Inhalt

VG Augsburg, Gerichtsbescheid v. 01.08.2023 – Au 8 K 21.1810
Titel:

Ausnahme von der Pflicht zur Angabe einer ladungsfähigen Anschrift eines Klägers nicht gegeben

Normenkette:
VwGO § 82 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift, unter der die Partei tatsächlich zu erreichen ist, ist erforderlich, um sie zu individualisieren und ihre Erreichbarkeit für das Gericht sicherzustellen. Diese Pflicht entfällt nur, wenn deren Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Interesse an der Angabe der ladungsfähigen Anschrift liegt auch vor, wenn der Prozessgegner im Falle des Obsiegens wegen seiner außergerichtlichen Kosten regelmäßig einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Kläger hat. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Interesse eines Klägers, der seine ladungsfähige Anschrift nicht nennen möchte, um in Vollzug eines bestehenden Haftbefehls nicht verhaftet zu werden, ist nicht als schutzwürdig von der Rechtsordnung anzuerkennen, auch wenn er sich nicht von sich aus zu stellen brauch.  (Rn. 33 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fehlende ladungsfähige Anschrift, ladungsfähige Anschrift, schutzwürdiges Interesse, Haftbefehl, Zwangsgeld
Fundstelle:
BeckRS 2023, 28005

Tenor

  I.    Die Klage wird abgewiesen.
 II.    Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.
III.    Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Kläger wenden sich gegen die Fälligkeitsmitteilung eines Zwangsgelds sowie die Androhung eines weiteren Zwangsgelds.
2
Mit Bescheid vom 11. März 2021 gab die Beklagte den Klägern als Halter von Pyrenäenberghunden u.a. auf, durch eine lückenlose, undurchlässige und ausreichend hohe Einfriedung sicherzustellen, dass die Hunde das Grundstück (Weidefläche) mit der Fl. Nr.,, ... nicht unbeaufsichtigt verlassen können. Die Einfriedung hat dabei so hoch zu sein, dass die Hunde die obere Begrenzung mit den Vorderpfoten nicht erreichen, wenn sie sich aufrichten (Ziffer 1). Die sofortige Vollziehung u.a. der Ziffer 1 des Bescheids wurde angeordnet (Ziffer 3). Falls die Kläger der Verpflichtung unter Ziffer 1 des Bescheids bis spätestens 12. April 2021 nicht nachkommen, wurde bei Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld i.H.v. 1.000,00 EUR angedroht (Ziffer 4 a).
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Auf die Begründung des Bescheids wird im Einzelnen verwiesen.
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Hiergegen ließen die Kläger am 10. April 2021 Klage mit dem Ziel der Aufhebung u.a. von Ziffern 1 und 4 a) des Bescheids vom 11. März 2021 erheben (Au 8 K 21.906). Gleichzeitig ließen die Kläger im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffern 1 und 4 a) des Bescheids der Beklagten vom 11. März 2021 wiederherzustellen (Au 8 S 21.907). Der Antrag wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 20. Mai 2021 abgelehnt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 1. Juli 2021 zurückgewiesen (10 CS 21.1664).
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Mit Schreiben vom 20. Juli 2021 beantragte der Klägerbevollmächtigte bei der Beklagten, von der Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheids vom 11. März 2021 abzusehen.
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Bei Ortseinsichten am 21. Juli 2021, 22. Juli 2021 und 3. August 2021 habe sich nach den Feststellungen der Beklagten ergeben, dass die Kläger die mit Bescheid vom 11. März 2021 angeordnete Einfriedung bislang nicht errichtet hätten.
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Mit jeweiligen Schreiben vom 6. August 2021, das in einen Bescheid übergeht, und dem als Anlage eine als „Gebührenbescheid“ bezeichnete Kostenrechnung i.H.v. 1.031,90 EUR beigefügt war, stellte die Beklagte das für einen Verstoß gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 11. März 2021 angedrohte Zwangsgeld i.H.v. 1.000,00 EUR den Klägern jeweils zur Zahlung fällig, und forderte die Kläger jeweils im Bescheidswege erneut auf, der Anordnung unter Ziffer 1 des Bescheids vom 11. März 2021 nachzukommen, und drohte jeweils für den Fall, dass sie dieser Aufforderung nicht binnen vier Wochen nach Zustellung des Bescheids nachkommen, ein weiteres Zwangsgeld i.H.v. 1.500,00 EUR an (Ziffer 1). Daneben enthielten die Bescheide jeweils eine Kostenentscheidung und -festsetzung (Ziffer 2).
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In den (Bescheids-)Gründen wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Kläger seien der Aufforderung unter Ziffer 1 des Bescheids vom 11. März 2021 innerhalb der gesetzten Frist nicht nachgekommen. Das angedrohte Zwangsgeld sei (jeweils) zur Zahlung fällig geworden und werde beigetrieben. Zur (erneuten) Zwangsgeldandrohung wurde insbesondere ausgeführt, dass diese erforderlich sei, um die Kläger zur Erfüllung der Anordnung nach Ziffer 1 des Bescheids vom 11. März 2021 anzuhalten. Die vorausgegangene Zwangsgeldandrohung sei erfolglos geblieben. Die Frist sei angemessen. Zwangsmittel könnten so lange und so oft angedroht werden, bis der Anordnungszweck erreicht sei. Die Kostenentscheidung und Gebührenfestsetzung beruhe auf Art. 41 Abs. 1 VwZVG, Art. 1, 2, 5, 6 und 10 KG i.V.m. Tarif-Nr. 1.I.8/1 KVz.
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Am 7. September 2021 fand die mündliche Verhandlung im Verfahren Au 8 K 21.906 vor dem Verwaltungsgericht Augsburg statt. Die Beklagte erklärte, dass bei Eintritt der Bestandskraft die Beklagtenseite davon ausgeht, dass bei Errichtung eines stromführenden Gitternetzes oder einer sonstigen stromführenden Einzäunung, die die Weidefläche lückenlos umschließt und mindestens 1,20 m hoch ist, ein weiteres Zwangsgeld nicht fällig wird. Für das mit Bescheiden vom 6. August 2021 erneut angedrohte Zwangsgeld i.H.v. 1.500,00 EUR bei Nichterfüllung von Ziffer 1 des Bescheids vom 11. März 2021 geht die Beklagte davon aus, dass bei Errichtung der vorgenannten Einzäunung/Gitternetz eine Fälligstellung nicht vor dem 15. Oktober 2021 erfolgen wird. Daraufhin wurde die Klage zurückgenommen und das Verfahren Au 8 K 21.906 mit Beschluss vom 7. September 2021 eingestellt.
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Am 7. September 2021 ließen die Kläger im vorliegenden Verfahren Klage erheben.
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Zur Begründung wurde (u.a. unter Vorlage des Schreibens vom 6. August 2021 an die Klägerin, das in einen Bescheid übergeht) insbesondere vorgebracht: Gegenstand des Verfahrens seien zwei Gebührenbescheide der Beklagten vom 6. August 2021, mit denen die Beklagte ein mit Bescheid vom 11. März 2021 angedrohtes Zwangsgeld zuzüglich Kosten beitreibe. Die Kläger hätten gemäß Art. 39 Satz 1 VwZVG Anspruch auf Beseitigung von Vollstreckungsfolgen. Ziffer 1 des Bescheids vom 11. März 2021 sei in der mündlichen Verhandlung vom 7. September 2021 inhaltlich erheblich abgeändert worden. Statt der Errichtung einer mind. 2,0 m hohen Einfriedung erachte die Beklagte eine Erhöhung der bestehenden Elektroeinzäunung von ca. 1,0 m auf mind. 1,20 als ausreichend.
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Die Kläger ließen beantragen,
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die Gebührenbescheide der Beklagten vom 6. August 2021 – Nr. ... aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Klage unzulässig und unbegründet sei. Die Klage sei bereits unzulässig, soweit sie sich gegen die Fälligkeitsmitteilung der Zwangsgelder richte. Die behördliche Mitteilung, dass ein Zwangsgeld zur Zahlung fällig geworden sei, stelle keinen Verwaltungsakt dar. Daran ändere eine fälschliche Bezeichnung als „Bescheid“ oder „Verwaltungsakt“ durch die Behörde grundsätzlich nichts. Die Klage sei unbegründet. Die Beklagte habe die Zwangsgelder zu Recht mit Schreiben vom 6. August 2021 fällig gestellt. Die Kläger hätten die ihnen auferlegte Verpflichtung zur Errichtung einer Umzäunung nicht binnen der gesetzten Frist erfüllt. Aus Art. 39 Satz 1 VwZVG ergebe sich nichts Anderes. Es komme nicht darauf an, ob die zugrundeliegende Zwangsgeldandrohung bereits unanfechtbar sei. Es genüge, dass die sofortige Vollziehung angeordnet worden sei. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 7. September 2021 sei keine Aussage dahingehend erfolgt, dass von der Beitreibung der bereits fällig gestellten Zwangsgelder abgesehen werde. Eine außergerichtliche Einigung sei gescheitert.
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Im Rahmen der Erstzustellung wurde dem Klägerbevollmächtigten mit gerichtlichem Schreiben vom 9. September 2021 mitgeteilt, dass das Gericht davon ausgeht, dass auch die neuerliche Zwangsgeldandrohung angegriffen ist.
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Nach Angaben der Beklagten habe der Klägerbevollmächtigte ihr mit Schreiben vom 14. Oktober 2021 mitgeteilt, dass an der Weidefläche mit den Fl.-Nrn., ... und ... eine mindestens 1,20 m hohe stromführende Einzäunung errichtet worden sei.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 24. Mai 2023 wurde der Klägerbevollmächtigte dazu aufgefordert, die derzeit ladungsfähige Anschrift der Kläger mitzuteilen.
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Mit Schreiben vom 12. Juni 2023 teilte der Klägerbevollmächtigte die ladungsfähige Anschrift der Kläger wie folgt mit: „..., ... (...)“.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 12. Juni 2023 wurden die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört sowie mit gerichtlichem Schreiben vom 13. Juni 2023 darauf hingewiesen, dass aus anderen Verfahren bekannt ist, dass es sich bei der mit Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 12. Juni 2023 mitgeteilten Adresse nicht um die ladungsfähige Anschrift der Kläger handelt.
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Mit Schreiben vom 15. Juni 2023 ließ die Beklagte im Wesentlichen mitteilen, dass mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung Einverständnis bestehe und auf mündliche Verhandlung verzichtet werde. Die Unzulässigkeit der Klage ergebe sich zudem unter Verweis auf vorgelegte Unterlagen (Aktenvermerk des Polizeipräsidiums, Polizeidirektion Süd (...) vom 7. Februar 2023 sowie Melderegisterauskünfte vom 5. Juni 2023) und die Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 29. März 2023 (10 CS 23.239) daraus, dass eine ladungsfähige Anschrift der Kläger nicht vorliege.
23
Mit Schreiben vom 3. Juli 2023 ließen die Kläger zur Anhörung vom 12. Juni 2023 vorbringen, dass Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe. Mit Klage vom 7. September 2021 seien die Kläger mit einer ladungsfähigen Anschrift benannt worden. Erst im Frühjahr 2023 sei eine Ummeldung nach ... (...), ... erfolgt. Die von der Beklagten vorgetragene Abmeldung sei nicht von den Klägern veranlasst worden. Bislang seien den Klägern auch die Gründe der Abmeldung nicht bekannt. Nach Ansicht des BGH (U.v. 17.3.2004 – VIII ZR 107/02) sei eine Veränderung der ladungsfähigen Anschrift nach Klageerhebung unbeachtlich. Dies gelte insbesondere bei anwaltlicher Vertretung und, wenn mangels mündlicher Verhandlung, überhaupt keine Ladung erforderlich sei.
24
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, auch in den Verfahren Au 8 K 21.906, Au 8 S 21.907 und Au 8 K 22.1261, sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist bereits unzulässig.
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Die Entscheidung konnte im vorliegenden Fall durch Gerichtsbescheid ergehen, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden zu diesem Vorgehen nach § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO angehört.
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1. Die Kläger wenden sich bei verständiger Auslegung des Klagebegehrens gegen die Fälligkeitsmitteilung eines Zwangsgelds sowie eine neuerliche Zwangsgeldandrohung (§ 88 VwGO).
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2. Die Klage ist unzulässig, weil für die Kläger keine ladungsfähige Anschrift vorliegt.
29
Gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss die Klage den Kläger bezeichnen. Zur Bezeichnung des Rechtsschutzsuchenden im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 130 Nr. 1 ZPO auch die Angabe seines Wohnortes. Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift, unter der die Partei tatsächlich zu erreichen ist, ist erforderlich, um sie zu individualisieren und ihre Erreichbarkeit für das Gericht sicherzustellen. Es soll darüber hinaus dadurch auch gewährleistet werden, dass sie nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt werden kann und sich im Falle ihres Unterliegens ihrer Kostentragungspflicht nicht entziehen kann. Das gilt auch für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren unter Mitwirkung eines Prozessbevollmächtigten oder wenn sich während des Verfahrens die ladungsfähige Anschrift ändert. Die Pflicht zur Angabe der Anschrift entfällt nur, wenn deren Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Solches wird etwa dann angenommen, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse entgegenstehen (zum Ganzen BVerwG, U.v. 13.4.1999 – 1 C 24/97 – juris; BayVGH, B.v. 20.1.2023 – 10 CS 22.2324 – BeckRS 2023, 968 Rn. 3; B.v. 7.12.2017 – 10 CE 17.2321 – juris Rn. 6 f.; B.v. 9.8.2016 - 10 CE 16.1145, 10 C 16.1146 – juris Rn. 15; B.v. 9.5.2016 – 10 ZB 15.677 – juris Rn. 4; B.v. 3.2.2016 – 10 ZB 15.1413 – juris Rn. 4). Entspricht die Klageschrift nicht den Anforderungen des § 82 Abs. 1 VwGO, hat das Gericht die Partei zu der erforderlichen Ergänzung aufzufordern (vgl. § 82 Abs. 2 VwGO).
30
Vorliegend sind die Kläger seit mehreren Wochen unbekannten Aufenthalts. Zu einer Hauptverhandlung in einer Strafsache sind sie nicht erschienen. Das Amtsgericht ... hat deswegen Haftbefehl erlassen und sie zur Fahndung ausgeschrieben.
31
Auf Aufforderung des Gerichts hin hat zwar der Klägerbevollmächtigte eine neue Adresse in ... mitgeteilt. Dies entspricht jedoch nicht den Anforderungen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO, da sich die Kläger unter dieser Adresse offensichtlich nicht aufhalten und auch nicht aufgehalten haben (so auch im Verfahren der Kläger im Hinblick auf eine richterliche Durchsuchungsanordnung: BayVGH, B.v. 20.1.2023 – 10 CS 22.2324 – BeckRS 2023, 968; B.v. 29.3.2023 – 10 CS 23.239). Dies ergibt sich aus dem als Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 15. Juni 2023 übersandten Aktenvermerk des Polizeipräsidiums, Polizeidirektion Süd (...) vom 7. Februar 2023, dem die Kläger zudem nicht widersprochen haben. Danach haben die eingesetzten Beamten vor Ort eine Person angetroffen, die angegeben hat, dass er aktuell der Mieter des Hauses sei und dort alleine wohne. Die mit Haftbefehl gesuchten Personen (die Kläger) hätten nie an der angegebenen Anschrift gewohnt, sondern seien dort nur gemeldet. Aktuell hielten sich die gesuchten Personen wohl weiterhin in Bayern auf. Auch bei der Inaugenscheinnahme des Wohnbereiches und des Grundstücks konnten die gesuchten Personen nicht aufgefunden werden. Überdies wird darauf hingewiesen, dass im Verfahren Au 8 K 22.1261 (Hundehaltung) der dortige Klägerbevollmächtigte schriftlich und in der mündlichen Verhandlung am 23. Mai 2023 erklärte, dass ihm der tatsächliche Aufenthalt der Klägerin nicht bekannt ist. Die Meldeadresse in ... entspricht nicht dem tatsächlichen Aufenthaltsort.
32
Ein Interesse an der Angabe der ladungsfähigen Anschrift liegt im vorliegenden Verfahren bereits deshalb vor, weil der Prozessgegner im Falle des Obsiegens wegen seiner außergerichtlichen Kosten regelmäßig einen Kostenerstattungsanspruch gegen die Kläger hat. Im Übrigen hat die Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Verfahren Au 8 K 22.1261 (Hundehaltung) mitgeteilt, dass die Klägerin zu 1) weder im Eilverfahren (Au 8 S 22.2145) noch im Beschwerdeverfahren (10 CS 22.2546) auf die Kostenfestsetzungsbeschlüsse hin bezahlt hat. Dessen ungeachtet wäre die ladungsfähige Anschrift Voraussetzung gewesen, damit das Verwaltungsgericht hätte prüfen können, ob (bei Terminierung zur mündlichen Verhandlung) eine eventuelle Anordnung des persönlichen Erscheinens der Kläger angemessen ist oder der Aufenthaltsort der Kläger zu weit entfernt vom Gerichtsort liegt.
33
Es ist für das Gericht zudem nicht erkennbar, dass der Angabe der ladungsfähigen Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen. An die Anerkennung der Geheimhaltungsinteressen sind strenge Anforderungen zu stellen (OLG München, U.v. 28.11.1996 – 1 U 3944/96 – juris Rn. 6). Gründe dafür wurden in der Rechtsprechung z.B. anerkannt, wenn ein Nachlasspfleger für unbekannte Erben klagt, in Verfahren einer sog. Inkognito-Adoption (BGH, U.v. 9.12.1987 – IVb ZR 4/87 – juris Rn. 9) oder im Fall eines Obdachlosen (BayVGH, B.v. 1.6.1992 – 12 CE 92.1201 – juris).
34
Hiervon ausgehend haben die Kläger weder einen Grund mitgeteilt noch einen solchen glaubhaft gemacht, der ihnen die Angabe ihrer ladungsfähigen Anschrift unmöglich oder unzumutbar machen würde. Dessen ungeachtet sieht sich die Kammer dazu veranlasst, auf Folgendes hinzuweisen: Soweit sich die Kläger darauf berufen wollten, dass Haftbefehle vorliegen und sie sich bei Nennung ihrer Anschrift der konkreten Gefahr einer Verhaftung aussetzen würden, ist dies nach Auffassung des Gerichts nicht als ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse anzuerkennen. Zwar hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass bei der Gefahr einer Verhaftung es aus dem Gedanken des § 258 Abs. 5 des Strafgesetzbuches niemandem zugemutet wird, sich selbst der Strafvollziehung auszuliefern (BFH, U.v. 19.10.2000 – IV R25/00 – juris). Er hat daraus geschlossen, dass auch das Recht auf effektiven Rechtschutz nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes nicht davon abhängig gemacht werden könne, dass sich der Kläger der konkreten Gefahr der Verhaftung aussetze. Demgegenüber sei es von untergeordneter Bedeutung, dass eine mögliche Vollstreckung, die Betreibung der Gerichtskosten und die Durchsetzung des persönlichen Erscheinens erschwert würden. Das werde deutlich, wenn man unterstelle, dass sich der Kläger, um der Verhaftung aufgrund eines nationalen Haftbefehls zu entgehen, ins Ausland absetze. Es könne keinem Zweifel unterliegen, dass auch ein Steuerpflichtiger mit Wohnsitz im Ausland eine Klage vor dem Finanzgericht erheben könne. Auch wenn er seine Anschrift ordnungsgemäß angebe, wären Vollstreckung, Betreibung der Gerichtsgebühren und zwangsweise Durchsetzung des persönlichen Erscheinens unmöglich oder zumindest erheblich erschwert. Es könne unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs auf effektiven Rechtschutz jedoch keinen Unterschied machen, ob es dem Kläger gelinge, seinen Wohnsitz ins Ausland zu verlegen. Befinde er sich im Ausland, so könne es nach dem vorstehend Ausgeführten keinen Unterschied machen, ob er seinen Wohnort genau bezeichne oder etwa wegen Bestehens eines internationalen Haftbefehls verschweige. Eine ähnliche Auffassung hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW, B.v. 13.7.2007 – 16 B 224/07 – juris) vertreten. Im Rahmen der Interessensabwägung gelangte das OVG zu dem Ergebnis, dass das (alleinige) Interesse, den Antragsteller als Kostenschuldner zu den Gerichtskosten heranziehen zu können, geringer wiege, als die Gefahr der Verhaftung. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG BW, U.v. 9.6.2016 – L 7 SO 4619/15 – juris Rn. 24) hat in Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs offengelassen, ob dieser Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung gefolgt werden könne.
35
Im Gegensatz zu dieser Rechtsprechung ist die Kammer der Auffassung, dass das Interesse der Kläger, in Vollzug eines bestehenden Haftbefehls nicht verhaftet zu werden, nicht als schutzwürdig von der Rechtsordnung anzuerkennen ist, auch wenn sich die Kläger nicht von sich aus zu stellen brauchen. Dies würde ansonsten einen unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung unlösbaren Widerspruch bedeuten, es zuzulassen, dass sich jemand dem Verfahren eigentlich entziehen und dennoch von ihm profitieren möchte (so auch OLG München, U.v. 28.11.1996 – 1 U 3944/96 – juris Rn. 7; Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 82 Rn. 4; implizit im Verfahren der Kläger im Hinblick auf eine richterliche Durchsuchungsanordnung auch BayVGH, B.v. 20.1.2023 – 10 CS 22.2324 – BeckRS 2023, 968). Vergleichbar ist insoweit auch die Situation eines Ausländers, der eine Abschiebung befürchtet, und dem trotzdem nicht zugestanden wird, von der Angabe einer Wohnungsanschrift abzusehen (vgl. hierzu VGH BW, B.v. 25.10.2004 – 11 S 1992/04 – juris). Ohne dass es zur Überzeugung der Kammer entscheidungserheblich darauf ankäme sei darauf hingewiesen, dass sich die Kläger nach dem polizeilichen Aktenvermerk vom 7. Februar 2023 nicht im Ausland aufhalten und somit (im Gegensatz zu der oben zitierten Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 19. Oktober 2000) eine Vollstreckung der Forderungen des Prozessgegners möglich ist. Im Verfahren Au 8 K 22.1261 (Hundehaltung) hat der dortige Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung vom 23. Mai 2023 im Übrigen bestätigt, dass sich die Klägerin zu 1) nicht im Ausland aufhält. Unabhängig hiervon ist zu berücksichtigen, dass es sich hier nicht um die Betreibung der Gerichtsgebühren handelt, sondern um die Kosten der Gegenseite (im Falle des Obsiegens).
36
3. Es kann damit dahingestellt bleiben, ob die Klage auch insoweit unzulässig wäre, als im Hinblick auf die Fälligkeitsmitteilungen eine Anfechtungsklage erhoben wurde (vgl. hierzu etwa BayVGH, B.v. 28.10.2021 – 12 BV 20.1148 – juris Rn. 34).
37
Die behördliche Mitteilung, dass ein Zwangsgeld zur Zahlung fällig geworden ist (sog. Fälligkeitsmitteilung), stellt keinen Verwaltungsakt im Sinne von Art. 35 BayVwVfG dar, sondern lediglich die Mitteilung eines Bedingungseintritts. Nach der Regelung des Art. 31 Abs. 3 Satz 2 VwZVG ist bereits die Androhung eines Zwangsgeldes ein nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 1 VwZVG vollstreckbarer Leistungsbescheid, weshalb die Vollstreckung von Zwangsgeldern nicht den Erlass weiterer Bescheide voraussetzt, sondern unmittelbar aufgrund der erfolgten Androhung in die Wege geleitet werden kann. Die zeitlich nachfolgende Fälligkeitsmitteilung hat nur deklaratorische Wirkung und ist gesetzlich nicht vorgeschrieben (zum Ganzen etwa BayVGH, B.v. 21.1.2015 – 1 CE 14.2460, 1 CE 14.2520 – juris Rn. 10).
38
Es kann offenbleiben, ob sich etwas Anderes daraus ergibt, dass als Anlage zu den Fälligkeitsmitteilungen samt erneuten Zwangsgeldandrohungen eine Kostenrechnung, bezeichnet als „Gebührenbescheid“ mit eigener Rechtsbehelfsbelehrung, übersandt wurde (vgl. zur Anfechtbarkeit von sog. Verwaltungsakte im nur formellen Sinn etwa Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 35 Rn. 3b).
39
4. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Kammer auch von der Unbegründetheit der Klage ausgeht.
40
a) Die angedrohten Zwangsgelder wurden zu Recht fällig gestellt.
41
Nach Art. 31 Abs. 3 Satz 3 VwZVG wird eine Zwangsgeldforderung fällig, wenn die Vornahme-, Duldungs- oder Unterlassungspflicht nach Art. 31 Abs. 1 VwZVG nicht bis zum Ablauf der Frist des Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG erfüllt wird. In dem gegen die Fälligkeitsmitteilung gerichteten Verfahren nach § 43 VwGO kommen als selbständige Rechtsverletzungen i.S.d. Art. 38 Abs. 3 VwZVG nur Umstände im Zusammenhang mit dem Bedingungseintritt nach Art. 31 Abs. 3 Satz 3 VwZVG in Betracht. Von Bedeutung ist namentlich die Frage, ob ein Kläger seine Verpflichtung vollständig oder genügend erfüllt hat (BayVerfGH v. 24.1.2007 – Vf. 50-VI/05 – juris Rn. 48). Zusätzlich zu diesen im zweiten (Art. 23 ff. VwZVG) und dritten (Art. 29 ff. VwZVG) Abschnitt des VwZVG normierten besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen müssen ebenso die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben sein (BayVGH, B.v. 4.7.2012 – 22 ZB 12.204 – juris Rn. 12). Die Kammer geht nach den vorgelegten Lichtbildern und den Mitteilungen der Beteiligten davon aus, dass sämtliche Voraussetzungen erfüllt sind und die Kläger der ihnen mit sofort vollziehbarem Bescheid der Beklagten vom 11. März 2021 auferlegten Verpflichtung in Ziffer 1 dieses Bescheides bis zum Ablauf der gesetzten Erfüllungsfrist nicht nachgekommen sind, Art. 31 Abs. 3 Satz 3 VwZVG.
42
Der Einwand der Klägerseite, dass die Anordnung unter Ziffer 1 des Bescheids vom 11. März 2021 im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 7. September 2021 im Verfahren Au 8 K 21.906 „inhaltlich erheblich abgeändert“ worden sei, ist dem Protokoll der mündlichen Verhandlung ebenso wenig wie eine Aussage zur Beitreibung der hier streitgegenständlichen – bereits fällig gestellten – Zwangsgelder zu entnehmen. Daher ergibt sich auch aus der von der Klägerseite angeführten Regelung des Art. 39 Satz 1 VwZVG nichts Anderes. Dessen ungeachtet weist die Beklagtenseite zu Recht darauf hin, dass ein Anspruch nach Art. 39 Satz 1 VwZVG auf Beseitigung der Vollstreckungsfolgen bei beigetriebenen oder gezahlten Zwangsgeldern ausscheidet, da diese keine „Vollstreckungsfolgen“ im Sinne der vorgenannten Vorschrift sind (vgl. dazu BayVGH, B.v. 18.10.1993 – 24 B 93.92 – NVwZ-RR 1994, 548, 549).
43
b) Nach Auffassung der Kammer sind auch die erneuten Zwangsgeldandrohungen (Art. 36 Abs. 6 Satz 2 VwZVG) insbesondere im Hinblick auf die Erfüllungsfrist, und unter Berücksichtigung des Prüfungsmaßstabs des Art. 38 Abs. 1 Satz 3 VwZVG nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für die Gebührenerhebung in Ziffer 2 des Bescheids vom 6. August 2021.
44
5. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge der §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO abzuweisen.
45
6. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.