Titel:
Weiterer Asylantrag in Deutschland nach Zuerkennung des Internationalen Schutzes in Griechenland
Normenketten:
EMRK Art. 3
GRCh Art. 4
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 1 S. 2
Anerkennungs-RL Art. 4 Abs. 1 S. 2, Art. 2 lit. a, Art. 13
Asylverfahrens-RL Art. 2 lit. i, Art. 10 Abs. 2, Abs. 3, Art. 33 Abs. 1, Abs. 2 lit. a
AsylG § 30 Abs. 1, § 36 Abs. 3, Abs. 4 S. 1, § 80
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz:
Keine offensichtliche Unbegründetheit eines Asylantrags wegen der Vorlagefrage des BVerwG an den EuGH (BVerwG BeckRS 2022, 35811), ob die bereits erfolgte Zuerkennung internationalen Schutzes in Griechenland das Bundesamt daran hindert, den bei ihm gestellten Asylantrag auf internationalen Schutz ergebnisoffen zu prüfen oder das Bundesamt verpflichtet ist, ohne Untersuchung der materiellen Voraussetzungen dieses Schutzes den Antragstellern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. (Rn. 27 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zuerkennung des Internationalen, Schutzes in Griechenland, weiterer Asylantrag in Deutschland, Prüfung im nationalen Verfahren wegen beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GRCh in Griechenland, Bindungswirkung der Zuerkennung, Internationalen Schutzes in Griechenland für die Prüfung des in Deutschland gestellten Asylantrags, Vorabentscheidungsersuchen des BVerwG an den EUGH mit Beschluss vom 7. September 2022 (1 C 26.21), Voraussetzungen für die Ablehnung der Abweisung der Asylanträge als offensichtlich unbegründet bei dieser Sachlage nicht gegeben, Zuerkennung des Internationalen Schutzes, Griechenland, Prüfung im nationalen Verfahren, Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung, ergebnisoffene Prüfung, Abschiebungsandrohung in den Irak, offensichtliche Unbegründetheit, Vorlagebeschluss, Vorabentscheidung, Vorabentscheidungsverfahren, VO (EU) 604/2013, RL 2011/95/EU, RL 2013/32/EU
Fundstelle:
BeckRS 2023, 28023
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 4. September 2023 wird hinsichtlich der Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. August 2023, Gz., angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, die vorgesehene Abschiebung in den Irak einstweilig zu unterlassen.
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Der Antragsteller ist ein am ... 2000 in ... geborener irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am 12. Juli 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stelle am 23. August 2023 einen förmlichen Asylantrag.
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In seiner Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats am 23. August 2022 gab er an, dass sich weitere Familienangehörige in H. aufhalten würden. Er habe sein Herkunftsland am 18. November 2018 verlassen. Ihm sei im Jahr 2019 in Griechenland internationaler Schutz zuerkannt und im Jahr 2021 eine Aufenthaltserlaubnis ausgestellt worden, die bis 2023 gültig sei.
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In einem Vermerk vom 25. August 2022 stellt das Bundesamt fest, dass der Antragsteller bereits in Griechenland internationalen Schutz erhalten habe. Dies ergebe sich aus dem entsprechenden EURODAC-Treffer.
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Die persönliche Anhörung des Antragstellers beim Bundesamt erfolgte am 20. Juni 2023. Auf die Protokolle der Anhörung wird Bezug genommen. Der Antragsteller gab insbesondere an, er sei in Griechenland als Flüchtling anerkannt worden und habe dort vier Jahre gelebt. Die Lebensverhältnisse dort seien sehr schlecht gewesen. Finanzielle Unterstützung habe er nach der Anerkennung nicht erhalten. Als Kind habe er den Angriff auf die Yeziden miterlebt.
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In einem weiteren Vermerk stellt das Bundesamt fest, dass trotz bereits erfolgter Schutzgewährung in Griechenland keine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG getroffen werden, da im vorliegenden Verfahren eine Verletzung von Art. 3 EMRK (in Bezug auf Griechenland) festzustellen sei.
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Mit Bescheid vom 25. August 2023, Gz., lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, (Nr. 1 des Bescheides), auf Anerkennung als Asylberechtigten (Nr. 2 des Bescheides) und auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus als offensichtlich unbegründet ab (Nr. 3 des Bescheides). Es stelle weiter fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (hinsichtlich des Irak) nicht vorliegen (Nr. 4 des Bescheides). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde dem Antragsteller die Abschiebung in den Irak oder in einen anderen zur Übernahme bereiten oder verpflichteten Staat angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrages durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5 des Bescheides). Es wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6 des Bescheides).
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Zu der Frage, ob das Bundesamt eine sachliche Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durchzuführen hat, hat das Bundesamt in den Gründen des Bescheides ausgeführt, der Antragsteller habe in Griechenland einen Asylantrag gestellt. Im Rahmen des dortigen Asylverfahrens sei ihm internationaler Schutz i.S.v. Art. 2 Buchst. i) der RL 2013/32/EU gewährt worden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17) sei eine Ablehnung des Antrags als unzulässig jedoch dann nicht möglich, wenn angesichts der zu erwartenden Lebensverhältnisse in Griechenland der Eintritt einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK (bzw. Art. 4 EU-GRCh) beachtlich wahrscheinlich sei. Die hierzu vorliegenden Erkenntnisse erlauben im Fall des Antragstellers keine andere Einschätzung. Der Asylantrag des Antragstellers könne daher trotz des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nicht gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden, sondern ist als zulässiger Asylantrag zu entscheiden. Die Prüfung der Begründetheit des Asylantrags erfolge entsprechend den Vorgaben aus Art. 10 der RL 2013/32/EU auf der Grundlage der zum jetzigen Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse und nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Bei einer sachlichen Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes durch das Bundesamt entfalte die Entscheidung der griechischen Asylbehörde keine Bindungswirkung.
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Soweit das Bundesamt in den Gründen des Bescheides dann die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigte als offensichtlich unbegründet ablehnt und das Vorliegen von Abschiebungsverboten verneint, wird auf die Ausführungen in den Gründen des Bescheides Bezug genommen.
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Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 30. August 2023 zugestellt.
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Der Antragsteller hat durch seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 4. September 2023, eingegangen bei Gericht am selben Tag, unter dem Aktenzeichen Au 9 K 23.30845 Klage erhoben und beantragt, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. August 2023 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller die Asylberechtigung zuzuerkennen, hilfsweise die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG hinsichtlich des Irak vorliegen.
12
Darüber hinaus hat der Antragsteller über seinen Bevollmächtigten mit gleichem Schreiben beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Eine Antragsbegründung erfolgte bis zur Entscheidung des Gerichts nicht.
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Das Bundesamt legte am 6. September 2023 die elektronische Behördenakte vor und beantragt,
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und bezog sich auf die Begründung des angegriffenen Bescheids.
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Ergänzend wird auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist begründet.
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1. Der Antrag ist zulässig.
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO richtet sich unter Berücksichtigung des erkennbaren Rechtsschutzzieles des Antragstellers gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bescheides des Bundesamtes vom 25. August 2023.
22
Der Antrag ist zulässig, da der Klage gemäß § 75 Abs. 1 AsylG nach § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 AsylG keine aufschiebende Wirkung zukommt.
23
Klage und Antrag sind auch innerhalb der Wochenfrist des § 74 Abs. 1 i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 AsylG, § 36 Abs. 3 Satz 1 und Satz 10 AsylG bei Gericht eingegangen.
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2. Der Antrag ist begründet.
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Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die sofortige Vollziehbarkeit. Da diese Regelung und die damit nach § 36 Abs. 1 AsylG verbundene Ausreisefrist von einer Woche die Folge der qualifizierten Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet ist, ist Anknüpfungspunkt der gerichtlichen Überprüfung des Sofortvollzugs auch die Frage, ob die für eine Aussetzung der Abschiebung erforderlichen ernstlichen Zweifel bezogen auf das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes vorliegen. Nach Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Das bedeutet, dass die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen nur dann ausgesetzt werden darf, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – DVBl. 1996, S. 729). Dabei hat sich die gerichtliche Überprüfung bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch auf das Merkmal der Offensichtlichkeit zu erstrecken (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.2003 – 2 BvR 153/09 – InfAuslR 2003, S. 244).
26
Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. der Feststellung subsidiären Schutzes offensichtlich nicht vorliegen, § 30 Abs. 1 AsylG. Die Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet setzt voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts an der Richtigkeit der Entscheidung vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage sich dem Gericht geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – InfAuslR 2002, S. 146).
27
Diese Offensichtlichkeitsfeststellung kann vorliegend bereits in Bezug auf die Frage, ob bei der vorliegenden Konstellation – das Bundesamt hat eine Verletzung von Art. 3 EMRK festgestellt – die bereits erfolgte Zuerkennung internationalen Schutzes in Griechenland das Bundesamt daran hindert, den bei ihm gestellten Asylantrag auf internationalen Schutz ergebnisoffen zu prüfen oder das Bundesamt verpflichtet ist, ohne Untersuchung der materiellen Voraussetzungen dieses Schutzes den Antragstellern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
28
Diese Rechtsfrage hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 7. September 2022 (1 C 26/21) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Nach der Vorlagefrage hat der Europäische Gerichtshof darüber zu entscheiden, ob in einem Fall, in dem ein Mitgliedsstaat von der durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU eingeräumten Befugnis, einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in einem anderen Mitgliedsstaat als unzulässig abzulehnen, keinen Gebrauch machen darf, weil die Lebensverhältnisse in diesem Mitgliedsstaat den Antragsteller der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh aussetzen würden, Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VO (EU) 604/2013, Art. 4 Abs. 1 Satz 2 und Art. 13 RL 2011/95/EU sowie Art. 10 Abs. 2 und 3, Art. 33 Abs. 1 und 2 Buchst. a RL 2013/32/EU dahin auszulegen sind, dass die bereits erfolgte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft den Mitgliedsstaat daran hindert, den bei ihm gestellten Antrag auf internationalen Schutz ergebnisoffen zu prüfen und ihn dazu verpflichtet, ohne Untersuchung der materiellen Voraussetzungen dieses Schutzes dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
29
Die in dem Vorlagebeschluss an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung gestellte Frage ist auch im vorliegenden Fall entscheidungserheblich, selbst wenn sich die Vorlagefrage des Bundesverwaltungsgerichts lediglich auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bezog. Die Regelung in Art. 33 Abs. 1 und 2 Buchst. a RL 2013/32/EU knüpft lediglich auf die Gewährung internationalen Schutzes an. Dieser umfasst nach den Begriffsbestimmungen in Art. 2 Buchst. a) der RL 2011/95/EU sowie in Art. 2 Buchst. i) der RL 2013/32/EU sowohl die Flüchtlingseigenschaft als auch den subsidiären Schutzstatus, so dass hinsichtlich der Vorlagefrage zwischen beiden Begriffen nicht differenziert werden kann.
30
Zwar wurde für den Antragsteller nicht durch eine rechtskräftige Entscheidung eines Verwaltungsgerichts festgestellt, dass ihm in Griechenland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCh droht. Das Bundesamt geht aber in seinem Vermerk vom 9. August 2023 bzw. in den zitierten Gründen des Bescheides selbst davon aus, dass die vorliegenden Erkenntnisse im Falle des Antragstellers keine andere Einschätzung zulassen, als dass diesem angesichts der zu erwartenden Lebensverhältnisse in Griechenland der Eintritt einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GRCh mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
31
Solange die Frage der Bindungswirkung der Zuerkennung Internationalen Schutzes durch einen Mitgliedsstaat für das Bundesamt rechtlich nicht eindeutig geklärt ist, liegen die Voraussetzungen für eine Abweisung des Asylantrags des Antragstellers als offensichtlich unbegründet nicht vor und ist bereits deshalb die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Abschiebungsandrohung in den Irak anzuordnen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.