Titel:
Erfolgloser Eilrechtsschutz gegen Abseitigungsanordnung von NATO-Draht-Zaun im Außenbereich
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Nr. 4, Abs. 5 S. 1
BauGB § 35 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 5
BayBO Art. 3 Abs. 1, Art. 28, Art. 55 Abs. 1, Art. 57 Abs. 1 Nr. 7, Art. 76 S. 1
VwZVG Art. 21a, Art. 29, Art. 30, Art. 31, Art. 36
Leitsätze:
1. Ein Zaun stellt als Einfriedung aufgrund künstlicher Verbindung unabhängig von Größe und Festigkeit im Außenbereich eine bauliche Anlage (sonstige Anlage) im Sinne der §§ 29 ff. BauGB dar. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der funktionale Landschaftsschutz verfolgt den Zweck, den Außenbereich mit seiner naturgegebenen Bodennutzung durch die Land- und Forstwirtschaft und als Erholungsraum zu erhalten, dh die Landschaft soll in ihrer natürlichen Funktion und Eigenart bewahrt bleiben. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aufgrund seiner Beschaffenheit stellt der „NATO-Draht“ eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit von Menschen, dar, weil er aufgrund seiner Beschaffenheit Personen, die mit ihm in Berührung kommen, schwerwiegende Schnittverletzungen zufügen kann. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eilantrag, Beseitigungsanordnung, sog. “NATO“-Draht-Zaun im Außenbereich, Bedrohung für Leib und Leben von Passanten, Beeinträchtigung öffentlicher Belange (hier: natürliche Eigenart der Landschaft) durch sonstige Anlage, Störerauswahl, Grundstücksmiteigentümer als Zustandsstörer, Zwangsgeldandrohung, gegenüber allen Miteigentümern vollziehbarer Grundverwaltungsakt, Eilrechtsschutz, Sofortvollzug, Baurecht, Außenbereich, Stacheldrahtzaun, NATO-Draht, formelle Illegalität, materielle Illegalität, außenbereichsfremdes Vorhaben, Instandhaltungspflicht, Beseitigungsverfügung, Beseitigungsaufwand, erhebliche Gefahrenlage, Auswahlermessen, Verhältnismäßigkeit, Zustandsstörer, Verfügungsadressat
Fundstelle:
BeckRS 2023, 27994
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller ist einer von sieben Miteigentümern des Grundstücks Fl.Nr. ... der Gemarkung L. Das Grundstück befindet sich im Außenbereich, im Norden des Stadtteils H., und liegt östlich am „...weg“ an. Im Westen grenzt es an den ...bach.
2
Mitte März 2023 wurde dem Bauordnungsamt der Antragsgegnerin aufgrund einer polizeilichen Ereignismeldung (mit neun Lichtbildern) bekannt, dass zu dem betreffenden Grundstück Anzeige wegen des auf dem Grundstück angebrachten sog. „NATO-Drahts“ (Stacheldrahtzaun) erstattet wurde. In der Anzeige ist bemängelt, dass der Zaun lose im Gebüsch und Unterholz verwickelt direkt neben dem Spazierweg (...weg) liege. Der Zaun stelle eine Verletzungsgefahr für Kinder, Haustiere und Wildtiere dar. So habe sich der Hund der Anzeigeerstatterin beim Rennen durch das Gebüsch im Zaun verfangen, sich den Hinterlauf aufgeschlitzt und habe notoperiert werden müssen. Man rege ein Hinwirken auf Entfernung des Zaunes an.
3
Mit Schreiben jeweils vom 6. März 2023 teilte die Antragsgegnerin den sieben Miteigentümer des streitgegenständlichen Grundstücks mit, man sei aufgrund einer Anzeige auf das Grundstück aufmerksam geworden. Der als Abgrenzung dienende Stacheldrahtzaun sei unzulässig, da von baulichen Anlagen keine Gefahr ausgehen dürfe. Daher ergehe die Aufforderung, den Stacheldrahtzaun bis 8. Mai 2023 zurückzubauen. Für den Fall der Nichtbefolgung gelte das Schreiben zugleich als Anhörung zum Erlass einer Beseitigungsanordnung mit Zwangsmittelandrohung. Das an den Antragsteller gerichtete Anhörungsschreiben war an eine frühere Wohnschrift gerichtet und kam mit dem Zustellvermerk „Empfänger unbekannt verzogen“ an die Antragsgegnerin zurück.
4
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. Juli 2023 (Az. ...) wurden die Eigentümer des verfahrensgegenständlichen Grundstücks verpflichtet, den Stacheldrahtzaun, insbesondere den sogenannten „NATO-Draht“, an der Grundstücksgrenze des Grundstücks Fl.Nr. ... der Gemarkung L. spätestens bis zum 23. Juli 2023 vollständig zu beseitigen (Ziffer 1 des Bescheids). In Ziffer 2 wurde die sofortige Vollziehung der Ziff. 1 angeordnet. Falls der in Ziff. 1 verfügten Beseitigungsverpflichtung nicht fristgerecht nachgekommen wird, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 5000,00 EUR gesamtschuldnerisch zur Zahlung fällig (Ziff. 3).
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In den Gründen des Bescheids ist ausgeführt, Adressaten des Bescheids seien die Eigentümer des verfahrensgegenständlichen Grundstücks. Auf dem betreffenden Grundstück sei ein Stacheldrahtzaun, unter anderem mit sogenanntem „NATO-Draht“, an der Grundstücksgrenze errichtet. Teilweise liege der Zaun lose auf dem Erdboden, im Gebüsch bzw. im Unterholz, vereinzelt seien Paletten vor dem Zaun angebracht. Direkt an der östlichen Seite des Grundstücks grenze ein öffentlich gewidmeter Weg an, welcher häufig von Spaziergängern, unter anderem von Familien und Hundebesitzern, begangen werde. Nördlich des Grundstücks liege ebenfalls ein öffentlich gewidmeter Weg, welcher vom Grundstück nur durch eine Wiese getrennt werde. Am 15. Januar 2023 habe sich der Hund einer Passantin beim Rennen durch das Gebüsch in dem betreffenden Zaun verfangen und sich den gesamten Hinterlauf aufgeschlitzt. Eine Notoperation sei erforderlich gewesen. Die Beseitigung des Stacheldrahtzauns könne nach Art. 76 Abs. 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens angeordnet werden. Das ausgeführte Bauvorhaben sei formell und materiell rechtswidrig. Die formelle Rechtswidrigkeit ergebe sich daraus, dass die erforderliche Baugenehmigung für den Stacheldrahtzaun nie erteilt worden sei. Die Baugenehmigungspflicht ergebe sich aus Art. 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 7 BayBO. Ein rechtmäßiger Zustand könne nur durch die vollständige Beseitigung des Stacheldrahtzauns hergestellt werden, da das Vorhaben materiellem Baurecht widerspreche, insbesondere bauordnungsrechtlich unzulässig sei. Die Errichtung des Stacheldrahtzauns widerspreche Art. 3 Satz 1 BayBO, weil durch den Zaun die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit von Passanten und Tieren, gefährdet werde. Eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sei gegeben. In der Vergangenheit sei es bereits zu einem Schaden an einem Tier gekommen. Die Prognoseentscheidung über das Vorliegen einer konkreten Gefahr werde demnach dahingehend getroffen, dass es aufgrund des zu erwartenden Verhaltens der Passanten, insbesondere der Kinder, und der Tiere, auch der Wildtiere, in der Nähe des verfahrensgegenständlichen Grundstücks zu Verletzungen der besonders schützenswerten Rechtsgüter des Lebens und der Gesundheit von Menschen bzw. Tieren sowie zur Beschädigung von Eigentum kommen werde. Der Entscheidung liege zugrunde, dass die vorliegend scharfkantigen, abstehenden Drahtenden und insbesondere die besonders scharfen Schneiden des „NATO-Drahts“ bei Kontakt leicht zu Verletzungen führten. Ein selbstständiges Befreien aus dem Zaun sei aufgrund der dichten Konstruktion nicht ohne größere Verletzungen möglich. Das Aufstellen von Paletten halte Kinder und Tiere nicht ausreichend zuverlässig von dem Zaun fern. Aufgrund der gewichtigen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit von Menschen bzw. Tieren seien bereits geringe Anforderungen an den Eintritt zukünftiger Schadensereignisse ausreichend. Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage, insbesondere unter Berücksichtigung der Vorkommnisse der Vergangenheit, sei ein bauaufsichtliches Einschreiten sachgerecht (Art. 40 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG) und verhältnismäßig (vgl. Art. 8 Landesstraf- und Verordnungsgesetz – LStVG). Die Beseitigung sei rechtlich möglich und geeignet, um rechtmäßige Zustände herzustellen und Gefahren abzuwenden. Mildere Mittel seien nicht ersichtlich. Die Beseitigungsanordnung sei auch angemessen, weil im vorliegenden Einzelfall die Schwere des Eingriffs im Verhältnis zum erreichten Zweck stehe. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung sowie Abwehr der oben genannten Gefahren (Recht auf körperliche Unversehrtheit Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz – GG, Eigentumsfreiheit Art. 14 Abs. 1 GG) überwiege das Interesse der Grundstückseigentümer an der Erhaltung der baulichen Anlagen (Eigentumsfreiheit, Baufreiheit Art. 14 Abs. 1 GG) und den Wunsch nach Einfriedung des Grundstücks mittels Stacheldrahtzaun (persönliche Freiheit, allgemeine Handlungsfreiheit Art. 2 Abs. 1 GG; Unverletzlichkeit der Wohnung Art. 13 Abs. 1 GG). Die Beseitigungsanordnung sei an die Grundstückseigentümer (sieben Namen; wird ausgeführt) als Zustandsstörer gerichtet (Art. 9 Abs. 2 LStVG). Die Auswahl der Adressaten entspreche pflichtgemäßem Ermessen, da diese am schnellsten und effektivsten die im öffentlichen Interesse gebotene Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände und Gefahrenabwehr vornehmen könnten. Die sofortige Vollziehung der Ziff. 1 beruhe auf § 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Sie liege im besonderen öffentlichen Interesse, weil aufgrund der oben dargestellten Gefahren nicht abgewartet werden könne. Zudem gehe von dem formell und materiell offensichtlich rechtswidrig errichteten Zaun im Außenbereich eine Breitenwirkung aus, die zur Nachahmung verleite. Es entstehe der Eindruck, man könne sich zumindest vorübergehend mit Erfolg über das Gesetz hinwegsetzen. Zudem entstehe bei unbeteiligten Dritten nicht selten der Anschein materieller Legalität. Der Stacheldrahtzaun sei eine bauliche Anlage, die zudem relativ problemlos und ohne großen Aufwand, vor allem ohne Substanzverlust, abgebaut werden könne. Die Zwangsgeldandrohung stützte sich auf die entsprechenden Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungs- und Zustellungsgesetzes (VwZVG.)
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Der Bescheid wurde dem Antragsteller mittels Postzustellungsurkunde am 6. Juli 2023 bekannt gegeben. Ausweislich der Behördenakte wurden gleichlautende Bescheide unter demselben Datum den weiteren sechs Grundstücksmiteigentümern mittels Postzustellungsurkunde bekannt gegeben.
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Mit Schriftsatz vom 17. Juli 2023 ließ der Antragsteller gegen den Bescheid vom 3. Juli 2023 Klage (Au 5 K 23.1129) erheben, über die noch nicht entschieden ist.
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Mit Schreiben vom selben Tag ließ der Antragsteller beantragen,
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1. die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Stadt ... vom 3. Juli 2023 wiederherzustellen,
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2. dem Kläger (richtig: Antragsteller) nachzulassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller sei Miteigentümer. Der Bescheid sei rechtswidrig und stehe in direktem Widerspruch zu Vereinbarungen, die zwischen dem Antragsteller (Kläger) und Mitarbeitern des Bauordnungsamtes der Antragsgegnerin bereits getroffen worden seien. Eine Gefahr gehe von dem streitgegenständlichen Zaun nicht aus. Das Grundstück liege im Außenbereich mit seiner Ostseite an einer zwar öffentlichen, aber kaum befahrenen Straße, dem “...weg“, an. Dort verlaufe der Stacheldrahtzaun nicht an der Grundstücksgrenze, sondern vielmehr 2 m zurückgesetzt auf dem Grundstück. Der Zugang zum Grundstück erfolge über ein Tor vom „...weg“ aus. Oben (auf dem Tor) sei vor dem Stacheldraht ein Zaun angebracht, der verhindere, dass das Tor überstiegen werde. Neben dem Tor seien Paletten angebracht worden, weil der Stacheldrahtzaun, der neben dem Tor verlaufe, damit völlig unzugänglich werde und sich auch keine Hunde entlang des Zauns bewegen könnten. Zudem sei der 2 m zurückgesetzte Stacheldrahtzaun entlang des „...wegs“ völlig durch eine Hecke überwuchert. Nördlich grenze das Grundstück nicht an einen öffentlichen Weg an und sei damit auch nicht zugänglich. Zwischen dem Grundstück und dem Feldweg, der nördlich verlaufe, liege eine Wiese, die ca. 50 m breit sei. Die gesamte Nordseite des klägerischen Grundstücks sei durch zwei Zaunreihen auf der nördlich angrenzenden Wiese von dem Feldweg getrennt. Damit verlaufe der Stacheldraht in keinem Bereich so, dass er von öffentlichem Grund aus direkt zugänglich sei. Auf das vorgelegte Bildmaterial werde Bezug genommen. Der Bescheid sei bereits formell illegal, da der Kläger vor Bescheidserlass nicht angehört worden sei. Auch die Voraussetzungen für den Erlass der Beseitigungsanordnung lägen nicht vor. Im Übrigen sei der Zaun bereits vor über 60 Jahren vom Vorbesitzer des Grundstücks angebracht worden. Man gehe von einer Baugenehmigung hierfür aus, die jedoch aktuell nicht auffindbar sei. Es werde infrage gestellt, dass der errichtete Zaun baurechtswidrig sei. Völlig abwegig sei zudem die Annahme, der Zaun gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung, da er seit über 60 Jahren in unveränderter Form bestehe und eine übliche und weit verbreitete Form der Umfriedung darstelle. Dass sich ein Hund einer Passantin am Zaun auf dem Grundstück im Januar 2023 verletzt habe, sei dem Antragsteller nicht bekannt. Dies ließe sich im Übrigen nur durch Wilderei des Hundes erklären, der weit entfernt von jedem öffentlichen Weg in das extrem dichte Unterholz eingedrungen sei. Soweit die vollständige Beseitigung verlangt werde, setze dies ebenfalls die Beseitigung der gesamten Hecke/Vegetation voraus, um an den Zaun selbst gelangen zu können. Eine solche Rodung sei naturschutzrechtlich nicht vor Oktober möglich. Zudem habe der Antragsteller mit einem Mitarbeiter der Antragsgegnerin verschiedene Maßnahmen vereinbart (Sicherungsvorrichtungen am Tor, Unzugänglich-Machen des Zauns neben dem Gartentor), die vom Antragsteller wie vereinbart bis 3. Juni 2023 umgesetzt worden seien. Für Oktober sei die Errichtung eines Schutzzauns unmittelbar an der Grundstücksgrenze zum „...weg“ vereinbart worden. Die Kontaktaufnahme des Antragstellers mit dem Bauordnungsamt der Antragsgegnerin sei erfolgt, weil er bei einer Miteigentümerin das Anhörungsschreiben vom 6. März 2023 gesehen habe. Die Umsetzungsfrist von elf Tagen sei unangemessen kurz, eine besondere Dringlichkeit liege nicht vor. Insoweit sei auch die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit rechtsfehlerhaft.
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Die Antragsgegnerin hat am 31. Juli 2023 die Behördenakte in elektronischer Form vorgelegt und mit Schreiben vom 31. Juli 2023 beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Antragserwidernd wurde ausgeführt, der vom Antragsteller vorgetragene Sachverhalt sei u.a. dahingehend zu korrigieren/ergänzen, dass aufgrund der Kontaktaufnahme zwischen Antragsteller und Mitarbeitendem des Bauordnungsamtes kurz vor Ablauf der Umsetzungsfrist im Mai 2023 eine Fristverlängerung von rund einem Monat gewährt worden sei. Weitere, aus Sicht der Behörde verbindliche behördliche Zugeständnisse habe es darüber hinaus nicht gegeben. Die als Schutz/Sicherungsmittel vor dem „NATO-Draht“ angedachte Einzäunung des gesamten Grundstücks durch einen offenen, sockellosen Zaun sei nur als provisorische Zwischenlösung vor der endgültigen Beseitigung angedacht gewesen und hätte jedenfalls sehr zeitnah und nicht erst im Oktober erfolgen sollen. Unverändert sei der „NATO-Draht“ aktuell unproblematisch zugänglich, dessen durch vegetative Überwucherung mangelhafte Sichtbarkeit verschärfe die Situation zusätzlich. Rechtlich lägen die Voraussetzungen für die Beseitigungsanordnung vor. Soweit der Antragsteller rüge, er sei nicht angehört worden, habe dieser sich gegenüber dem Mitarbeitenden des Bauordnungsamtes äußern können, was auch eine Gelegenheit der (formfreien) Anhörung darstelle. Im Übrigen entspreche es ständiger Rechtsprechung, die Anhörung im Rahmen des Klageverfahrens nachholen zu können mit der Folge der Fehlerheilung. Der Zaun sei formell illegal errichtet worden, die fehlende Beweisbarkeit einer angeblich existenten Baugenehmigung gehe zu Lasten des Antragstellers. Eine für die Annahme von Bestandsschutz erforderliche aktive Duldung des Zauns durch die Antragsgegnerin gebe es nicht. Der Zaun sei auch materiell illegal, da er gegen Art. 3 BayBO verstoße. Selbst die Polizei habe bestätigt, dass der Stacheldraht in der vorliegenden Form für freilebende Wildtiere wie für Menschen und Tiere, die den normalen begehbaren Weg verlassen, eine massive Verletzungsgefahr darstellen würden. Dabei spiele es keine Rolle, dass der Zaun um 2 m von der Grundstückgrenze zurückversetzt sei. Denn an der Grundstücksgrenze selbst befänden sich keine Hindernisse oder topographischen Besonderheiten, die ein Betreten des Grundstücks und ein Annähern an den Stacheldrahtzaun verhindern würden. Aufgrund des anliegenden Weges und der südlich liegenden Wohnbebauung eigne sich die Gegend für Spaziergänge, auch mit Hund, so dass es nicht unwahrscheinlich sei, dass sich ein ähnlicher Unfall wie im Winter oder ein anderes Betreten des Grundstücks ergebe. Die Beseitigungsanordnung sei auch ermessensgerecht. Eine das behördliche Ermessen bindende Vereinbarung mit der Antragsgegnerin sei entgegen dem Antragsteller-Vorbringen nicht zustande gekommen. Die Frist zur Umsetzung sei nur bis Anfang Juni verlängert worden. Das Anbringen des nicht-bündigen (Kunststoff-)Blechs am Eingangstor sowie das vereinzelte Aufstellen von Paletten reiche nicht aus, die vom Zaun ausgehende Gefahr zu beseitigen. Die Umsetzungsfrist von rund 17 Tagen nach Zustellung des Bescheids sei angemessen, da wohl ein selbständiges „Abknipsen“ mit Stahlschere und entsprechenden Handschuhen ausreichen dürfte. Hinzu komme, dass der Vorgang auf der Antragsteller-Seite seit mindestens drei Monaten bekannt sei. Auch treffe die Anordnung alle Grundstückseigentümer gesamtschuldnerisch. Der fristgerechten Umsetzung stehe auch das vom Antragsteller bemühte Naturschutzrecht nicht entgegen. Das Verbot des § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), Hecken, Gebüsche und andere Gehölze in der Zeit vom 1. März bis zum 30. September nicht zu beseitigen, gelte nicht bei behördlich angeordneten Maßnahmen und unaufschiebbaren Verkehrssicherungsmaßnahmen. Immer zulässig seien schonende Form- und Pflegeschnitte. Diesseits werde erheblich angezweifelt, dass eine vollständige Entfernung der Vegetation erforderlich sei, um den Stacheldrahtzaun zu beseitigen.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
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Der zulässige Eilantrag hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Der Eilantrag ist zulässig, insbesondere statthaft, da die in der Hauptsache erhobene, statthafte Anfechtungsklage gegen die Beseitigungsanordnung in Ziffer 1 aufgrund des im Bescheid in Ziffer 2 angeordneten Sofortvollzugs keine aufschiebende Wirkung hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Nach Art. 21a VwZVG hat die Anfechtungsklage gegen Ziffer 3 des Bescheids schon kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) keine aufschiebende Wirkung. Mithin kann das Gericht auf Antrag die kraft Gesetzes bzw. aufgrund der behördlichen Anordnung ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen bzw. wiederherstellen.
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Als Adressat des belastenden Verwaltungsakts ist der Antragsteller auch antragsbefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO analog).
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2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherstellen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob diejenigen Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts streiten, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt voraussichtlich erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
21
Bei bauordnungsrechtlichen Verfügungen, die die Beseitigung von Bausubstanz fordern, überwiegt abweichend von dieser Regel das Vollzugsinteresse zwar nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen, weil die Beseitigung vor einer Entscheidung in der Hauptsache diese im Ergebnis vorwegnimmt. Denn aufgrund der gewichtigen Auswirkungen eines solchen Eingriffs ist es regelmäßig schon aus Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten, dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage den Vorrang einzuräumen. Ausnahmen von dieser Regel sind aber u.a. dann anerkannt, wenn eine erhebliche Gefahrenlage besteht, deren Beseitigung ohne Abriss der Bausubstanz nicht möglich wäre (vgl. OVG Münster, B.v. 10.2.2010 – 7 B 1368/09 – juris Rn. 4). Vorliegend überwiegen wegen des aufgrund der geringen Bausubstanz des Zauns im Vergleich mit anderen baulichen Anlagen relativ niedrigen und substanzerhaltenden Beseitigungsaufwands die wegen der bauordnungsrechtlich relevanten Gefahrenlage für den Sofortvollzug sprechenden Gründe, da die Hauptsacheklage voraussichtlich erfolglos sein wird.
22
a) Die Anordnung des Sofortvollzugs in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids ist in formaler Hinsicht ausreichend begründet (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
23
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO erfordert ein besonderes öffentliches Interesse, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Erlass des Verwaltungsakts selbst rechtfertigt (BVerfG, B.v. 25.1.1996 – 2 BvR 2718/95 – juris Rn. 19). Dieses besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung muss in der nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO erforderlichen, schriftlichen Begründung zum Ausdruck kommen. Der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Begründungspflicht ist nämlich auch in Bezug auf die inhaltlichen Anforderungen an die Begründung Rechnung zu tragen. Dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung ist nicht schon dann genügt, wenn überhaupt eine Begründung gegeben wird. Vielmehr bedarf es einer schlüssigen, konkreten und substantiierten Darlegung der wesentlichen Erwägungen, warum aus Sicht der Behörde gerade im vorliegenden Fall ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht, gegenüber dem das Interesse des Betroffenen am Bestand der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels ausnahmsweise zurückzutreten hat (BVerwG, B.v. 18.9.2001 – 1 DB 26/01 – juris Rn. 6; Decker in Busse/Kraus, BayBO, 149. EL Januar 2023, Art. 76 Rn. 327 ff., 332 ff. m.w.N.). Diesen Anforderungen genügen pauschale oder formelhafte Wendungen grundsätzlich nicht (BayVGH, B.v. 9.12.2013 – 10 CS 13.1782 – juris Rn. 16).
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Die Anordnung des Sofortvollzugs wurde in den Gründen des Bescheids unter II. (Seite 3 unten und Seite 4 oben bis Mitte) schriftlich ausgeführt und das überwiegende öffentliche Interesse am unmittelbaren Handeln mit der Notwendigkeit der Abwehr der Gefahren für Leben und Gesundheit dargelegt. Zudem gehe von dem formell und materiell rechtswidrig errichteten Zaun die Gefahr einer Breitenwirkung und negativen Vorbildwirkung aus. Im Hinblick auf den ohne großen Aufwand umsetzbaren Abbau überwiege das Vollzugsinteresse. Die gegebene Begründung geht auf den Einzelfall ein und begnügt sich nicht mit nur formelhaften Ausführungen, sodass dem Begründungserfordernis Genüge getan ist.
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b) Die Anfechtungsklage gegen die Anordnung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids, mit der der Antragsteller zur Beseitigung des Stacheldrahtzaunes, insbesondere des sog. „NATO-Drahts“, verpflichtet wird, bleibt nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos, sodass der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage insoweit abzulehnen ist.
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aa) Rechtsgrundlage für die Anordnung ist Art. 76 Satz 1 BayBO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung der Anlagen anordnen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.
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bb) Soweit der Antragsteller vorträgt, der angegriffene Bescheid sei formell rechtswidrig, insbesondere ohne vorherige, an ihn gerichtete Anhörung (Art. 28 BayVwVfG), erlassen worden, führte dies nicht zum Erfolg des Eilantrags. Ein solcher Formmangel wird durch die (schriftsätzliche) Anhörung im gerichtlichen Verfahren unbeachtlich, Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 BayVwVfG. Eine (gesonderte) Anhörung zur Anordnung des Sofortvollzugs ist nicht erforderlich (Decker in Busse/Kraus, BayBO, a.a.O., Art. 76 Rn. 326).
28
cc) Bei dem streitgegenständlichen Zaun handelt es sich um eine (bauliche) Anlage i.S.d. Art. 2 Abs. 1 BayBO. Soweit er nicht aus Bauprodukten hergestellt und am Boden verankert ist, ruht er nach den Feststellungen der Behörde aufgrund der Schwere des Zaunmaterials am Boden und dient im Übrigen als Einfriedung des Grundstücks einer ortsfesten Nutzung.
29
dd) Der Zaun steht im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften, da er formell illegal, also ohne erforderliche Baugenehmigung errichtet wurde.
30
Die Baugenehmigungspflicht ergibt sich aus Art. 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 7 BayBO. Es handelt sich um eine Einfriedung eines unstreitig im Außenbereich nach § 35 Baugesetzbuch (BauGB) gelegenen Grundstücks. Soweit der Antragsteller vorträgt, der Zaun sei nicht von ihm, sondern vom früheren Grundstückseigentümer bereits vor Jahrzehnten und nach seiner Vermutung sicherlich im Rahmen einer Baugenehmigung errichtet worden, ist eine solche Baugenehmigung in den Behördenakten der Antragsgegnerin nicht bekannt. Nach der gebotenen Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist damit so lange vom Fehlen einer Baugenehmigung auszugehen, bis der Antragssteller insoweit seiner Darlegungspflicht nachkäme. Anhaltspunkte für Bestandsschutz aufgrund aktiver Duldung durch die Behörde bestehen nicht.
31
ee) Der Zaun steht darüber hinaus im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften, da er voraussichtlich auch materiell illegal ist, also gegen materielle Normen des Baurechts verstößt.
32
- Ein Verstoß gegen materielles Baurecht ergibt sich zum einen bereits aus dem Bauplanungsrecht, §§ 29 ff. BauGB.
33
Der Zaun stellt als Einfriedung aufgrund künstlicher Verbindung unabhängig von Größe und Festigkeit auch eine bauliche Anlage im Sinne der §§ 29 ff. BauGB dar (vgl. Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 149. EL Februar 2023, § 29 Rn. 31). Da die Voraussetzungen eines Privilegierungsmerkmals nach § 35 Abs. 1 BauGB nicht ersichtlich sind, handelt es sich bei dem Zaun um eine sonstige Anlage i.S.v. § 35 Abs. 2 BauGB. Diese verstößt als außenbereichsfremdes Vorhaben gegen § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, da die natürliche Eigenart der Landschaft und ihr Erholungswert beeinträchtigt werden. Der in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB zum Ausdruck kommende funktionale Landschaftsschutz, der angesichts des gesondert geschützten Landschaftsbilds keinen ästhetischen Landschaftsschutz beinhaltet, verfolgt den Zweck, den Außenbereich mit seiner naturgegebenen Bodennutzung durch die Land- und Forstwirtschaft und als Erholungsraum zu erhalten. Die Landschaft soll in ihrer natürlichen Funktion und Eigenart bewahrt bleiben. Aus diesem Grund sollen bauliche Anlagen abgewehrt werden, die dem Außenbereich wesensfremd sind (vgl. BayVGH, U.v. 13.12.2018 – 2 B 18.1797 – juris Rn. 34). Der öffentliche Belang wird beeinträchtigt, wenn das Vorhaben der naturgegebenen (land- und forstwirtschaftlichen) Bodennutzung des Außenbereichs oder seiner Funktion als Erholungsraum für die Allgemeinheit widerspricht und deshalb einen Fremdkörper in der Landschaft bildet. Wesensfremd sind der natürlichen Landschaft grundsätzlich alle Vorhaben mit anderer als land- und forstwirtschaftlicher Zweckbestimmung. Scheidet eine Privilegierung aus, sind z.B. Gartenhäuser und Geräteschuppen, aber auch Einfriedungen und Zäune wegen Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft grundsätzlich unzulässig (BayVGH, B.v. 25.11.2003 – 25 CS 03.2920 – juris Rn. 6). Eine Beeinträchtigung durch ein nichtprivilegiertes Bauvorhaben im Außenbereich scheidet nur dann aus, wenn das Baugrundstück sich wegen seiner natürlichen Beschaffenheit weder für die Bodennutzung eignet noch einen Erholungswert hat oder wenn es seine Schutzwürdigkeit bereits durch andere Eingriffe eingebüßt hat (BayVGH, B.v. 13.3.2019 – 1 ZB 17.1763 – juris Rn. 4). Da die baulichen Anlagen nicht privilegiert sind und auch nicht ersichtlich ist, dass sich das Baugrundstück weder für die Bodennutzung eignet noch einen Erholungswert hat, ist der öffentliche Belang durch die Anlage voraussichtlich beeinträchtigt.
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- Zum anderen liegt voraussichtlich ein Verstoß gegen die Instandhaltungspflicht gem. Art. 3 Satz 1 BayBO vor. Demnach sind Anlagen unter Berücksichtigung der Belange der Baukultur, insbesondere der anerkannten Regeln der Baukunst, so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und Instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit, und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden. Im Baurecht muss – nicht nur für den Erlass von Rechtsvorschriften, sondern auch für Verwaltungsakte – die Gefahr nicht konkret (akut) wie im Polizeirecht sein, sondern es genügt eine sog. abstrakte (potentielle) Gefahr. Der Unterschied zwischen abstrakter und konkreter Gefahr ist weitgehend verwischt. Das beruht auf der Übereinstimmung der konkreten Anlage mit der typischen Anlage. Da in tatsächlicher Hinsicht zwischen ihnen kein wesentlicher Unterschied besteht, sind auch die gleichen Gefahren zu befürchten. Eine Einzelmaßnahme zur Gefahrenabwehr erfordert keinen höheren Grad an Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts als die Rechtsvorschrift, die der Abwehr von Gefahr vorbeugen will. Im Regelfall kann daher schon aus der der Gefahrenabwehr dienenden – abstrakten – Rechtsvorschrift auf das Vorliegen einer konkreten Gefahr geschlossen werden, sofern nicht der Eintritt eines Schadens wegen besonderer Umstände des Einzelfalls unwahrscheinlich ist. Um auf dieser Grundlage der vorbeugenden Gefahrenabwehr Eingriffe vornehmen oder eine Baugenehmigung versagen zu können, muss die Grenze zur Gefahr und Schädlichkeit überschritten sein und nicht nur ein Risiko bestehen. Von einem Risiko wird gesprochen, wenn zwar Schadensmöglichkeit angenommen, Schadensverlauf und Eintrittswahrscheinlichkeit aber nicht hinreichend sicher beurteilt werden können (Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, a.a.O., Art. 3 Rn. 126 f.)
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Die von der Antragsgegnerin angenommene Gefährdung von Leben und Gesundheit von Passanten, insbesondere Kindern, und Tieren durch den sog. „NATO-Draht“ ist für das Gericht plausibel und nachvollziehbar. Zu diesem Eindruck gelangt das Gericht aufgrund der in Behörden- und Gerichtsakte befindlichen Lichtbilder sowie der Beschaffenheit des „NATO-Drahts“ an sich. Dabei handelt es sich um eine Variante des Stacheldrahtes, der als Drahtrolle gedreht ist und dessen Aufgabe es ist, ein unerlaubtes Passieren von Personen und in gewissem Umfang auch Fahrzeugen stark zu erschweren oder zu verhindern. Er ist gefährlicher als Stacheldraht, da die rasiermesserscharfen Schneiden stärkere Verletzungen als die Stacheldrahtdornen verursachen. Er lässt sich schneller anbringen, da auf Krampen oder Nägel verzichtet werden kann. Die Enden des Bandstacheldrahtes lassen sich aneinanderfügen, da am Anfang und Ende eine Verbindungsöse eingestanzt ist. Durch seine Form lässt er sich raumsparend verpacken und transportieren (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Nato-Draht; abgerufen am 27. Juli 2023). Aufgrund seiner Beschaffenheit stellt der „NATO-Draht“ eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit von Menschen, dar. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Passanten sich dem in einer natürlichen Hecke verborgenen Zaun unbemerkt nähern, wenn sie Pflanzenschmuck betrachten oder suchen, Haustiere beim Gassi gehen entlaufen, Kinder im Unterholz spielen oder ähnliche Situationen. Aufgrund seiner Beschaffenheit fügt der „NATO-Draht“ den Personen, die mit ihm in Berührung kommen, schwerwiegende Schnittverletzungen zu. Durch Widerhaken wird eine Befreiung aus dem Draht nicht nur erschwert, vielmehr erfolgt bei Befreiungsversuchen eine Verwicklung in dem Draht, durch die weitere schwere Verletzungen hervorgerufen werden können. Eine Befreiung aus eigener Kraft ist kaum möglich (vgl. VG Minden, B.v. 11.7.2003 – 11 L 603/03 – juris). Die Gefährdungssituation ergibt sich vorliegend damit voraussichtlich bereits aus der Beschaffenheit der baulichen Anlage an sich. Allein der Umstand, dass in der Vergangenheit (bis auf den Vorfall im Januar 2023) hierzu keine Schadenslagen dem Antragsteller oder der Antragsgegnerin bekannt geworden sind, bedeutet zum einen nicht, dass diese nicht eingetreten wären und ändert zum anderen nichts an der sich aus der reinen Beschaffenheit ergebenden Gefährdungslage.
36
ff) Das der Behörde eingeräumte Ermessen wurde in ausreichendem Maß ausgeübt, § 114 Satz 1 VwGO. Auch ist die Beseitigungsanordnung verhältnismäßig (vgl. Art. 8 LStVG).
37
Die Antragsgegnerin hat im streitgegenständlichen Bescheid mit der Wiedergabe des Wortes „kann“ aus der Rechtsgrundlage des Art. 76 Satz 1 BayBO und der „in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens“ erlassenen Beseitigungsanordnung erkannt, dass ihr bei dem Erlass der Beseitigungsanordnung ein Ermessensspielraum zusteht. Widerstreitende Grundrechtsinteressen wurden in Ausübung des Ermessens einander gegenübergestellt und abgewogen.
38
Die Anordnung ist auch verhältnismäßig. Sie ist ein geeignetes Mittel zur Beseitigung des baurechtswidrigen Zustandes. Sie ist erforderlich, weil ein milderes (öffentlich-rechtliches) Mittel als die Beseitigung nicht in Betracht kommt. Soweit der Antragsteller vorträgt, er sei freiwillig zu einer Errichtung eines das Grundstück unmittelbar an der östlichen Grundstücksgrenze zum Weg hin umfriedenden Zaunes (als Schutz vor Betreten und Erreichens des „NATO-Drahtes“) bis/im Oktober 2023 bereit, ist dies eine Absichtserklärung, die die Gefahrenlage derzeit nicht beseitigt und zu der die Antragsgegnerin den Antragsteller auch öffentlich-rechtlich wohl nicht verpflichten könnte. Die Beseitigungsanordnung ist auch unter Berücksichtigung des Eigentumsrechts des Antragstellers einerseits und der Schwere der drohenden Körper- und Gesundheitsverletzungen andererseits angemessen. Die Beseitigung des lediglich auf dem Boden verlegten Drahtes ist relativ problemlos möglich und stellt keinen schwerwiegenden Eingriff in das Eigentumsrecht dar. Auch das vom Antragsteller angeführte Naturschutzrecht steht der Beseitigungsanordnung nicht entgegen, da das dortige Verbot aus § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG, Hecken, lebende Zäune, Gebüsche und andere Gehölze in der Zeit vom 1. März bis zum 30. September abzuschneiden, auf den Stock zu setzen oder zu beseitigen, gem. § 39 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG nicht für behördlich angeordnete Maßnahmen bzw. gem. § 39 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 c) BNatSchG nicht für unaufschiebbare Maßnahmen zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit gilt.
39
gg) Der Antragsteller als Miteigentümer am Grundstück wurde zu Recht als Zustandsstörer in Anspruch genommen (Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG).
40
- Der Antragsteller ist nach Aktenlage einer von sieben (Mit-)Eigentümern des Grundstücks Fl.Nr. ... Gemarkung L.. Bei der Eigentümergemeinschaft unter Miteigentümern handelt es sich um eine Bruchteilsgemeinschaft nach §§ 741 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die Bruchteilsgemeinschaft stellt keine eigene Rechtspersönlichkeit dar, sondern besteht vielmehr aus der Gemeinschaft der Eigentümer. Damit ist jeder Teilhaber bzw. jedes Mitglied der Bruchteilsgemeinschaft zulässigerweise Adressat des Bescheids, was sich klar und eindeutig aus dem Wortlaut der Ziffern 1 bzw. 3 und 4 des Bescheids sowie aus der Bescheidsbegründung (Seite 3 unten) ergibt, nach dem „die Eigentümer“ „gesamtschuldnerisch“ zur Beseitigung verpflichtet werden und die Beseitigungsanordnung an die Grundstückseigentümer als Zustandsstörer (namentlich aufgezählt: Herrn H.H.F., Frau M.R.F., Herr R.C.RF., Frau U.S., Frau J.F., Frau U.S. und Herr J.F. = der Antragsteller) gerichtet ist. Gesamtschuldnerische Verpflichtung bedeutet nach § 421 BGB, dass mehrere eine Leistung in der Weise schulden, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet ist. Der Gläubiger (= die Antragsgegnerin) kann in diesem Fall die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Schuldner […] (= jedem der Miteigentümer) verlangen. Die Schuldner sind dann nach dem bürgerlichen Recht untereinander zum Ausgleich verpflichtet.
41
- Die Auswahl der Grundstückseigentümer als Zustandsstörer, und damit auch die Auswahl des Antragsstellers, begegnet dabei voraussichtlich keinen Bedenken.
42
Gegen wen eine Beseitigungsanordnung erlassen werden kann, ergibt sich in einer entsprechenden Anwendung des Art. 9 LStVG als der allgemeinen Bestimmung über die sicherheitsrechtliche Verantwortlichkeit. Art. 9 LStVG legt fest, gegen wen die Anordnung im Einzelfall zu richten ist. Die Vorschrift ist keine Befugnisnorm, sondern setzt eine solche voraus. Sie bestimmt den Adressaten und damit die Richtung der Maßnahme (vgl. hierzu Decker in Busse/Kraus, BayBO, a.a.O., Art. 76 Rn. 152). Art. 9 LStVG unterscheidet zwischen dem Handlungsstörer (Art. 9 Abs. 1 LStVG), dem Zustandsstörer (Art. 9 Abs. 2 LStVG) und dem Nichtstörer (Art. 9 Abs. 3 LStVG). Handlungsverantwortlicher im Sinne des Art. 9 Abs. 1 LStVG ist derjenige, der unmittelbar durch sein eigenes Verhalten die Gefahr verursacht; vorliegend also die (aufgrund Zeitablauf nicht mehr nachvollziehbare) Person, die den Zaun errichtet hat. Zustandsstörer ist nach Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LStVG der Eigentümer einer Sache. Ist danach eine Mehrheit von Störern für die ungenehmigte Nutzung verantwortlich, hat die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen über deren Inanspruchnahme zu entscheiden. Gesetzliche Richtschnur für die fehlerfreie Ausübung des Auswahlermessens müssen beim Zusammentreffen von Handlungs- und Zustandsstörer die Umstände des Einzelfalles, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und auch das Gebot der schnellen und effektiven Gefahrenabwehr sein. Im Hinblick darauf, dass der Handlungsstörer vorliegend unbekannt ist, kommt ausnahmsweise eine ermessensgerechte vorrangige Inanspruchnahme des Zustandsstörers vor dem Handlungsstörer in Betracht, wenn andernfalls die im öffentlichen Interesse gelegene wirksame und schnelle Beseitigung der von der Sache ausgehenden Störung der Rechtsordnung verzögert würde (BayVGH, B.v. 1.7.1986 – 21 B 85 A.3336 – juris; B.v. 1.2.2012 – 2 ZB 11.489 – juris Rn. 4).
43
Nach Maßgabe der oben dargelegten Anforderungen an eine ermessensgerechte Störerauswahl hat die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an einer wirksamen und schnellen Beseitigung der vom Zaun ausgehenden Gefährdungslage den Antragsteller (und seine Miteigentümer) zu Recht als Zustandsstörer als Adressaten der Beseitigungsanordnung herangezogen. Die Anordnung setzt dabei auch kein Verschulden des Verpflichteten voraus (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, a.a.O. Art. 76 Rn. 169).
44
c) Der Antrag ist schließlich auch unbegründet, soweit er auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Androhung des Zwangsgeldes in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids gerichtet ist. Insoweit wird die Klage voraussichtlich ebenfalls erfolglos bleiben.
45
Aufgrund der nach summarischer Überprüfung rechtmäßig erfolgten Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziffer 2 liegt ein Grundverwaltungsakt gem. Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG vor, der aufgrund der nach Aktenlage erfolgten Zustellung gleichlautender Bescheide an alle sieben Grundstückseigentümern allen gegenüber vollziehbar ist.
46
Die Zwangsgeldandrohung wurde zutreffend auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG gestützt. Art. 36 Abs. 5 VwZVG verlangt dabei, dass das Zwangsgeld in einer bestimmten Höhe anzudrohen ist. Dies dient dem Zweck, dem Vollstreckungsschuldner zu erkennen zu geben, für welchen Fall der Nichterfüllung einer Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflicht ihm ein Zwangsgeld in welcher Höhe droht. Dabei ist auch eine Frist zu bestimmen, innerhalb welcher dem Pflichtigen der Vollzug billigerweise zugemutet werden kann, Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG. Die hier eingeräumte Frist von 17 Tagen (Zustellung des Bescheids am 6. Juli 2023; Fristsetzung bis 23. Juli 2023) begegnet angesichts des lediglich auf dem Boden aufliegenden, kaum baulich verankerten Zaunmaterials voraussichtlich keinen Bedenken. Dies gilt ebenso für die Höhe des angedrohten Zwangsgelds. Auch die rechtlichen Anforderungen an das Bestimmtheitserfordernis in Art. 36 BayVwZVG sind vorliegend gewahrt. Für den Antragsteller ist klar erkennbar, welches Zwangsgeld ihm im Falle der Nichtbefolgung der Beseitigungsverfügung droht. Weiterhin wurde die Zwangsgeldandrohung dem Antragsteller sowie allen weiteren Grundstückseigentümern mittels Postzustellungsurkunde (Art. 3 VwZVG) ordnungsgemäß zugestellt, Art. 36 Abs. 7 VwZVG.
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3. Rein klarstellend wird ausgeführt, dass ein über diesen hier zulässigen, insbesondere statthaften, aber inhaltlich unbegründeten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hinausgehender Eilrechtsschutz im Sinne des vom Antragsteller in Nr. 2 formulierten Rechtsschutzziels mit dem Begehren, ihm die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung nachzulassen, in der Verwaltungsgerichtsordnung unbekannt ist.
48
4. Angesichts seines Unterliegens trägt der Antragsteller die Kosten des Verfahrens, § 154 Abs. 1 VwGO.
49
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Dabei wird der im Hauptsacheverfahren zu Grunde gelegt Auffangstreitwert im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes halbiert (vgl. § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs).