Titel:
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, Anordnung eines kombinierten Leinen- und Maulkorbzwangs, Anforderungen an den Ort der Hundehaltung
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
LStVG Art. 18 Abs. 2
Schlagworte:
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, Anordnung eines kombinierten Leinen- und Maulkorbzwangs, Anforderungen an den Ort der Hundehaltung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 28015
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller wenden sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die ihnen gegenüber verfügten Anordnungen zur Hundehaltung.
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Die Antragsteller sind verheiratet, im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin wohnhaft sowie Halter des Hundes „...“, Tiroler Bracke, Wurftag: .... Laut der PI Zentrale Einsatzdienste ..., Diensthundestaffel, hat der Hund „...“ eine Schulterhöhe von ca. 35 cm.
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In der Vergangenheit haben sich nach den Feststellungen der Antragsgegnerin diverse Vorfälle mit Beteiligung des Hundes „...“ ereignet: In der ersten Jahreshälfte 2018 wilderte der Hund auf einem fremden Grundstück. Im August 2018 verließ er das Grundstück der Antragsteller, lief frei umher und griff den Chihuahua von Frau M., die mit ihrem Hund beim „Gassigehen“ am Grundstück der Antragsteller vorbeiging, an: „...“ kam aus dem Anwesen der Antragsteller „rausgeschossen“ und schnappte – trotz der Reaktion von Frau M./ ihrer Begleitung, ihren Hund (mit den Händen) hochzunehmen – nach dem Chihuahua bzw. sprang hoch und knurrte. Am 25. September 2018 griff „...“ erneut diesen Chihuahua beim „Tretbecken“ in ... an. Der Hund „...“ wurde (wohl vom Antragsteller zu 2) „nicht ohne Leine geführt“. Beim Versuch, ihren Hund zu schützen, wurde die Hundehalterin M. von „...“ am Unterarm verletzt. Am 9. Mai 2020 kam es zu einem weiteren Vorfall zwischen „...“ und dem Chihuahua von Frau M. Beim „Gassigehen“ von Frau M., vorbei am Grundstück der Antragsteller, sprang „...“ aus dem Grundstück der Antragsteller auf den Chihuahua zu, packte und biss diesen. Der Chihuahua wurde leicht verletzt und ambulant tierärztlich behandelt. Im Juli 2020 beschwerte sich eine Mutter bei der Antragsgegnerin darüber, dass beim ...spielplatz am ...park in ... der Hund „...“ ohne Leine zwischen Kindern herumgesprungen sei. Die Besitzerin, eine ältere Dame, habe erfolglos versucht, den Hund unter Kontrolle zu bringen. Am 2. Juli 2022 rannte der vom Antragsteller zu 2) nicht angeleinte Hund „...“ auf einer „Gassirunde“ an einem Feldweg am Ortsrand von ... (Fl.Nr. ...) auf den Chihuahua von Frau M. zu und biss diesen am Bein, wodurch dieser tierärztlich behandelt werden musste. Zu einem weiteren Vorfall mit dem Hund „...“ kam es am 7. Juni 2023 gegen 17:00 Uhr in, ...weg. Frau H. sei durch den Hund verletzt worden. Nach Angaben der Polizei sei diese mit ihrem Auto unterwegs gewesen, als sie im Bereich des ...wegs eine Bracke, den Hund „...“, bemerkt habe, der den Chihuahua der Hundehalterin M. angriff. Mehrere Personen, darunter zwei Kinder, seien in unmittelbarer Nähe der beiden Hunde gestanden. Frau H. sei aus ihrem Auto gestiegen, um zu helfen. Als sie den Chihuahua auf den Arm genommen habe, sei „...“ auch auf sie losgegangen. Frau H. habe Bissverletzungen im Bereich der Rippen und des Rückens erlitten. Der Chihuahua von Frau M. sei durch die Attacke ebenfalls schwer verletzt worden.
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Mit Bescheid vom 28. Juni 2023 ordnete die Antragsgegnerin gegenüber den Antragstellern an, den Hund „...“ außerhalb ihres Grundstücks innerhalb bebauter Gebiete an einer reißfesten Leine (max. 2 m, starre Leine) zu führen. Das selbstständige Entweichen des Hundes muss durch ein schlupfsicheres Halsband bzw. Geschirr ausgeschlossen sein (Ziffer 1). Den Antragstellern wurde untersagt, den Hund außerhalb ihres Grundstücks innerhalb bebauter Gebiete ohne Beißkorb bewegen zu lassen (Ziffer 2). Ein selbstständiges Entweichen des Hundes vom Grundstück der Hundehalter ist mit geeigneten Maßnahmen (z.B. Einfriedung) zu verhindern (Ziffer 3). In Ziffer 4 des Bescheids wurde die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 bis 3 angeordnet. Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Pflichten aus Ziffern 1 bis 3 des Bescheids wurden jeweils Zwangsgelder i.H.v. 500,00 EUR angedroht (Ziffer 5). Ferner enthielt der Bescheid in Ziffer 6 eine Kostenentscheidung und -festsetzung.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass Rechtsgrundlage der in den Ziffern 1 bis 3 des Bescheids getroffenen Anordnungen Art. 18 Abs. 2 LStVG sei. Da durch das Verhalten des Hundes „...“ Gesundheit und Eigentum von Menschen konkret bedroht würden und bei Nichteinschreiten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in überschaubarer Zukunft mit einem weiteren Schadenseintritt gerechnet werden könne, seien die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt. Aufgrund der Vorfälle seien Überprüfungen durch die Diensthundestaffel der PI Zentrale Einsatzdienste ... ... am 7. Juli 2020 und 9. Juli 2022 durchgeführt worden. Im letzten Gutachten vom 9. Juli 2022 werde bei einem erneuten Zwischenfall die Anordnung einer Leinen- und Beißkorbpflicht innerhalb bebauter Gebiete angeraten. Die Anordnungen stünden im pflichtgemäßen Ermessen. Ein Einschreiten werde für notwendig gehalten. Die Vorfälle würden zeigen, dass „...“ aus seiner Natur heraus eine unmittelbare Gefahr für Gesundheit und Eigentum von Menschen sein könne, wenn der Aufenthalt nicht auf das Grundstück der Hundehalter beschränkt werde oder wenn sich der Hund außerhalb des Grundstücks ohne Leine oder Beißkorb aufhalte. Die Maßnahmen seien geeignet, weitere Schadensereignisse zu verhindern. Die Leinenpflicht innerhalb bebauter Gebiete sei erforderlich, um den Hund von spontanen Übergriffen beim Ausführen abzuhalten. Ebenso sei die Beißkorbpflicht erforderlich und angemessen, da das Verhalten des Hundes durch die wiederholten Beißattacken und das Losreißen belegen würden, dass eine Anleinpflicht alleine nicht ausreichend sei. Ein gut passender Beißkorb gewährleiste die für den Hund erforderlichen Funktionen. Die Anordnung zur Verhinderung eines selbstständigen Entweichens des Hundes vom Grundstück der Hundehalter sei erforderlich und angemessen, um ein unbeaufsichtigtes freies Umherlaufen zu unterbinden. Die Antragsteller seien nach Art. 9 Abs. 2 LStVG als Halter des Hundes die richtigen Adressaten der Anordnungen. Die Anordnung des Sofortvollzugs erfolge gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO im öffentlichen Interesse. Die Androhung der Zwangsgelder stütze sich auf Art. 31, 36 VwZVG. Die Kostenentscheidung und -festsetzung beruhe auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 und Art. 6 KG i.V.m. Tarif-Nr. 2.II.1/2 KVz sowie Art. 2 Abs. 1 Satz, Art. 6 und Art. 20 KG i.V.m. § 1 der Kostensatzung der Antragsgegnerin bzw. Tarif-Nr. 000 KommKVz.
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Auf die Begründung des Bescheides wird im Einzelnen verwiesen.
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Mit Schreiben vom 5. Juli 2023 legte der Antragsteller zu 2), entsprechend der im Bescheid vom 28. Juni 2023 enthaltenen Rechtsbehelfsbelehrung, wohl nur gegen den verfügten Beißkorbzwang Widerspruch bei der Antragsgegnerin ein, dem diese mit Schreiben vom 14. Juli 2023 nicht abhalf.
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Am 27. Juli 2023 ließen die Antragsteller beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheids vom 28. Juni 2023 erheben (Au 8 K 23.1201), über welche noch nicht entschieden wurde. Gleichzeitig begehren die Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz und ließen beantragen,
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Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen diesen Bescheid der Gemeinde, ohne Aktenzeichen, zum Betreff „Vollzug des LStVG; Abwehr der vom Hund ‚...‘ der Fam. …“ vom 28. Juni 2023 wird wiederhergestellt bzw. die sofortige Vollziehung der Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 dieses Bescheids wird bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren gehemmt.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht: Die Antragstellerin zu 1) sei „nicht passivlegitimiert“ und an dem im Bescheid erwähnten Ereignis vom 7. Juni 2023 nicht aktiv beteiligt, sondern allenfalls unbeteiligte „Zeugin“ gewesen. Hundehalter sei eigentlich nur der Antragsteller zu 2), der auch Adressat des Hundesteuerbescheids vom 8. August 2017 gewesen sei. Bei Überprüfungen bzw. Begutachtungsterminen durch ein Hundezentrum habe „...“ kein aggressives Verhalten bzw. keinerlei Auffälligkeiten gezeigt. Der Hund sei nicht als gefährlich einzustufen. Die Antragsteller würden ein älteres eingefriedetes Anwesen in ... bewohnen, es handele sich um eine Doppelhaushälfte mit umzäuntem Garten. Aus Sicht des Antragstellers zu 2) ergebe sich folgender Sachverhalt zum Vorfall vom 7. Juni 2023: Frau M. sei mit ihren Kindern und ihrem Chihuahua unterwegs gewesen. Alle hätten sich hinter einer Hecke versteckt. Die Antragsteller seien mit dem Hund „...“ an der Ausziehleine angeleint unterwegs gewesen und hätten nicht gesehen, was hinter der Hecke passiere. Plötzlich sei „...“ hinter die Hecke gerannt. Der Antragsteller zu 2) habe den Hund sofort gerufen, dieser sei dicht bedrängt vom Chihuahua hinter der Hecke hervor zum Antragsteller zu 2) gekommen. „...“ habe nicht mehr weitergekonnt, da der Antragsteller zu 2) den Hund zwischen den Knien gehalten habe. Dann habe „...“ den Chihuahua noch an einer Hautfalte am Hals erwischt, der Chihuahua sei offensichtlich nicht angeleint gewesen. Es habe keine Gefahr für die beteiligten Personen bestanden. Frau H. sei mit ihrem Auto vorbeigefahren, unaufgefordert hinzugekommen, habe „...“ dauernd auf den Kopf geschlagen und sich den Chihuahua geschnappt, diesen im Arm gehabt und sei hinter die Hecke gerannt. „...“ habe hinterher gewollt, der Antragsteller zu 2) habe den angeleinten Hund zurückgehalten. Leider sei das Geschirr des Hundes zerrissen. „...“ habe zu dem Chihuahua gewollt bzw. versucht diesen, der sich im Arm von Frau H. befunden habe, anzuspringen. Frau H. habe sich weggedreht, aber den Chihuahua nicht losgelassen. Der Hund „...“ sei also nicht auf Frau H. losgegangen und habe diese auch nicht „gebissen“, sondern offensichtlich versehentlich beim Anspringen in Richtung Chihuahua die Handtasche von Frau H. erwischt. Möglicherweise habe diese, nachdem sie sich freiwillig zwischen die Hunde „eingemischt“ habe, dabei bereits einige Kratzer erlitten. Sie sei es auch gewesen, die den Hund „...“ vorher durch Kopfschläge angegangen habe.
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Der Antragsteller zu 2) besitze seit Jahrzehnten Hunde und habe laut seinen Angaben keine Voreintragungen im BZR. Es könne nicht darauf geschlossen werden, dass er oder seine Ehefrau ungeeignet zum Halten eines Hundes seien und eine sofortige, räumlich und sachlich umfangreiche Regelung erfolgen müsse. Es gehe auch um das Tierwohl des Hundes. Bei „...“ handele es sich laut Aussage eines Hundezentrums um einen geschulten und sozialverträglichen Rassehund und nicht um einen „Kampfhund“. Somit sei gerade nicht von einer gesteigerten Aggressivität oder Gefährlichkeit gegenüber Menschen auszugehen. Nur weil der Hund den Chihuahua von Frau M. „nicht mag“, könne keine generelle Gefährlichkeit gegenüber Menschen und Tieren gefolgert werden. Eine Maulkorb- oder Beißkorbpflicht sei nur zulässig, wenn eine Anleinpflicht im konkreten Fall zur Gefahrenabwehr nicht ausreiche. Es müsse dafür zu erwarten sein, dass der Hund auch angeleint zubeißen oder sich von einer Hundeleine selbstständig losreißen würde, und zwar aufgrund eines konkreten, von einem Menschen nicht selbst verursachten Vorfalls. Eine konkrete oder gar hypothetische Gefahr, dass der Hund „...“ insoweit einen Menschen beißen würde, sei nicht ersichtlich. Frau H. habe sich selbst in diese Situation gebracht. Eine Leinenpflicht für alle bebauten Gebiete – in Deutschland – sei unverhältnismäßig. Es fehle an einer sicheren Prognose, dass unter anderen Umständen in einer anderen Gemeinde oder in einem anderen bebauten Gebiet etwas passieren würde. Es fehle auch an einer Begründung für die Konkretisierung „innerhalb bebauter Gebiete“. Die Anordnung einer Einfriedung eines bereits eingefriedeten Grundstücks sei unverhältnismäßig. Eine konkrete Grundlage sei dafür nicht ersichtlich. Auch fehle es an einer rechtlichen Möglichkeit, eine höhere Einfriedung ohne besondere Genehmigung errichten zu dürfen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht: Der Antrag sei weder zulässig noch begründet. Die Antragsteller würden ihren Antrag gegen den Freistaat Bayern richten. Dieser sei nicht passivlegitimiert. Ein Widerspruchsverfahren sei nicht vollständig durchgeführt worden. Der Bescheid vom 28. Juni 2023 sei formell und materiell rechtmäßig. Rechtsgrundlage für den Erlass des Bescheids sei Art. 18 Abs. 2 LStVG. Eine konkrete Gefahr sei gegeben, nachdem der Hund bereits mehrfach negativ in Erscheinung getreten sei. Seit dem Jahr 2018 sei es immer wieder zu Vorfällen gekommen, bei denen der Hund andere Hunde oder Menschen angegriffen bzw. verletzt habe. Ein Maulkorb- und Leinenzwang sei dann gerechtfertigt, wenn es bereits zu einem Beißvorfall gekommen sei. Der Vorfall vom 7. Juni 2023 zeige, dass eine Leinenpflicht für den Hund nicht ausreichend sei. Eine Einfriedung sei nicht angeordnet worden. Ein Entweichen des Hundes „...“ vom Grundstück der Antragsteller sicherzustellen (wohl gemeint: zu verhindern), sei legitim. Die Anordnungen seien ermessensgerecht und verhältnismäßig. Die Maßnahmerichtung sei rechtsfehlerfrei erfolgt. Der Sachvortrag der Antragsteller zum Vorfall vom 7. Juni 2023 werde bestritten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch in dem Verfahren Au 8 K 23.1201, und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
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Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet.
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1. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entfällt die grundsätzlich nach § 80 Abs. 1 VwGO bestehende aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage, wenn die Behörde die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten besonders angeordnet hat. Diese Anordnung ist gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO schriftlich zu begründen, wobei sich die Behörde hinreichend mit den Besonderheiten des konkreten Einzelfalls auseinandersetzen muss. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der (sinngemäße) Verweis der Antragsgegnerin, dass mit der Vollziehung des Bescheides nicht bis zu seiner Bestandskraft gewartet werden könne, da sich bereits eine konkrete Verletzung am Rechtsgut eines Dritten ergeben habe bzw. andernfalls weitere Menschen oder Rechtsgüter Schäden erleiden könnten, trägt die gemäß § 80 Abs. 3 VwGO erforderliche Begründung des Sofortvollzugs.
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Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherstellen. Dabei trifft das Gericht im Rahmen einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage eine eigene, originäre Ermessensentscheidung unter Abwägung des von der Behörde geltend gemachten Interesses an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheides und des Interesses eines Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Wesentliches Element dieser Entscheidung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens: Ist die Hauptsacheklage nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos, tritt das Interesse eines Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage regelmäßig zurück; erscheint der angefochtene Bescheid hingegen nach kursorischer Prüfung voraussichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung.
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2. Gemessen an den vorstehenden Maßgaben fällt die im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO durch das Gericht vorzunehmende eigenständige Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse der Antragsteller und dem öffentlichen Vollzugsinteresse zu Lasten der Antragsteller aus. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung dürfte die Klage der Antragsteller gegen die Leinen- und Beißkorbpflicht sowie die Anordnung zum Ort der Hundehaltung voraussichtlich keinen Erfolg haben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Vor dem Hintergrund, dass § 78 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 VwGO zur Bezeichnung des Beklagten auch die Angabe der Behörde genügen lässt, ist es in analoger Anwendung dieses Rechtsgedankens vorliegend unschädlich, dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO den „Freistaat Bayern, vertreten durch d[ie] Gemeinde, vertreten durch den 1. Bgm. ... ...“ als Antragsgegner bezeichnet. Der Eilantrag richtet sich erkennbar gegen die Antragsgegnerin, die den angegriffenen Bescheid erlassen hat.
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b) Der streitgegenständliche Bescheid erweist sich als formell rechtmäßig. Auch wenn in dem Schreiben des Antragstellers zu 2) vom 8. Juni 2023 (Bl. 17 der Behördenakte) keine Anhörung nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG zu sehen sein dürfte, ist der etwaige Verfahrensmangel einer fehlenden Anhörung jedenfalls geheilt, da die Antragsteller im gerichtlichen (Eil-)Verfahren ausreichend die Gelegenheit hatten, ihre tatsächlichen und rechtlichen Einwendungen vorzubringen (Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG). Die Antragsgegnerin hat in der Antragserwiderung vom 2. August 2023 das vertiefte Vorbringen der Antragsteller zur Kenntnis genommen sowie dieses entsprechend gewürdigt. Zumindest sinngemäß wurde den Antragstellern auch mitgeteilt, dass die Antragsgegnerin – nach einem kritischen Überdenken der getroffenen Sachentscheidung – an ihrem Bescheid trotz des (vertieften) Vorbringens der Antragsteller festhält. Damit sind die materiellen Anforderungen an die Nachholung einer zunächst (etwaig) unterbliebenen Anhörung gewahrt.
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c) Der in Ziffer 1 des Bescheids vom 28. Juni 2023 angeordnete Leinenzwang für den Hund „...“ erweist sich bei summarischer Überprüfung als rechtmäßig.
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aa) Rechtsgrundlage hierfür ist Art. 18 Abs. 2 LStVG. Danach können von den Gemeinden zum Schutz von Leben, Gesundheit, Eigentum oder öffentlicher Reinlichkeit Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden getroffen werden.
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Der Tatbestand des Art. 18 Abs. 2 LStVG erfordert das Vorliegen einer konkreten Gefahr, also einer Sachlage, bei der die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit der abzuwehrende Schaden eintritt. Dabei sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer der möglicherweise eintretende Schaden und je ranghöher das bedrohte Rechtsgut ist (stRspr., vgl. z.B. BayVGH, U.v. 9.6.2020 – 10 B 18.1470 – juris Rn. 40; B.v. 27.8.2015 – 10 CS 15.1523 u.a. – juris Rn. 4 je m.w.N.). Das sicherheitsrechtliche Einschreiten zur Gefahrenabwehr setzt demnach nicht voraus, dass bereits ein schädigendes Ereignis, bei dem Gesundheit oder Eigentum anderer Personen geschädigt wurde, stattgefunden hat. Zu Beißzwischenfällen muss es deshalb vor Erlass einer Anordnung nicht notwendigerweise gekommen sein, es genügt vielmehr schon, wenn sich ein Hund gefahrdrohend gezeigt hat, ohne dass der Halter hiergegen eingeschritten wäre (vgl. BayVGH, B.v. 11.11.2003 – 24 CS 03.2796 – juris Rn. 8 f.). Ist es hingegen bereits zu Zwischenfällen gekommen, sind sicherheitsrechtliche Anordnungen zur Abwehr der realisierten Gefahr in der Regel nicht nur zulässig, sondern vielmehr geboten.
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bb) Vorliegend durfte die Antragsgegnerin aufgrund der ihr vorliegenden Erkenntnisse davon ausgehen, dass von dem Hund „...“ eine konkrete Gefahr für Gesundheit und Eigentum ausgeht. Am 2. Juli 2022 rannte der vom Antragsteller zu 2) nicht angeleinte Hund „...“ auf einer „Gassirunde“ unstreitig auf den Chihuahua von Frau M. zu und biss diesen am Bein, wodurch dieser tierärztlich behandelt werden musste. Damit hatte sich die Gefahr sogar schon verwirklicht. Es besteht die konkrete Gefahr weiterer derartiger Vorfälle. Außerdem ist dann auch eine Gefährdung für die Unversehrtheit von Menschen gegeben, da es naheliegt, dass z.B. ein Hundehalter versucht, seinen angegriffenen Hund gegen den Hund „...“ zu schützen (vgl. auch BayVGH, U.v. 9.6.2020 – 10 B 18.1470 – juris Rn. 42). Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Vortrag der Antragsteller, der Hund „...“ sei sozialverträglich, nicht aggressiv bzw. nicht gefährlich und möge lediglich den Chihuahua von Frau M. nicht. Durch die dokumentierten Vorfälle ist diese Einschätzung der fehlenden Gefährlichkeit des Hundes „...“ widerlegt. Einer weiteren Nachprüfung zur von dem Hund „...“ ausgehenden konkreten Gefahren, etwa durch ein Sachverständigengutachten, bedarf es nicht mehr (vgl. hierzu Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: 38. EL Oktober 2019, Art. 18 Rn. 40, 42 m.w.N.).
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Des Weiteren hat der angeleinte Hund „...“ beim Vorfall am 7. Juni 2023 unstreitig den Chihuahua von Frau M. angegriffen und einen Menschen verletzt. Wenn – wie hier der Hund „...“ – bei dem schädigenden Ereignis der Hund angeleint war, sich aber z.B. losgerissen hat, auf einen ihm nahe gekommenen anderen Hund aggressiv reagiert hat, aus dem Halsband geschlüpft ist oder das Geschirr gerissen ist, ist die zu befürchtende Gefahr durch die Anordnung eines Leinenzwangs allein nicht zuverlässig zu verhüten, sondern erfordert u.U. weitere Anordnungen (vgl. Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 18 Rn. 65a). Gleichwohl vermag die Antragsgegnerin in rechtlich nicht zu beanstandender Weise – u.a. gestützt auf den Vorfall vom 7. Juni 2023 – der von dem Hund „...“ ausgehenden konkreten Gefahr für Gesundheit und Eigentum auch durch die Anordnung eines (um weitere Maßnahmen ergänzten) Leinenzwangs zu begegnen. Ob bei diesem Vorfall Frau H. unmittelbar von dem Hund „...“ gebissen oder „nur“ bei ihren Rettungsbemühungen bezüglich des angegriffenen Chihuahua von Frau M. verletzt wurde, ist nicht von Belang. Selbst wenn letzteres zutreffen sollte, hätte Frau H. dennoch Verletzungen erlitten, welche kausal auf einen Angriff durch den Hund „...“ zurückzuführen sind (VG München, U.v. 9.2.2012 – M 22 K 10.5024 – juris Rn. 35). Die Verletzung von Frau H. sind dem Hund der Antragsteller auch dann zuzurechnen, wenn die Verletzung auf einem Fehlverhalten oder einer Fehlreaktion der Verletzten (mit-)beruhen sollte. Von Passanten wird kein hundegerechtes Verhalten erwartet, vielmehr steht ein Hundehalter in der Pflicht, wenn er seinen Hund in der Öffentlichkeit ausführt. Nur das bewusste und gezielte Reizen des Hundes stellt kein (Fehl-)Verhalten eines Passanten dar, mit dem ein Hundehalter jederzeit hätte rechnen und die Reaktion seines Hundes hierauf hätte verhindern müssen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 31.7.2014 – 10 ZB 14.688 – juris Rn. 7). Allerdings ist vorliegend nichts dafür ersichtlich, dass Frau H. den Hund der Antragsteller vorsätzlich geärgert oder provoziert hätte. Auch die Antragsteller gehen der Sache nach davon aus, dass sich Frau H. unaufgefordert „eingemischt“ habe, um den Chihuahua von Frau M. gegenüber dem Hund „...“ zu schützen. Eine bewusste und gezielte Reizung des Hundes der Antragsteller ist in dem Verhalten von Frau H. nicht zu sehen.
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Unerheblich ist auch, ob der Hund „...“ beim Vorfall am 7. Juni 2023 von dem Chihuahua provoziert worden ist und ob dieser eventuell ein Mitverschulden an dem Vorfall trägt. Denn von einem Hund geht auch eine Gefahr aus, wenn die Reaktion des von einer Anordnung betroffenen Hundes auf einer „Provokation“ eines anderen Hundes beruht (vgl. BayVGH, B.v. 17.10.2018 – 10 CS 18.1717 – juris Rn. 15; BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 22. Edition, Stand: 15.04.2023, Art. 18 Rn. 60 f.). Vom Schutzzweck des Art. 18 Abs. 2 LStVG wird sowohl hundetypisches, artgerechtes Verhalten als auch außergewöhnlich aggressives Verhalten eines Hundes erfasst. Die auf diesem Verhalten beruhenden Verletzungen sind dem Hund sicherheitsrechtlich zuzurechnen. Sinn der Regelung ist es, den Behörden die Ermächtigung zu geben, zur Verhütung jeglicher Gefahren für die betreffenden Rechtsgüter Anordnungen zur Haltung von Hunden zu treffen. Hieraus ergibt sich, dass in (auch artgerechten) Kampfsituationen mit anderen Tieren eine Gefahr zumindest für das Eigentum, oftmals auch für die Gesundheit der anwesenden Hundeführer bzw. Passanten (wie z.B. bei Rettungsbemühungen), besteht. Zwar wird insbesondere derjenige Hund, von dem die Kampfinitiative ausging, eine konkrete Gefahr darstellen, und zwar auch dann, wenn es beispielsweise der angegriffene Hund ist, der im „Eifer des Gefechts“ oder wegen des Eingreifens seines eigenen Halters diesen beißt. Denn bereits die Auslösung einer Auseinandersetzung unter Hunden dokumentiert die Gefahr des Tieres (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2022 – 10 CS 22.865 – juris Rn. 9). Jeder Hundehalter muss seinen Hund so kontrollieren können, dass er auch im Fall, dass dieser sich von einem Menschen oder Hund bedroht fühlt, diesen nicht angreift bzw. verletzt. Dies gilt auch bei einem arttypischen Kräftemessen in Rangeleien und Raufereien zur Festlegung der Rangordnung. Demnach kommt es in solchen Kampfsituationen nicht auf die Ermittlung von etwaigen Mitverschuldensanteilen an. Es ist nicht Aufgabe der Sicherheitsbehörde für einen „gerechten Ausgleich“ unter den Haltern an einem Vorfall beteiligter Hunde zu sorgen. Sie hat vielmehr die Aufgabe, bestehende sicherheitsrelevante Gefahren abzuwehren (vgl. dazu VG München, B.v. 10.1.2012 – M 22 S 11.5317 – juris Rn. 35).
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Darüber hinaus durfte die Antragsgegnerin in ihre Gefahrenprognose auch den Vorfall im Juli 2020 einbeziehen. Nach Aktenlage (Bl. 46 der Behördenakte) sprang der Hund „...“ ohne Leine zwischen Kindern beim ...spielplatz herum, wobei die „Besitzerin“ vergeblich versucht habe, den Hund unter Kontrolle zu bringen. Die Mütter hätten dabei Angst um ihre Kinder gehabt. Von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei umherlaufen, vom Führen solcher Hunde durch eine hierzu nicht befähigte Person oder durch eine nicht ausbruchsichere Unterbringung solcher Hunde geht nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in der Regel eine konkrete Gefahr für die Gesundheit und das Leben Dritter oder für andere Hunde/ Haustiere aus, auch wenn es bislang noch nicht zu konkreten (Beiß-)Vorfällen gekommen ist (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 10 CS 22.982 u.a. – juris Rn. 15; B.v. 5.6.2020 – 10 ZB 20.961 – juris Rn. 5; B.v. 12.2.2020 – 10 ZB 19.2474 – juris Rn. 4; B.v. 13.11.2018 – 10 CS 18.1780 – juris Rn. 10; B.v. 11.2.2015 – 10 ZB 14.2299 – juris Rn. 5). Aber auch von kleinen Hunden kann – wie hier beim Vorfall im Juli 2020 – eine solche Gefahr ausgehen, wenn sie beispielsweise durch ihr „Herumtollen“, Bellen oder Zustürmen auf Personen oder andere Hunde diese erschrecken, womöglich zu Fall bringen (z.B. kleine Kinder) oder diese z.B. zu folgenschweren spontanen Abwehr- oder Fluchtreaktionen veranlassen (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 27.8.2015 – 10 CS 15.1523 u.a. – juris Rn. 4).
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Auch wenn der Antragsteller zu 2) gegenüber der Antragsgegnerin angemerkt hat (Bl. 43 der Behördenakte) – wobei unklar ist, ob sich dies auf jenen Vorfall im Juli 2020 bezieht –, dass der Hund „...“ nicht „unter den Kindern“ gewesen sei, durfte die Antragsgegnerin von der Richtigkeit der Mitteilung über den Vorfall ausgehen. Denn als Grundlage der Gefahrenprognose liegen bei sicherheitsrechtlichen Anordnungen zur Hundehaltung typischerweise Aussagen der Halter der an den Vorfällen beteiligten Hunde bzw. sonstiger Betroffener vor, die die Vorfälle aus ihrer Sicht oft verschieden darstellen. Die Sicherheitsbehörde hat den Sachverhalt bezüglich einer von dem Hund ausgehenden konkreten Gefahr soweit wie möglich aufzuklären. Dabei hat sie auch zu prüfen, ob irgendwelche Gründe dafürsprechen, dass die geschilderten Vorfälle nicht glaubwürdig sind, sie z.B. auf persönlichen Motiven beruhen können. Liegen aber derartige Anhaltspunkte – wie hier – nicht vor, darf die Behörde grundsätzlich von der Richtigkeit einer Mitteilung bzw. Zeugenaussage ausgehen, insbesondere dann, wenn die Aussage einen Vorfall hinreichend detailliert und plausibel schildert oder, wenn mehrere Aussagen verschiedener Zeugen übereinstimmen. Für die grundsätzliche Glaubwürdigkeit einer solchen Mitteilung spricht nämlich, dass derjenige, der wider besseres Wissen eine derartige Anzeige bei einer Behörde erstatten würde, sich u.U. gemäß § 164 StGB wegen falscher Verdächtigung strafbar machen könnte. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der effektiven Gefahrenabwehr ist es deshalb im Bereich des präventiven Sicherheitsrechts für ein sicherheitsrechtliches Einschreiten nicht erforderlich, dass bereits eine vollständige Aufklärung des tatsächlichen Ablaufs eines Vorfalles bzw. der Nachweis eines schuldhaften Fehlverhaltens geführt werden kann (zum Ganzen VG Augsburg, B.v. 28.2.2011 – Au 5 S 11.112 – juris Rn. 24; VG Würzburg, U.v. 27.7.2018 – W 9 K 17.332 – juris Rn. 29; VG München, U.v. 3.3.2022 – M 22 K 20.554 – juris Rn. 20).
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cc) Soweit die Antragstellerseite vorbringt, es fehle an einer Begründung für die Konkretisierung von „innerhalb bebauter Gebiete“, verfängt dies nicht. Die räumliche Beschränkung auf diesen Bereich ist anhand der tatsächlichen Verhältnisse bestimmbar und wegen einer unumgänglichen, gewissen Verallgemeinerung bei der Formulierung ausreichend bestimmt im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG (vgl. auch zu ähnlichen Formulierungen BayVGH, B.v. 5.6.2020 – 10 ZB 20.961 – juris Rn. 6 m.w.N.; BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Art. 18 Rn. 103.1). Die Formulierung „innerhalb bebauter Gebiete“ beschreibt erkennbar den sog. Innenbereich (vgl. auch BayVGH, B.v. 5.6.2020 – 10 ZB 20.961 – juris Rn. 6).
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dd) Die Antragsteller sind als Halter des Hundes „...“ Zustandsstörer im Sinne des Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG und entsprechend richtige Adressaten der sicherheitsrechtlichen Anordnung(en). Halter ist der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über den Hund (BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Art. 18 Rn. 133). Es ist daher maßgeblich darauf abzustellen, wer die tatsächliche Verfügungs- und Bestimmungsmacht über das Tier ausübt. Eigentum und Eigenbesitz sind für die Bejahung der Haltereigenschaft nicht Voraussetzung (BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht, Art. 37 Rn. 61a). Die Tatsache, dass eine andere Person die Hundesteuer bezahlt und daher steuerrechtlich als Halter des Hundes angesehen wird, macht diese nicht automatisch zum Halter im sicherheitsrechtlichen Sinne der Art. 9 bzw. 18 LStVG (vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2013 – 10 CS 13.1544 – juris Rn. 25), sondern ist nur ein Indiz dafür. Bei Eheleuten sind regelmäßig beide bestimmungs- und verfügungsberechtigt (vgl. VG München, U.v. 3.3.2022 – M 22 K 20.554 – juris Rn. 32). So verhält es sich auch vorliegend. Dies ergibt sich aus den eigenen Angaben der Antragsteller im Rahmen der Anmeldung des Hundes „...“ zur Hundesteuer (Bl. 11 der Behördenakte) und den Ausführungen gegenüber der Polizeidiensthundestaffel, wonach sich beide Antragsteller um den Hund kümmern bzw. ihn regelmäßig „Gassi“ führen (Bl. 48 der Behördenakte). Das Vorbringen der Antragsteller, „eigentlich“ sei nur der Antragsteller zu 2) Hundehalter, widerlegt dies nicht. Ferner belegt die Beobachtung beim Vorfall im Juli 2020, dass die Antragstellerin zu 1) bestimmungs- und verfügungsberechtigt im vorgenannten Sinne ist. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass sich aus dem von der Antragstellerseite vorgelegten Hundesteuerbescheid vom 8. August 2017 auch nichts anderes ergibt. Als Pflichtige sind dort die Antragstellerin zu 1) und der Antragsteller zu 2) aufgeführt.
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ee) Der angeordnete Leinenzwang zur Abwehr der von dem Hund „...“ ausgehenden Gefahr wurde ermessensfehlerfrei ausgewählt (§ 114 Satz 1 VwGO), entspricht dem in Art. 8 LStVG geregelten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und begegnet keinen tierschutzrechtlichen Bedenken. Der Leinenzwang ist nach summarischer Prüfung auf eine bayernweite Geltung „innerhalb bebauter Gebiete“ begrenzt und erstreckt sich nicht auf ganz Deutschland. Dies erweist sich auch nicht als unverhältnismäßig, weil die von dem Hund „...“ ausgehende Gefahr, welche die Antragsgegnerin mit der Anordnung eines Leinenzwangs „innerhalb bebauter Gebiete“ abwehren will, nicht an der gemeindlichen Gebietsgrenze der Antragsgegnerin endet (vgl. auch BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 3 f.: „auf dem Gebiet einer Nachbargemeinde“; Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 18 Rn. 65; vgl. auch unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebots: VG Würzburg, B.v. 29.12.2010 – W 5 S 10.1273 – juris Rn. 35). Nach dem Sinn und Zweck der Anordnung, Gefahren für Gesundheit und Eigentum abzuwehren, die „innerhalb bebauter Gebiete“ (typischerweise) wegen einer Häufung von Menschen und anderen Hunden einerseits und der regelmäßig beengten räumlichen Verhältnisse andererseits in besonderem Maße bestehen, ist dies gerichtlich nicht zu beanstanden.
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d) Die in Ziffer 2 des Bescheids vom 28. Juni 2023 angeordnete Beißkorbpflicht findet ihre Rechtsgrundlage ebenfalls in Art. 18 Abs. 2 LStVG und dient dazu, der konkreten Gefahr, die von dem Hund „...“ ausgeht, zu begegnen.
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Die Beißkorbpflicht zusätzlich zum Leinenzwang, d.h. eine Kombination beider Mittel, begegnet keinen Bedenken, sie erweist sich insbesondere als verhältnismäßig. Ein zusätzlicher Maulkorb- bzw. Beißkorbzwang kann (nur dann) verfügt werden, wenn es im Einzelfall zur effektiven Gefahrenabwehr unabdingbar ist, weil z.B. eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein Hundeführer nicht in der Lage ist, das angeleinte Tier zuverlässig zurückzuhalten, wenn es aggressiv reagiert (vgl. BayVGH, B.v. 21.6.2005 – 24 CS 05.1458 – juris Rn. 12), der Hund bereits einmal aus dem Halsband geschlüpft ist bzw. sich der Hund – zum Angriff auf andere Personen oder (Haus-)Tiere – von der Leine losreißen oder auch angeleint zubeißen würde (vgl. dazu BayVGH, B.v. 17.4.2013 – 10 ZB 12.2706 – juris Rn. 5; VG Augsburg, B.v. 26.4.2012 – Au 5 S 12.316 – juris Rn. 55; VG Bayreuth, B.v. 17.3.2022 – B 1 S 22.166 – juris Rn. 45; VG Regensburg, B.v. 18.3.2021 – RN 4 S 20.3099 – juris Rn. 48; VG Würzburg, U.v. 27.7.2018 – W 9 K 17.332 – juris Rn. 35). Die Kammer geht nach Aktenlage (Bl. 57 der Behördenakte: „nicht ohne Leine“) davon aus, dass der Hund „...“ bereits beim Vorfall am 25. September 2018 angeleint war, dennoch den Chihuahua von Frau M. angegriffen und diese bei dem Versuch, ihren Hund zu schützen, verletzt hat.
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Dessen ungeachtet hat der angeleinte Hund „...“ beim Vorfall am 7. Juni 2023 unstreitig einen anderen Hund angegriffen und einen Menschen verletzt. Auf die Frage, ob, wie von der Antragstellerseite vorgebracht, das Geschirr des angeleinten Hundes (aus Materialermüdung etc.) gerissen sei, kommt es nicht an, da die Leine jedenfalls nicht den Vorfall verhindert hat. Es wird im Übrigen auf die obigen Ausführungen zum Vorfall am 7. Juni 2023 entsprechend Bezug genommen.
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Gerichtlich nach § 114 Satz 1 VwGO überprüfbare Ermessensfehler sind ebenso nicht ersichtlich. Insbesondere ist die Anordnung eines kombinierten Leinen- und Beißkorbzwangs unter Berücksichtigung des Vorstehenden verhältnismäßig. Es sind keine weniger einschneidenden Maßnahmen ersichtlich, die zum Schutz der durch den Hund „...“ gefährdeten Rechtsgüter gleichermaßen geeignet wären. Die Maßnahmen sind auch nicht etwa deshalb unangemessen, weil der Hund ... Jahre alt ist. Im Hinblick auf den hohen Rang der gefährdeten Rechtsgüter stellen der Leinen- und Beißkorbzwang nur eine geringe Belastung der Antragsteller dar. Es handelt sich demnach um Maßnahmen, die ein verantwortungsbewusster Hundehalter nach solchen Vorfällen von sich allein ergriffen hätte, um von seinem Hund ausgehende Gefahren abzuwenden. Die Anordnung einer Beißkorbpflicht ist auch nicht etwa deshalb unzumutbar, weil der Beißkorb – wie der Antragsteller zu 2) vorbringt – eine unbedingt nötige Kühlung des Hundes behindere. Es obliegt den Antragstellern einen auf dem Markt erhältlichen artgerechten Beißkorb zu verwenden (vgl. unter dem Gesichtspunkt des Tierschutzes auch BayVGH, B.v. 24.5.2022 – 10 CS 22.865 – juris Rn. 10; BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Art. 18 Rn. 116).
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e) Auch die in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids erfolgte Anordnung, ein selbstständiges Entweichen des Hundes „...“ vom Grundstück der Antragsteller in ... mit geeigneten Maßnahmen (z.B. Einfriedung) zu verhindern, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Eine solche Anordnung zu den Anforderungen an den Ort der Hundehaltung lässt sich ebenfalls auf Art. 18 Abs. 2 LStVG stützen (vgl. etwa BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Art. 18 Rn. 122 m.w.N.). In Fällen, in denen die von einem Hund ausgehende Gefahr daher rührt, dass er regelmäßig das Grundstück verlässt und unbeaufsichtigt umherläuft, ist eine derartige Anordnung, die die konkrete Gefahr des Entweichens des Hundes vom Haltergrundstück betrifft, ein geeignetes (und vorliegend auch verhältnismäßiges) Mittel (vgl. auch VG Bayreuth, B.v. 7.11.2022 – B 1 S 22.972 – juris Rn. 24; BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Art. 18 Rn. 122 ff.). Eine konkrete Gefahr des unbeaufsichtigten Entweichens des Hundes und damit einhergehend eine konkrete Gefährdung von Eigentum und Gesundheit ist vorliegend gegeben, da der Hund „...“ in der ersten Jahreshälfte 2018, im August 2018 und am 9. Mai 2020 bereits dem Grundstück der Antragsteller entwich, frei umherlief sowie im August 2018 und am 9. Mai 2020 den Chihuahua von Frau M. (bei ihrer „Gassirunde“ am Grundstück der Antragsteller vorbei) überdies angriff bzw. verletzte. Der Antragsteller zu 2) räumt dies (teils) auch selbst ein (Bl. 48 f. der Behördenakte). Eine Wiederholung relevanter Vorfälle ist insoweit nicht auszuschließen. Nach alledem begegnet die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin keinen Bedenken.
38
Es ist auch, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit, nicht zu beanstanden, wenn die Anordnung (lediglich) das Ziel vorgibt, dass der Hund „...“ das Haltergrundstück nicht eigenmächtig verlassen kann, den Antragstellern aber bei der Umsetzung ausdrücklich („z.B. Einfriedung“) gewisse Wahlmöglichkeiten belässt (wie z.B. Schließvorrichtungen, Ein- und Umzäunungen, Anforderungen an Art und Höhe der Einfriedungen, Zwingerhaltung) (vgl. BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Art. 18 Rn. 122). Soweit die Antragsteller rügen, es fehle an einer rechtlichen Möglichkeit, eine höhere Einfriedung ohne besondere baurechtliche Genehmigung zu errichten, geht dies fehl. Eine (höhere) Einfriedung ist durch Ziffer 3 des angegriffenen Bescheids, worauf die Antragsgegnerin zu Recht hinweist, nicht angeordnet worden.
39
f) Im Hinblick auf den Wortlaut des Eilantrags und die gegebene Antragsbegründung wendet sich der Eilantrag nicht gegen die Androhung der Zwangsgelder sowie die Kostenentscheidung und -festsetzung in Ziffern 5 und 6 des angegriffenen Bescheids. Einwände dagegen wurden von den Antragstellern auch nicht geltend gemacht.
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3. Auch eine reine Interessensabwägung, wenn man von einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens ausgehen wollte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zugunsten der Antragsteller ist zu berücksichtigen, dass diese grundsätzlich ein schützenswertes Interesse daran haben, vor einer endgültigen Entscheidung von den im Bescheid der Antragsgegnerin verfügten Anordnungen verschont zu bleiben. Dieses Interesse ist aber nicht allzu hoch zu gewichten, weil mit den Anordnungen keine erheblichen Belastungen oder Beeinträchtigungen verbunden sind und irreversible Zustände nicht geschaffen werden. Mit der Verpflichtung, den Hund im Innenbereich anzuleinen und ihm zusätzlich einen Beißkorb anzulegen, ist ebenso wenig eine übermäßige Beeinträchtigung der Antragsteller verbunden wie mit der Anordnung, ein selbstständiges Entweichen des Hundes „...“ vom Haltergrundstück zu verhindern. Sollten die Antragsteller in der Hauptsache insoweit Erfolg haben, so sind nachhaltige Schäden oder Belastungen nicht zu erwarten. Auch sonst ist nichts erkennbar oder substantiiert vorgetragen, was zu einer erheblichen Beeinträchtigung schützenswerter Interessen der Antragsteller führen könnte. Auf der anderen Seite besteht ein erhebliches öffentliches und von der Antragsgegnerin geltend gemachtes Interesse daran, dass mit dem Vollzug der Anordnungen nicht zugewartet wird, bis der Bescheid bestandskräftig ist. Dies hätte nämlich zur Folge, dass weiterhin die konkrete Gefahr besteht, dass der Hund „...“ andere Hunde oder Menschen angreift und verletzt oder unbeaufsichtigt dem Haltergrundstück entweicht. Es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, solche von dem Hund ausgehenden Gefahren zu unterbinden. Demgegenüber hat das o.g. Interesse der Antragsteller zurückzutreten. Die Sicherstellung des Schutzes von Eigentum und Gesundheit Dritter, selbst wenn sich dies im Nachhinein ggf. als nicht erforderlich erweisen sollte, wiegt schwerer als die etwaig zu Unrecht angeordneten Verpflichtungen in Ziffern 1 bis 3 des angegriffenen Bescheids. Die Antragsgegnerin hat dem Bewegungsdrang des Hundes und der Verhältnismäßigkeit des angeordneten Leinen- und Beißkorbzwangs im Übrigen dadurch Rechnung getragen, dass diese Anordnungen nur im Innenbereich gelten. Ziffer 3 des angegriffenen Bescheids belässt den Antragstellern – wie bereits dargelegt – Wahlmöglichkeiten in der Umsetzung.
41
4. Der Eilantrag war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5, 35.2 des Streitwertkatalogs.