Inhalt

VGH München, Beschluss v. 29.09.2023 – 15 CE 23.1586
Titel:

Erfolgloser Eilantrag des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten - Wohnnutzung im Dachgeschoss

Normenketten:
VwGO § 123
BayBO Art. 76 S. 2
Leitsätze:
1. Die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Dringlichkeit der Sache liegt in aller Regel nur dann vor, wenn es dem Antragsteller im Verfahren gem. § 123 VwGO unter Berücksichtigung seiner Interessen nicht zumutbar ist, die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nicht alles, was ggf. unter dem Gesichtspunkt des baurechtlichen Nachbarrechtsschutzes als rücksichtslos und unzumutbar zu bewerten sein könnte, stellt bereits einen für die Dauer des Hauptsacheverfahrens nicht hinzunehmenden wesentlichen Nachteil iSd § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO dar. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarantrag auf bauaufsichtliches Einschreiten, Nutzungsuntersagung Wohnnutzung im Dachgeschoss, Dachgauben, Fehlender Anordnungsgrund, Dringlichkeit, Vorwegnahme der Hauptsache
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 16.08.2023 – RO 7 E 23.1380
Fundstelle:
BeckRS 2023, 27910

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt vom Antragsgegner bauaufsichtliches Einschreiten gegen den Beigeladenen in Form einer Nutzungsuntersagung.
2
Der Beigeladene errichtete auf seinem bestehenden Wohnhaus zwei Dachgauben zur Wohnnutzung im Dachgeschoss. Bei dem Wohngebäude des Beigeladenen handelt es sich um ein Doppelhaus, das mit dem Wohngebäude des Antragstellers grenzständig verbunden ist.
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Mit Schreiben vom 5. Juli 2023 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers beim Antragsgegner in geeigneter Weise bauaufsichtlich einzuschreiten.
4
Mit E-Mail vom 25. Juli 2023 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass die Änderung und Nutzungsänderung von Dachgeschossen zu Wohnzwecken einschließlich der Errichtung von Dachgauben im bauplanungsrechtlichen Innenbereich genehmigungsfreigestellt seien. Da in der Bauvorlage lediglich die Errichtung von zwei Dachgauben angegeben worden sei ohne den zwingend für die Anwendung des Freistellungsverfahrens erforderlichen Ausbau des Dachgeschosses zu Wohnzwecken, sei der Beigeladene aufgefordert worden, die Bauvorlage abzuändern. Dem Beigeladenen sei auch mitgeteilt worden, dass für die Wohnnutzungen im Erdgeschoss und Obergeschoss und für die Praxisnutzung im Anbau noch Baugenehmigungen vorgelegt werden müssten und nachgewiesen werden müsste, dass die seitlichen Gaubenwände zum westlich angrenzenden Nachbargrundstück als Brandwände ausgeführt worden seien.
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Am 2. August 2023 beantragte der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg, dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO aufzugeben, die Nutzung der vom Beigeladenen neu errichteten Dachgauben durch eine für sofort vollziehbar zu erklärende Ordnungsverfügung, jedenfalls bis zur Klärung von Nutzungsumfang und -art sowie der Brandschutzsituation, vorläufig zu untersagen und dem Beigeladenen einstweilen bis zur endgültigen Entscheidung der Kammer über den Eilantrag aufzugeben, die weitere Nutzung/etwaige weitere Bauausführung zu unterlassen bzw. die Nutzung zu untersagen. Mit Beschluss vom 16. August 2023 lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg die Eilanträge ab.
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Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er bringt vor, der Eilrechtsschutz sei zunächst aufgrund der prekären Brandschutzsituation beantragt worden. Die Dachgauben seien baurechtswidrig errichtet worden, sie würden sich nicht einfügen, seien im Doppelhausverhältnis rücksichtslos und würden die Abstandsflächen verletzen. Jede Baurechtswidrigkeit, die Nachbarrechte verletzen würde, sei insofern eilbedürftig, als sie im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO stets auch zu einer stattgebenden Entscheidung Anlass geben würde. Die Fertigstellung würde das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen lassen. Die Nachbarrechtswidrigkeit erfordere nicht noch eine besondere Begründung einer Eilbedürftigkeit, da sonst das Genehmigungsfreistellungsverfahren generell rechtswidriges Bauen in einem ersten Schritt privilegieren würde und ein Nachbar rechtsschutzlos gestellt werden würde, bis nach vielen Monaten in einem Hauptsacheverfahren über den Bau entschieden werden würde.
7
Der Antragsgegner und der Beigeladene treten dem Vorbringen entgegen und beantragen,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten im Klage- und Eilverfahren in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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1. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern wäre.
11
Nach den in den Akten befindlichen Lichtbildern und dem Vortrag des Antragstellers sind die Gauben bereits fertig gestellt. Daher kommt eine Baueinstellungsverfügung, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt, nicht mehr in Betracht. Dem tritt der Antragsteller nicht substantiiert entgegen.
12
Unabhängig von der Frage, ob der Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegend besonders hohen Hürden unterliegt, weil die vom Antragsteller begehrte (sofort vollziehbare) Nutzungsuntersagung der Wohnnutzung eine Vorwegnahme der Hauptsache bedeuten würde (vgl. HessVGH, B.v. 3.3.2016 – 4 B 403/16 – juris Rn. 10 f.), liegen die Voraussetzungen für eine Regelungsanordnung schon nach den allgemeinen Anforderungen des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht vor. Die auf eine Veränderung des Status quo gerichtete Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist nur dann möglich, wenn eine vorläufige Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V. mit § 920 Abs. 2 ZPO), dass einerseits ein materieller Anspruch (sog. Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht wird, auf den sich die vorläufige Regelung beziehen soll, und dass andererseits die Gründe glaubhaft gemacht werden, die eine vorläufige Regelung im Wege einer gerichtlichen Eilentscheidung nötig machen (sog. Anordnungsgrund = erforderliche Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung bis zum rechtskräftigen Abschluss der Entscheidung über die Hauptsache; vgl. BayVGH, B.v. 16.2019 – 15 CE 18.2652 – juris Rn. 17). Es kann hier offenbleiben, ob ein Anordnungsanspruch, insbesondere im Hinblick auf eine geltend gemachte Ermessensreduktion auf null, besteht bzw. ob ein solcher vom Antragsteller überhaupt glaubhaft gemacht wurde. Es fehlt jedenfalls in Bezug auf einen vom Antragsteller behaupteten Anordnungsanspruch aus Art. 76 Satz 2 BayBO an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Dringlichkeit der Sache liegt in aller Regel nur dann vor, wenn es dem Antragsteller im Verfahren gem. § 123 VwGO unter Berücksichtigung seiner Interessen nicht zumutbar ist, die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2023 – 15 CE 22.2689 – juris Rn. 12 ff.).
13
Mit seinem Vorbringen hat der Antragsteller nicht substantiiert dargelegt, weswegen das Hauptsacheverfahren nicht abgewartet werden könne, denn die sofortige Nutzungsuntersagung der Gauben gegenüber dem Beigeladenen würde an dem behaupteten Verstoß gegen das Einfügensgebot, an einer Rücksichtslosigkeit im Doppelhausverhältnis und an einer Abstandsflächenverletzung nichts ändern. Solchen Verstößen könnte allenfalls ein Rückbau Rechnung tragen, der aber vom Antragsteller im gerichtlichen Verfahren nicht beantragt wurde und für dessen Sofortvollzug es regelmäßig am besonderen Vollzugsinteresse fehlen dürfte (BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – juris Rn. 23).
14
Wie sich aus einer E-Mail des Antragsgegners an den Antragsteller vom 25. Juli 2023 (Bl. 11 der Gerichtsakte zum Verfahren RO 7 E 23.1380) ergibt, befinden sich im Haus drei Wohnungen (in jeder Etage eine) und im nördlichen Anbau eine Praxis. Auch aus dem Brandschutznachweis (Bl. 42 der Gerichtsakte zum Verfahren RO 7 E 23.1380) ergibt sich, dass sich im Dachgeschoss eine Wohnung befindet. Der Antragsteller behauptet nur pauschal eine rechtswidrige Nutzung der Gauben und legt nicht substantiiert dar, weswegen eine Wohnnutzung des Dachgeschosses in einem Wohngebäude, auch wenn es sich um eine nach Einbau der Dachgauben neu geschaffene Wohnnutzung handeln sollte, seine Nachbarrechte verletzen soll. Ein nicht hinzunehmender wesentlicher Nachteil, der dazu führt, dass der Antragsteller das Hauptsacheverfahren nicht abwarten kann, wurde daher nicht glaubhaft gemacht. Darüber hinaus stellt nicht alles, was ggf. unter dem Gesichtspunkt des baurechtlichen Nachbarrechtsschutzes als rücksichtslos und unzumutbar zu bewerten sein könnte, bereits einen für die Dauer des Hauptsacheverfahrens nicht hinzunehmenden wesentlichen Nachteil im Sinn des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO dar (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2023 – 15 CE 22.2689 – juris Rn. 12 ff.).
15
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da der Beigeladene sich am Beschwerdeverfahren beteiligt und damit auch ein Kostenrisiko übernommen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass der Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
16
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
17
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).