Titel:
Ersatz der Finanzierungskosten wegen Verwendung einer unzulässigen Abschaltvorrichtung
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsatz:
Für den Erwerb eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs tatsächlich angefallene Finanzierungskosten sind nicht mit hypothetisch ersparten Finanzierungskosten für ein hypothetisch sonst angeschafftes Fahrzeug im Wege der Vorteilsausgleichung zu verrechnen. Im Rahmen der Vorteilsausgleichung kommt es auf die aus dem erworbenen Fahrzeug (tatsächlich) gezogenen Vorteile an und nicht darauf, welche Nachteile der Kläger erlitten hätte, wenn er ein anderes Fahrzeug erworben und genutzt hätte. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
unzulässige Abschaltvorrichtung, Vorteilsausgleichung, Finanzierungskosten, verbrieftes Rückgaberecht
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 01.12.2022 – 84 O 4500/20 Die
Fundstelle:
BeckRS 2023, 28246
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 01.12.2022, Az. 84 O 4500/20 Die, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 12.01.2023, wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.918,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.01.2021 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Klage bleibt abgewiesen.
3. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
6. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Klagepartei begehrt im Rahmen des sogenannten Abgasskandals von der Beklagten Schadensersatz.
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Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf das landgerichtliche Urteil verwiesen. Nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils verkaufte der Kläger sein Fahrzeug mit Kaufvertrag vom 28.12.2022 mit einem Kilometerstand von 239.500 km zum Preis von 8.500,00 € (Anlage BK1).
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Hinsichtlich der Anträge im Berufungsverfahren wird auf das Protokoll vom 27.06.2023 Bezug genommen.
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Im Übrigen bedarf es keines Tatbestands, da gegen das Urteil kein Rechtsmittel zulässig ist (§ 313a Abs. 1 Satz 1, § 540 Abs. 2 ZPO).
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Die zulässige Berufung des Klägers ist teilweise erfolgreich, die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
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Die Berufung des Klägers ist bezüglich der Finanzierungskosten in Höhe von 3.614,22 € erfolgreich, im Übrigen ohne Erfolg.
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a) Auf Basis der Entscheidungen des BGH vom 13. April 2021 – VI ZR 274/20 und vom 07. November 2022 – VIa ZR 409/22, denen sich der Senat anschließt, sind die Finanzierungskosten erstattungsfähig.
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Die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger gemäß §§ 826, 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, als wäre es nicht zu dem Fahrzeugerwerb gekommen, umfasst neben dem gezahlten Kaufpreis auch die mit dem Erwerb verbundenen Finanzierungskosten (BGH, Urteil vom 13. April 2021, aaO, juris Rn. 14).
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Hypothetisch ersparte Finanzierungskosten für ein hypothetisch sonst angeschafftes Fahrzeug („Sowiesokosten“, vgl. Ersturteil S. 15; Schriftsatz der Beklagten vom 19.10.2022, Bl. 191/192, Bd. I) sind nicht im Wege der Vorteilsausgleichung zu verrechnen. Im Rahmen der Vorteilsausgleichung kommt es auf die aus dem erworbenen Fahrzeug (tatsächlich) gezogenen Vorteile an und nicht darauf, welche Nachteile der Kläger erlitten hätte, wenn er ein anderes Fahrzeug erworben und genutzt hätte (BGH, Urteil vom 07. November 2022, aaO, juris Rn. 9). Soweit der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit anzurechnende Vorteile unter Zugrundelegung eines hypothetischen Kaufs desjenigen Fahrzeugs angerechnet hat, das der dortige Kläger aufgrund der arglistigen Täuschung zu erwerben geglaubt hatte (BGH, Urteil vom 2. Juli 1962 – VIII ZR 12/61, NJW 1962, 1909, 1910), lassen sich die dort entwickelten Grundsätze auf den hier zur Entscheidung gestellten Fall schon deshalb nicht übertragen, weil nicht ersichtlich ist, das der finanzierte Erwerb eines Fahrzeugs des hier in Rede stehenden Modells ohne unzulässige Abschalteinrichtung möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 07. November 2022, aaO).
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Die Beklagte kann sich auch nicht auf einen Liquiditätsvorteil des Klägers infolge der Finanzierung berufen. Denn der Finanzierungsaufwand diente – wie die Kaufpreiszahlung – im Streitfall dem Erwerb des Fahrzeugs und verschaffte dem Kläger keinen zusätzlichen Liquiditätsvorteil im Vergleich zu dem Zustand, der bestanden hätte, hätte der Kläger vom Kauf Abstand genommen (vgl. BGH, Urteil vom 13. April 2021, aaO, juris Rn. 18/20).
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Das verbriefte Rückgaberecht (vgl. Berufungserwiderung, Bl. 37, Bd. II) steht dem Anspruch nicht entgegen (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2021 – VII ZR 389/21, juris Rn. 14 ff.).
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b) In Bezug auf die anzurechnende Nutzungsentschädigung ist die Berufung des Klägers unbegründet.
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Eine Schätzung einer höheren Gesamtlaufleistung ist nicht veranlasst, zumal maßgeblich nicht nur die mögliche Lebensdauer des Motors, sondern die Lebensdauer des gesamten Fahrzeugs ist, wozu Vortrag fehlt. Zudem resultiert eine hohe Laufleistung bei wirtschaftlicher Betrachtung regelmäßig nicht aus dem ursprünglichen Kauf, sondern aus späteren Investitionen in das Fahrzeug, insbesondere Reparaturen und Instandhaltungen.
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c) Schließlich hat der Kläger keinen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, da die Voraussetzungen hierfür (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 22. September 2022 – VII ZR 786/21, juris Rn. 19 ff.), die die Beklagte bestreitet, erst in der Berufungsinstanz vorgetragen wurden und schon mangels entsprechender Berufungsrüge i.S.v. § 520 Abs. 3 Nr. 4 ZPO nicht mehr gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zugelassen werden können.
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d) Aufgrund des nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils erfolgten Fahrzeugverkaufs tritt an die Stelle des Zug um Zug herauszugebenden Fahrzeugs der durch den Weiterverkauf erzielte Erlös (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2021 – VI ZR 575/20, juris Rn. 27). Es entfällt somit die erstinstanzlich tenorierte Verurteilung Zug um Zug, vielmehr ist der Verkaufserlös in Höhe von 8.500,00 € vom zuzusprechenden Betrag abzuziehen.
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Ein weitergehender Abzug hatte nicht zu erfolgen. Die Beklagtenvertreterin hat zwar in der mündlichen Verhandlung am 27.06.2023 auf den aus ihrer Sicht wohl sehr günstigen Verkaufspreis hingewiesen, während der Kläger bestehende Schäden an seinem Fahrzeug geltend gemacht hat. Weiterer Vortrag der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten erfolgte trotz Gewährung einer Stellungnahmefrist nicht mehr. Weder eine weitergehende Vorteilsausgleichung noch ein Verstoß des Klägers gegen die Schadensabwendungs- und -minderungsobliegenheit nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB kommt daher in Betracht.
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e) Der zugesprochene Betrag in Höhe von 6.918,40 € ergibt sich somit wie folgt:
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Ausgehend vom Kaufpreis in Höhe von 41.500,00 € sind die Finanzierungskosten in Höhe von 3.614,22 € hinzu zu addieren.
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Abzuziehen ist die Nutzungsentschädigung nach Maßgabe der Berechnung des Erstgerichts (Ersturteil S. 15), lediglich aktualisiert um den Kilometerstand bei Verkauf des Fahrzeugs (239.500 km), so dass sich eine abzuziehende Nutzungsentschädigung in Höhe von 29.695,82 € ergibt. Weiterhin abzuziehen ist der Verkaufserlös in Höhe von 8.500,00 €.
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Einwendungen gegen die erstinstanzlich zugesprochenen Zinsen wurden in der Berufungsinstanz nicht erhoben, so dass es bei Zinsbeginn und Zinshöhe verbleibt.
2. Berufung der Beklagten
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Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.
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a) Die Beklagte hat ihre Berufung noch vor Begründung der Berufung für erledigt erklärt. Die Beklagte führt aus, dass sie sich mit ihrer Berufungseinlegung gegen den ursprünglich unzutreffenen Tenor des Ersturteils wendete, in dem ein zu zahlender Betrag in Höhe von 13.666,09 € enthalten gewesen sei. Durch Beschluss des Erstgerichts vom 12.01.2023 sei der Tenor auf den zutreffenden Betrag in Höhe von 11.901,74 € unter Anpassung der Kostenentscheidung berichtigt worden, so dass sich hierdurch die Berufung der Beklagten erledigt habe.
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Der Kläger hat der Erledigungserklärung nicht zugestimmt.
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b) Eine Erledigung der Berufung im Fall einer Berichtigung des erstinstanzlichen Urteils ist grundsätzlich möglich (vgl. BGH, Urteil vom 27. März 2023 – VIa ZR 1140/23, juris). Eine Erledigung der Berufung ist gegeben, wenn eine ursprünglich zulässige und begründete Berufung nachträglich unzulässig oder unbegründet wird (BGH, aaO, juris Rn. 9). Dies ist hier nicht der Fall, da die Berufung bereits von Anfang an unbegründet war, so dass die Berufung der Beklagten zurückzuweisen ist.
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Denn hier besteht die Besonderheit, dass das Erstgericht versehentlich einen Teil der Finanzierungskosten (nämlich Zinsen in Höhe von 1.764,35 €) im ursprünglichen Tenor zugesprochen hatte, obwohl dies nach den Entscheidungsgründen (Ersturteil S. 15 unten) nicht erfolgen sollte. Tatsächlich hätten die Finanzierungskosten aber zugesprochen werden müssen (vgl. oben Ziff. II. 1. a.), so dass der ursprüngliche Tenor doch zutreffend (und sogar zu gering) war. Die Berufung der Beklagten war damit trotz des Versehens des Erstgerichts von vornherein unbegründet.
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Einer Prüfung der Begründetheit der Berufung steht hier nicht die materielle Rechtskraft des Berichtigungsbeschlusses entgegen (vgl. BGH, aaO, juris Rn. 23), da sich hier die Berufung des Klägers ebenfalls auf die Finanzierungskosten erstreckt und daher eine materielle Rechtskraft insoweit nicht eingetreten ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, dass zwar der Kläger sich den Verkaufserlös von seiner Klageforderung abziehen lassen muss, im Gegenzug aber die Verpflichtung zur Übertragung seines Pkws bzw. der entsprechenden Anwartschaftsrechte entfallen ist.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die streitentscheidenden Fragen sind durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geklärt.