Inhalt

VGH München, Beschluss v. 28.09.2023 – 1 ZB 22.2568
Titel:

Beseitigungsanordnung für eine Unterstellhalle für landwirtschaftliche Geräte

Normenketten:
VwGO § 124a Abs. 4 S. 4
BayBO Art. 6, Art. 63, Art. 76 S. 1
VwZVG Art. 31, Art. 36
Leitsatz:
Das öffentliche Baurecht ist grundstücksbezogen, sodass persönliche oder wirtschaftliche Umstände bei Erlass der Beseitigungsanordnung nicht zu prüfen sind. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung für eine Unterstellhalle für landwirtschaftliche Geräte, Persönliche und wirtschaftliche Umstände, Keine Berücksichtigung bei der Ermessensausübung, Unverhältnismäßige Höhe des angedrohten Zwangsgeldes, Teilweise Zulassung der Berufung, Beseitigungsanordnung, Unterstellhalle, landwirtschaftliche Geräte, persönliche und wirtschaftliche Umstände, Ermessensausübung, Zwangsgeld
Fundstelle:
BeckRS 2023, 27903

Tenor

I. Die Berufung wird zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht die Klage auch insoweit abgewiesen hat, als in Nr. 2 des angegriffenen Bescheids ein Zwangsgeld in Höhe von 30.000 Euro angedroht wird für den Fall, dass der Kläger der Beseitigungsanordnung (Nr.1) nicht nachkommt.
Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, soweit der Verwaltungsgerichtshof den Antrag abgelehnt hat. Der Beigeladene trägt insofern seine außergerichtlichen Kosten selbst. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorbehalten.
III. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird vorläufig auf 2.500 Euro festgesetzt.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich gegen die mit einer Zwangsgeldandrohung verbundene Beseitigungsanordnung für eine Unterstellhalle für landwirtschaftliche Geräte auf dem Grundstück FlNr., Gemarkung B.
2
Trotz mehrerer Baueinstellungsverfügungen errichtete der Kläger, der auf dem Vorhabengrundstück einen landwirtschaftlichen Betrieb betreibt, ein Gebäude mit einer Fläche von 13,50 m x 10,16 m und einer Wandhöhe von 4,50 m, das zu der Grundstücksgrenze des nordwestlich angrenzenden Grundstücks einen Abstand von 1 m einhält und zu der östlichen Grundstücksgrenze einen sich verringernden Abstand von 1 m an der breitesten Stelle aufweist.
3
Die gegen die streitgegenständliche Beseitigungsanordnung gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Beseitigungsanordnung sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Die landwirtschaftliche Unterstellhalle sei bereits aufgrund ihrer Grundfläche von mehr als 100 m² nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtig. Daneben liege ein Verstoß gegen die abstandsflächenrecht-lichen Vorschriften nach Art. 6 BayBO vor. Ein Fall des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO liege nicht vor. Auch Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO sei nicht anwendbar, weil die Unterstellhalle nicht unmittelbar an den Grundstücksgrenzen errichtet worden sei. Eine – nicht beantragte – Abweichung nach Art. 63 BayBO von den abstandsflächenrechtlichen Vorschriften komme jedenfalls nicht in Betracht, weil kein besonderer Zuschnitt des Vorhabengrundstücks gegeben sei und auch die faktische oder wirtschaftliche Notwendigkeit der Errichtung der Unterstellhalle eine Abweichung nicht begründen könne, da sie weder grundstücksbezogen noch die Errichtung der Halle an diesem Standort erforderlich sei. Die Ermessensausübung begegne keinen rechtlichen Bedenken. Auch sei die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes angesichts der zuvor bereits erfolglos festgesetzten Zwangsgelder im Rahmen der Baueinstellungsverfügungen von insgesamt mehr als 15.000 Euro nicht zu beanstanden.
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Mit dem Zulassungsvorbringen macht der Kläger geltend, dass die Missachtung von Anforderungen des Landratsamts nicht schuldhaft erfolgt sei, da er im Zeitraum des verwaltungsrechtlichen Verfahrens – ohne dass ihm dies bekannt gewesen sei – ernsthaft erkrankt gewesen und im Frühjahr 2022 eine Unterbringung in einer Klinik mit der Anordnung einer Betreuung erfolgt sei. Wegen der Grunderkrankung sei es zu Versäumnisurteilen gekommen, die mehrere rechtshängige Zwangsversteigerungen zu seinen Lasten zur Folge hätten. Das Verwaltungsgericht habe nicht geprüft, ob sich das Vorhaben im Außenbereich befinde und eine Privilegierung in Betracht komme. Das Ermessen sei fehlerhaft ausgeübt worden, da die Lücke zur östlichen Grundstücksgrenze bautechnisch durch eine entsprechende Verblendung geschlossen werden könne. Auf dem nordwestlich angrenzenden Grundstück befinde sich an der Grundstücksgrenze ein baurechtswidriger Lagerplatz von Altreifen. Zwischenzeitlich sei auch ein Antrag auf Zulassung der Abweichung nach Art. 63 BayBO gestellt worden. Ferner sei auf Hinweis des Landratsamts ein Bauantrag für das Vorhaben und ein (weiterer) Antrag auf Erteilung einer Abweichung für die fehlende Abstandsfläche zwischen Altbestand und der Halle auf dem Vorhabengrundstück gestellt worden. Seine krankheitsbedingte Situation hätte im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt werden müssen. Das an dieser Stelle errichtete Vorhaben störe nicht. Die Zwangsgeldandrohung sei im Hinblick auf die persönliche Situation des Klägers unangemessen hoch.
5
Der Beklagte tritt dem Zulassungsvorbringen entgegen. Ob das Vorhaben im Außenbereich liege, sei nicht entscheidungserheblich, weil auch eine Privilegierung nicht von der Pflicht zur Beachtung der einzuhaltenden Abstandsflächen entbinde (§ 29 Abs. 2 BauGB). Der Abstandsflächenrechtsverstoß gegenüber dem nordwestlichen Nachbargrundstück bleibe auch bei Errichtung einer Verblendung bestehen. Das Zulassungsvorbringen lege nicht dar, inwiefern sich ein Lagerplatz auf dem benachbarten Grundstück auf die Rechtmäßigkeit der Beseitigungsanordnung auswirken könne. Die persönlichen oder wirtschaftlichen Umstände des Klägers könnten nicht in die Ermessensentscheidung eingestellt werden.
6
Ergänzend wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat nur teilweise Erfolg.
8
1. Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, soweit sich der Kläger gegen die Abweisung der Anfechtungsklage gegen die Beseitigungsanordnung in Nr. 1 des angegriffenen Bescheids wendet. Insoweit liegen die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), besonderer rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sowie des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) nicht vor bzw. werden nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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1.1 Das Zulassungsvorbringen zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts auf, dass die Beseitigungsanordnung rechtmäßig ist (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
10
Da nach § 29 Abs. 2 BauGB Vorhaben sowohl im Innenbereich nach § 34 BauGB als auch im Außenbereich nach § 35 BauGB die erforderlichen Abstandsflächen einhalten müssen, stellt sich vorliegend die Frage, ob das Vorhaben sich im Außenbereich befinden könnte, nicht.
11
Soweit das Zulassungsvorbringen geltend macht, dass zu dem östlich angrenzenden Grundstück die vorhandene „Lücke“ zum Grenzbau auf dem Nachbaranwesen bautechnisch mit einer Verblendung geschlossen werden könne, übersieht der Kläger, dass dadurch der Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht bei der nordwestlichen Grundstücksgrenze nicht behoben werden kann. Zur Relevanz der behaupteten baurechtswidrigen Lagerung von Altreifen auf dem nordwestlich angrenzenden Grundstück für die Rechtmäßigkeit der Beseitigungsanordnung fehlen jegliche Ausführungen.
12
Auch der Vortrag, dass zwischenzeitlich entsprechende Anträge auf Erteilung von Abweichungen nach Art. 63 BayBO (auch im Hinblick auf den Altbestand auf seinem Grundstück) sowie ein Bauantrag für das Vorhaben gestellt worden seien, vermag die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen. Zwar können bei der Entscheidung über den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vom Kläger innerhalb der Antragsfrist vorgetragene und nach materiellem Recht entscheidungserhebliche Tatsachen berücksichtigt werden, die erst nach Erlass der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eingetreten sind (vgl. BVerwG, B.v. 15.12.2003 – 7 AV 2.03 – NVwZ 2004, 744). Der hier geltend gemachte Antrag auf Erteilung von Abweichungen für die fehlenden Abstandsflächen an der östlichen und nordwestlichen Grundstücksgrenze vom 16. Januar 2023 kann – eine Vorabübersendung per Fax unterstellt – nicht berücksichtigt werden, weil über die Abweichung mit dem Bauantrag entschieden wird und dieser erst nach Ablauf der Begründungsfrist auf Hinweis des Landratsamts mit Schreiben vom 7. Februar 2023 gestellt wurde.
13
Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht keine objektiven Umstände des Einzelfalls erkennen können, die eine Abweichung nach Art. 63 BayBO von den abstandsflächenrechtlichen Vorschriften rechtfertigen könnten, da weder ein besonderer Zuschnitt des Vorhabengrundstücks vorliegt noch eine faktische oder wirtschaftliche Notwendigkeit der Errichtung der Halle für den landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers ausreicht (UA Rn. 23). Den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass es somit an der Grundstücksbezogenheit fehlt und die Errichtung der Halle an dem gewählten Standort nicht erforderlich sei, setzt das Zulassungsvorbringen lediglich entgegen, dass bereits der Ortstermin im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens die objektiven Umstände des konkreten Vorhabens gezeigt habe und die Unterstellhalle auch im Hinblick auf die Nichteinhaltung von Abstandsflächen niemanden störe, insbesondere nicht die Nachbarn. Dieser unsubstantiierte Vortrag im Zulassungsvorbringen genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO.
14
Weiter hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass die Ermessensausübung keinen rechtlichen Bedenken begegnet. Die geltend gemachte schwere Erkrankung des Klägers mit mehrmonatiger stationärer Behandlung in einer Klinik mit der Folge, dass von Schuldunfähigkeit des Klägers ausgegangen werden müsse, ist im Rahmen der Ermessensentscheidung nicht zu berücksichtigen. Das öffentliche Baurecht ist grundstücksbezogen. Persönliche oder wirtschaftliche Umstände sind bei Erlass der Beseitigungsanordnung nicht zu prüfen (vgl. BayVGH, U.v. 9.5.2018 – 1 B 14.2215 – BayVBl 2019, 23). Soweit der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in der Entscheidung vom 9. November 1990 (8 S 1013/90) dies für den Einzelfall anders bewertet hat, ist dem nicht zu folgen. Die vom Kläger eingeforderte Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände wird gleichwohl nicht ausgeblendet. Diese sind vielmehr im Rahmen der Vollstreckung der Beseitigungsanordnung, insbesondere bei der Bestimmung einer angemessenen Vollzugsfrist zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 19.2.2014 – 15 C 13.2483 – juris Rn. 17).
15
1.2. Aus den vorgenannten Gründen weist die Rechtssache keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf.
16
1.3. Den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat der Kläger nicht ausreichend dargelegt (vgl. zur Darlegungslast BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Es fehlt bereits an der Formulierung einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage.
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1.4. Soweit der Kläger einen Verfahrensfehler darin sieht, dass das Verwaltungsgericht die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Entscheidung des Landgerichts Ingolstadt, aus der sich die persönliche Krankheits- und Leidenssituation des Klägers ergebe, nicht berücksichtigt habe, kam es darauf nicht entscheidungserheblich an.
18
2. Der Zulassungsantrag hat dagegen Erfolg, soweit er sich gegen die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Zwangsgeldandrohung in Nr. 2 des angegriffenen Bescheids richtet. Insoweit bestehen die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils in Bezug auf die Ermessensausübung für die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
19
Das Zwangsgeld soll den Pflichtigen effektiv zur Befolgung einer Anordnung anhalten, es soll eine „Beugewirkung“ auf den Pflichtigen ausgeübt werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.5.2020 – 1 ZB 19.2258 – juris Rn. 8; B.v. 20.5.2020 – 8 CS 20.772 – juris Rn. 25). Maßgeblicher Grund für die gewählte Zwangsgeldhöhe waren die zuvor bereits festgesetzten Zwangsgelder im Rahmen der Baueinstellungsverfügungen von insgesamt mehr als 15.000 Euro. Eine zwangsläufige Erhöhung dieser Zwangsgelder verkennt zum einen die Tatsache, dass es sich um eine andere Verfügung handelt als auch den unbestrittenen Vortrag des Klägers, dass seine Einsichtsfähigkeit zum damaligen Zeitpunkt eingeschränkt war.
20
Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Ablehnung des Zulassungsantrags ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene insoweit seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
21
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
22
Soweit die Berufung zugelassen wurde, bleibt die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorbehalten, weil das Zulassungsverfahren insofern als Berufungsverfahren fortgesetzt wird (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO). Insoweit wird der Streitwert vorläufig auf 2.500 Euro festgesetzt.
23
Soweit der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt wurde, ist dieser Beschluss unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts in diesem Umfang rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4).
24
Soweit die Berufung zugelassen wurde, gilt folgende