Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 29.06.2023 – Au 5 K 23.777
Titel:

Nachbarklage gegen an Landwirtschaft heranrückende Wohnbebauung

Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 2
BauNVO § 5, § 15 Abs. 1 S. 2
BayBO Art. 6
BayVwVfG Art. 43 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Rechtsordnung kennt keinen allgemeinen bauplanungsrechtlichen Anspruch eines Nachbarn auf die Bewahrung des Außenbereichs und damit keinen grundsätzlichen, von der konkreten Betroffenheit unabhängigen Abwehranspruch eines Dritten gegen Vorhaben, die im Außenbereich objektiv nicht genehmigungsfähig sind. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine heranrückende Wohnbebauung verletzt gegenüber einem bestehenden emittierenden (insbes. landwirtschaftlichen) Betrieb das Gebot der Rücksichtnahme, wenn ihr Hinzutreten die rechtlichen immissionsbezogenen Rahmenbedingungen, unter denen der Betrieb arbeiten muss, gegenüber der vorher gegebenen Lage verschlechtert. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Betrieb aufgrund der hinzutretenden Bebauung mit nachträglichen immissionsschutzrechtlichen Auflagen rechnen muss. (Rn. 58) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Übergang von einer ausdrücklich genehmigten emissionsarmen zu einer nicht ausdrücklich genehmigten emissionsträchtigeren Tierhaltungsform liegt außerhalb des von einer Baugenehmigung gedeckten Variationsspektrums. (Rn. 70) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine konkludent erklärte Nutzungsaufgabe kann sich daraus ergeben, dass eine frühere Nutzung des Voreigentümers durch den Erwerber über eine nicht unerhebliche zeitliche Dauer durch eine ganz andere Nutzung ersetzt wird. (Rn. 79) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gebot der Rücksichtnahme, heranrückende Wohnbebauung, Grenzen des Bestandsschutzes für eine landwirtschaftliche Tierhaltung, Anspruch eines Nachbarn auf Bewahrung des Außenbereichs, nachträgliche immissionsschutzrechtliche Auflagen, konkludente Nutzungsaufgabe, hobbymäßige Tierhaltung, Verschattung, Abstandsfläche
Fundstelle:
BeckRS 2023, 28008

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Doppelhauses mit Garagen und Stellplätzen.
2
Der Kläger ist Eigentümer eines von ihm im Jahr 2009 erworbenen Grundstücks mit Wohntrakt und landwirtschaftlichen Nebengebäuden (Fl.Nr. ... der Gemarkung ...; nachfolgende Fl.Nrn.-Angaben beziehen sich auf dieselbe Gemarkung). Der dortige Baubestand besteht aus zwei Baukomplexen. Ein größerer nördlicher Baukomplex erstreckt sich in West-Ost-Richtung auf insgesamt ca. 39 m in geringem Abstand zur nördlichen Grundstücksgrenze und setzt sich aus einem westlichen Wohnkomplex (Länge in West-Ost Richtung ca. 11 m, Tiefe in Nord-Süd-Richtung ca. 8,50 m), einem in gleicher Breite angebauten Nutzteil als Mittelteil (Länge in West-Ost-Richtung ca.17 m) sowie einem den Baukomplex im Osten abschließenden, an den Mittelteil angebauten schmaleren Nutzteil (Länge in West-Ost-Richtung ca. 11,30 m, Tiefe in Nord-Süd-Richtung ca. 7,30 m) zusammen. Ca. 11 m südlich davon befindet sich auf dem klägerischen Grundstück etwa parallel zum vorgenannten Baukomplex ein weiteres Nutzgebäude (Länge in West-Ost-Richtung ca. 16,50 m, Tiefe in Nord-Süd-Richtung ca. 8,50 m).
3
Dem Beigeladenen wurden Baugenehmigungen für insgesamt fünf Doppelhäuser auf den nördlich und nordwestlich des Klägers gelegenen (heutigen) Fl.Nrn.-Paaren …2 und …3, …4 und …5, …6 und …7, …8 und …9 sowie …10 und …11 – ehemals allesamt Fl.Nr. ... – erteilt. Diese Grundstücke liegen, ebenso wie das Grundstück des Klägers, nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans.
4
Mit Formblattantrag vom 2. Juni 2021, eingegangen bei der Gemeinde ... am 9. Juni 2021 und beim Landratsamt ... (im Folgenden: Landratsamt) am 8. Juli 2021, beantragte der Beigeladene unter dem Az. ... die Erteilung einer Baugenehmigung für das im vorliegenden Verfahren streitgegenständliche Bauvorhaben „Neubau eines Doppelhauses mit Garagen und Stellplätzen“ auf dem (heutigen) Fl.Nrn.-Paar …10 und …11.
5
Der Kläger hat die im Verfahren vorgelegten Pläne des Beigeladenen nicht unterzeichnet.
6
Am 5. Juli 2021 erteilte das Landratsamt unter dem Az. ... die beantragte Baugenehmigung für das Doppelhaus auf dem (heutigen) Fl.Nrn.-Paar …2 und …3, unter dem Az. ... erteilte es die beantragte Baugenehmigung für das Doppelhaus auf dem (heutigen) Fl.Nrn.-Paar …4 und …5. Gegen diese Baugenehmigungen erhob der Kläger jeweils Klage vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg (Az. Au 5 K 21. 1661 und Au 5 K 21.1660).
7
Der Fachbereich Immissionsschutz des Landratsamts teilte mit Schreiben vom 15. September 2021 zu dem Bauvorhaben mit, dass keine immissionsschutzfachlichen Bedenken bestünden, da die Abstände ausreichend seien. Das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (im Folgenden: AELF) habe mitgeteilt, dass auf den benachbarten landwirtschaftlichen Hofstellen noch in meist geringem Umfang Tierhaltung betrieben werde. Das Grundstück Fl.Nr. ... sei viehlos, auf dem Grundstück Fl.Nr. ... würden 4 Mastschweine gehalten. Auf dem Grundstück Fl.Nr. ... umfasse die Tierhaltung 5 Schafe und 4 Ziegen, auf dem Grundstück Fl.Nr. ... umfasse sie 22 Rinder und 7 Kälber. Strittig sei, inwieweit eine mögliche Tierhaltung auf dem Grundstück des Klägers zu berücksichtigen sei. Es werde weiterhin wie im Rahmen der Bauvoranfrage davon ausgegangen, dass hier keine Tierhaltung mehr möglich sei.
8
Das AELF wurde im Verfahren beteiligt und wies mit Schreiben vom 15. September 2021 auf den benachbart liegenden Betrieb von B. O., ... ... hin. Dieser bewirtschafte 29 ha landwirtschaftliche Fläche mit einer Rinderhaltung. Dem AELF sei nicht bekannt, ob weitere Ställe mit Bestandsschutz bestünden. Bei Beachtung der Hinweise des AELF habe dieses keine Einwände gegen das Bauvorhaben.
9
Mit E-Mail vom 26. Oktober 2021 teilte das AELF auf Nachfrage des Gerichts in den Verfahren unter den Gerichtsaktenzeichen Au 5 K 21.1660 und Au 5 K 21.1661 mit, dass im Archiv kein Hofakt mehr von Herrn J. K. (Voreigentümer des klägerischen Grundstücks) zu finden sei. Da die Erfassung von Mehrfachantragsdaten bis zum Jahr 1992 zurückgehe, könne ausgeschlossen werden, dass nach 1992 unter der Adresse ... ... bzw. ... oder dem Namen J. K. ein Betrieb gemeldet gewesen sei. Der Kläger habe gegenüber dem AELF die Situation dahingehend geschildert, dass er die Hofstelle in ... vor ca. 10 Jahren bereits mit dem Gedanken, dort eine kleine Landwirtschaft mit Tierhaltung zu führen, erworben habe. Nach Informationen des AELF hätten die Eltern des Klägers erstmals im Jahr 2014 einen Mehrfachantrag gestellt und aktiv Landwirtschaft betrieben. Seit 2017 habe der Kläger nach eigenen Angaben die Flächen übernommen und seitdem unter eigener Betriebsnummer einen Mehrfachantrag gestellt. Da er jedoch nicht an der Betriebsstätte in ... wohne, sei er bei der Überprüfung durch das AELF, ob benachbarte landwirtschaftliche Betriebe angesiedelt seien, nicht aufgefallen. Der Kläger bewirtschafte rund 7 ha landwirtschaftlich genutzte Fläche, besitze aber insgesamt 20 ha. Ein Teil sei derzeit verpachtet, er wolle die Flächen nach Auslauf der Pachtverträge wieder selbst in Bewirtschaftung nehmen. Den Angaben des Klägers zufolge würden in ... aktuell sechs Schafe gehalten. Er wolle die landwirtschaftliche Betätigung in ... „moderat“ ausweiten. Er plane eine kleinere, qualitativ hochwertige Direktvermarktung mit Tieren aus besonders tiergerechter Haltung mit hohem Freilandanteil. Nach der Einschätzung des AELF bestünde auch nach Fertigstellung der Wohngebäude die Möglichkeit, Landwirtschaft mit einer kleineren Tierhaltung an der Hofstelle ... ... zu betreiben. Immissionsschutzrechtlich wäre bei einem Abstand von 40 – 50 m im Dorfgebiet auch eine größere Tierhaltung vermutlich kein Problem.
10
Unter dem 9. November 2021 reichte der Kläger bei der Standortgemeinde einen Bauantrag für das auf seinem Grundstück umzusetzende Vorhaben „Umbau und Sanierung des bestehenden Stallgebäudes und Einbau eines modernen Schweinestalles in das Stall- und Stadelgebäude“ ein, der nach Versagung des gemeindlichen Einvernehmens am 2. Februar 2022 beim Landratsamt einging.
11
Das Landratsamt erteilte mit Bescheid vom 24. November 2021 (Az. ...), dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 26. November 2021, die beantragte Baugenehmigung nach Maßgabe der beiliegenden, am 11. November 2021 geprüften und revidierten Bauvorlagen. Auf mögliche Geruchsimmissionen durch die angrenzende Landwirtschaft und die dauerhafte und entschädigungslose Duldung der von der Landwirtschaft ausgehenden Immissionen wurde hingewiesen.
12
Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
13
Unter den Az. ... und ... erteilte das Landratsamt ebenfalls am 24. November 2021 die beantragten Baugenehmigungen für die beiden weiteren Doppelhäuser auf den (heutigen) Fl.Nrn.-Paaren …8 und …9 bzw. …6 und …7.
14
Gegen den streitgegenständlichen Bescheid mit dem Az. ... hat der Kläger mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2021, eingegangen bei Gericht am 23. Dezember 2021, Klage erhoben (Az. Au 5 K 21.2571) und beantragt,
15
den Bescheid des Landratsamts vom 24. November 2021, Az. ... aufzuheben.
16
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass aus den zwei Baugenehmigungen, die Gegenstand der Verfahren unter den Az. Au 5 K 21.1660 und Au 5 K 21.1661 seien, mittlerweile fünf Baugenehmigungen geworden seien. Gegenüber den Objekten des Klägers bestehe das Problem der heranrückenden Wohnbebauung. Man müsse sich vor Augen halten, dass der Abstand zu dem klägerischen Grundstück gering sei und in welcher Art und Weise die Nutzung des Grundstücks des Klägers geradezu unmöglich gemacht werde. Hinzu käme die Art und Weise, wie das Grundstück aufgefüllt worden sei.
17
Auch gegen die Bescheide unter den Az. ... und ... hat der Kläger jeweils mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2021 Klage erhoben (Az. Au 5 K 21.2570 und Au 5 K 21.2573).
18
Mit Beschluss vom 23. Dezember 2021 wurde der Bauherr zum Verfahren notwendig beigeladen.
19
Das Landratsamt hat für den Beklagten mit Schriftsatz vom 21. Januar 2021 beantragt,
20
die Klage abzuweisen.
21
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass zum streitgegenständlichen Baugenehmigungsverfahren unter anderem der Fachbereich Immissionsschutz des Landratsamts sowie das AELF gehört worden seien. Aus den eingeholten Stellungnahmen sei ersichtlich, dass keine der Baugenehmigung entgegenstehende Bedenken geltend gemacht wurden. Die Klägerseite habe nicht darlegen können, dass ein schutzwürdiger, bestandsgeschützter landwirtschaftlicher Betrieb auf dem Grundstück des Klägers vorhanden sei. Dem Landratsamt sei mitgeteilt worden, dass der Kläger wohl einen Bauantrag bei der Gemeinde eingereicht habe, der die Wiedernutzbarkeit des Stalls zum Inhalt habe. Hieraus sei ersichtlich, dass der Kläger selbst nicht von einem schutzwürdigen, bestandsgeschützten landwirtschaftlichen Betrieb auf seinem Grundstück ausgehe.
22
Der Beigeladene hat mit Schriftsatz vom 1. Februar 2022 beantragt,
23
die Klage abzuweisen.
24
Am 7. Februar 2022 hat der Kläger Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung im hiesigen Hauptsacheverfahren (Az. Au 5 S 22.321) sowie in den die benachbarten Doppelhäuser betreffenden Parallelverfahren (Az. Au 5 S 22.320 und Au 5 S 22.322) gestellt.
25
Mit Schriftsatz vom 16. Februar 2022 trug der Kläger im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vor, dass das streitgegenständliche Vorhaben zwingend im Kontext mit den weiteren Baugenehmigungsbescheiden unter den Az. ... und ... zu sehen sei. Auch sei zu berücksichtigen, dass gemäß weiteren Bescheiden mit den Az. ... und ... zwei weitere Doppelhäuser mit Garagen und Stellplätzen genehmigt worden seien, sodass auf dem Grundstück inzwischen Baugenehmigungen für 5 Doppelhäuser erteilt worden seien, wobei sich drei davon unmittelbar an der Grundstückgrenze zum landwirtschaftlich genutzten Grundstück des Klägers befänden. Es sei eine grundlegend neue bauplanungsrechtliche Bewertung als bisher vorzunehmen. In den Schriftsatz des Klägers sind Fotoaufnahmen eingearbeitet, anhand derer Geländeveränderungen, insbesondere massive Aufschüttungen, für die keine Genehmigung beantragt und erteilt worden sei, erkennbar seien. Unmittelbar angrenzend an das landwirtschaftliche Bestandsgebäude sei auf dem Grundstück des Beigeladenen eine Betonmauer zu erkennen, bis zu deren oberer Kante Erdaufschüttungen vorgenommen worden seien. Das Gelände sei um etwa 2 m erhöht worden, so dass sich an der Grundstücksgrenze nach Erstellung der Bauvorhaben ein massiver Geländeunterschied ergebe. Das landwirtschaftliche Anwesen des Klägers sowie das angrenzende Wohnhaus befänden sich auf dem ursprünglichen Geländeniveau. Dieses liege nunmehr unterhalb der benachbarten Geländeoberfläche und würde aufgrund der darauf aufbauenden Bebauung verschattet. Das Bauvorhaben habe eine erdrückende Wirkung. Vor der nachträglichen Parzellierung habe die Aufschüttung ein Ausmaß von insgesamt weit mehr als 500 m² bei einer Mindesthöhe von 2 m gehabt und sei demnach nach Art. 57 Abs. 1 Ziffer 9 Bayerische Bauordnung (BayBO) nicht genehmigungsfrei gewesen. Sollten Aufschüttungen in geringerem Umfang vorgenommen worden seien, sei darauf hinzuweisen, dass dann eine Abgrabung stattgefunden hätte, die ebenfalls genehmigungspflichtig gewesen wäre. Das Bauvorhaben sei daher illegal. Das Bauvorhaben verstoße für sich gesehen, noch mehr aber im Kontext mit den weiteren vier Bauvorhaben, gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Der Kläger betreibe auf seinem Grundstück einen landwirtschaftlichen Betrieb und nicht nur eine Hobbylandwirtschaft. Dieser sei weder vorübergehend noch dauerhaft eingestellt worden. Im Stallgebäude seien sämtliche Stalleinrichtungen weiterhin vorhanden, der Stall sei zu keiner Zeit ungenutzt oder zu anderen Zwecken als zur Schweinehaltung genutzt worden. Der am 9. November 2021 gestellte Bauantrag des Klägers betreffend den Umbau und Sanierung des bestehenden Stallgebäudes und den Einbau eines modernen Schweinestalls zeige dies. Die Schweinehaltung werde künftig wieder intensiv betrieben. Aufgrund der massiv heranrückenden Wohnbebauung sei davon auszugehen, dass dem Kläger erhebliche immissionsschutzrechtliche Auflagen gemacht würden, weshalb das Gebot der Rücksichtnahme verletzt würde. In einem Dorfgebiet müsse ein größerer Abstand der Wohnbebauung zum landwirtschaftlichen Betrieb eingehalten werden. Durch die Wohnbebauung wäre der Kläger in konkreten Erweiterungsabsichten beeinträchtigt oder diese würden gar unmöglich gemacht. Der bestehende Schweinestall sei seit jeher formell und materiell legal errichtet worden und genieße – eingeschlossen die Nutzung als Schweinestall – Bestandsschutz. Grundlegend verfehlt sei die Annahme des Beklagten, die Nutzung als Stall zur Tierhaltung sei aus baurechtlicher Sicht nicht mehr ohne erneute Baugenehmigung möglich. Die neuerliche Baugenehmigung beruhe darauf, dass der Stall saniert und modernisiert und die Tierhaltung erweitert werden solle, nicht auf der Fortführung oder Wiederaufnahme der Nutzung im vorhandenen Bestand. Die immissionsschutzrechtliche Beurteilung des Landratsamts sei fehlerhaft, da der Betrieb des Klägers zu berücksichtigen gewesen wäre. Die Wohnbebauung halte nicht die nach den immissionsschutzrechtlichen Vorgaben erforderlichen Abstände zum Schweinestall des Klägers ein.
26
Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2022 nahm das Landratsamt zum Schriftsatz des Klägers vom 16. Februar 2022 dahingehend Stellung, dass in den genehmigten Bauunterlagen Geländeauffüllungen dargestellt und somit Teil der Baugenehmigung seien. Die Geländeauffüllungen würden bei weitem nicht die vom Antragsteller vorgetragenen 2 m oder mehr betragen. Es sei nicht ersichtlich, weswegen eine Genehmigung nach dem Bayerischen Abgrabungsgesetz erforderlich sein sollte. Es sei unumgänglich, Abgrabungen vorzunehmen, um ein Kellergeschoss errichten zu können. Dies sei im Genehmigungsumfang enthalten. Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, inwieweit Abgrabungen nachbarschützende Vorschriften verletzen würden. Die Abgrabungen seien teilweise auch aus bodendenkmalfachlicher Sicht erforderlich. Während des Baufortschritts könne und dürfe es zu Abweichungen bei der Höhenlage des Grundstücks kommen. Umfang des Verfahrens seien ausschließlich die genehmigten Planunterlagen. Sollte sich herausstellen, dass der Kläger dauerhaft von den genehmigten Planunterlagen abweiche, obläge es der unteren Bauaufsichtsbehörde, ob bauaufsichtlich eingeschritten werde. Im Hinblick auf den Bestandsschutz eines landwirtschaftlichen Betriebs werde weiterhin von einer Nutzungsaufgabe ausgegangen, sodass der Kläger sich diesbezüglich nicht auf das Rücksichtnahmegebot berufen könne. Ein etwaiger Bestandsschutz sei vom Kläger nicht nachgewiesen worden. Es seien zu keiner Zeit Angaben zu bestandsgeschützten Tierzahlen oder Tierarten nachvollziehbar oder belegbar vorgetragen worden. Am 2. Februar 2022 sei der Bauantrag BV-Nr. ... beim Landratsamt eingegangen. Die Genehmigungsfähigkeit könne derzeit noch nicht beurteilt werden. Angaben zu Tierzahlen, Mistlagerung, etc. sowie eine Differenzierung zwischen vorhandenen und neuen Bauteilen bzw. Nutzungen würden fehlen. In den Antragsunterlagen sei keine Aussage zur zurückliegenden, aufgegebenen Bestandsnutzung getroffen worden. Diese stütze die Schlussfolgerung der Nutzungsaufgabe des Stallgebäudes. Die immissionsschutzfachliche Stellungnahme gehe daher zutreffend davon aus, dass ohne vorangegangenes Baugenehmigungsverfahren keine Tierhaltung möglich sei. Die vom Kläger zitierte Rechtsprechung liefe ins Leere, da keine bloße Wiederaufnahme der aufgegebenen Nutzung, sondern eine Intensivierung und Erweiterung der Tierhaltung erfolgen solle. Eine Verschattung des Grundstücks des Klägers scheide schon aus geografischer Sicht aus, da die Bebauung nördlich des Grundstücks des Klägers erfolge. Diese Belange regle das Abstandsflächenrecht der BayBO. Diese würden offensichtlich eingehalten.
27
Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2022 trug der Beigeladene vor, dass die vom Kläger monierten Aufschüttungen nicht dauerhaft seien. Das Vorhaben halte sämtliche Höhenvorgaben und Abstandsflächen ein. Eine Verschlechterung der rechtlichen Rahmenbedingungen für den Kläger sei nicht erkennbar, nachträgliche Auflagen seien nicht ersichtlich. Die Tierhaltung in dem Stall sei aufgegeben worden. Nach Außen habe sich ein Aufgabewille manifestiert, da der Kläger sich nicht um die fortwährende Genehmigungsfähigkeit des Stalls für die Tierhaltung gekümmert habe. Eine Erschwerung konkreter Erweiterungsabsichten sei mangels konkreter Planungen nicht ersichtlich. Der Stall könne in seiner jetzigen Form nicht für eine Tierhaltung genutzt werden. Es komme auf die aktuelle Nutzbarkeit und nicht auf eine potentielle, irgendwann mögliche Nutzbarkeit an. Das Landratsamt habe den Interessen des Klägers durch die Auflagen in der Baugenehmigung ausreichend und vollumfänglich Rechnung getragen. Ein Verstoß gegen vorgegebene Mindestabstände von Wohnbebauungen zu landwirtschaftlichen Anwesen liege nicht vor.
28
Am 24. Februar 2022 wurde in den Parallelverfahren unter den Az. Au 5 K 21.1660 und Au 5 K 21.1661 mündlich verhandelt. Der Kläger teilte in der mündlichen Verhandlung mit, dass er das Grundstück Fl.Nr. ... im Jahr 2009 erworben und den vorherigen Betrieb von Herrn K. gekannt habe. In den Jahren zwischen 1992 und 2009 habe dieser seiner Kenntnis nach auf dem Grundstück eine Landwirtschaft betrieben, er wisse jedoch nicht, in welchem Umfang und was genau Herr K. gemacht habe. Zwischen 2009 und 2014 habe seine Freundin auf dem Grundstück eher hobbymäßig Pferde untergestellt. Auf Nachfrage des Gerichts, was er aktuell auf dem Grundstück mache, gab der Kläger an, dass er dort landwirtschaftliche Maschinen unterstelle und seinen Betrieb weiter ausbauen wolle.
29
Mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 24. Februar 2022 wurden die Klagen in den Parallelverfahren Au 5 K 21.1660 und Au 5 K 21.1661 abgewiesen.
30
Mit Beschlüssen des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 3. März 2022 wurden die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt (Az. Au 5 S 22.320, Au 5 S 22.321 und Au 5 S 22.322). Die hiergegen gerichteten Beschwerden wurden jeweils mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. April 2022 zurückgewiesen (Az., ... und ...).
31
Mit Schriftsatz vom 3. Juni 2022 führte der Kläger u.a. aus, dass das Vorhaben als Außenbereichsvorhaben mangels Privilegierung bauplanungsrechtlich unzulässig sei. Rechne man das Baugrundstück dem Innenbereich zu, verstoße es unter dem Gesichtspunkt der heranrückenden Wohnbebauung gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Durch den bereits bestehenden landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers würden Immissionen wie Lärm, Staub und Geruch tagsüber, jedoch auch während der Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen auftreten. Der Kläger betreibe auf seinem Grundstück nicht lediglich eine Hobbylandwirtschaft, sondern einen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb. Sämtliche Stallungen seien auf dem landwirtschaftlichen Anwesen nach wie vor vorhanden und sowohl die Eltern des Klägers als auch er selbst würden auf den unstreitig am Hof befindlichen 7 ha Land Futtermittelanbau vornehmen. Die hierfür erforderlichen Maschinen und Geräte seien nach wie vor am Hof. Zu keiner Zeit habe sich auch nur ansatzweise der Wille nach Außen manifestiert, dass die landwirtschaftliche Nutzung aufgegeben werden solle. Hiergegen sprächen die Zahlung von Beiträgen zur Berufsgenossenschaft und nicht zuletzt auch die Einstufung durch das AELF als „aktiver Nebenerwerbsbetrieb“. Die ursprüngliche Stellungnahme des AELF sei falsch gewesen. Bei Zusammenrechnung aller von ihm bewirtschafteten Flächen baue der Kläger Futtermittel auf einer Fläche von 14,887 ha an. Es komme nicht darauf an, ob der Kläger tatsächlich die mögliche Nutzung ausreize und entsprechend viele Tiere in seinem Betrieb versorge. Es sei nach der Rechtsprechung des OVG Schleswig-Holstein darauf abzustellen, ob der Landwirt die Möglichkeit hierzu habe. Wenn er die Möglichkeit habe, seine Nutzung, die er teilweise oder sogar ganz eingestellt habe, wieder aufzunehmen, stehe ihm dies frei. Diese Möglichkeit sei bei der Beurteilung der Frage des Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme zwingend zu berücksichtigen. Werde bei dieser künftig möglichen (Aus-)Nutzung der genehmigten Tierhaltung gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen, weil die maßgeblichen Grenzwerte im Hinblick auf die heranrückende Wohnbebauung nicht mehr eingehalten werden könnten, so liege bereits dann ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vor. Alleine schon die Möglichkeit der tatsächlichen Nutzung des bereits bestehenden Schweinestalls und der unstreitig hierzu genehmigten Gülleanlage müsse also hinreichend berücksichtigt werden. Bei dem Bestandsgebäude handle es sich um einen Schweinestall, in dem eine Tierhaltung von derzeit etwa 50 Schweinen möglich sei. Diese Tierhaltung sei lediglich vorübergehend nicht vorgenommen worden. Der vorgelegte Bauantrag betreffend den Umbau und die Sanierung des bereits bestehenden Schweinestalls und den Einbau eines modernen Schweinestalls in das bestehende Stall- und Stadelgebäude vom 30. März 2022 zeige, dass der Kläger konkrete Erweiterungsabsichten im Hinblick auf die Erweiterung des Bestands auf 180 Schweine habe. Durch die Bauantragsunterlagen sei widerlegt, dass es sich dabei nur um vage und unrealistische Erweiterungsinteressen handle. Der landwirtschaftliche Betrieb des Klägers sei legal bestandsgeschützt. Ein Schreiben des Staatsarchivs A. vom 18. Mai 2022 bestätige die Existenz diverser älterer Baugenehmigungsbescheide für das klägerische Grundstück. Die Existenz der Unterlagen belege, dass das Wohnhaus nach einer Zerstörung durch Brand im Jahr 1872 wieder materiell und formell legal aufgebaut worden sei, im Jahr 1910 der Stadel ebenfalls legal errichtet worden sei und insbesondere im Jahr 1959 ein Schweinestall mit Waschküche sowie der Einbau von Keller und Garage genehmigt worden seien. Damit sei nachgewiesen, dass der Schweinestall als solcher materiell und formell legal errichtet worden sei und bis heute betrieben werde. Der Schweinestall, der zur Nutzung als solcher ausdrücklich genehmigt worden sei, befinde sich bis heute auf dem klägerischen Grundstück und sei nicht in genehmigungspflichtiger Hinsicht verändert worden. Der erforderliche Mindestabstand nach der VDI-RL 3471 werde ganz massiv unterschritten.
32
Mit Schriftsatz vom 30. August 2022 übersandte der Kläger Kopien der im Schreiben des Staatsarchivs vom 18. Mai 2022 aufgelisteten Genehmigungsunterlagen samt genehmigter Pläne. Für den nördlichen Gebäudekomplex in unmittelbarer Nähe der nördlichen Grundstücksgrenze der Fl.Nr. ... handelt es sich um folgende Baugenehmigungen:
33
- Baugenehmigung samt Plan aus dem Jahr 1872 „zum Wiederaufbauen des abgebrannten Wohnhauses für J.K:“ (Az. ...),
34
- Genehmigter Bauplan aus dem Jahr 1906 für einen „Anbau“ bzw. „über einen Viertelanbau für den Oekonomen J.K.“ (Az. ...),
35
- Baugenehmigung aus dem Jahr 1928 für einen neuen Kamin im (westlichen) Wohntrakt (Az. ...),
36
- Baugenehmigung des Vorhabens „Aufbau eines Kniestocks auf Scheune“ aus dem Jahr 1935 (Az. ...),
37
- Baugenehmigung des Vorhabens „Aufbau eines Kniestocks auf Wohnhaus“ aus dem Jahr 1950 (Az. ...).
38
Für das kleinere, südlich gelegene Nutzgebäude wurden folgende Genehmigungsunterlagen aus dem Staatsarchiv in Kopie eingereicht:
39
- Baugenehmigung aus dem Jahr 1910 „über Herstellung eines neuen Stadels für den Oekonomen J.K.“ (Az. ...),
40
- Baugenehmigung des Vorhabens „Anbau eines Schweinestalls mit Waschküche und Einbau eines Kellers sowie einer Garage“ aus dem Jahr 1959 (Az. ...).
41
Ferner wurde die Kopie einer archivierten Baugenehmigung aus dem Jahr 1967 für eine „Fassadenänderung“ sowie den „Neubau einer Dunglege mit Jauchegrube“ vorgelegt (Az. ...). Aus den Bauplänen ergibt sich, dass sich die Fassadenänderung auf den (westlichen) Wohntrakt im nördlichen Gebäudekomplex bezieht. Der Standort für die Dunglege mit Jauchegrube lässt sich den Unterlagen aus dem Staatsarchiv nicht eindeutig entnehmen; aus den vorliegenden Behördenunterlagen ist aber abzuleiten, dass diese Anlage unmittelbar nordwestlich des kleineren südlichen Nutzgebäudes zu verorten ist (vgl. die vom Kläger dem Landratsamt vorgelegte Planzeichnung mit Lageplan Bl. 29 der Bauakte ...).
42
Die Anträge auf Zulassung der Berufung gegen die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg mit den Az. Au 5 K 21.1661 und Au 5 K 21.1660 wurden jeweils durch Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Oktober 2022 abgelehnt (Az. ... und ...).
43
Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2022 führte der Kläger – unter Auseinandersetzung mit den Beschlüssen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Oktober 2022 – weiter klagebegründend aus. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe in den Parallelhauptsacheverfahren darauf abgestellt, dass kein hinreichender Nachweis dahingehend erbracht worden sei, dass eine Baugenehmigung vorliege, die auch die Schweinehaltung abdecke, dass aufgrund langjähriger Nutzungsaufgabe der Bestandschutz erloschen sei und dass nicht erkennbar gewesen sei, dass sich die Rahmenbedingungen für den Kläger durch die Wohnbebauung verschlechterten. Der Kläger habe zwischenzeitlich weitergehende Unterlagen und Informationen eingeholt, die eine Baugenehmigung für die Nutzung der landwirtschaftlichen Gebäude zum Zwecke der Tier- und Schweinehaltung hinreichend belegen könnten. Bis heute würden diese baulichen Anlagen zu landwirtschaftlichen Zwecken genutzt, zu einem Teil als Wohnhaus und des Weiteren als Stallungen und zur Unterstellung von landwirtschaftlichem Gerät. In den Stallungen seien nach wie vor Stalleinrichtungen für Tier- bzw. insbesondere Schweinehaltung vorhanden. Diese seien vom Voreigentümer eingebaut worden und befänden sich unverändert bis heute dort. Mit dem Schriftsatz wurden nochmals Unterlagen vorgelegt, die bereits mit Schriftsatz vom 30. August 2022 als Anlagen G 3 bis 6 und G 8 und 9 übersandt worden waren und die – ausweislich der dortigen Sachverhaltsdarstellung – auch dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vor Erlass der Beschlüsse vom 11. Oktober 2022 (Az. ... und ...) wohl bereits vorgelegen haben. Aufgrund der vorgelegten Unterlagen sei festzuhalten, dass sich die Genehmigungshistorie aller auf dem Grundstück des Klägers befindlichen Gebäude lückenlos darstellen lasse und dass das Mittelgebäude an der nördlichen Grenze, das bis heute unverändert im Bestand vorhanden sei und in dem sich bis heute Stallungen befänden, als landwirtschaftliches Anwesen genehmigt worden sei. Dieses Mittelgebäude sei ausweislich der Unterlagen zur landwirtschaftlichen Nutzung genehmigt worden, insbesondere als Stall und als Tenne. Auch der Anbau östlich des Mittelgebäudes sei zur landwirtschaftlichen Nutzung genehmigt worden und bestehe als solcher bis heute noch. Das südlich abgesetzte Gebäude sei ebenfalls zu landwirtschaftlichen Zwecken genehmigt worden und später sei dort ein Schweinestall und eine Garage genehmigt worden. Damit stehe fest, dass der Kläger sich auf eine bestandsgeschützte Tierhaltung, insbesondere eine genehmigte Schweinehaltung, berufen könne, die er unter dem Gesichtspunkt einer für ihn rücksichtlosen heranrückenden Wohnbebauung der angefochtenen Baugenehmigung entgegenhalten könne. Der Kläger habe zu keinem Zeitpunkt die Landwirtschaft aufgegeben, sondern sie allenfalls auf ein geringeres Maß reduziert. Es fehlten jegliche Anhaltspunkte, die auf eine Aufgabe des landwirtschaftlichen Betriebs hindeuten könnten. Auch die Erweiterungsabsichten des Klägers seien vor heranrückender Wohnbebauung geschützt. Zum Zeitpunkt der Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung seien diese dem Landratsamt bereits bekannt gewesen. Ausgehend von der Annahme, dass in dem Schweinestall im südlichen Nutzgebäude auf dem klägerischen Grundstück 100 Schweine gehalten werden könnten, sei die erforderliche Entfernung zwischen Wohnbebauung und klägerischem landwirtschaftlichem Betrieb anhand der VDI-RL 3471 zu bemessen. Danach betrage der erforderliche Mindestabstand 100 m. Zwischen dem genehmigten Schweinestall und dem Wohnzimmer des Neubauvorhabens bestehe eine maximale Entfernung von nicht einmal 30 m. Damit werde der erforderliche Mindestabstand nach der VDI-RL 3471 ebenso wie nach den Vorgaben der VDI-RL 3894 Blatt 1 und Blatt 2 ganz massiv unterschritten, wodurch das Gebot der Rücksichtnahme erheblich verletzt werde.
44
Mit Schriftsatz vom 14. März 2023 führte der Kläger weiter aus, dass zwischenzeitlich seitens eines Sachverständigenbüros eine Ausbreitungsrechnung vorgenommen worden sei. Bei der Berechnung sei vom aktuellen Bestand ausgegangen worden, der ausweislich der vorgelegten Genehmigungen und Planunterlagen aus dem Staatsarchiv eine Haltung von 100 Schweinen sowie eine offene Güllegrube umfasse. Festgestellt worden sei zunächst, dass der Beitrag der offenen Güllegrube bei etwa einem Drittel der Gesamtemissionen im Bestandsszenario liege, also die Güllegrube alleine bereits einen erheblichen Beitrag zu den aktuellen – genehmigten – Geruchsemissionen leiste. An den neuen Wohnbebauungen würden Wahrnehmungshäufigkeiten von 0,65 (65% der Jahresstunden) unter Berücksichtigung des tierartspezifischen Gewichtungsfaktors von 0,65 hervorgerufen. Dies belege, dass der Kläger aufgrund der unzulässigen Zusatzbelastung durch die neue Wohnbebauung gezwungen werde, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, um die Belastungen für die neue Wohnbebauung zu reduzieren. Dies belege deutlich, dass der genehmigte landwirtschaftliche Betrieb mit einem derzeit genehmigten Bestand von 100 Schweinen und vor allem auch die geplante Erweiterung auf 180 Schweine durch die heranrückende Wohnbebauung zu zusätzlichen Maßnahmen gezwungen werde.
45
Nach statistischer Erledigung wurden die Verfahren mit den Az. Au 5 K 21.2570, Au 5 K 21.2571 und Au 5 K 21.2573 unter den Az. Au 5 K 23.776, Au 5 K 23.777 und Au 5 K 23.778 fortgeführt.
46
Am 29. Juni 2023 wurde in der Sache mündlich verhandelt. Auf das dabei gefertigte Protokoll wird ergänzend verwiesen, ebenso wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichts- und die Behördenakte, auch in den Verfahren Au 5 K 21.1660, Au 5 K 21.1661, Au 5 K 23.776 und Au 5 K 23.778, jeweils samt dazugehöriger Eilverfahren.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
48
Der Kläger wird durch den Bescheid des Landratsamts vom 24. November 2021 (Az. ...) nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
49
Dritte – wie hier der Kläger als Nachbar – können sich mit einer Anfechtungsklage nicht schon dann gegen einen Baugenehmigungsbescheid zur Wehr setzen, wenn dieser lediglich (objektiv) rechtswidrig ist. Vielmehr muss mit Blick auf § 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO für den Erfolg der Nachbarklage eine subjektive Rechtsverletzung des Nachbarn vorliegen. Hierfür muss eine Norm verletzt worden sein, die gerade dem Schutz des Dritten / Nachbarn zu dienen bestimmt ist (BayVGH, B.v. 13.9.2022 – 15 CS 22.1851 – juris Rn. 8; B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 70). Ob eine angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten verletzt, beurteilt sich grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung, hier also dem 24. November 2021. Nur nachträgliche Änderungen zugunsten des Bauherren sind zu berücksichtigen. Änderungen zu seinen Lasten haben außer Betracht zu bleiben (BVerwG, B.v. 8.11.2010 – 4 B 43/10 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 15 CS 21.544 – juris Rn. 49).
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Vorliegend vermag die Kammer keine subjektive Rechtsverletzung des Klägers zu erkennen, da die streitgegenständliche Baugenehmigung weder nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts (hierzu nachfolgend unter 1.), noch aufgrund der vorgenommenen Aufschüttungen nachbarschützende Vorschriften (hierzu nachfolgend unter 2.), noch nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts (hierzu nachfolgend unter 3.) verletzt.
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1. Es liegt kein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts vor.
52
a) Das Vorhaben verstößt nicht gegen das Gebot des Einfügens in § 34 BauGB hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung.
53
Wie bereits in den Hauptsacheverfahren mit den Az. Au 5 K 21.1660 und Au 5 K 21.1661 sowie im hiesigen Eilverfahren dargelegt, geht die Kammer davon aus, dass, ohne dass es einer weitergehenden Konkretisierung des Umgriffs der für die Frage des Einfügens maßgeblichen Umgebungsbebauung bedürfte, die Baugrundstücke und die nähere Umgebung bauplanungsrechtlich als Dorfgebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB, § 5 BauNVO einzustufen sind. Das mit dem streitgegenständlichen Bescheid genehmigte Bauvorhaben ist daher als Wohngebäude nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO im (faktischen) Dorfgebiet allgemein nach der Art der Nutzung zulässig (siehe ausführlich: VG Augsburg, U.v. 24.2.2022 – Au 5 K 21.1660 – UA Rn. 56 ff.; B.v. 3.3.2022 – Au 5 K 22.321 – UA Rn. 51 ff.).
54
Selbst wenn man der Auffassung des Klägerbevollmächtigten folgend davon ausgehen wollte, dass das Vorhaben im Außenbereich nach § 35 BauGB verwirklicht werden sollte, ließe sich hieraus vorliegend kein Verstoß in drittschützenden Rechten ableiten. Die Rechtsordnung kennt keinen allgemeinen, dem Gebietserhaltungsanspruch im Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 2 BauGB vergleichbaren bauplanungsrechtlichen Anspruch eines Nachbarn auf die Bewahrung des Außenbereichs und damit keinen grundsätzlichen, von der konkreten Betroffenheit unabhängigen Abwehranspruch eines Dritten gegen Vorhaben, die im Außenbereich objektiv nicht genehmigungsfähig sind. Im Außenbereich begrenzt sich der bauplanungsrechtliche Nachbarschutz auf das über § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB oder § 35 Abs. 1 und 2 BauGB Anwendung findende Rücksichtnahmegebot (BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 70), dessen Verletzung der Kläger vorliegend gerade nicht dargelegt hat (siehe nachfolgend unter c) – e)).
55
b) Das Vorhaben verstößt nicht gegen das in § 34 Abs. 1 BauGB genannte Erfordernis des Einfügens in die nähere Umgebung in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche.
56
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass § 34 Abs. 1 BauGB abgesehen von der Art der baulichen Nutzung keine generell drittschützende Wirkung entfaltet (BayVGH, B.v. 5.12.2022 – 9 ZB 22.1076 – juris Rn. 10 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass sich das Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, sind zudem weder vorgetragen noch ersichtlich.
57
c) Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme aufgrund einer heranrückenden Wohnbebauung.
58
aa) Dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme, das bei Einstufung des Standorts des Beigeladenenvorhabens als Innenbereichslage über § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO – bzw. bei Einstufung als Außenbereichsvorhaben über § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB oder über das in § 35 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB verankerte allgemeine Verbot des Entgegenstehens / Beeinträchtigens eines „Belangs“ – Anwendung findet, kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Soweit – wie vorliegend – ein Rücksichtnahmeverstoß aufgrund von Immissionsbelastungen geltend gemacht wird, wird zur Konturierung der Zumutbarkeitsschwelle des Rücksichtnahmegebotes auf die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts, also auf die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen i.S.v. §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) zurückgegriffen. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Beachtenspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt. Eine heranrückende Wohnbebauung bzw. eine sonstige heranrückende immissionsempfindliche Nutzung verletzt daher gegenüber einem bestehenden emittierenden (insbes. landwirtschaftlichen) Betrieb das Gebot der Rücksichtnahme, wenn ihr Hinzutreten die rechtlichen immissionsbezogenen Rahmenbedingungen, unter denen der Betrieb arbeiten muss, gegenüber der vorher gegebenen Lage verschlechtert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Betrieb aufgrund der hinzutretenden Bebauung mit nachträglichen immissionsschutzrechtlichen Auflagen rechnen muss (zum Ganzen BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16; B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 25 m.w.N.). Von daher kann sich auf eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes wegen einer geplanten Wohnnutzung in der Nachbarschaft grundsätzlich auch ein Landwirt berufen, von dessen vorhandenem Betrieb Immissionen ausgehen, die im Fall der Umsetzung einer geplanten immissionsempfindlichen (z.B. Wohn-) Nutzung in der Nachbarschaft für diese als unzumutbar zu bewerten wäre (BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 26).
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Ob Immissionen im jeweiligen Einzelfall unzumutbar sind, hängt bei Geruchsimmissionen maßgeblich davon ab, welche Tierart und welche Tieranzahl bzw. Großvieheinheit (GV) für den bestehenden Tierhaltungsbetrieb anzusetzen sind (zu diversen sachverständigen Orientierungshilfen, insbesondere zu Abstandstabellen unterschiedlicher Provenienz sowie zur Beurteilung anhand von Geruchsstundenhäufigkeiten am Maßstab der Geruchsimmissionsrichtlinie zusammenfassend BayVGH, B.v. 4.12.2019 – 15 CS 19.2048 – juris Rn. 24 m.w.N.). Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass ein Viehbestand eines landwirtschaftlichen Betriebs hinsichtlich seiner Größe und seiner Zusammensetzung gewissen Schwankungen unterliegt und sich deshalb eine statische Betrachtungsweise (z.B. auf den momentanen Ist-Zustand) verbietet, richtet sich das Spektrum potentieller Nutzungsvarianten und damit die Beantwortung der Frage, von welcher bestandsgeschützten Tierhaltungsmöglichkeit für einen benachbarten landwirtschaftlichen Betrieb auszugehen ist, nicht danach, welche Nutzungsweise dem benachbarten Landwirt nach Lage der Dinge zweckmäßig erscheint, sondern danach, welche Nutzung bauaufsichtlich genehmigt ist. Denn nur die Beeinträchtigungen, die eine legale Nutzung mit sich bringt, können im Rahmen des vom Gebot der Rücksichtnahme geforderten Interessenausgleichs als Vorbelastung in Ansatz gebracht werden, die der Rücksichtnahmeverpflichtete hinzunehmen hat. Im Rahmen der Anwendung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes ist daher unter dem Gesichtspunkt des Bestandsschutzes das Emissionspotenzial solcher Tierhaltungen auf Seiten des Landwirts anzusetzen, was nach Maßgabe der Variationsbreite der für seinen Betrieb erteilten Baugenehmigungen ausgeschöpft werden darf. Grenzen sind immissionsrelevanten Nutzungen des Landwirts mithin insoweit gesetzt, als sie auf den genehmigten Baubestand beschränkt und an den genehmigten Nutzungszweck gebunden sind. Genehmigungsbedürftige Stallnutzungen, die zwar faktisch ausgeübt werden bzw. in der Vergangenheit einmal faktisch ausgeübt worden sind, aber nicht genehmigt worden sind und deshalb über das hinausgehen, was durch die vorhandene Baugenehmigung gedeckt wird, unterliegen deshalb unter dem Gesichtspunkt des Bestandsschutzes keiner Rücksichtnahmepflicht (BVerwG, U.v. 14.1.1993 – 4 C 19.90 – juris Rn. 27; BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 26, 30).
60
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Unerweislichkeit von Tatsachen, aus denen ein Beteiligter ihm günstige Rechtsfolgen herleitet, grundsätzlich zu seinen Lasten geht. Beruft sich ein betroffener Eigentümer auf Bestandsschutz aus einer legalisierenden Baugenehmigung, so trägt dieser daher hierfür die materielle Beweislast und damit das Risiko der Nichterweislichkeit (BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 30).
61
bb) Unter Anwendung dieser Grundsätze kann der Kläger sich nicht darauf berufen, dass von dessen bestandsgeschützter landwirtschaftlichen Tier- bzw. Schweinehaltung Immissionen ausgehen, die für das Vorhaben als unzumutbar zu bewerten wären.
62
Hinsichtlich der Frage, auf welche bestandsgeschützten, immissionsrelevanten Stallnutzungen des Klägers vorliegend bei einer heranrückenden Wohnnutzung Rücksicht zu nehmen ist, kommt es nach Maßgabe der o.g. Grundsätze darauf an, ob der genehmigungspflichtige Baubestand als solcher sowie auch seine Nutzung zu Tier-/Schweinehaltungszwecken von (nachgewiesenen) Baugenehmigungen abgedeckt ist.
63
(1) Die ausschließlich auf den Wohnt rakt bezogenen Baugenehmigungen aus den Jahren 1872 („Wiederaufbauen des abgebrannten Wohnhauses“), 1928 (Kamin) und 1950 („Aufbau eines Kniestocks auf Wohnhaus“) und 1967 („Fassadenänderung“) haben von vornherein keine Aussagekraft für die Gestattung einer Tierhaltung. Dasselbe gilt für die in den Bauakten befindliche (nicht mit Behördenunterschrift sowie Genehmigungsstempel versehene) Bauplan-Zweitschrift für den Einbau einer Garage aus dem Jahr 1955. Die Baugenehmigung aus dem Jahr 1967, soweit diese auch den „Neubau einer Dunglege mit Jauchegrube“ gestattet, mag ein Indiz für eine vormals vorhandene und möglicherweise auch genehmigte Tierhaltung sein, sie sagt jedoch nichts darüber aus, für welches Gebäude, für welche Tierart und in welchem Umfang eine eventuelle Tierhaltung genehmigt wurde und ob betreffende, zur Tierhaltung genehmigte Räumlichkeiten heute noch bestehen. Insofern hat die Baugenehmigung aus dem Jahr 1967 mangels messbarer Parameter für die Beurteilung der konkreten Geruchsbelastung für die Anwendung des Rücksichtnahmegebotes von vornherein keine Aussagekraft (vgl. zum Parallelverfahren für das Doppelhaus auf dem (heutigen) Fl.Nrn-Paar …4 und …5: BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 52).
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(2) Auch im Übrigen gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass hinsichtlich der Nutzgebäudeteile im nördlichen Baukomplex eine aufgrund einschlägiger Baugenehmigungen bestandsgeschützte landwirtschaftliche Tier-/Schweinehaltung zu verorten ist, auf die im Rahmen der Erteilung der angefochtenen Baugenehmigung vom 24. November 2021 für das streitgegenständliche Doppelhausvorhaben des Beigeladenen Rücksicht zu nehmen war.
65
Eine Baugenehmigung für den heute existierenden, östlich an den Mittelteil des in Grenznähe errichteten nördlichen Baukomplexes angebauten, schmaleren Nutzteil mit den ungefähren Maßen 7,30 m Tiefe (in Nord-Süd-Richtung) x 11,30 m Länge (in West-Ost-Richtung), der in der Planzeichnung des (in Kopie vorliegenden, nicht beschiedenen) Bauantrags des Klägers vom 9. November 2021 als „Schweinestall 2“ bezeichnet wird, wurde weder vorgelegt noch sonst vom Kläger nachgewiesen. Eine Genehmigung, die diesen Teil des nördlichen Baubestands abdeckt, war insbesondere in den vorgelegten Kopien der im Staatsarchiv ... eingelagerten Baugenehmigungen nicht enthalten.
66
Für den sonstigen Baubestand des nördlichen Baukomplexes im Übrigen (westlicher Wohntrakt und östlich anschließender Nutz- / Mitteltrakt) wurden zwar Baugenehmigungen vorgelegt. Hieraus ist aber nicht erkennbar, dass von diesen Baugenehmigungen eine vom Kläger ausschließlich thematisierte Schweinehaltung jemals abgedeckt war. Im Bauplan von 1872 „zum Wiederaufbauen des abgebrannten Wohnhauses“, der mit Schriftsatz vom 30. August 2022 als Anlage G 2 vorgelegt wurde, ist im östlichen Anschluss an den Wohntrakt ein etwa 13 m langer Nutztrakt dargestellt, der ohne eine Beschriftung mit Nutzungszuordnungen in drei etwa gleich große Teile gegliedert ist. In der Planzeichnung sind im Bereich des zunächst an das Wohnhaus anschließenden (westlichsten) Nutzteils zwei Planken / Raumteiler (in Nord-Süd-Ausrichtung) eingezeichnet, die einen Durchgang ermöglichen und die diesen Gebäudebereich offen, d.h. ohne absolute Abtrennung, in einen etwas größeren westlichen, wohntraktnäheren Teilbereich und einen etwas kleineren östlichen, gangähnlichen Teilbereich einteilen.
67
Der Bauplan aus dem Jahr 1906, der mit Schriftsatz vom 30. August 2022 als Anlage G 3 und nochmals mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2022 als Anlage P 1 vorgelegt wurde, umfasst eine Verlängerung des Nutztrakts um ca. 4,50 m nach Osten und stellt in den Bauplänen zusammen mit dem Bestand einen (nördlichen) Gesamt-Nutzteil etwa in den Maßen des heute existierenden Mittelteils des nördlichen Gebäudekomplexes dar. Im genehmigten Bauplan werden die an den ersten Teilkomplex anschließenden Teilbereiche des Nutzungstrakts, die im Vergleich zu den Plänen aus dem Jahr 1872 baulich unverändert bleiben sollen, als „Tenne“ und „Viertel“ bezeichnet. Der 1906 neu genehmigte östlichste Nutzteil wird – ohne konkrete Nutzungsangabe – in der Planzeichnung als „Anbau“ und im handschriftlichen Textteil der Genehmigungsunterlagen als „Viertelanbau“ bezeichnet.
68
Die mit Schriftsatz vom 30. August 2022 als Anlage G 6 und mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2022 als Anlage P 4 vorgelegte Kopie der Baugenehmigung aus dem Jahr 1935 gestattet für den bestehenden (nördlichen) Wirtschaftsgebäudeteil ausschließlich das Vorhaben „Aufbau eines Kniestocks“. In der Planzeichnung zur Baugenehmigung aus dem Jahr 1935 wird im Bestand der östlich an das Wohnhaus anschließende Nutzteil in der Fläche mit einer Tiefe von 8,80 m (in Nord-Süd-Ausrichtung) und einer Gesamtlänge von 17,20 m (West-Ost-Ausrichtung) angegeben. Die tatsächlichen Bestandsnutzungen des Nutzungstrakts werden in der Planzeichnung – informatorisch, d.h. ohne ersichtliche Nutzungsänderungsgenehmigung – wie folgt angegeben: „Stall“ (westlichster, unmittelbar an den Wohntrakt anschließender Nutzungsteil), „Futtertenne“ (östlich anschließender Bereich), „Viertel“ (nördlicher Teil des östlich an die „Futtertenne“ angrenzenden Teilbereichs), „Pferdestall“ (südlicher Teil des östlich an die „Futtertenne“ angrenzenden Teilbereichs) und „Schweinestall“ (östlichster Teil des Nutzungstrakts = im Jahr 1906 genehmigter „Anbau“ bzw. „Viertelanbau“, etwas verkleinert umgesetzt). Letzterer ist in der Planzeichnung aus dem Jahr 1935 über eine durchgehende, abschließende Raumabtrennung in Nord-Süd-Richtung in einen westlichen Gangbereich (Fläche in den Innenmaßen etwa 8 m x 1 m) und einen abgeschlossenen östlichen Bereich für die Unterbringung der Tiere (Fläche in den Innenmaßen etwa 8 m x weniger als 2 m, insgesamt ca. 15 m²) eingeteilt.
69
Mit der Vorlage dieser Genehmigungsunterlagen vermag der Kläger keine genehmigte und deshalb bestandsgeschützte Schweinestallnutzung darzulegen. Soweit Baugenehmigungen die Nutzung eines landwirtschaftlichen Gebäudes als „Tenne“ oder als „Viertel“ gestatten, hat dies mit einer genehmigten Stallnutzung / Tierhaltung nichts zu tun. Die Bezeichnung „Viertel“ meint einen Lager- bzw. Aufbewahrungsplatz in einer Scheune für die eingebrachte Ernte, etwa für Korn, Heu oder die Garben, bis sie gedroschen werden. Der Begriff „Tenne“ im engeren Sinn umschreibt den D.platz z.B. in einer Scheune, in einem weiteren Sinn wird der Begriff auch als der befestigte Boden einer Scheune bzw. als Synonym für die Scheune selbst verstanden. Die zeichnerische Einteilung des (nicht mit einer konkreten Nutzungsbezeichnung versehenen) westlichen Bereichs des Nutztrakts in den Planzeichnungen der Baugenehmigungen von 1872, 1906 und 1935 lässt auf eine Haltung einiger weniger Rinder in Anbindehaltung schließen, nicht aber auf eine klassische Schweinehaltung (mit typischerweise in sich abgeschlossenen Halteboxen). Dies bestätigt die Planzeichnung zur Baugenehmigung aus dem Jahr 1935, die – ohne ausdrückliche Genehmigung einer Nutzungsänderung – für den Baubestand neben dem unveränderten westlichen Nutzungsbereich „Stall“ (in derselben mit Raumteilern dargestellten Ausstattung und Größe) die weiteren, vormals so nicht genehmigten Nutzungsbereiche „Pferdestall“ (Mitte) und „Schweinestall“ (östlicher Bereich) benennt, woraus zu schließen ist, dass der allgemeine „Stall“-Bereich im westlichen Gebäudeteil für eine andere, nicht auf Pferde und Schweine bezogene Tierhaltung ausgerichtet war (vgl. zum Parallelverfahren für das Doppelhaus auf dem (heutigen) Fl.Nrn-Paar …4 und …5: BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 56). Jedenfalls ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen nicht, für welche Tierart und in welchem Umfang eine eventuelle Tierhaltung in dem als „Stall“ bezeichneten Bereich genehmigt wurde. Insofern hat auch die Planzeichnung zur Baugenehmigung aus dem Jahr 1935 – ohnehin ohne ausdrückliche Genehmigung einer Nutzungsänderung – mangels messbarer Parameter für die Beurteilung der konkreten Geruchsbelastung für die Anwendung des Rücksichtnahmegebotes keine Aussagekraft.
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Unabhängig davon, dass sich somit aus den vorgelegten Unterlagen keine genehmigte Schweinehaltung im nördlichen Gebäudekomplex ergibt, kann der Kläger die beabsichtigte und geltend gemachte Schweinehaltung auch nicht auf die Variationsbreite der vorgelegten Baugenehmigungen stützen. Die Frage, ob eine von der Planzeichnung oder einem bezeichneten Genehmigungsgegenstand nicht 1 zu1 gedeckte Nutzung noch von der Variationsbreite bestehender Baugenehmigungen gedeckt ist (und ohne gem. Art. 55 Abs. 1, Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO genehmigungspflichtige Nutzungsänderung zu sein), beurteilt sich in bauplanungsrechtlicher Hinsicht am Maßstab von § 29 Satz 1 BauGB danach, ob die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten Belange berührt werden und deshalb die Genehmigungsfrage neu aufgeworfen wird (BVerwG, U.v. 14.1.1993 – 4 C 19.90 – juris Rn. 27 m.w.N.; BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 57). Das ist der Fall, wenn für die neue Nutzung weitergehende Vorschriften gelten als für die alte, aber auch dann, wenn sich die Zulässigkeit der neuen Nutzung nach derselben Vorschrift bestimmt, nach dieser Vorschrift aber anders zu beurteilen ist als die frühere Nutzung. In letzterem Sinne bauplanungsrechtlich relevant ist eine Änderung der Nutzungsweise daher auch dann, wenn sie für die Nachbarschaft erhöhte Belastungen mit sich bringt bzw. bringen kann. Wird eine bauaufsichtliche Genehmigung für eine die Tierhaltung einschließende landwirtschaftliche Nutzung erteilt, so ist damit nicht jede beliebige Art der Tierhaltung legalisiert. Die Anforderungen, die zu stellen sind, differieren danach, ob die genehmigte Stallung einer mehr oder weniger geruchsintensiven Tierhaltung dient. Der Übergang von einer ausdrücklich genehmigten emissionsarmen zu einer nicht ausdrücklich genehmigten emissionsträchtigeren Tierhaltungsform liegt mithin außerhalb des von der Baugenehmigung gedeckten Variationsspektrums.
71
Sofern der Kläger auf Seite 36 des Schriftsatzes vom 20. Dezember 2022 vorgetragen hat, dass für den nördlichen Baukomplex zweifellos eine Viehhaltung genehmigt worden sei, lässt sich daraus nicht ableiten, dass damit auch der Übergang von dieser Viehhaltung zu einer Schweinehaltung umfasst ist. Anhand der Baugenehmigungen aus den Jahren 1872 und 1906 ergibt sich keine Variationsbreite, die auch eine Schweinestallnutzung deckt. Hierfür käme allenfalls der westlichste, nach der Planzeichnung auf eine begrenzte Rinderstallnutzung in Anbindehaltung bezogene Teil des Nutzungstrakts in Betracht. Allerdings geht eine Stallnutzung für einzelne wenige Rinder typischerweise mit geringeren Geruchsimmissionen einher als eine Schweinehaltung auf gleicher Fläche. Hinsichtlich des Klägervortrags, dass eine Pferdehaltung genehmigt worden sei, die nicht weniger emissionsarm als eine Schweinehaltung sei, ist – abgesehen davon, dass die Bezeichnung als „Pferdestall“ in der Planzeichnung zur Baugenehmigung aus dem Jahr 1935 lediglich informatischen und nicht etwa legalisierenden Charakter hat – darauf hinzuweisen, dass der Tiergewichtungsfaktor für Pferde mit 0,5 niedriger ist als der für Mastschweine mit 0,75 (vgl. Tabelle 24 im Anhang 7 der TA Luft 2021, so vormals auch in Tabelle 4 der Geruchsimmissionsrichtlinie). Insofern würde der Übergang von einer Pferdehaltung zu einer Schweinehaltung durchaus einen Übergang von einer emissionsärmeren zu einer nicht ausdrücklich genehmigten, emissionsträchtigeren Tierhaltungsform darstellen, der außerhalb eines von einer Baugenehmigung als Pferdestall gedeckten Variationsspektrums läge. Wie bereits erwähnt, umfasst die Baugenehmigung aus dem Jahr 1935 aber ausdrücklich nach ihrem Betreff sowie nach der Darstellung in der Planzeichnung nur die Gestattung der baulichen Veränderung (Kniestockaufbau), die Nutzungen einzelner Gebäudeabschnitte werden lediglich als Bestand informatorisch dargestellt. Insofern ergibt sich hieraus auch keine Legalisierung einer Schweinehaltung im östlichen Nutzteil. Ohne, dass es hierauf ankommt, wird ergänzend auf Folgendes hingewiesen: Geht man – dem Kläger folgend – davon aus, dass nach heutigem Standard einem 50 kg bis 110 kg schweren Mastschwein mindestens 0,75 m² zur Verfügung stehen müssen, wäre bei einer Fläche von ca. 15 m², die – wie jedoch nicht – für Schweinehaltung genehmigt wurde, eine Haltung von nur 20 Schweinen möglich. Dies ist von der vom Kläger beabsichtigten und geltend gemachten Schweinehaltung weit entfernt.
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(3) Konkrete Anhaltspunkte für eine (ehemals) genehmigte Schweinehaltung sind lediglich in Bezug auf das kleinere, südlich gelegene Gebäude ersichtlich.
73
Die mit Schriftsatz vom 30. August 2022 als Anlage G 4 und mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2022 als Anlage P 2 vorgelegte Baugenehmigung aus dem Jahr 1910 zur „Herstellung eines neuen Stadels“ betrifft ausweislich des Lageplans das südliche Nutzgebäude – und nicht, wie der Klägerbevollmächtigte auf Seite 16 des Schriftsatzes vom 20. Dezember 2022 vorgetragen hat, das nördliche Gebäude – und umfasst eine ca. 11 m x 8 m große bauliche Anlage mit drei Raumbereichen, von denen der Mittelteil als „Tenne“ bezeichnet wird, die westlich und östlich durch jeweils als „Viertel“ bezeichnete Nutzräume flankiert wird. Die für dieses Gebäude zudem mit Schriftsatz vom 30. August 2022 als Anlage G 8 und mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2022 als Anlage P 5 vorgelegte Baugenehmigung aus dem Jahr 1959 gestattet neben der Unterkellerung des östlichen „Viertels“ und eines Garagenanbaus (Westseite) die Errichtung eines Anbaus an der Ostseite, der das Bestandsgebäude laut genehmigtem Bauplan in West-Ost-Richtung innen um 5,10 m verbreitert. Der Anbau, der eine Fläche von ca. 45 m² hat, sieht eine Fläche für eine Waschküche vor und im Übrigen einen Schweinestall mit eingezeichnetem Mittelgang. Laut genehmigtem Bauplan stehen für die Unterbringung von Schweinen ca. 25 m² zur Verfügung.
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Aus den vorgelegten Baugenehmigungen für das südliche Nutzgebäude wird deutlich, dass allein der östliche Anbau für eine Nutzung als Schweinestall genehmigt wurde. Wie oben bereits dargestellt, haben Baugenehmigungen, die die Nutzung eines landwirtschaftlichen Gebäudes als „Tenne“ oder als „Viertel“ gestatten, nichts mit einer genehmigten Stallnutzung / Tierhaltung zu tun. Der klägerische Vortrag auf Seite 36 des Schriftsatzes vom 20. Dezember 2022, wonach eine Fläche von 70 m² zum Zwecke der Schweinehaltung zur Verfügung stünden, ist damit unzutreffend. Geht man wiederum davon aus, dass nach heutigem Standard einem 50 kg bis 110 kg schweren Mastschwein mindestens 0,75 m² zur Verfügung stehen müssen, ergibt das bei einer Fläche von 25 m², die für Schweinehaltung genehmigt wurde, eine (ehemals) genehmigte Haltung von 33,33 Schweinen und nicht – wie vom Kläger zuletzt vorgebracht – von 100 Schweinen.
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(4) Selbst im Fall der Unterstellung eines vormaligen Bestandsschutzes für eine landwirtschaftliche Tier-/Schweinehaltung ist dieser mit Blick auf die „langjährige Nutzungsaufgabe“ zwischenzeitlich jedenfalls erloschen. Das gilt sowohl für das nördliche als auch das südliche Nutzgebäude.
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Da der durch eine Baugenehmigung vermittelte Bestandsschutz durch Gesetzes- bzw. Landesrecht als Inhaltsbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) ausgestaltet wird, richtet sich die Frage, ob und in welchem Umfang das Vertrauen in den Fortbestand einer durch eine Baugenehmigung vermittelten Rechtsposition unter Berücksichtigung einer längeren Zeit der Nichtnutzung und der damit zusammenhängenden Umstände noch Schutz genießt, nach den einschlägigen landesrechtlichen Rechtsnormen. Das vormals vom Bundesverwaltungsgericht insbesondere zu § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB bzw. der Vorgängerregelung im Bundesbaugesetz (BBauG) entwickelte „Zeitmodell“ und die allein hieran anknüpfende Frage, ob nach einem bestimmten Zeitablauf noch mit der Wiederaufnahme einer unterbrochenen Nutzung zu rechnen ist, greift zu kurz, weil es das für die Geltung / Wirksamkeit einer Baugenehmigung maßgebliche Landesrecht außer Acht lässt. Art. 69 BayBO betrifft allein die Geltungsdauer einer nicht umgesetzten Baugenehmigung und kann daher auf eine Nutzungsunterbrechung nach kompletter Anlagenerrichtung nicht analog angewendet werden. Da die BayBO keine ausdrückliche Regelung zum Erlöschen des Bestandsschutzes bei Nutzungsunterbrechungen enthält, ist auf Art. 43 Abs. 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) abzustellen. Liegt keine Erledigung der Baugenehmigung durch behördliche Aufhebung (Art. 48, Art. 49 BayVwVfG) oder durch Zeitablauf (auflösende Befristung, ggf. auch auflösende Bedingung) vor, kommt es für das Erlöschen der Baugenehmigung und den Wegfall eines über diese vermittelten Bestandsschutzes darauf an, ob sich die Baugenehmigung „auf andere Weise“ erledigt hat. Hierfür ist grundsätzlich zu verlangen, dass der Berechtigte aus objektiver Sicht zumindest konkludent zu erkennen gegeben hat, dass er von der Baugenehmigung keinen Gebrauch mehr machen will, m.a.W., dass er (ggf. stillschweigend) auf sie verzichtet hat bzw., dass eine (ggf. stillschweigende) Übereinkunft der Beteiligten getroffen wurde, die Baugenehmigung sei obsolet (zusammenfassend, jeweils m.w.N.: BayVGH, U.v. 13.12.2021 – 15 N 20.1649 – juris Rn. 52; B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868- juris Rn. 62). In die diesbezügliche Gesamtbetrachtung sind neben dem Zeitablauf alle nach außen getretenen Umstände einzustellen, die Rückschlüsse auf den Willen des Eigentümers zulassen. Zu berücksichtigen sind beispielsweise der Zustand der baulichen Anlage und das gegebenenfalls erforderliche Maß notwendiger Investitionen vor einer Wiederaufnahme der Nutzung, die tatsächlichen, insbesondere wirtschaftlichen, und – über das öffentliche Baurecht hinaus – rechtlichen Rahmenbedingungen und Anforderungen einer erneuten Nutzung, die nach außen getretenen Gründe für die damalige Beendigung der Nutzung, sonstige Veränderungen des Baugrundstücks und der darauf bestehenden baulichen Anlagen, etwaige vertragliche Bindungen, gegebenenfalls auch das Vorliegen eines langfristigen Nutzungskonzepts. Maßgeblich ist, wie ein objektiver Dritter die Umstände des Einzelfalls unter Beachtung der Verkehrsauffassung verstehen muss (NdsOVG, B.v. 25.3.2021 – juris Rn. 22; U.v. 7.10.2021 – 1 KN 17/20 – juris Rn. 50; BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868- juris Rn. 62). Auch wenn das Zeitmoment alleine nicht für die Annahme des Wegfalls der Genehmigung und damit für einen durch eine Genehmigung vermittelten Bestandsschutz ausschlaggebend ist, so ist doch schon aufgrund des wirtschaftlichen Werts die Nutzung einer baulichen Anlage die Regel, ein nutzungsloser Zustand die Ausnahme. Je länger eine bauliche Anlage ungenutzt bleibt, umso drängender stellt sich daher aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten die Frage, ob noch von einer bloßen Nutzungsunterbrechung und nicht schon von einer endgültigen Nutzungsaufgabe auszugehen ist. Je länger keine Nutzung stattfindet, umso eher ist mithin bei einem Hinzutreten weiterer Umstände die Annahme begründet, die Nutzung solle auch in Zukunft nicht wiederaufgenommen werden (BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 62).
77
Insofern stellt vorliegend bereits die vor 30 Jahren erfolgte Einstellung der Nutzung des Gebäudes als Stall für eine landwirtschaftliche, auf Gewinnerzielung ausgerichtete Tier-/Schweinehaltung und die tatsächlich erfolgte zwischenzeitliche Umnutzung zu einer reinen Lagerstätte mit einer allenfalls hobbymäßigen Tierhaltung jedenfalls ein starkes Indiz für eine endgültige Nutzungsaufgabe dar. Ausweislich der Angaben des AELF kann ausgeschlossen werden, dass nach 1992 unter der Adresse ... ... bzw. ... oder dem Namen „J.K.“ ein Betrieb gemeldet war. Der Kläger hat hierzu in der mündlichen Verhandlung vom 24. Februar 2022 in den Verfahren Au 5 K 21.1660 und Au 5 K 21.1661 nur unsubstantiiert vorgetragen, dass Herr K. im Zeitraum zwischen 1992 und 2009 eine Landwirtschaft betrieben habe. Er wisse jedoch selbst weder, in welchem Umfang, noch, was genau Herr K. dort gemacht habe. Im Zeitraum zwischen 2009 und 2014 seien nach eigenen Angaben des Klägers eher hobbymäßig die Pferde seiner Freundin auf dem Grundstück untergestellt worden. Aus der E-Mail des AELF vom 26. Oktober 2021 geht hervor, dass nach den Angaben des Klägers auf dem Grundstück Fl.Nr. ... zu diesem Zeitpunkt sechs Schafe gehalten worden seien. Erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 2023 hat der Kläger sodann vorgetragen, dass im Jahr 2009 zudem drei bis fünf Schweine auf dem Hof gehalten worden seien, die man zum Eigenverbrauch geschlachtet habe. Teilweise habe man dann immer wieder mal Schweine gehabt, wie viele, wisse der Kläger nicht, auch wisse er nicht, ob dies zum Eigenverbrauch gewesen sei. Diese vom Kläger geschilderte Tierhaltung hat mit einer landwirtschaftlichen, auf Gewinnerzielung ausgerichteten Tierhaltung nicht einmal im Ansatz etwas zu tun. Die Auskünfte des AELF, dass nach 1992 – und somit inzwischen über 30 Jahre lang – kein landwirtschaftlicher (Tierhaltungs-)Betrieb auf dem Grundstück des Klägers geführt wurde, stehen damit nicht in Zweifel. Insofern kann insbesondere der Strukturwandel einer vormals durch wirtschaftliche Klein-/Familienbetriebe gekennzeichneten, zu einer nunmehr durch Großbetriebe geprägten Landwirtschaft die Entscheidung herbeigeführt haben, die bisherige, allenfalls kleinbäuerliche Tierhaltung wegen mangelnder Rentabilität und einer mangelnden Perspektive eines wirtschaftlich nicht mehr tragfähigen Tierhaltungsbetriebs durch eine nachkommende Generation endgültig aufzugeben und eine ggf. verbleibende landwirtschaftliche Betätigung auf Landbestellung umzustellen, statt sich der Entwicklung anzupassen und die bis dato betriebene Landwirtschaft mit entsprechenden Investitionen auf einen marktgängigen Tierhaltungs-Großbetrieb umzustellen (vgl. zum Parallelverfahren für das Doppelhaus auf dem (heutigen) Fl.Nrn-Paar …4 und …5: BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 62 m.w.N.; vgl. zum hiesigen Eilverfahren: BayVGH, B.v. 22.4.2022 – 15 CS 22.873 – juris Rn. 44). Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht geht daher jedenfalls bei landwirtschaftlichen Nutzgebäuden davon aus, dass bei einer Nutzungsunterbrechung in einer Zeitspanne von mehr als 20 Jahren die Verkehrsauffassung grundsätzlich nicht mehr mit einer Wiederaufnahme der Nutzung rechnet (NdsOVG, B.v. 25.3.2021 – 1 MN 20/21 – ZfBR 2021, 662 = juris Rn. 22 ff.; U.v. 7.10.2021 – 1 KN 17/20 – UPR 2022, 112 = juris Rn. 50 ff.; vgl. zum hiesigen Eilverfahren: BayVGH, B.v. 22.4.2022 – 15 CS 22.873 – juris Rn. 44).
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Dass vorliegend allenfalls eine kleinbäuerliche Tierhaltung gestattet war, ergibt sich aus den vorgelegten Baugenehmigungen aus dem Staatsarchiv: Sollten die informatorischen Nutzungsdarstellungen im Bestand in der Planzeichnung zur Baugenehmigung aus dem Jahr 1935 (Kniestockaufbau) entgegen der hier vertretenen Ansicht (s.o.) als Nutzungsgenehmigung für eine entsprechende Tierhaltung aufgefasst werden, ergäbe sich für das nördliche Gebäude neben einem kleinen Rinderstall ein hiervon gedeckter Nutzungsumfang für die Haltung einzelner Pferde (kleinerer Bereich im mittleren Nutzungstrakt) sowie für eine Schweinehaltung (im östlichsten Gebäudeteil) in einem begrenzt abgeschlossenen Boxenbereich von ca. 15 m². Rechnet man das südliche Nutzungsgebäude hinzu, käme nach der Anbaugenehmigung aus dem Jahr 1959 ein weiterer Bereich zur Schweinehaltung von (in der Summe) etwa 25 m² hinzu. Daraus ergibt sich eine beschränkt eröffnete Möglichkeit einer Tierhaltung, die einer kleinbäuerlichen Tierhaltung entspricht, wie sie die Landwirtschaft bis vor einigen Jahrzehnten prägte (vgl. zum Parallelverfahren für das Doppelhaus auf dem (heutigen) Fl.Nrn-Paar …4 und …5: BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 63.).
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Unabhängig von der Frage, ob ggf. bereits der Voreigentümer vor mehr als 30 Jahren die Schweinehaltung aus den vorgenannten Gründen (oder auch aus ggf. anderen Motiven) bereits endgültig aufgegeben und auf eine Nutzungsberechtigung aus einer (hinsichtlich des nördlichen Gebäudekomplexes eventuellen) Baugenehmigung zur Schweinehaltung konkludent verzichtet hat, spricht vorliegend schon der Umstand, dass das Anwesen auch seit dem nunmehr 14-jährigen Zeitablauf nach Erwerb des Anwesens durch die Familie des Klägers im Jahr 2009 nicht mehr landwirtschaftlich-gewerblich mit Tierresp. Schweinehaltung, sondern allenfalls mit Landbestellung bzw. Landverpachtung bewirtschaftet wurde und nur hobbymäßig Tiere gehalten wurden, jedenfalls für einen Verzicht auf die landwirtschaftliche Tier-/Schweinehaltung durch den Kläger bzw. dessen Familie als neue Erwerber. Der Wechsel des Eigentums am Hofgut auf schuldrechtlicher Basis eines Verkaufs an die Familie des Klägers als – aus Sicht des Herrn K. – familienexternen Dritten stellt hier eine relevante Zäsur dar. Auch wenn eine landwirtschaftliche Nutzung in Form der Bestellung von 7 ha Land zur Futtermittelproduktion fortgesetzt wurde, kam es unstreitig nach Erwerb des Anwesens weder durch die Eltern des Klägers noch durch ihn selbst über eine sporadische Hobby-Tierhaltung von vormals Pferden und wenigen Schafen und – das Vorbringen des Klägers insoweit als wahr unterstellt – wenigen Schweinen hinaus zu einer landwirtschaftlich-gewerblichen Tierhaltung. Allein schon der Umstand, dass ein außerhalb der Familie des veräußernden Landwirts stehender Erwerber ein landwirtschaftliches Anwesen übernimmt, dann aber über ein Jahrzehnt nichts unternimmt, um eine schon viele – hier 17 – Jahre vor dem Erwerb eingestellte, landwirtschaftliche Tierhaltung wieder aufleben zu lassen, stellt ein starkes Indiz für eine Nutzungsaufgabe dar. Andernfalls könnte sich der Erwerber eines landwirtschaftlichen Anwesens potenzielle Nutzungen aus jahrzehntelang nicht ausgenutzten Baugenehmigungen praktisch „unendlich“ als Nutzungsoption aufrechterhalten, um hierüber etwa das Heranrücken unliebsamer Wohnnutzungen abwehren zu können, obwohl er im Erwerbzeitpunkt diesbezüglich noch keinerlei Nutzungsvorstellungen hatte. Vor diesem Hintergrund ist gerade das Nutzungsverhalten des Erwerbers in der Zeit seit dem Erwerb von besonderer Bedeutung. Eine konkludent erklärte Nutzungsaufgabe kann sich daher daraus ergeben, dass eine frühere Nutzung des Voreigentümers durch den Erwerber über eine nicht unerhebliche zeitliche Dauer durch eine ganz andere Nutzung ersetzt wird (VGH BW, U.v. 4.3.2009 – 3 S 1467/07 – juris Rn. 34; vgl. zum hiesigen Eilverfahren: BayVGH, B.v. 22.4.2022 – 15 CS 22.873 – juris Rn. 45). Vorliegend wurde der im nördlichen Baukomplex liegende Stalltrakt nach Erwerb des Anwesens im Jahr 2009 nach der eigenen Einlassung des Klägers über einen mehrjährigen Zeitraum zur hobbymäßigen Unterstellung von Tieren genutzt. Insofern ist im Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Augsburg am 24. Februar 2022 zu den Verfahren Au 5 K 21.1660, Au 5 K 21.1661 als Aussage des Klägers protokolliert: „Zwischen 2009 und 2014 habe seine Freundin dort Pferde eingestellt, was eher einer Hobbyhaltung diente.“ Erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 2023 hat der Kläger sodann vorgetragen, dass im Jahr 2009 drei bis fünf Schweine zum Eigenverbrauch dort untergebracht worden seien. Spätestens durch diese unmittelbar mit bzw. kurz nach Eigentumserwerb des Anwesens aufgenommene, mehrjährige Dauernutzung des Gebäudes zur rein hobbymäßigen Tierhaltung hat der Kläger nach außen seinen Verzicht auf eine etwaige vormalige, bereits zum Übernahmezeitpunkt aber bereits langjährig schon nicht mehr praktizierte Nutzung als landwirtschaftlich-gewerblicher Tier-/Schweinestall manifestiert (vgl. zum hiesigen Eilverfahren: BayVGH, B.v. 22.4.2022 – 15 CS 22.873 – juris Rn. 45). Der Umstand, dass im klägerischen Vortrag ausschließlich Schweinehaltung eine Rolle spielt und sich auch die Bauanträge vom 9. November 2021 und vom 30. März 2022 allein auf eine Schweinehaltung im gesamten Nutzbereich des nördlichen Baukomplexes beziehen, spricht im Übrigen dafür, dass der Kläger auf alle anderen Arten der Tierhaltung konkludent verzichtet hat (so auch BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 57).
80
Im Hinblick auf das südliche Nutzgebäude, also das einzige Gebäude, das nachweislich für eine kleinbäuerliche Schweinehaltung genutzt werden durfte, ist darüber hinaus Folgendes zu sagen: Diesbezüglich hat der Kläger auf Seite 22 des Schriftsatzes vom 20. Dezember 2022 vorgetragen, dass das Gebäude derzeit der Unterbringung von landwirtschaftlichem Gerät dient. Auch in der mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 2023 hat der Kläger vorgetragen, dass in dem südlichen Gebäude landwirtschaftliches Gerät untergestellt sei. Eine etwaige vormalige Nutzung des Voreigentümers als (Schweine-)Stall wurde durch den Kläger also über eine nicht unerhebliche zeitliche Dauer durch eine gänzlich andere Nutzung ersetzt, die nicht einmal etwas mit einer – wenn auch nur hobbymäßigen – Tierhaltung zu tun hat. Dies spricht nach den obigen Ausführungen eindeutig für eine konkludente Nutzungsaufgabe des südlichen Gebäudes als Stallgebäude. Abgesehen davon, dass dieses Gebäude in dem Vortrag des Klägers in den beiden Parallelverfahren unter den Az. Au 5 K 21.1660 und Au 5 K 21.1661 nie als möglicher zukünftiger Ort für eine Stallung konkret in seine Argumentation miteinbezogen wurde (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 60), manifestiert sich ein Aufgabewille der Nutzung dieses Gebäudes als Schweinestall spätestens dadurch, dass sich die beiden in Kopie vorgelegten Bauanträge vom 9. November 2021 und vom 30. März 2022, jeweils für das Vorhaben „Umbau und Sanierung des bestehenden Stallgebäudes und Einbau eines modernen Schweinestalles in das Stall- und Stadelgebäude“, ausschließlich auf den nördlichen, grenznahen Baukomplex beziehen. Die künftige Schweinehaltung des Klägers soll demnach ausschließlich in dem nördlichen Baukomplex stattfinden, das südliche Nutzgebäude spielt dabei keine Rolle.
81
In einer Gesamtschau sprechen nicht nur der in den letzten Jahrzehnten erfolgte Strukturwandel in der Landwirtschaft weg von kleinbäuerlichen Betrieben und hin zu Großunternehmen, sondern auch möglicherweise verschärfte Tierwohlanforderungen sowie Veränderungen des Stands der Technik gem. § 22 BImSchG, die zu kostspieligen Umbauten zwingen könnten, dafür, dass der bloße Erhalt der ggf. einst zur landwirtschaftlichen Tierhaltung genutzten Gebäude den eindeutigen Erklärungswert der verstrichenen Zeit und der anderweitigen Nutzungszuführung (rein hobbymäßige Tierhaltung, Nutzung als Unterstellhalle) in Verbindung mit den strukturellen Veränderungen der Landwirtschaft und den Anforderungen an eine Tierhaltung nicht zu kompensieren vermag. Mithin ist mit Blick auf die „langjährige Nutzungsaufgabe“ sowohl für den nördlichen als auch den südlichen Gebäudekomplex von einem Erlöschen eines etwaigen vormaligen Bestandsschutzes für eine landwirtschaftliche Tier-/Schweinehaltung auszugehen.
82
(5) Darauf, ob – was zu verneinen ist – eine Verschlechterung der rechtlichen Rahmenbedingungen für den Kläger gegenüber der vorher gegebenen Lage überhaupt erkennbar ist und ob nach den Angaben des Klägers ersichtlich ist, inwiefern gerade bei Ausnutzung einer (bestandsgeschützten) Tierhaltung die Zumutbarkeitsgrenzen für die dem Beigeladenen genehmigte Wohnnutzung nicht eingehalten werden (vgl. zum Parallelverfahren für das Doppelhaus auf dem (heutigen) Fl.Nrn-Paar …4 und …5: BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 64 f.), kommt es damit nicht mehr entscheidungserheblich an.
83
cc) Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes ist auch nicht aufgrund eines Erweiterungsinteresses des Klägers in Form einer Umstellung des bisher landbewirtschaftenden Betriebs auf einen Tierhaltungsbetrieb anzunehmen.
84
Neben bestandsgeschützten immissionsträchtigen Nutzungen – wie sie hier nicht vorliegen (siehe vorstehend unter bb)) – können als rücksichtnahmerelevante Belange auf Seiten des Klägers gegenüber dem genehmigten streitgegenständlichen Doppelhausvorhaben des Beigeladenen nur konkret geplante oder bei realistischer Betrachtung naheliegende Entwicklungsmöglichkeiten als rücksichtnahmerelevant angesehen werden; nicht ausreichend und daher nicht der Rücksichtnahmepflicht des Beigeladenen unterliegend sind demgegenüber nur vage und unrealistische Erweiterungsinteressen (BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 67 m.w.N.).
85
Hinreichend konkrete Planungen des Klägers waren jedenfalls im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage relevanten Zeitpunkt der Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung nicht ersichtlich. Den Bauakten des Landratsamts sowohl zum streitgegenständlichen Doppelhaus als auch zu den anderen vier geplanten Doppelhäusern ist nicht zu entnehmen, dass der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt mehr als nur vage Nutzungsabsichten im Sinne einer geruchsintensiven Tierhaltung vorgebracht hat (vgl. zum hiesigen Eilverfahren: BayVGH, B.v. 22.4.2022 – 15 CS 22.873 – juris Rn. 48; vgl. zum Parallelverfahren für das Doppelhaus auf dem (heutigen) Fl.Nrn-Paar …4 und …5: B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 68). So hat der Kläger keine hinreichend konkret geplante oder naheliegende Entwicklungsmöglichkeit vorgebracht, indem er gegenüber dem im Genehmigungsverfahren beteiligten AELF mitgeteilt hat, er wolle die landwirtschaftliche Betätigung auf seinem Grundstück „moderat“ ausweiten, indem er eine kleine, qualitativ hochwertige Direktvermarktung mit Tieren aus besonderer tiergerechter Haltung mit hohem Freilandanteil plane. Aus diesen vagen Angaben kann schon nicht annähernd der Grad der Geruchsbelastung für die Umgebung abgeleitet und damit die Zumutbarkeit am Maßstab des Rücksichtnahmegebotes beurteilt werden, zumal zum Zeitpunkt der Genehmigung des streitgegenständlichen Wohnbauvorhabens des Beigeladenen unabhängig vom hier offenen konkreten Umfang der Tierhaltung weder ein näherer Zeithorizont im Raum stand noch ein näheres Betriebskonzept als Beurteilungsgrundlage vorlag (vgl. zum hiesigen Eilverfahren: BayVGH, B.v. 22.4.2022 – 15 CS 22.873 – juris Rn. 49; vgl. zum Parallelverfahren für das Doppelhaus auf dem (heutigen) Fl.Nrn-Paar …4 und …5: B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.868 – juris Rn. 68).
86
Aus dem mit Datum vom 9. November 2021 eingereichten Bauantrag für das Vorhaben „Umbau und Sanierung des bestehenden Stallgebäudes und Einbau eines modernen Schweinestalles in das Stall- und Stadelgebäude“ lassen sich keine konkreten und daher im Rahmen des Rücksichtnahmegebotes relevanten Erweiterungsabsichten des Klägers ableiten. Unabhängig von dem Umstand, dass diese Planungen dem Landratsamt als Baugenehmigungsbehörde wohl erst durch Übermittlung des Bauantrags über die Standortgemeinde am 2. Februar 2022 und damit erst nach Erlass der streitgegenständlichen Baugenehmigung bekannt wurden, war dieser Bauantrag in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage relevanten Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung an den Beigeladenen (24. November 2021) mangels detaillierter Angaben zum beabsichtigten Tierbestand sowie zur Ausgestaltung der Stallnutzung gerade hinsichtlich zu prognostizierender Geruchsbelastungen unvollständig und damit zu unbestimmt und zu vage, als dass aus ihm Aussagen für gegenseitige Rücksichtnahmen hätten abgeleitet werden können. Weder enthalten die vom Kläger vorgelegten Bauantragskopien zum Bauantrag vom 9. November 2021 (vgl. Bl. 164 ff. der Gerichtsakte zu Au 5 K 21.1660, Bl. 150 ff. der Gerichtsakte zu Au 5 K 21.1661) eine Betriebsbeschreibung mit einer konkret angegebenen Maximalanzahl zu haltender Schweine, noch ergibt sich aus den hierzu beigefügten zeichnerischen Darstellungen / Bauvorlagen die konkrete Zahl der unterzubringenden Tiere (zur Notwendigkeit mit Blick auf Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG: BayVGH, B.v. 17.6.2016 – 15 ZB 15.644 – juris Rn. 5; B.v. 31.10.2016 – 15 B 16.1001 – juris Rn. 4 f.; B.v. 11.3.2022 – 15 ZB 21.2871 – juris Rn. 12 m.w.N.). Die Vorlage eines Bauantrags ohne konkrete Angabe der Tieranzahl und zudem ohne Angabe zu sonstigen emissionsträchtigen Betriebsteilen (z.B. Mistlagerstätte) spricht dafür, dass hier – unmittelbar nach vorherigem Unterliegen in den Eilverfahren zu den beiden Doppelhausvorhaben auf den (heutigen) Fl.Nrn.-Paar …2 und …3 sowie dem (heutigen) Fl.Nrn.-Paar …4 und …5 (vgl. die Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 3. November 2021, Az. Au 5 S 21.2075 und Au 5 S 21.2076) – vom Kläger, der bislang nicht als landwirtschaftlich-gewerblicher Tierhalter in Erscheinung getreten ist, ein Bauantrag „ins Blaue hinein“, ohne bislang hinreichende konkretisierte Umsetzungsvorstellungen, gestellt wurde, um seine Rechtsstellung als abwehrender Nachbar hinsichtlich der beim Verwaltungsgericht Augsburg vormals anhängigen Klageverfahren Au 5 K 21.1660 und Au 5 K 21.1661 sowie hinsichtlich der damals noch nicht beschiedenen Bauanträge für die drei weiteren Doppelhäuser formal zu verbessern. Jedenfalls und unabhängig hiervon bleibt eine vorgebrachte Absicht auf Erweiterung eines landwirtschaftlichen Betriebs – hier auf eine Umstellung von einem (bisherigen) reinen Anbau- / Ackerbetrieb zu einer (für den Kläger erstmaligen landwirtschaftlichen) Schweinehaltung –, auch wenn diese durch einen Bauantrag formal dokumentiert wird, ohne Angabe der maximalen Tierbelegzahl in Bezug auf die rechtliche Einschätzung, ob von einem realistischen resp. genehmigungsfähigen Erweiterungsinteresse auszugehen ist, zu unbestimmt und daher zu vage. Die Parameter der gebotenen Rücksichtnahme sind hinsichtlich der Geruchbelastung gerade von der beabsichtigten Maximalbelegzahl der zu haltenden Schweine abhängig, sodass eine realistische Umsetzungsmöglichkeit eines solchen Vorhabens nicht einschätzbar ist, solange ein entsprechender Bauantrag nicht mit Tierhaltungszahlen konkretisiert wird (vgl. zum hiesigen Eilverfahren: BayVGH, B.v. 22.4.2022 – 15 CS 22.873 – juris Rn. 50).
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Der mit Schriftsatz vom 3. Juni 2022 in Kopie vorgelegte aktualisierte Bauantrag des Klägers für das Vorhaben „Umbau und Sanierung des bestehenden Stallgebäudes und Einbau eines modernen Schweinestalls in das Stall- und Stadelgebäude“ auf seinem Grundstück, mit dem erstmals die Haltung von 180 Mastschweinen angegeben wird, datiert auf den 30. März 2022 und ist daher mit Blick auf den für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Erlasszeitpunkt der streitgegenständlichen Baugenehmigung (24. November 2021) nicht zu berücksichtigen (vgl. zum hiesigen Eilverfahren: BayVGH, B.v. 22.4.2022 – 15 CS 22.873 – juris Rn. 51).
88
d) Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme aufgrund einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung.
89
Eine Rücksichtslosigkeit aufgrund einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung kommt etwa bei nach Höhe, Breite und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht. Hauptkriterien bei der Beurteilung, ob von einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung des Bauvorhabens auf das Nachbargrundstück auszugehen ist, sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. Dies ist etwa im Fall eines elfgeschossigen Gebäudeteils in naher Entfernung zu einem zweieinhalb geschossigen Wohnhaus auf dem Nachbargrundstück sowie im Fall einer grenznahen 11,5 m hohen und 13,31 m langen, wie eine „riesenhafte metallische Mauer“ wirkenden Siloanlage bei einem sieben Meter breiten Nachbargrundstück angenommen worden (BayVGH, B.v. 13.9.2022 – 15 CS 22.1851 – juris Rn. 17).
90
Der vorliegende Fall ist mit den genannten Beispielen nicht ansatzweise vergleichbar. Es ist nicht ersichtlich, dass das streitgegenständliche Vorhaben des Beigeladenen – auch in Zusammenschau mit den vier weiteren genehmigten Doppelhäusern – dem Anwesen des südlich benachbarten Klägers förmlich „die Luft nimmt“, weil es derartig übermächtig ist, dass die Gebäude des Klägers nur noch oder überwiegend wie von einem „herrschenden“ Gebäude dominiert und ohne eigene Charakteristik wahrgenommen werden (vgl. zum hiesigen Eilverfahren: BayVGH, B.v. 22.4.2022 – 15 CS 22.873 – juris Rn. 54).
91
Im Übrigen scheidet eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes regelmäßig aus tatsächlichen Gründen aus, wenn – wie hier – die Vorgaben des Art. 6 BayBO eingehalten sind (BayVGH, B.v. 13.9.2022 – 15 CS 22.1851 – juris Rn. 17; B.v. 11.8.2021 – 15 CS 21.1775 – juris Rn. 28). Ausweislich der vorgelegten und genehmigten Planunterlagen liegen die Abstandsflächen des streitgegenständlichen Bauvorhabens vollumfänglich auf dem Baugrundstück selbst.
92
e) Das Vorhaben verstößt zudem nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme aufgrund einer unzumutbaren Verschattung des Anwesens des Klägers.
93
Schon mit Blick auf die sichere Einhaltung der bauordnungsrechtlich gebotenen Abstandsflächen kann von einer unzumutbaren, rücksichtslosen Verschattung des Anwesens des Klägers bzw. von einem unzumutbaren Lichtentzug keine Rede sein. Gewisse Verschattungen sind regelmäßig hinzunehmen. Weil das genehmigte Bauvorhaben – ebenso wie die anderen vier genehmigten Doppelhäuser – nördlich bzw. nordwestlich des Anwesens des Klägers liegen, ist im Übrigen mit Blick auf den täglichen Sonnenverlauf von Osten (morgens) über Süden (mittags) nach Westen (abends) nicht ersichtlich, dass es auch bei Umsetzung aller fünf (jeweils durch Einzelbescheide) genehmigten Doppelhäuser überhaupt zu einer spürbaren Verschattung des Klägergrundstücks kommen kann (vgl. zum hiesigen Eilverfahren: BayVGH, B.v. 22.4.2022 – 15 CS 22.873 – juris Rn. 55; zur Darstellung orts- und datumsbezogener Sonnenverläufe vgl. z.B. https://www.sonnenverlauf.de).
94
2. Der Kläger ist auch nicht durch die vorgenommenen Aufschüttungen in nachbarschützenden Rechten verletzt.
95
Eine Aufschüttung bis zur nördlichen Grenze des Klägergrundstücks ist ebenso wie eine bereits errichtete Mauer in der Nähe der Grundstücksgrenze nicht von den, vom angefochtenen Baugenehmigungsbescheid umfassten Bauvorlagen, gedeckt. Insofern trifft die streitgegenständliche Baugenehmigung hierzu keine Aussage; ihr kommt diesbezüglich weder eine Feststellungs- noch eine Gestattungswirkung zu, die den Kläger in seinen Rechten verletzen könnte. Sofern der Beigeladene tatsächlich dauerhafte Aufschüttungen unter Einbeziehung der Stützmauer an der gemeinsamen Grenze als Stützmauer durchführen sollte, wäre deswegen nicht die Baugenehmigung (nachbar-) rechtswidrig. Sollte der Beigeladene mit den vom Kläger befürchteten bzw. behaupteten Aufschüttungen einen nachbarrechtswidrigen Zustand geschaffen haben bzw. noch schaffen, wäre Nachbarrechtsschutz entweder zivilrechtlich oder beim Landratsamt über die Geltendmachung eines Anspruchs auf bauordnungsrechtliches Einschreiten bzw. auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein solches Einschreiten zu suchen (vgl. zum hiesigen Eilverfahren BayVGH, B.v. 22.4.2022 – 15 CS 22.873 – juris Rn. 53).
96
3. Es liegt ferner kein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts vor.
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Insbesondere liegt kein Verstoß gegen die Vorschriften des Abstandsflächenrechts vor. Ausweislich der vorgelegten und genehmigten Planunterlagen liegen die Abstandsflächen des streitgegenständlichen Bauvorhabens vollumfänglich auf dem Baugrundstück selbst.
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Soweit der klägerische Vortrag hinsichtlich der behaupteten ca. 2 m hohen Aufschüttung auf dem Baugrundstück mit Blick auf Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO dahingehend verstanden werden soll, dass aus Sicht des Klägers die Abstandsflächenbeurteilungen auf den Bauvorlagen von einem zu geringen Ansatzwert „H“ ausgingen, sodass sich bei aus seiner Sicht richtiger Berechnung mit einer Wandhöhe, die von der Oberkante des Fußbodens des Kellergeschosses als unterem Bezugspunkt ermittelt wird, eine größere, womöglich dann nicht die Vorgaben des Art. 6 BayBO einhaltende Abstandsfläche ergebe, ist darauf hinzuweisen, dass selbst bei Richtigunterstellung des klägerischen Vortrags hinsichtlich des Geländeverlaufs kein Verstoß gegen Art. 6 BayBO vorliegt.
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Bemisst man die für die Abstandsflächenberechnung relevante Wandhöhe (Art. 6 Abs. 4 Satz 1, Satz 2 BayBO) nach Maßgabe der genehmigten Bauvorlagen von der Oberkante des Kellerfußbodens als (unterstelltem) unteren Bezugspunkt, ergibt sich auf der traufseitigen Südseite (in Richtung des Klägergrundstücks) eine Wandhöhe von ca. 8,50 m. Rechnet man hierzu gem. Art. 6 Abs. 4 Satz 3 BayBO ein Drittel der Dachhöhe (4,06 m) – mithin 1,35 m – hinzu, würde sich bei Zugrundelegung der Rechtsansicht des Klägers ein für die Abstandsflächenberechnung anzusetzendes Maß „H“ von 9,85 m ergeben. Bei einem gem. Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO anzusetzenden Abstandsflächenmaß von 0,4 H ergäbe sich mithin eine einzuhaltende Abstandsfläche nach Süden (in Richtung des Klägergrundstücks) von 3,94 m. Bei einem kürzesten Abstand zur Nordgrenze des Grundstücks des Klägers von 7,29 m wären daher selbst bei der vom Kläger geforderten Betrachtung des ursprünglichen / natürlichen Geländes als unterem Bemessungspunkt für die Wandhöhe die Abstandsflächen sicher eingehalten. Vor diesem Hintergrund wird auch das oben gefundene Ergebnis, dass keine gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstoßende unzumutbare erdrückende oder abriegelnde Wirkung zulasten des Anwesens des Klägers vorliegt, bestätigt (vgl. zum hiesigen Eilverfahren: BayVGH, B.v. 22.4.2022 – 15 CS 22.873 – juris Rn. 60).
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4. Nach alldem verletzt die mit der Klage angefochtene Baugenehmigung vom 24. November 2021 (Az. ...) den Kläger nicht in nachbarschützenden Rechten. Die Klage erweist sich damit als unbegründet und war demzufolge abzuweisen.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Da der Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt und sich mithin auch dem Prozessrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass der Kläger als im Verfahren unterlegen die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
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6. Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).