der Prüfung einer von einer bundesgesetzlichen Ermächtigung abgeleiteten landesrechtlichen Rechtsvorschrift am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 BV gleichsam ein einfachrechtliches Normenkontrollverfahren im Sinn des § 47 VwGO durchzuführen (VerfGHE 41, 59/ 65).
53
bb) In Anwendung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hat die in §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV angeordnete Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht wegen eines offensichtlichen und schwerwiegenden Widerspruchs zur bundesgesetzlichen Ermächtigung gegen das Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung verstoßen.
54
Die Vierte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung beruhte auf § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes, das im maßgeblichen Zeitpunkt des Verordnungserlasses (VerfGH vom 24.5.1973 VerfGHE 26, 48/63) in der Fassung des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl I S. 587) gegolten hat (IfSG a. F.).
55
§ 32 Satz 1 IfSG a. F. ermächtigte die Landesregierungen (mit der Möglichkeit zur Weiterübertragung der Ermächtigung), unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG a. F. maßgebend waren, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F. traf die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt wurden oder sich ergab, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider gewesen war, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich war (Halbsatz 1). Sie konnte insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befanden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten (Halbsatz 2). Danach mussten die Maßnahmen an dem Ziel ausgerichtet sein, die Verbreitung der Krankheit zu verhindern, und sie mussten verhältnismäßig sein, das heißt geeignet und erforderlich, den Zweck zu erreichen, sowie verhältnismäßig im engeren Sinn. Waren die Voraussetzungen erfüllt, handelte es sich um notwendige Schutzmaßnahmen im Sinn der Ermächtigungsnorm. Innerhalb dieser insbesondere durch das Verhältnismäßigkeitsgebot gezogenen Grenzen verfügte der Verordnungsgeber beim Erlass der Schutzverordnungen über ein normatives Ermessen (BVerwG vom 22.11.2022 NVwZ 2023, 1011 Rn. 12).
56
Unter dem Blickwinkel des Rechtsstaatsgebots der Bayerischen Verfassung durfte der Landesverordnungsgeber davon ausgehen, dass § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG a. F. eine gültige Ermächtigungsgrundlage für die angeordnete allgemeine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in bestimmten Bereichen darstellte und diese inhaltlich trug.
57
(1) Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG a. F. für das Ergreifen der „notwendigen Schutzmaßnahmen“ zur Eindämmung der Corona-Epidemie waren bei Erlass der angegriffenen Vorschriften – offenkundig – erfüllt.
58
Bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 hervorgerufenen Krankheit COVID19 handelt es sich um eine übertragbare Krankheit im Sinn des § 2 Nr. 3 IfSG. Es gab im Frühjahr 2020 zahlreiche Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider; es war belegt, dass Verstorbene krank gewesen waren. Nachdem sich das Virus in kurzer Zeit weltweit verbreitet und es vermehrt zu auch tödlich verlaufenden Erkrankungen geführt hatte, bewertete die Weltgesundheitsorganisation am 11. März 2020 das Ausbruchsgeschehen als Pandemie. Am 16. März 2020 stellte das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration aufgrund der Corona-Pandemie das Vorliegen einer Katastrophe gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayKSG fest (Bekanntmachung vom 16.3.2020, BayMBl Nr. 115). Der Deutsche Bundestag stellte mit Inkrafttreten des § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG (i. d. F. des Gesetzes vom 27.3.2020 BGBl I S. 587) am 28. März 2020 aufgrund der Ausbreitung des neuen Coronavirus SARS-CoV-2 in Deutschland eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest. Für Bayern waren zum Stand 5. Mai 2020 insgesamt 43.162 laborbestätigte COVID-19-Fälle an das RKI übermittelt worden, darunter 1.949 Todesfälle in Zusammenhang mit COVID-19-Erkrankungen; mit 330 Fällen je 100.000 Einwohner bezogen auf sieben Tage war im Bundesvergleich die höchste Inzidenz zu verzeichnen. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wurde vom RKI insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen als sehr hoch (vgl. RKI, Lagebericht vom 5. 5.2020, www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-05-05-de.pdf? blob=publicationFile).
59
Vor diesem Hintergrund steht außer Frage, dass der Verordnungsgeber von einer durch Tatsachen belegten infektionsschutzrechtlichen Gefahrenlage ausgehen durfte und musste (vgl. VerfGH vom 9.2.2021 – Vf. 6-VII-20 – juris Rn. 47).
60
(2) Die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, die in §§ 8 und 12 Abs. 1 4. BayIfSMV insbesondere für öffentliche Verkehrsmittel und Handelsbetriebe angeordnet war, zählte zu den Schutzmaßnahmen, die der Verordnungsgeber nach § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F. zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ergreifen durfte (vgl. etwa BayVGH vom 14.5.2020 - 20 NE 20.1102 – juris Rn. 14; vom 7.7.2020 – 20 NE 20.1477 – juris Rn. 14 f.; Kießling, Infektionsschutzgesetz, 1. Aufl. 2020, § 28 Rn. 66 m. w. N.). Mit ihr wurde eine Bedingung für das Betreten bestimmter oder öffentlicher Orte vorgegeben, wozu § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG a. F. in Fortsetzung der in Halbsatz 1 dieser Vorschrift enthaltenen Generalklausel „insbesondere“ ermächtigte.
61
(3) Der Verordnungsgeber hat auch nicht dadurch gegen das Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung verstoßen, dass er die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung gegenüber der Allgemeinheit und landesweit angeordnet hat. § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F. begrenzten ihrem Wortlaut nach weder den räumlichen Geltungsbereich von Schutzmaßnahmen auf Teile eines Landes noch den Adressatenkreis auf bestimmte Personen (vgl. BVerwG NVwZ 2023, 1000 Rn. 21 ff.; a. A. LVerfG Sachsen-Anhalt vom 26.3.2021 – LVG 25/20 – juris Rn. 63 unter Rückgriff auf das Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt). Das wäre auch dem Zweck des Gesetzes zuwidergelaufen, im Fall einer Ausbreitung übertragbarer Krankheiten ein möglichst breites Spektrum gefahrenabwehrender Reaktionsmöglichkeiten zu eröffnen (vgl. VerfGH vom 9.2.2021 – Vf. 6-VII-20 – juris Rn. 45 f. m. w. N.). Eine Eingrenzung ergab sich daraus, dass die angeordnete Schutzmaßnahme „notwendig“ zur Bekämpfung der Übertragung der Krankheit COVID-19 sein musste.
62
Diese Grenze hat der Verordnungsgeber beachtet. Seine Annahme, bei der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung – als Teil eines umfassenderen Schutzkonzepts – handle es sich um eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinn von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F., verstößt nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung. Dem steht nicht entgegen, dass die Vierte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung keine besonderen Qualitätsanforderungen an die Schutzfunktion einer Mund-Nasen-Bedeckung gestellt hatte (vgl. § 1 Abs. 2 4. BayIfSMV), wie sie im weiteren Verlauf der Corona-Pandemie vorgeschrieben wurden (etwa § 3 Abs. 2 13. BayIfSMV vom 5.6.2021, BayMBl Nr. 384, zur FFP2-Maskenpflicht).
63
Das RKI, dessen fachlichen Einschätzungen im Bereich des Infektionsschutzes der Bundesgesetzgeber besonderes Gewicht beimisst (VerfGH vom 9.2.2021 – Vf. 6-VII-20 – juris Rn. 96 m. w. N.), hat etwa im Epidemiologischen Bulletin 19/2020 vom 7. Mai 2020 darauf hingewiesen, dass der H3.weg von SARS-CoV-2, dem Erreger von COVID-19, feine Tröpfchen aus der Atemluft sind und dass ein hoher Anteil von Übertragungen unbemerkt erfolgt, und zwar bereits vor dem Auftreten von Krankheitssymptomen. Deshalb hat es ein generelles Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in bestimmten Situationen im öffentlichen Raum als einen weiteren Baustein empfohlen, um Risikogruppen zu schützen und den Infektionsdruck und damit die Ausbreitungsgeschwindigkeit von COVID-19 in der Bevölkerung zu reduzieren. Zwar sei die Filterwirkung einer kommerziell oder privat hergestellten Mund-Nasen-Bedeckung im Vergleich zu medizinischem Mund-Nasen-Schutz geringer. Gleichwohl könne auch das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen zu einer teilweisen Reduktion der unbemerkten Übertragung von infektiösen Tröpfchen und damit zu einer weiteren Verlangsamung der Ausbreitung beitragen (www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/ Ausgaben/19_20.pdf? blob=publicationFile). Auf dieser Grundlage wurde die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum auch im maßgeblichen Zeitraum in fachgerichtlichen Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes bei summarischer Prüfung überwiegend als notwendige – und verhältnismäßige – Schutzmaßnahme angesehen (etwa BayVGH vom 5.5.2020 BayVBl 2020, 485 Rn. 19 ff.; OVG NW vom 30.4.2020 NWVBl 2020, 300/302 f.; OVG Bremen vom 12.5.2020 – 1 B 140/20 – juris Rn. 20 f.; VGH BW vom 13.5.2020 – 1 S 1314/20 – juris Rn. 41 ff.; OVG SH vom 13.5.2020 – 3 MR 14/20 – juris Rn. 19 ff.; OVG MV vom 20.5.2020 – 2 KM 384/20 OVG – juris Rn. 19 ff.; NdsOVG vom 6.7.2020 – 13 MN 238/20 – juris Rn. 8 ff.; offen noch NdsOVG vom 5.5.2020 – 13 MN 119/20 – juris Rn. 42 ff.). Daher ist für einen offenkundigen und schwerwiegenden Verstoß der angegriffenen Verordnungsbestimmungen gegen die bundesgesetzliche Ermächtigung nichts ersichtlich.
64
(4) Der bayerische Verordnungsgeber hat schließlich nicht dadurch gegen das Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung verstoßen, dass er § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F. (im Zeitraum vom 11. bis 29.5.2020) als eine mit dem Grundgesetz vereinbare Ermächtigungsgrundlage für die in Streit stehende Maskenpflicht angesehen hat.
65
Der Verfassungsgerichtshof hat bereits zur früheren, bis 27. März 2020 geltenden Fassung des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG (i. d. F. des Gesetzes vom 10.2.2020 BGBl I S. 148) entschieden, dass diese – gemessen am Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung – als eine den bundesverfassungsrechtlichen Anforderungen insbesondere des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips genügende Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung einer (flächendeckenden und an die Allgemeinheit gerichteten) Ausgangsbeschränkung zur Verhinderung der Verbreitung der durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Krankheit COVID-19 angesehen werden durfte (VerfGH vom 9.2.2021 – Vf. 6-VII-20 – juris Rn. 51 f.). Das gilt ebenso für die hier maßgebliche Gesetzesfassung, zumal die Generalklausel (nunmehr Halbsatz 1) „aus Gründen der Normenklarheit“ (BT-Drs. 19/ 18111 S. 24) um eine nicht abschließende Aufzählung von besonderen Schutzmaßnahmen erweitert wurde (Halbsatz 2). Sie genügt den rechtsstaatlichen Anforderungen an eine Ermächtigung durch den parlamentarischen Gesetzgeber für die zur Prüfung stehende, vom 11. bis 29. Mai 2020 geltende Maskenpflicht (zur Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz ThürVerfGH vom 1.3.2021 – 18/20 – juris Rn. 377 ff. = VerfGHE TH 11, 223; vom 19.5.2021 – 110/20 – juris Rn. 27 ff. = LVerfGE 32, 525; BVerwG NVwZ 2023, 1000 Rn. 34 ff.).
66
b) Die angegriffenen Verordnungsbestimmungen entsprachen den Anforderungen des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots.
67
Der Bestimmtheitsgrundsatz verpflichtet den Normgeber, seine Vorschriften so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Anforderungen der Klarheit und Justiziabilität entsprechen. Normen müssen so formuliert sein, dass die davon Betroffenen die Rechtslage erkennen können und die Gerichte in der Lage sind, die Anwendung der Vorschrift durch die Verwaltung zu kontrollieren. Dem Bestimmtheitserfordernis ist genügt, wenn mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden unter Berücksichtigung von Ziel, Tendenz, Programm, Entstehungsgeschichte und Zusammenhang mit anderen Vorschriften eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Vorschrift gewonnen werden kann (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 15.1.2007 VerfGHE 60, 1/6; vom 26.2.2021 BayVBl 2021, 336 Rn. 35 m. w. N.).
68
Diesen Anforderungen entsprachen die angegriffenen Vorschriften. Der räumliche und sachliche Umfang der angeordneten Maskenpflicht war jeweils hinreichend deutlich bestimmt. Das gilt insbesondere für den – vor die Klammer gezogenen – Begriff „Mund-Nasen-Bedeckung“ (§ 1 Abs. 2 4. BayIfSMV), dessen Inhalt sich mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden ohne Weiteres ermitteln ließ. Da der Verordnungsgeber – anders als in späteren Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen – keine besonderen Qualitätsanforderungen gestellt hatte, umfasste der Begriff jede an den Seiten eng anliegende, Mund und Nase bedeckende Barriere, die aufgrund ihrer Beschaffenheit geeignet war, eine Ausbreitung sowohl von übertragungsfähigen Tröpfchenpartikeln als auch von Aerosolen durch Atmen, Husten, Niesen und Aussprache zu verringern (vgl. etwa Kießling, Infektionsschutzgesetz, 3. Aufl. 2022, § 28 a Rn. 34). Dazu zählten textile Alltagsmasken ebenso wie medizinische Gesichtsmasken oder partikelfiltrierende Halbmasken.
69
2. Der bayerische Verordnungsgeber hat bei Ausübung des Gestaltungsspielraums, der ihm bundesrechtlich durch § 32 Satz 1 i. V. m § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F. insbesondere für die Auswahl und Ausgestaltung der notwendigen Schutzmaßnahmen eröffnet war, durch die Anordnung der Maskenpflicht im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr und bei der Schülerbeförderung sowie in Betrieben des Groß- und Einzelhandels mit Kundenverkehr durch §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV keine Grundrechte der Bayerischen Verfassung in unzulässiger Weise eingeschränkt. Die Regelungen haben weder das Recht auf körperliche Unversehrtheit (a)) noch das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder die Handlungsfreiheit (b)) verletzt. Soweit sich aus §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV eine Maskenpflicht für das Personal in den betroffenen Betrieben ergab, war auch die Berufsfreiheit nicht verletzt (c)).
70
a) Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das durch Art. 100 und 101 BV garantiert wird, wurde durch die in Streit stehende Maskenpflicht schon nicht berührt. Es schützt vor allen Einwirkungen, die die menschliche Gesundheit in biologisch-physiologischem Sinn beeinträchtigen. Unterhalb dieser Schwelle wird das psychische Wohlbefinden regelmäßig nur geschützt, wenn die Einwirkung zu Wirkungen führt, die körperlichen Schmerzen vergleichbar sind (VerfGH vom 17.5.2006 VerfGHE 59, 63/74). Solche vom Schutzbereich erfassten Einwirkungen gingen von den angegriffenen Vorschriften nicht aus.
71
Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zum Infektionsschutz an den in Rede stehenden Orten mag als Lästigkeit empfunden werden, ist aber in aller Regel auch bei längerer Dauer weder mit biologisch-physiologischen noch mit psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen verbunden. Sollten im Einzelfall – etwa aufgrund einer besonderen Disposition – Gesundheitsbeeinträchtigungen ernsthaft zu befürchten gewesen sein, trug dem die Ausgestaltung der Maskenpflicht in einer Weise Rechnung, die Eingriffe in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit ausschloss. Denn nach § 1 Abs. 2 4. BayIfSMV waren von der Trageverpflichtung nicht nur Kinder bis zum sechsten Geburtstag befreit (Nr. 1), sondern auch Personen, die glaubhaft machen konnten, dass ihnen das Tragen einer Mund-NasenBedeckung aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar war (Nr. 2). Dass die Vorschrift den Betroffenen zum Schutz ihrer körperlichen Unversehrtheit die Beweisführung auferlegte, war zumutbar und auch sonst grundrechtlich unbedenklich.
72
b) Die Maskenpflicht im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr und bei der Schülerbeförderung sowie in Betrieben des Groß- und Einzelhandels mit Kundenverkehr gemäß §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV hat weder das allgemeine Persönlichkeitsrecht noch die allgemeine Handlungsfreiheit verletzt.
73
aa) Die Pflicht, eine Mund-Nasen-Bedeckung in den genannten Bereichen zu tragen, berührte den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das durch Art. 100 i. V. m. Art. 101 BV grundrechtlich geschützt wird (VerfGH vom 8.7.2009 VerfGHE 62, 134/151; vom 22.5. 2014 VerfGHE 67, 153 Rn. 36; vom 11.9.2014 VerfGHE 67, 216 Rn. 36). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht soll – als Grundlage der durch Art. 101 BV garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit – die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen gewährleisten. Es sichert jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem jeder seine Individualität entwickeln und wahren kann, und umfasst als besondere Ausprägung das Recht des Einzelnen auf Selbstbestimmung über die Darstellung der eigenen Person (VerfGHE 62, 134/151). Der Einzelne soll selbst darüber befinden dürfen, wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen will und was seinen sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll (vgl. BVerfG vom 8.2.1983 BVerfGE 63, 131/142; vom 14.1.2020 BVerfGE 153, 1 Rn. 111).
74
Ob eine infektionsschutzrechtlich angeordnete Maskenpflicht in das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person eingreift, ist allerdings zweifelhaft. Denn der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zielt auf die Abwehr von Beeinträchtigungen der engeren persönlichen Lebenssphäre, der Selbstbestimmung und der Grundbedingungen der Persönlichkeitsentfaltung (Di Fabio in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 147). Vor diesem Hintergrund wurden staatliche Maßnahmen, die den Einzelnen zum Tragen von den Kopf bedeckender Schutzkleidung zwingen, in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Teil nur als Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit angesehen (etwa BVerfG vom 26.1.1982 BVerfGE 59, 275/278 zur Schutzhelmpflicht für Motorradfahrer). Dennoch spricht einiges dafür, die Maskenpflicht als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu betrachten. Denn sie beeinträchtigt die als Ausdruck der persönlichen Identität zu respektierende Entscheidung des Einzelnen, das Gesicht in der Öffentlichkeit weder ganz noch teilweise zu verhüllen (vgl. VGH BW vom 18.5.2020 – 1 S 1357/20 – juris Rn. 43). Anders etwa als bei der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr kommt dem Zeigen des Gesichts in den von §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV umfassten Lebenssituationen größeres Gewicht zu. Wollte man einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht verneinen, läge jedenfalls ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 101 BV vor, die als Auffanggrundrecht das selbstbestimmte Handeln des Einzelnen schützt (VerfGH vom 23.8.2011 VerfGHE 64, 149/158; vom 27.8.2018 VerfGHE 71, 235 Rn. 25) und damit auch die selbstbestimmte Entscheidung über das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung umfasst.
75
Ob von einem Eingriff in das (vorrangige) allgemeine Persönlichkeitsrecht oder in die allgemeine Handlungsfreiheit auszugehen ist, kann für die entscheidende Frage nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dahinstehen. Denn ausgehend von der Verankerung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Art. 101 BV gelten für Eingriffe in dieses Grundrecht grundsätzlich die gleichen Rechtfertigungsvoraussetzungen wie für Eingriffe in die Handlungsfreiheit (vgl. Funke in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 101 Rn. 14).
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bb) Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder jedenfalls in die allgemeine Handlungsfreiheit war verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
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Beide Grundrechte sind nicht vorbehaltlos, sondern nur „innerhalb der Schranken der Gesetze“ (Art. 101 BV) gewährleistet. Sie stehen also unter einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt. Zu den gesetzlichen Vorschriften, die die allgemeine Handlungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht einschränken, gehören nicht nur Gesetze im formellen, sondern auch Gesetze im materiellen Sinn, demnach auch auf gesetzlicher Grundlage erlassene Rechtsverordnungen wie die Vierte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. Allerdings müssen die Rechtsvorschriften ihrerseits bestimmte Grenzen wahren, damit der Grundrechtsschutz nicht gegenstandslos wird. Art. 101 BV verbürgt daher nicht nur die Freiheit von ungesetzlichem Zwang, sondern setzt auch dem Normgeber selbst Schranken beim Erlass von Rechtsvorschriften, die in die Freiheitssphäre des Einzelnen eingreifen. Insbesondere ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 21.5.2014 VerfGHE 67, 133 Rn. 40 f. m. w. N.).
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Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügten die angegriffenen Rechtsvorschriften. Die von §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV ausgehenden Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder die allgemeine Handlungsfreiheit waren verhältnismäßig. Sie dienten einem legitimen Zweck und waren zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und verhältnismäßig in engerem Sinn.
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(1) Die Verpflichtung, an den im Einzelnen bestimmten Orten eine Mund-NasenBedeckung zu tragen, diente einem legitimen Zweck.
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Die Maskenpflicht sollte dazu beitragen, die Weiterverbreitung des SARS-CoV-2Virus an öffentlichen Orten zumindest zu reduzieren und hierdurch die Virusausbreitung in der Bevölkerung insgesamt einzudämmen. Damit wiederum sollten die mit einer unkontrollierten Infektionsausbreitung einhergehenden Gefahren der gleichzeitigen Erkrankung vieler Menschen mit teilweise schwerwiegenden und tödlichen Krankheitsverläufen sowie einer Überforderung des Gesundheitssystems vermieden werden (BayVGH vom 8.9.2020 – 20 NE 20.1999 – juris Rn. 39 zur Maskenpflicht im Schulunterricht). Der Verordnungsgeber verfolgte damit das Ziel, das Leben und die körperliche Unversehrtheit einer potenziell sehr großen Zahl von Menschen zu schützen und damit den sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 100, 101 BV ergebenden staatlichen Schutzauftrag zu erfüllen. Der Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren zählt zu den überragend wichtigen Gemeinschaftsgütern, die Grundrechtsbeschränkungen rechtfertigen können (VerfGHE 63, 83/97).
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Dass der Regelungszweck der Maskenpflicht nicht in einer amtlichen Begründung festgehalten war, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Ebenso wenig begegnet es Bedenken, dass der Verordnungsgeber von einer durch das SARSCoV-2-Virus ausgelösten Gefahrenlage ausgegangen war. Bei der Prognose und Einschätzung einer in den Blick genommenen Gefährdung kommt dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Der Verfassungsgerichtshof kann fachbezogene Erwägungen des Gesetzgebers nur daraufhin überprüfen, ob sie offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig widerlegbar sind; er kann nicht seine eigenen Wertungen und Einschätzungen an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen (ständige Rechtsprechung; VerfGHE 63, 83/98 m. w. N.). Sind wegen Unwägbarkeiten der wissenschaftlichen Erkenntnislage die Möglichkeiten des Gesetzgebers begrenzt, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen, genügt es, wenn er sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung der ihm verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten orientiert (vgl. BVerfG vom 19.11.2021 BVerfGE 159, 223 Rn. 171). Gemessen daran ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Verordnungsgeber auf der Grundlage der beim RKI zusammengeführten Erkenntnisse über labordiagnostisch bestätigte COVID-19-Fälle zu dem Zeitpunkt, als er im Frühjahr 2020 die angegriffenen Vorschriften erlassen hat, vom Vorliegen einer Gefahr für Gesundheit und Leben der Bevölkerung ausging (VerfGH vom 9.2.2021 – Vf. 6-VII-20 – juris Rn. 73). Dementsprechend war der Staat bei Maßnahmen im Zusammenhang mit der Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 und der Verhinderung der dadurch verursachten Krankheit COVID-19 wegen seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit zum Handeln grundsätzlich nicht nur berechtigt, sondern verfassungsrechtlich auch verpflichtet (vgl. VerfGH vom 8.5.2020 – Vf. 34-VII-20 – juris Rn. 121; vom 30.12.2020 – Vf. 96-VII-20 – juris Rn. 21; vom 7.12.2021 – Vf. 60-VII-21 – juris Rn. 22; ebenso BVerfG vom 13.5.2020 NVwZ 2020, 876 Rn. 8; BVerfGE 159, 223 Rn. 174 ff.).
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(2) Zur Erreichung dieses Zieles war das vom Verordnungsgeber gewählte Mittel, in den von §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV umfassten Bereichen, also im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr und bei der Schülerbeförderung sowie in Betrieben des Groß- und Einzelhandels mit Kundenverkehr, das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung vorzuschreiben, geeignet.
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Das Gebot der Geeignetheit verlangt den Einsatz nur solcher Mittel, mit deren Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, d. h. die Möglichkeit der Zweckerreichung. Das benutzte Mittel muss nicht das bestmögliche sein und nicht in jedem Einzelfall Wirkung entfalten; es genügt ein Beitrag zur Zielerreichung.
Dem Gesetzgeber steht ein weiter Beurteilungsspielraum bei der Beurteilung der Zwecktauglichkeit eines Gesetzes zu (vgl. VerfGH vom 30.9.2004 VerfGHE 57, 113/122; vom 17.5.2022 BayVBl 2022, 702 Rn. 101; BVerfG vom 10.4.1997 BVerfGE 96, 10/23; vom 5.2.2002 BVerfGE 105, 17/36). Dieser Spielraum reicht nicht stets gleich weit. Sein Umfang hängt vielmehr einzelfallbezogen etwa von der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter und des vom Eingriff betroffenen Grundrechts sowie vom Eingriffsgewicht ab. Erfolgt der Eingriff, wie es hier der Fall war, zum Schutz gewichtiger verfassungsrechtlicher Güter und ist es dem Gesetzgeber angesichts der tatsächlichen Unsicherheiten nur begrenzt möglich, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen, ist die verfassungsgerichtliche Prüfung auf die Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Eignungsprognose beschränkt. Liegen der gesetzlichen Regelung prognostische Entscheidungen zugrunde, setzt die Eignung nicht voraus, dass es zweifelsfreie empirische Nachweise der Wirkung oder Wirksamkeit der Maßnahmen gibt; vielmehr kann die Eignung lediglich danach beurteilt werden, ob der Gesetzgeber aus seiner Sicht davon ausgehen durfte, dass die Maßnahme zur Erreichung des gesetzten Ziels geeignet, ob seine Prognose also sachgerecht und vertretbar war (vgl. BVerfGE 159, 223 Rn. 185 ff.)
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Danach war die durch §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV angeordnete Maskenpflicht im beschriebenen verfassungsrechtlichen Sinn geeignet. Die Annahmen des Verordnungsgebers über die Eignung der Maskenpflicht waren, wie oben bereits ausgeführt, ohne Weiteres vertretbar und beruhten entgegen der Ansicht der Antragsteller auf hinreichend tragfähigen Grundlagen. Die exponentiell verlaufende Verbreitung der Krankheit COVID-19 beruhte darauf, dass das Virus besonders leicht von Mensch zu Mensch, insbesondere durch Tröpfcheninfektion, übertragbar ist. Vor diesem Hintergrund durfte der Normgeber unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt des Verordnungserlasses vorliegenden Einschätzungen des RKI und des damals vorliegenden Erkenntnis- und Forschungsstands davon ausgehen, dass die Pflicht, im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr und im Bereichen des Handels mit Kundenverkehr eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, dazu beitragen konnte, das Ziel einer Verlangsamung der Ausbreitung des Coronavirus zu erreichen, und somit grundsätzlich als geeignet anzusehen war, die weitere Ausbreitung der Krankheit COVID-19 zu bekämpfen. Die grundsätzliche Eignung der allgemeinen Maskenpflicht entfiel nicht dadurch, dass sie im Einzelfall etwa bei falscher Handhabung nutzlos gewesen sein oder gar das Infektionsrisiko gesteigert haben mag.
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(3) Die in §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV angeordnete Maskenpflicht war erforderlich.
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Das Gebot der Erforderlichkeit ist verletzt, wenn das Ziel der angegriffenen Regelung auch durch ein anderes, gleich wirksames Mittel erreicht werden kann, das die betroffenen Grundrechte nicht oder weniger stark einschränkt. Unter mehreren gleich gut geeigneten Mitteln muss der Normgeber das am wenigsten belastende auswählen. Ihm steht dabei allerdings ein Beurteilungsspielraum zu, er muss keine Unsicherheiten hinsichtlich der Wirksamkeit des Mittels in Kauf nehmen. Die Beurteilung der Erforderlichkeit unterliegt damit in tatsächlicher Hinsicht einer Einschätzungsprärogative des Normgebers (ständige Rechtsprechung; VerfGH vom 23.7.1996 VerfGHE 49, 111/118; vom 11.11.1997 VerfGHE 50, 226/249 f.; 57, 113/122; vom 23.11.2020 – Vf. 59-VII-20 – juris Rn. 54). Der Spielraum des Normgebers bezieht sich dabei u. a. darauf, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen auch im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren. Wegen des betroffenen Grundrechts und der Intensität des Eingriffs kann sich der Spielraum verengen. Umgekehrt reicht er umso weiter, je höher die Komplexität der zu regelnden Materie ist. Dient der Eingriff dem Schutz gewichtiger verfassungsrechtlicher Güter und ist es dem Gesetzgeber angesichts der tatsächlichen Unsicherheiten nur begrenzt möglich, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen, ist die verfassungsgerichtliche Prüfung auch im Hinblick auf die Erforderlichkeit auf die Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Prognose beschränkt (vgl. BVerfGE 159, 223 Rn. 204).
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Im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Maskenpflicht ist unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative des Normgebers ein Verfassungsverstoß ebenfalls nicht erkennbar. Dass in der Fachwissenschaft, wie die Antragsteller eingehend darlegen, zum Gefahrenpotenzial des Virus wie auch zum Nutzen von Masken unterschiedliche Auffassungen vertreten wurden (und werden), begründet auch in diesem Zusammenhang keinen Grundrechtsverstoß. Die Verfassung verlangt nicht, dass der Infektionsgefahren abwehrende Verordnungsgeber erst tätig werden darf, wenn die Tatsachengrundlage für eine beabsichtigte Regelung in der Wissenschaft übereinstimmend als gesichert bewertet wird (vgl. VerfGH vom 12.4.2021 – Vf. 21-VII-21 – juris Rn. 23). Angesichts der komplexen Sachlage der gefährlichen, nur schwer vorhersehbaren Dynamik der pandemischen Situation kam dem Normgeber vielmehr ein weiter Beurteilungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 159, 223 Rn. 205), den er durch die Anordnung der Maskenpflicht nicht überschritten hat. Dieser Anordnung lag die vertretbare Annahme zugrunde, dass die weiteren in der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung angeordneten Instrumente wie etwa das allgemeine Abstandsgebot (§ 1 Abs. 1 Satz 2 4. BayIfSMV) allein nicht ebenso wirksam waren wie zusammen mit der landesweit geltenden Verpflichtung, an den im Einzelnen bestimmten Orten eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Dass bereits das Tragen einer Mund-NasenBedeckung in öffentlichen Bereichen, in denen zahlreiche Menschen typischerweise gehäuft und eng aufeinandertreffen und in denen sie deshalb besondere Infektionsgefahren begründen sowie solchen Gefahren ausgesetzt sein können, einen ergänzenden Beitrag zur Eindämmung der Ausbreitung des Corona-Virus leisten konnte, durfte dem Normgeber vor dem Hintergrund des Erkenntnis- und Forschungsstands zum damaligen Zeitpunkt plausibel erscheinen. Denn es drängt sich auf, dass bereits durch die Verwendung einer Alltagsmaske die Verteilung von virushaltigen Aerosolen insbesondere beim Husten oder Niesen verringert wird.
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(4) Die in §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV verankerte Maskenpflicht war schließlich verhältnismäßig im engeren Sinn. Auch bei der Prüfung der Angemessenheit bestand grundsätzlich ein Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, dessen Aufgabe es ist, in einer Abwägung Reichweite und Gewicht des Eingriffs in die betroffenen Grundrechte einerseits der Bedeutung der Regelung für die Erreichung legitimer Ziele andererseits gegenüberzustellen (vgl. BVerfGE 159, 223 Rn. 216 f.).
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Der von der Maskenpflicht ausgehende Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder in die allgemeine Handlungsfreiheit der Grundrechtsträger war zwar nicht besonders schwerwiegend, aber auch nicht marginal. Durch die Regelungen der §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV konnten die Regelungsadressaten mit dem öffentlichen Personennah- und -fernverkehr und Betrieben des Groß- und Einzelhandels mit Kundenverkehr zwei wichtige, den Lebensalltag prägende öffentliche Bereiche nicht betreten, ohne zuvor eine Mund-Nasen-Bedeckung aufzusetzen und damit ihr Gesicht zum größeren Teil zu verdecken. Damit hatte die hoheitlich angeordnete und bußgeldbewehrte Maßnahme das Potenzial, die Regelungsadressaten in ihrer persönlichen Identität subjektiv zu beeinträchtigen, wenngleich die Intensität dieser Beeinträchtigung in der Bevölkerung individuell höchst unterschiedlich wahrgenommen wurde. Die Eingriffsschwere der Maßnahme war zudem regelungsimmanent begrenzt. Zum einen waren durch die Ausnahmetatbestände des § 1 Abs. 2 4. BayIfSMV nicht nur Kinder bis zum sechsten Geburtstag von der Trageverpflichtung befreit (Nr. 1), sondern auch Personen, die glaubhaft machen konnten, dass ihnen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar war (Nr. 2). Zudem erlaubte der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 2 Nr. 3 4. BayIfSMV grundrechtsschonend das Abnehmen der Maske zu Identifikationszwecken und trug so dazu bei, trotz Maskenpflicht als Individuum erkannt und geachtet zu werden. Zum anderen wurden die nachteiligen Folgen der in Streit stehenden Maskenpflicht auch dadurch beschränkt, dass sie nur räumlich und zeitlich beschränkte Teilbereiche des öffentlichen Lebens betraf und die Regelungsadressaten den Eingriffen ins allgemeine Persönlichkeitsrecht in gewissem Umfang auch selbst ausweichen konnten – etwa durch die Wahl alternativer Verkehrsmittel oder den Einkauf beim Onlinehandel. Nicht außer Acht bleiben darf andererseits als eingriffserschwerend, dass die Vierte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung die Maskenpflicht auch auf weitere, in diesem Verfahren nicht gegenständliche Teilbereiche des öffentlichen Lebens erstreckte und Verstöße gegen §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV nach § 21 Nrn. 8, 11 und 14 4. BayIfSMV in Verbindung mit § 73 Abs. 1 a Nr. 24 IfSG a. F. einer Bußgeldbewehrung unterlagen.
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Andererseits hatte die Maskenpflicht als flächendeckende Schutzmaßnahme für Alltagsbereiche mit typischerweise erhöhtem Infektionsrisiko erhebliche Bedeutung für die mit ihr verfolgten Zwecke, die Ausbreitung des Coronavirus SARSCoV-2 und der Krankheit COVID-19 mit teils schwerwiegenden und tödlichen Verläufen einzudämmen und dadurch die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems aufrecht zu erhalten. Der damit bezweckte Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren zählt zu den überragend wichtigen Gemeinschaftsgütern. Auch wenn die Infektionsgeschwindigkeit während der Geltung der angegriffenen Regelungen (vom 11. bis 29.5.2020) – einerseits wegen der seit Mitte März 2020 ergriffenen Schutzmaßnahmen, andererseits aufgrund saisonaler Effekte – nachließ, hätte ohne das in der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung festgeschriebene Maßnahmenbündel einschließlich der streitigen Maskenpflicht eine erneute schnelle Zunahme der Infektionen mit der damit einhergehenden Gefahr einer Überlastung des Gesundheitswesens gedroht.
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Angesichts dessen war bei einer Abwägung zwischen der – eher geringen – Schwere des mit der Maskenpflicht verbundenen Eingriffs auf der einen Seite und dem – erheblichen – Gewicht sowie der Dringlichkeit der sie rechtfertigenden Gründe auf der anderen Seite die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt.
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c) Das durch Art. 101 BV gewährleistete Grundrecht der Berufsfreiheit (VerfGH BayVBl 2022, 702 Rn. 132 m. w. N.) wurde ebenfalls nicht verletzt.
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Soweit sich aus §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV für das Kontroll- und Servicepersonal im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr und bei der Schülerbeförderung sowie für das Personal in Betrieben des Groß- und Einzelhandels mit Kundenverkehr eine Verpflichtung ergab, im Rahmen der Berufsausübung eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, griff diese Maskenpflicht in die Berufsfreiheit ein, die als spezielleres Freiheitsrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit vorgeht. Obwohl die Regelungen lediglich die allgemeine Maskenpflicht für Fahrgäste und Kunden auf die vor Ort beschäftigten Personen ausdehnten, veränderten sie für letztere die Rahmenbedingungen der Berufsausübung und standen infolge ihrer Gestaltung in einem so engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs, dass sie objektiv eine berufsregelnde Tendenz hatten.
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Auch dieser Eingriff war durch den allgemeinen Gesetzesvorbehalt, unter dem Art. 101 BV steht, gerechtfertigt.
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Für die Rechtfertigung der Maskenpflicht als Berufsausübungsregelung gelten keine strengeren Anforderungen als für den Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (vgl. BVerfG vom 24.11.2010 BVerfGE 128, 1/57 für das Verhältnis von Berufsfreiheit und informationeller Selbstbestimmung als besonderer Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts). Im Hinblick auf den verfolgten legitimen Zweck, die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Maskenpflicht gelten demnach dieselben Maßstäbe wie im Zusammenhang mit dem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder die allgemeine Handlungsfreiheit.
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Was die Intensität des Eingriffs angeht, ergaben sich im Vergleich zum Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder die allgemeine Handlungsfreiheit der Fahrgäste und Kunden allerdings in zweierlei Hinsicht Unterschiede: Einerseits war die Eingriffsintensität der §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV für das im beruflichen Kontext von der Maskenpflicht betroffene Personal größer, weil es im Rahmen seiner Berufsausübung in wesentlich stärkerem zeitlichen Umfang der Maskenpflicht unterlag und ihm nicht in gleicher Weise wie Kunden oder Fahrgästen Ausweichmöglichkeiten offenstanden. Andererseits enthielt § 21 4. BayIfSMV keine unmittelbar an das Personal gerichtete Bußgeldbewehrung; vielmehr drohte § 21 Nr. 11 4. BayIfSMV „lediglich“ den Betreibern von Ladengeschäften, Verkaufsstellen und Einkaufszentren Bußgelder für den Fall an, dass sie die Einhaltung der Maskenpflicht durch das Personal nicht sicherstellten.
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Auch dem Eingriff in die Berufsfreiheit standen in gleicher Weise die dargelegten gravierenden Folgen für Leib und Leben einer Vielzahl vom Coronavirus Betroffener und die damit verbundene Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems gegenüber, so dass der von der Maskenpflicht ausgehende Eingriff auch in die Berufsfreiheit nicht als unverhältnismäßig anzusehen ist. Für die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs spricht darüber hinaus, dass dadurch die Grundrechtspositionen der Berufsfreiheit der Inhaber und Beschäftigten von Handelsbetrieben geschont werden konnten, indem auf andernfalls möglicherweise nötige Schließungen verzichtet werden konnte.
VI.
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Der mit der Popularklage verbundene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat sich durch das Außerkrafttreten der angegriffenen Vorschriften und die Entscheidung über die Popularklage erledigt. Eine gesonderte Entscheidung noch während der Geltungsdauer war entbehrlich, weil der Verfassungsgerichtshof bereits in einem Parallelverfahren über einen vergleichbaren Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung entschieden hatte (VerfGH vom 15.5.2020 – Vf. 34-VII-20 – juris).
VII.
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Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).