Inhalt

VGH München, Beschluss v. 28.09.2023 – 1 ZB 22.550
Titel:

Neubau eines Wohngebäudes mit neun Wohneinheiten und Tiefgarage

Normenkette:
BauGB § 34 Abs. 1
Leitsatz:
Die Anzahl der Wohneinheiten in einem Wohngebäude ist für ein Einfügen iSv § 34 Abs. 1 BauGB nicht relevant. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Inzidentprüfung eines Bebauungsplans, Bindungswirkung Vorbescheid, Wohngebäude, Einfügen, Anzahl der Wohneinheiten, Zu- und Abfahrt, Anliefer- und Besucherverkehr
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 04.11.2021 – M 11 K 18.2262
Fundstelle:
BeckRS 2023, 27902

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 90.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines Wohngebäudes mit neun Wohneinheiten und Tiefgarage auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung P…
2
Das Landratsamt erteilte der Klägerin am 8. März 2016 einen Vorbescheid, der im Betreff die Angabe „Errichtung eines Wohngebäudes mit neun Wohneinheiten und Tiefgarage“ enthält. Darin wurde die Zulässigkeit der abgefragten überbaubaren Grundfläche von 274 m², die Zulässigkeit eines Staffelgeschosses, eine (talseitig gemessene) Wandhöhe von 9,55 m sowie die Zulässigkeit der geplanten Tiefgarage festgestellt.
3
Den Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung lehnte das Landratsamt mit Bescheid vom 4. April 2018 ab, da die zwischenzeitlich von der Beigeladenen erlassene Veränderungssperre dem Vorhaben entgegenstehe. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig, weil es mehreren Festsetzungen des zwischenzeitlich erlassenen Bebauungsplans widerspreche. Das zur Genehmigung gestellte Vorhaben stimme mit den Festsetzungen des Bebauungsplans zur maximalen Anzahl der Wohneinheiten, der zulässigen Grundfläche, der Geschossfläche sowie der Wandhöhen nicht überein. Der Bebauungsplan sei wirksam, er weise weder Ermittlungsdefizite auf noch sei gegen das Abwägungsgebot verstoßen worden. Der Vorbescheid sei nicht geeignet, die bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit des Vorhabens aufgrund der Widersprüche zu den Festsetzungen des Bebauungsplans zu überwinden. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sei der Vorbescheid bereits abgelaufen und in den maßgeblichen Punkten nicht verlängert worden. Zudem wäre das streitgegenständliche Vorhaben auch im Fall einer Wirksamkeit des Vorbescheids nicht genehmigungsfähig, da es Festsetzungen des Bebauungsplans widerspreche, die nicht Gegenstand des Vorbescheids gewesen seien und es zudem im Hinblick auf die Grundfläche vom Vorbescheid abweiche. Im Übrigen wäre das Vorhaben auch nach § 34 BauGB nicht genehmigungsfähig, da es sich hinsichtlich der Geschossigkeit nicht in die nähere Umgebung einfüge.
4
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor bzw. wird nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
5
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Dies ist nicht der Fall.
6
Die Klägerin zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts auf, dass sich aus dem Vorbescheid kein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung ergibt. Nach den nicht angegriffenen Ausführungen des Verwaltungsgerichts überschreitet das nunmehr zur Genehmigung gestellte Vorhaben mit einer Grundfläche von 287,09 m² die im Vorbescheid für zulässig erachtete Grundfläche von 274 m². Weiter hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Vorbescheid keine Regelung zur zulässigen Geschossfläche getroffen habe, sodass die im Bebauungsplan festgesetzte Geschossfläche von 670 m² dem Vorhaben, das eine Geschossfläche von 912,25 m² aufweist, ebenfalls entgegensteht.
7
Soweit die Klägerin rügt, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht im Rahmen seiner Inzidentprüfung von der Wirksamkeit des Bebauungsplans ausgegangen, werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht dargelegt.
8
Die geltend gemachten Ermittlungsdefizite liegen jedenfalls nicht vor. Es kann daher offenbleiben, ob eine den Anforderungen des § 215 Abs. 1 BauGB entsprechende Rüge innerhalb der Jahresfrist gegenüber der Beigeladenen erfolgt ist.
9
Im Hinblick auf die Anzahl der Wohneinheiten bedurfte es bei der Aufstellung des Bebauungsplans einer Ermittlung des Baurechts nach § 34 Abs. 1 BauGB bereits deshalb nicht, da die Anzahl der Wohneinheiten für ein Einfügen im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB nicht relevant ist (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 – 4 B 72.89 – NVwZ 1989, 1060). Entgegen dem Zulassungsvorbringen wurde der Vorbescheid ausweislich des Protokolls über die Sitzung des Bauausschusses vom 14. Februar 2019 zur Beschlussfassung über den Bebauungsplan berücksichtigt. Es wurde ihm lediglich nicht der von der Klägerin angenommene Regelungsgehalt zugemessen. Die Zulässigkeit der Frage der Anzahl der Wohneinheiten war nicht von der Fragestellung des Vorbescheids umfasst. Allein die Angabe der Anzahl der Wohneinheiten im Betreff des Vorbescheids, der die Bezeichnung des Bauvorhabens aus dem Vorbescheidsantrag übernimmt, lässt keinen hierauf bezogenen Regelungswillen des Landratsamts erkennen. Die dem Vorbescheidsantrag beigefügten Pläne wurden nicht Bestandteil des Vorbescheids. Ausweislich des Protokolls der Sitzung des Bauausschusses zum Satzungsbeschluss vom 14. Februar 2019 wurden die Einwendungen der Klägerin zur Einschränkung des Baurechts bezüglich der Anzahl der Wohneinheiten im Rahmen der Abwägung behandelt. Ein Ermittlungsdefizit besteht diesbezüglich nicht, die Klägerin möchte lediglich ihre Belange anders gewichtet sehen.
10
Weiter sieht die Klägerin einen Ermittlungsfehler darin, dass die Beigeladene nicht erkannt habe, dass die Zu- und Abfahrt zu ihrem Grundstück über den E…weg erfolge und eine Inanspruchnahme des Wendehammers am Ende des E…wegs dafür ebenso wenig erforderlich sei wie eine Inanspruchnahme des G…wegs. Auch mit diesem – wortgleich zum erstinstanzlichen – Vorbringen wird ein Ermittlungsdefizit nicht dargetan. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Festsetzung der Anzahl der Wohneinheiten einer gleichmäßigen Verteilung der Verdichtung über das gesamte Plangebiet dient, um eine punktuelle Überlastung einzelner Straßen zu vermeiden und sich daher eine auf ein einzelnes Grundstück bezogene Betrachtung und Bewertung der verkehrlichen Auswirkungen verbietet. Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass das Plangebiet – abgesehen von ihrem Grundstück – bereits mit Bestandsgebäuden bebaut und damit eine individuelle Betrachtung ihres Grundstücks erforderlich sei, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Da die Frage der Anzahl der Wohneinheiten für ein Einfügen im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB nicht relevant ist, hat die Beigeladene zutreffend im Hinblick auf etwaige Nachverdichtungen oder Ersatzbauten im Bestand (vgl. exemplarisch das gegenüberliegende Grundstück FlNr. …, dessen Bestandsgebäude im Zeitpunkt des verwaltungsgerichtlichen Augenscheins bereits abgebrochen war) die Anzahl der verträglichen Wohneinheiten im Planungsgebiet insgesamt in den Blick genommen. Im Übrigen trägt aber auch der Vortrag der Klägerin nicht, dass die Bebauung auf ihrem Grundstück irrelevant für die Verkehrsbelastung im südlichen Verlauf des E…wegs mit Wendehammer sei. Sie übersieht hierbei, dass mit jeder zusätzlichen Wohneinheit weiterer Anliefer- und Besucherverkehr verbunden sein kann, der nicht auf die Inanspruchnahme des nördlichen Bereichs des E…wegs beschränkt ist.
11
Im Übrigen fehlt es dem Zulassungsvorbringen im Hinblick auf die geltend gemachten Ermittlungsdefizite auch an einer Darlegung, dass sie auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind (vgl. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB).
12
Ein Verstoß gegen das Abwägungsgebot ist ebenfalls nicht dargelegt. Die Klägerin wiederholt hierzu im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag, ohne sich mit der ausführlichen Begründung des Verwaltungsgerichts auseinanderzusetzen. Soweit sie über das erstinstanzliche Vorbringen hinaus anführt, das Verwaltungsgericht habe der Klägerin darin zugestimmt, dass die Festsetzungen für das WA3 deutlich von den Festsetzungen für die übrigen Grundstücke im Plangebiet abwichen, lässt sie die weiteren Ausführungen des Verwaltungsgericht unberücksichtigt, wonach es einer Gemeinde nicht verwehrt ist, die Möglichkeit einer städtebaulichen (Fehl-)entwicklung als Sonderfall beizubehalten und dieser Sonderfall hier das Planungsziel der Erhaltung einer von freistehenden Einzelhäusern geprägten Baustruktur im Plangebiet nicht konterkariert oder unmöglich macht.
13
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
14
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).