Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 01.03.2023 – 12 Qs 17/23
Titel:

Aufhebung des Vermögensarrestes wegen Verweigerung der Akteneinsicht

Normenkette:
StPO § 111e, § 147, § 304
Leitsätze:
Gewährt die Staatsanwaltschaft bei einem aktuell vollzogenen Vermögensarrest dem Verteidiger keine Akteneinsicht in die den Arrest tragenden Aktenteile, ist der Arrest auf Beschwerde hin aufzuheben. (Rn. 4 – 5)
Das Gericht ist vor dem Abschluss der Ermittlungen für die Entscheidung über die Akteneinsicht auch dann nicht zuständig, wenn ihm die Akte auf Beschwerde hin vorgelegt wird (Anschluss an BGH BeckRS 2010, 12195). (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vermögensarrest, Akteneinsicht, Verweigerung, Staatsanwaltschaft, Zuständigkeit, Beschwerde
Vorinstanz:
AG Nürnberg vom -- – 59 Gs 2179/23
Fundstellen:
StV 2023, 732
wistra 2023, 480
BeckRS 2023, 2843
LSK 2023, 2843
NZWiSt 2023, 153

Tenor

Die Beschwerde der Verteidigerin gegen die Versagung der Akteneinsicht wird als unbegründet verworfen.

Gründe

I.
1
Die GenStA N. führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs. In diesem Zusammenhang erwirkte sie auch einen Vermögensarrest gegen … GmbH, bei der der Beschuldigte Mitgesellschafter und Geschäftsführer ist. Der Arrest wurde vollzogen. Wegen dieses Arrestes beantragte die Verteidigerin des Beschuldigten Einsicht in die Ermittlungsakte. Diese wurde ihr von der GenStA wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks verweigert. Darauf beantragte die Verteidigerin gerichtliche Entscheidung über die Akteneinsicht. Das Amtsgericht wies den Antrag als unzulässig zurück. Hiergegen erhob die Verteidigerin Beschwerde. Das Amtsgericht half dieser nicht ab. Die GenStA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
II.
2
Die Beschwerde ist unbegründet. Gegen die derzeitige Verweigerung der Akteneinsicht kann sich der Beschuldigte nicht erfolgreich wehren.
3
1. Die GenStA hat die Verweigerung der Akteneinsicht unter Zitat des § 147 Abs. 2 StPO damit begründet, dass die Einsichtgewährung den Ermittlungszweck gefährden würde. Zu dieser Versagung war sie befugt, sie entscheidet über Akteneinsichten im Ermittlungsverfahren (§ 147 Abs. 5 Satz 1 StPO). Das Gericht ist in diesem Verfahrensstadium für die Entscheidung über die Akteneinsicht auch dann nicht zuständig, wenn ihm die Akte auf Beschwerde hin vorgelegt wird (BGH, Beschluss vom 4. März 2010 – StB 46/09, juris Rn. 7; OLG Köln, Beschluss vom 5. März 2012 – III-2 Ws 189/12, juris Rn. 37). Die abschlägige Entscheidung über die Akteneinsicht kann – da keine der drei Fallgruppen des § 147 Abs. 5 Satz 2 StPO einschlägig ist – vorliegend gerichtlich nicht angefochten werden (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 147 Rn. 39).
4
2. Eine analoge Heranziehung des § 147 Abs. 5 Satz 2 StPO (hierzu vgl. Börner, NStZ 2007, 680, 682 f.; SSW-StPO/Beulke, 5. Aufl., § 147 Rn. 51, je m.w.N.) kam nicht in Betracht, weil der Rechtschutz in gegebener Konfliktlage in eine andere Richtung vorgeprägt ist. So muss nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Entscheidung über die Beschwerde gegen eine Zwangsmaßnahme so lange zurückgestellt werden, bis Akteneinsicht gewährt worden ist (BVerfG, Beschluss vom 9. September 2013 – 2 BvR 533/13, juris Rn. 21 ff.). Die Judikatur nimmt also hin, dass die Staatsanwaltschaft mit ihrer Gestaltung des Ermittlungsverfahrens und der Festlegung seines Abschlusses (§ 169a StPO, § 147 Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 StPO) letztlich über den Zeitpunkt und damit über die Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes disponiert. Diese Abwägung gewährt dem rechtlichen Gehör in der zweiten Instanz – in der ersten greift regelmäßig § 33 Abs. 4 StPO – also Vorrang vor der raschen Sachentscheidung. Das gilt jedenfalls für abgeschlossene Ermittlungsmaßnahmen (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 147 Rn. 40a). Zum Fall eines andauernden Vermögensarrests hat das Bundesverfassungsgericht allerdings im Beschluss vom 19. Januar 2006 (2 BvR 1075/05, juris Rn. 27) ausgesprochen:
„Die Ermittlungsbehörden müssen die Unabdingbarkeit dieser rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien [erg.: des rechtlichen Gehörs] mit ihrem etwaigen Interesse, die Ermittlungen zunächst im Verborgenen zu führen, abwägen. Solange sie es für erforderlich halten, die Ermittlungen dem Beschuldigten nicht zur Kenntnis gelangen zu lassen, müssen sie auf solche Eingriffsmaßnahmen verzichten, die, wie die Untersuchungshaft oder der Arrest, nicht vor dem Betroffenen verborgen werden können, schwerwiegend in Grundrechte eingreifen und daher in gerichtlichen Verfahren angeordnet und überprüft werden müssen.“
5
Für die Beurteilung eines aktuell vollzogenen Vermögensarrestes durch das Beschwerdegericht folgt daraus, dass das öffentliche Interesse, weiter im Verborgenen zu ermitteln, gegenüber dem mit dem Vollzug des Arrestes verbundenen erhöhten Grundrechtseingriff vollständig zurücktreten muss. Verweigert die Staatsanwaltschaft daher weiterhin die Einsicht in die die Eingriffsmaßnahme tragenden Aktenteile (vgl. § 147 Abs. 2 Satz 2 StPO), hat das Beschwerdegericht den Arrest aufzuheben (BGH, Beschluss vom 3. April 2019 – StB 5/19, juris Rn. 35 m.w.N.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 19. Januar 2006 – 2 BvR 1075/05, juris Rn. 33).